BT-Drucksache 17/10031

zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 17/8162 - Für die Einführung eines transparenten und unabhängigen Staateninsolvenzverfahrens

Vom 18. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10031
17. Wahlperiode 18. 06. 2012

Beschlussempfehlung und Bericht
des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/8162 –

Für die Einführung eines transparenten und unabhängigen
Staateninsolvenzverfahrens

A. Problem

Verschiedene Staaten, insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer, aber
auch Mitgliedstaaten der Europäischen Union, leiden unter einer Verschuldung,
die ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung hemmt und sich stark zu Lasten
der ärmsten Bevölkerungsschichten auswirkt.

B. Lösung

Mit dem Antrag wird angestrebt, die Bundesregierung aufzufordern, sich natio-
nal, auf Ebene der Europäischen Union, der G20, außerhalb der G20, der Ver-
einten Nationen und der United Nations Conference on Trade and Development
(UNCTAD) für die Einführung eines transparenten und unabhängigen Staaten-
insolvenzverfahrens einzusetzen.

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD, DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

C. Alternativen

Der Antrag stellt keine Alternativen dar.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Der Antrag macht keine Angaben zu den finanziellen Auswirkungen.
E. Erfüllungsaufwand

Der Antrag macht keine Angaben über entstehenden Erfüllungsaufwand.

F. Weitere Kosten

Der Antrag thematisiert keine weiteren Kosten.

Drucksache 17/10031 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 17/8162 abzulehnen.

Berlin, den 13. Juni 2012

Der Finanzausschuss

Dr. Birgit Reinemund
Vorsitzende

Ralph Brinkhaus
Berichterstatter

Manfred Zöllmer
Berichterstatter

Dr. Gerhard Schick
Berichterstatter

Schuldenumstrukturierung und -reduzierung erfolge. fiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
Ein solches Staateninsolvenzverfahren müsse

– auf Antrag des Schuldnerlandes beginnen,

– eine neutrale, von Gläubiger- wie Schuldnereinflüssen

FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD, DIE LINKE.
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ablehnung.

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung hat den Antrag in seiner 62. Sitzung am
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10031

Bericht der Abgeordneten Ralph Brinkhaus, Manfred Zöllmer und Dr. Gerhard
Schick

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
17/8162 in seiner 149. Sitzung am 15. Dezember 2011 dem
Finanzausschuss zur federführenden Beratung sowie dem
Rechtsausschuss, dem Haushaltsausschuss, dem Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie, dem Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Aus-
schuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur
Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Der Antrag strebt die Feststellung an, dass viele Entwick-
lungs- und Schwellenländer seit mehr als zwei Jahrzehnten
mit dem Problem einer nicht mehr tragfähigen Überschul-
dung kämpften, wodurch ein fast unüberwindbares Hindernis
für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung dieser Staa-
ten sowie die Bereitstellung staatlicher Grundversorgung mit
sozialen Diensten entstünde. Dies gehe insbesondere zu Las-
ten der ärmsten Bevölkerungsschichten und führe national
wie international zu erheblicher Umverteilung. Schuldener-
lasse der Vergangenheit hätten das Problem nicht gelöst.

Die weltweite Wirtschaftskrise habe die globale Verschul-
dungssituation weiter verschärft, was die Reform der inter-
nationalen Prozesse zur Bewältigung staatlicher Schulden-
probleme immer dringlicher werden lasse. Zudem habe die
aktuelle europäische Schuldenkrise deutlich gemacht, das
Staatsüberschuldung oder -insolvenz nicht nur ein Problem
hochverschuldeter Entwicklungsländer sei, sondern auch
EU-Mitgliedstaaten treffen könne. Daraus resultierten große
Gefahren für die weltweite Finanzstabilität infolge vielfälti-
ger Ansteckungskanäle.

Bei der geordneten Bewältigung staatlicher Solvenzkrisen
sei die Beteiligung der privaten Gläubiger sicherzustellen.
Marktbasierte Schuldenrückkaufprogramme seien aufzule-
gen. Die Staatengemeinschaft müsse aber auch über vorab
definierte Verfahrenslösungen verfügen, die einen Rahmen
für direkte und faire Verhandlungen zwischen Schuldner-
staat und Gläubigern böten und dem Ziel dienten, eine trag-
bare Verschuldung wiederherzustellen.

Ziel sei deshalb die Schaffung eines geordneten internationa-
len Staateninsolvenzverfahrens. Für Staatenbünde mit ge-
meinsamer Währung müssten eigene Regelungen und Ver-
fahren gefunden werden. Wichtig sei dabei, dass künftig in
möglichst allen Staaten mit Hilfe eines solchen Verfahrens
die Verhandlungen zwischen Schuldnern und allen Gläu-
bigern transparent und vorhersehbar gestaltet würden,
während die für eine nachhaltige sozioökonomische Ent-
wicklung des Schuldnerlandes zumeist unumgängliche

– weitreichende Anhörungs- und Mitspracherechte enthal-
ten und

– ein menschenwürdiges Existenzminimum der Bevölke-
rung eines Schuldnerstaates als Teil der Staatenpflichten
zur Umsetzung des UN-Sozialpaktes und des UN-Zivil-
paktes sicherstellen.

Daraus leitet der Antrag die Aufforderung an die Bundes-
regierung ab,

1. sich umgehend und nachhaltig für die Umsetzung des in
dem aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU
und FDP festgeschriebenen Staateninsolvenzverfahrens
einzusetzen;

2. sich dafür einzusetzen, dass im Rahmen des Europä-
ischen Stabilitätsmechanismus ein verbindlicher, unpar-
teiischer und umfassender Insolvenzmechanismus für die
Eurozone etabliert wird;

3. im Rahmen der G20 dafür geeignete Initiativen auf Fi-
nanz- und Entwicklungsministerebene anzustoßen;

4. die Zusammenarbeit mit anderen Regierungen auch
außerhalb der G20 zu suchen, die am gleichen Thema
arbeiten;

5. die von UN-Organisationen, führenden Wirtschaftswis-
senschaftlern und der Zivilgesellschaft entwickelten Ini-
tiativen für ein Staateninsolvenzverfahren aktiv zu unter-
stützen;

6. die Ausarbeitung und Einhaltung von Kriterien für eine
verantwortliche Kreditaufnahme und Kreditvergabe, wie
sie derzeit von der United Nations Conference on Trade
and Development (UNCTAD) vorangetrieben wird, aktiv
zu unterstützen.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Rechtsausschuss hat den Antrag in seiner 87. Sitzung
am 13. Juni 2012 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der
Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD Ablehnung.

Der Haushaltsausschuss hat den Antrag in seiner 87. Sitzung
am 25. April 2012 vertagt, die Beratung dann in seiner 93. Sit-
zung am 13. Juni 2012 aufgenommen und abgeschlossen. Er
hat mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und
FDP gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE.
beschlossen, Ablehnung zu empfehlen.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat den An-
trag in seiner 72. Sitzung am 13. Juni 2012 beraten und emp-
unabhängige Instanz, die über Schuldentragfähigkeit und
Legitimität der Schulden entscheidet, haben,

23. Mai 2012 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der

LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimment-
haltung der Fraktion der SPD Ablehnung.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im
federführenden Ausschuss

Der Finanzausschuss hat den Antrag in seiner 90. Sitzung am
13. Juni 2012 erstmalig und abschließend beraten.

Der Finanzausschuss empfiehlt mit den Stimmen der Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Frak-
tionen SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ablehnung des Antrags.

Die antragstellende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
verwies zur Begründung des Antrags auf die seit langer Zeit
geführte Diskussion über ein internationales Staateninsol-
venzverfahren. Bereits im Jahr 2001 habe der Internationale
Währungsfonds (IWF) eine Initiative gestartet. Dies und der
aktuelle Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP
würden deutlich machen, dass großer Konsens für ein Staa-
teninsolvenzverfahren bestehe. Da hier jedoch kaum Fort-
schritt erzielt worden sei, habe die Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN diesen Antrag vorgelegt. Kern dabei sei nicht
die europäische, sondern die internationale Frage. Dennoch
müsse man auch aus der aktuellen europäischen Situation
lernen. Diese mache deutlich, dass es sinnvoll sei, solche
Verfahren vorab zu klären, um Erwartungsstabilität zu ge-
winnen. Andernfalls würde sich eine sehr komplizierte Si-
tuation ergeben.

Die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP mach-
ten deutlich, dass sie sich an ihren Koalitionsvertrag gebun-
den fühlen würden. Die Kritik, bezüglich des vereinbarten
Staateninsolvenzverfahrens seien kaum Fortschritte erzielt,
gehe an der Sache vorbei. Vielmehr müsse zur Kenntnis ge-
nommen werden, dass andere Staaten mitunter andere Posi-
tionen vertreten würden und Fortschritte in internationalen
Verhandlungen schwierig zu erzielen seien. Diese Kom-
plexität der internationalen Verhandlungsführung müsse be-
rücksichtigt werden. Der Antrag greife zu kurz.

Die Bundesregierung betonte, sie teile die Auffassung, dass
gerade in Entwicklungsländern das Risiko einer Schuldenkri-
se nicht auszuschließen sei. Entgegen der im Antrag vertrete-
nen Auffassung setze sie sich daher sehr intensiv dafür ein, in
diesem Bereich voranzukommen. Der Hauptansatz der Bun-
desregierung sei jedoch eher, Wege zu finden, um einer Schul-
denkrise vorzubeugen, denn angesichts des großen Erfolgs
der Entschuldungsmaßnahmen der letzten 15 Jahre spiele das

nausgehende Forderung des Antrags, sich dafür einzusetzen,
dass im Rahmen des gerade unterzeichneten Vertrags zur Ein-
richtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-
Vertrag) ein Insolvenzmechanismus für die Eurozone etabliert
werden solle, werde jedoch abgelehnt. Ferner setze sich die
Bundesregierung dafür ein, Collective Action Clauses zur Lö-
sung von Verschuldungssituationen unter Einbeziehung der
Gläubiger nicht nur in einem europäischen, sondern in einem
internationalen Rahmen voranzubringen. Daneben führe die
Bundesregierung im Rahmen der G20 Gespräche, wie man
beispielsweise durch den Aufbau lokaler Bondmärkte die
Selbstfinanzierungskräfte der jeweiligen Staaten so fördern
könne, dass sie in die Lage kämen, ihre Staatsfinanzierung
durch eigene Mittel sicherzustellen statt auf ausländische Ver-
schuldung, die das eigentliche Problem darstelle, angewiesen
zu sein. Man befinde sich hierzu bereits im Dialog mit der
kommenden G20-Präsidentschaft Russlands.

Die Fraktion der SPD begrüßte grundsätzlich, dass die
Bundesregierung auf Prophylaxe setze. Es sei aber derzeit
deutlich erkennbar, dass die eingesetzten Mittel nicht ausrei-
chen würden, um Staaten zu entschulden. Vielmehr würde
die derzeitige Politik die Schuldenkrisen weiter verschärfen.
Daher wäre es notwendig, beide Ansätze zu kombinieren:
Eine vernünftige Prophylaxe müsse einhergehen mit einem
international vereinbarten System für den Umgang mit hoch-
verschuldeten Staaten. Hierfür käme eine ganze Reihe von
Staaten in Frage, da die Schuldenproblematik keineswegs
gelöst sei. Der Antrag mache hierzu einige vernünftige Vor-
schläge. Zudem gehe der Vorwurf, der Antrag fordere die
Neuverhandlung des ESM-Vertrags, fehl. Vielmehr solle ein
Insolvenzmechanismus implementiert werden, sobald er
verhandelt sei. Das sei eine vernünftige Forderung.

Die Fraktion DIE LINKE. betonte, es wäre – über die For-
derungen des Antrags hinaus – von zentraler Bedeutung zu
klären, wie man im Falle einer Staateninsolvenz die Finan-
zierung des Staates beispielsweise mit Zentralbank-Krediten
oder Eurobonds so lange sicherstellen könne, bis ein entspre-
chendes Staateninsolvenzverfahren greife. Dennoch werde
dem Antrag grundsätzlich zugestimmt.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verwies auf
die existierenden internationalen Initiativen und verteidigte
die Forderung des Antrags, im Rahmen dieser bereits seit
langer Zeit existierenden Diskussion proaktiv tätig zu wer-
den. Dem Antrag die Zustimmung mit Verweis auf die Kom-
plexität der internationalen Verhandlungsführung zu verwei-
gern, sei wenig überzeugend.

Berlin, den 13. Juni 2012

Ralph Brinkhaus
Berichterstatter

Manfred Zöllmer
Berichterstatter

Dr. Gerhard Schick
Berichterstatter
Drucksache 17/10031 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD Ablehnung.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union hat den Antrag in seiner 67. Sitzung am 13. Juni 2012
beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen DIE

Thema Schuldenkrise für Entwicklungs- und Schwellenlän-
der an sich keine Rolle mehr. Von daher stünde die Verhinde-
rung zukünftiger Schuldenkrisen, also eine Schuldenprophy-
laxe im Mittelpunkt des Ansatzes der Bundesregierung.
Hierzu stehe die Bunderegierung mit anderen Staaten und mit
Nichtregierungsorganisationen im Austausch. Die darüber hi-

t mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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