BT-Drucksache 16/999

Position der Bundesregierung in den Verhandlungen über die Modalitäten der WTO-Agrarvereinbarung von Hongkong

Vom 16. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/999
16. Wahlperiode 16. 03. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hüseyin-Kenan Aydin, Heike Hänsel, Dr. Barbara
Höll, Monika Knoche und der Fraktion DIE LINKE.

Position der Bundesregierung in den Verhandlungen über die Modalitäten der
WTO-Agrarvereinbarung von Hongkong

Auf der 6. WTO-Ministerkonferenz in Hongkong wurde der längst überfällige
Beschluss gefasst, alle Formen der Exportsubventionen für landwirtschaftliche
Güter bis Ende 2013 gänzlich abzubauen. Bis Ende 2010 soll ein „substanzieller
Teil“ dieser Subventionen abgebaut sein. Die genauen Modalitäten sollen bis
Ende April 2006 geklärt werden.

Im Agrarpolitischen Bericht 2006 der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache
16/640) sind die Differenz zwischen den mengenmäßigen und budgetären
WTO-Obergrenzen für subventionierte Exporte und ihre tatsächliche Ausnut-
zung aufgeführt. Der Ausnutzungsgrad schwankt je nach Produktgruppe men-
genmäßig zwischen 15,5 Prozent (Schweinefleisch) und 96 Prozent (Butter)
bzw. budgetär zwischen 9,7 Prozent (Schweinefleisch) und 95,9 Prozent (Geflü-
gelfleisch).

Die internen Stützungsmassnahmen werden in drei „Boxen“ eingeteilt. In die
„Amber Box“ fallen Zahlungen, die einen Produktionsanreiz auslösen (Anbau-
prämien, Tierhaltungsprämien, etc.). Sie sind als handelsverzerrend eingestuft
und sollen abgebaut werden. Auf der Ministerratstagung in Hongkong wurde
beschlossen, dass die EU mit der höchsten absoluten Stützung diese prozen-
tual am stärksten abbauen soll. Die EU hat ihre durch Verhandlungen in der
Uruguay-Runde festgelegte Obergrenze für handelsverzerrende interne Stüt-
zungsmaßnahmen jedoch nie ausgeschöpft, sie lag in den Jahren 1995 bis
2001 bei einem Ausschöpfungsgrad zwischen 58 und 69 Prozent.

In die „Blue Box“ fallen Direktzahlungen im Rahmen von produktionsbeschrän-
kenden Maßnahmen. In die „Green Box“ fallen Maßnahmen, von denen ange-
nommen wird, dass sie keine oder nur gering handelsverzerrende Wirkungen
haben (z. B. Agrarumweltprogramme und Regionalbeihilfeprogramme).

Im Bereich der Importzölle für Agrarprodukte wurde festgelegt, diese in vier
Bänder einzuteilen, innerhalb derer sie um 20 bis 90 Prozent gesenkt werden sol-
len. Den Entwicklungsländern wurde zugesagt, „spezielle Produkte“ benennen
zu können, die nicht oder weniger stark von Zollsenkungen betroffen sein sollen,

und einen „speziellen Schutzmechanismus“ im Falle von Preisverfall oder Im-
portschwemme auflegen zu können. Genauere Modalitäten sollen ebenfalls in
Genf vereinbart werden.

Die Bundesregierung ist im Rahmen der EU aktiver Teilnehmer bei den Ver-
handlungen in Genf.

Drucksache 16/999 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Exportsubventionen zu
einer Überschwemmung der Märkte unter anderem der Entwicklungsländer
mit Lebensmitteln zu Dumpingpreisen und damit zur Verdrängung der dor-
tigen heimischen Landwirtschaft mit negativen Folgen für die Ernährungs-
sicherheit führen können, sieht sie schon aus diesem Grund die Notwendig-
keit zu einer raschen Reduzierung der Exportsubventionen, und wie
begründet sie ihre Auffassung?

2. Für wie definitiv hält die Bundesregierung das Enddatum 2013 für die
Abschaffung von Exportsubventionen, wird sie sich für ein Erreichen die-
ses Ziels ohne Verknüpfung mit Verhandlungsergebnissen bei Nichtagrari-
schen Gütern (NAMA) oder Dienstleistungen (GATS) einsetzen, und wie
begründet sie ihre Haltung?

3. Mit welchen konkreten Positionen geht die Europäische Union in die Ver-
handlungen um die Modalitäten der Reduzierung der Exportsubventionen,
und welche konkreten Forderungen stellt die Bundesregierung hierzu?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Vereinbarung, bis Ende
2010 einen „substanziellen Teil“ der Exportsubventionen abzubauen, nicht
heißen kann, dass allein die nominalen WTO-Obergrenzen gesenkt werden,
ohne dass dies auch tatsächlich Auswirkungen auf die tatsächlichen Sub-
ventionszahlungen hat, und welche konkreten Positionen bezieht sie bezüg-
lich der mengenmäßigen und budgetären WTO-Obergrenzen in den einzel-
nen Sektoren?

5. An welchen Stellen wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass
effektive Mengenbegrenzungen vereinbart werden, und wie sollen diese
konkret ausgestaltet werden?

6. Welche Auswirkungen auf die heimische Landwirtschaft sieht die Bundes-
regierung durch die Abschaffung der Exportsubventionen, und wie soll
eventuell auftretenden negativen Auswirkungen entgegengesteuert werden?

7. Wie will die Bundesregierung verhindern, dass durch eine Abschaffung der
Exportsubventionen insbesondere im Bereich der Milchwirtschaft klein-
bäuerliche Höfe dem verschärften Konkurrenzkampf nicht mehr standhal-
ten können und zur Aufgabe gezwungen werden?

8. Inwieweit wird die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass bei verarbei-
teten Produkten budgetäre Reduzierungen bereits innerhalb der ersten Phase
bis 2010 vereinbart werden, und wie begründet sie ihre Haltung?

9. Wird es nach Auffassung der Bundesregierung auch nach Abschaffung der
Exportsubventionen weiter zu einem Dumpingwettbewerb kommen, falls
ja, aufgrund welcher Mechanismen, in welchem Umfang, und was will die
Bundesregierung dagegen unternehmen?

10. Mit welchen konkreten Positionen geht die Europäische Union in die Ver-
handlungen um die Modalitäten der Reduzierung der handelsverzerrenden
internen Stützungsmaßnahmen, und welche konkreten Forderungen stellt
die Bundesregierung hierzu?

11. Wie viele Mittel stehen nach den Luxemburger Beschlüssen von Juni 2003
in der „Blauen Box“ zur Verfügung, und welche Verhandlungsspielräume
sieht die Bundesregierung hier?

12. Sieht die Bundesregierung sämtliche EU-Subventionen, die der „Grünen
Box“ zugeordnet werden, tatsächlich mit den Kriterien der WTO konform,
und wie begründet sie ihre Haltung?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/999

13. Welche Position vertritt die Bundesregierung zu der vereinbarten Überprü-
fung der Kriterien für die „Grüne Box“?

14. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Spielräume für eine
Förderung von Umweltprogrammen im Agrarsektor und der Entwicklung
des ländlichen Raums zu erweitern?

15. Mit welchen konkreten Positionen geht die Europäische Union in die Ver-
handlungen um die Modalitäten für die Festlegung der Kriterien und der
„angemessenen Zahl von speziellen Produkten“ und der „sensitiven“ Pro-
dukte, und welche konkreten Forderungen stellt die Bundesregierung hier-
zu?

16. Welche Verhandlungsposition bezieht die Bundesregierung zu der Defini-
tion der „Speziellen Produkte“, nachdem der Bundesminister für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, in einem
NGO-Briefing in Hongkong die Unterstützung der Position der G33 zuge-
sagt hatte und diese alle Güter als „speziell“ definiert haben wollen, die von
Dumping betroffen sind?

17. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass „spezielle Produkte“
auch den „speziellen Schutzmechanismus“ bekommen sollen, und wie be-
gründet sie ihre Haltung?

18. Mit welchen konkreten Positionen geht die Europäische Union in die Ver-
handlungen um die Zollreduktionen, und welche konkreten Forderungen
stellt die Bundesregierung hierzu?

19. Wie hoch ist der durchschnittliche Spielraum zwischen den gebundenen und
den tatsächlich angewandten Zöllen im Agrarsektor in der Europäischen
Union?

20. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Senkung der tatsäch-
lich angewandten Zölle in Ländern des Südens bei Nahrungsmitteln wie
Reis, Milch, Zucker, Geflügel, Mais, Weizen und verarbeitete Produkte zu
einer Verschärfung des Wettbewerbs der dort heimischen Bäuerinnen und
Bauern mit den Importen der Agrarerzeuger aus den Industrieländern führen
würde, und wenn nein, welche Entwicklung prognostiziert sie für die Klein-
bauern in den Entwicklungsländern im Falle von Zollsenkungen?

21. Welche Verluste werden die AKP-Staaten durch die Präferenzerosion erlei-
den, und mit welchen Maßnahmen können und sollen diese kompensiert
werden?

22. Welche informellen Treffen zum Agrarbereich haben seit der WTO-Minis-
terkonferenz in Hongkong stattgefunden, und zu welchen Ergebnissen ha-
ben sie geführt?

Berlin, den 9. März 2006

Ulla Lötzer
Hüseyin-Kenan Aydin
Heike Hänsel
Dr. Barbara Höll
Monika Knoche
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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