BT-Drucksache 16/9812

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD -16/8867, 16/9792- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9812
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Birgit Homburger, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn),
Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-
Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD
– Drucksachen 16/8867, 16/9792 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Nach dem Entwurf des Dritten Armuts- und Reichtumsberichts des Ministers für
Arbeit und Soziales gelten 13 Prozent der Menschen in Deutschland als arm;
weitere 13 Prozent der Bevölkerung werden durch sozialstaatliche Leistungen
vor Armut bewahrt. Kinder sind von Armut stärker betroffen als Erwachsene.
Gegenwärtig leben in Deutschland ca. 2,4 Mio. Kinder und Jugendliche in 1,4
Mio. Haushalten, die über ein Einkommen verfügen, das unterhalb von 60 Pro-
zent des gewichteten Medianeinkommens liegt. Die Armutsrisikoquote bei Kin-
dern unter 18 Jahren liegt bei 17,3 Prozent (Kompetenzzentrum für familienbe-
zogene Leistungen, Dossier „Armutsrisiken von Kindern und Jugendlichen in

Deutschland, 2008, S. 8). 30 Prozent aller in Armut lebenden Kinder und Ju-
gendlichen sind im Alter von 15 bis unter 18 Jahre (a. a. O., S. 9). Kinder und
Jugendliche sind arm, weil Familien, in denen sie leben, arm sind. Ein besonders
hohes Armutsrisiko weisen Kinder von Alleinerziehenden auf, auch wenn der
Elternteil einer Erwerbstätigkeit nachgeht (World Vision Deutschland e. V., Kin-
der in Deutschland 2007, 2007, S. 78) und Kinder von Arbeitslosen und Zuwan-
derern sowie Familie mit vielen Kindern.

Drucksache 16/9812 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Gesetzgeber hat als Instrument zur Bekämpfung von Kinderarmut den Kin-
derzuschlag in § 6a des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) eingefügt, eine
Leistung, die eine vorrangige Alternative zu Leistungen nach dem SGB II dar-
stellt. Eltern, die zwar ihren eigenen Mindestbedarf i. S. d. SGB II, nicht aber
den der ganzen Familie decken können, erhalten zur Vermeidung eines ergänzen-
den Anspruchs auf soziale Grundsicherung einen mit steigendem Einkommen
allmählich abschmelzenden Kinderzuschlag in Höhe von höchstens 140 Euro
pro Kind und Monat. Der Kinderzuschlag wird aber kaum in dieser Höhe ausge-
zahlt. Nach § 6a BKGG wird zunächst eigenes Einkommen oder Vermögen des
Kindes einschließlich der Unterhaltszahlungen Dritter angerechnet. Dann wird
der verbleibende Kinderzuschlag um 70 Prozent des das Mindesteinkommen
übersteigenden Erwerbseinkommens der Eltern oder um 100 Prozent ihres sons-
tigen Einkommens oder Vermögens gekürzt. Der durchschnittlich gezahlte
Kinderzuschlag liegt bislang bei monatlich 93 Euro pro Kind (Bundestagsdruck-
sache 16/4670, S. 9). Das Antrags- und Bewilligungsverfahren wurde in der
Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom
2. Juni 2008 als ausgesprochen kompliziert und intransparent bezeichnet (Proto-
koll Nr. 16/58 der Öffentlichen Anhörung, S. 12 und S. 14; vgl. zum Verfahren
auch die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der FDP, Bundes-
tagsdrucksache 16/334). Da der Kinderzuschlag neben dem Wohngeld gezahlt
wird, ist die Bundesagentur für Arbeit bzw. die Familienkasse für den Kinderzu-
schlag und die kommunale Wohngeldstelle für das Wohngeld zuständig. Die
Finanzierungslast für den Kinderzuschlag trägt der Bund, so dass in diesem Um-
fang Länder und Gemeinden entlastet werden.

Angesichts der hohen Verwaltungskosten und einer Bewilligungsquote von
12 Prozent bzw. 15,7 Prozent (Bundestagsdrucksache 16/4670, S. 6) soll § 6a
BKGG mit Wirkung zum 1. Oktober 2008 neu gefasst werden. Künftig sollen zu-
sätzlich 12 000 Kinder in 50 000 Familien erreicht werden (Bundestagsdruck-
sache 16/8867, S. 1, 5). Die bisherige individuelle Berechnung der Mindestein-
kommensgrenze, die neben den Regelsätzen auch Sonderbedarfe, das örtliche
Mietniveau und die Heizkosten einbezieht, soll durch eine pauschale Untergrenze
von 900 Euro für Elternpaare und 600 Euro für Alleinerziehende ersetzt werden.
Die an das SGB II angelehnte Höchsteinkommensgrenze bleibt nach Höhe und
Berechnungsart unverändert; die SGB-II-Prüfung ist mit Blick auf das Wohngeld
jedoch weiterhin erforderlich. Ein das Mindesteinkommen übersteigendes Er-
werbseinkommen soll künftig nur noch zu 50 Prozent angerechnet werden.

Der jährliche Verwaltungsaufwand wird laut Gesetzentwurf im Jahr 2009 auf
26 Mio. Euro für die Bearbeitung der Anträge auf Kinderzuschlag steigen (Bun-
destagsdrucksache 16/8867, S. 2, 6 f.). Nach der Stellungnahme der Direktion
der Bundesagentur für Arbeit liegen die von der Bundesagentur für Arbeit
geschätzten Mehrkosten deutlich über den Verwaltungskostenansätzen des
Gesetzentwurfs (Ausschussdrucksache 16(13)342h, S. 1). Möglichkeiten, den
Verwaltungsaufwand zu reduzieren, konnten in der Anhörung des Ausschusses
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 2. Juni 2008 zum Gesetzentwurf
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Kindergeldgesetzes“ (Bundestagsdrucksache 16/8867) nicht aufgezeigt
werden (Protokoll Nr. 16/58 der Öffentlichen Anhörung, S. 29 f. und S. 34).

In der Anhörung wurde ferner darauf hingewiesen, dass der Kinderzuschlag nur
selten zu einer Verbesserung der materiellen Situation von Familien in schwie-
rigen finanziellen Lagen beiträgt, weil diese Sozialleistung im Ergebnis nur
einen Teil der Betroffenen erreicht und ihnen nur eine geringe Hilfe bietet. Kin-
der würden in erster Linie nicht aus der Armut, sondern vor allem aus der
Armutsstatistik genommen (Ausschussdrucksache 16(13)342g, S. 7 f.; vgl. fer-
ner Ausschussdrucksache 16(13)342b, S. 4). Durch die Höchsteinkommens-

grenze könne ein Gerechtigkeitsproblem entstehen, wenn sich Familien mit
höherer Erwerbsbeteiligung schlechter stellten als andere mit geringerer (Aus-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9812

schussdrucksache 16(13)342f, S. 4; ähnlich zu den Auswirkungen der Höchst-
einkommensgrenze Ausschussdrucksache 16(13)342i, S. 4 und Ausschuss-
drucksache 16(13)342g, S. 8).

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffent-
lichte im April 2008 einen „Arbeitsbericht Zukunft für Familie“ des Kompe-
tenzzentrums für familienbezogene Leistungen, der auch Empfehlungen für eine
Weiterentwicklung des Kinderzuschlags enthält, jedoch nicht eine umfassende
Bewertung der familien- und ehebezogenen Leistungen. Die Bestandsaufnahme
der Bundesregierung aus 2006 umfasste insgesamt 153 Leistungen im Umfang
von etwa 189 Mrd. Euro; nur 45 Mrd. Euro hiervon standen der Familienförde-
rung i. e. S. zur Verfügung. Ausmaß und Ausgestaltung der Familienförderung
stünden weitgehend im Ermessensspielraum des Gesetzgebers. Beim Kinder-
geld handelt es sich grundsätzlich nicht um eine familienpolitische Leistung,
sondern um einen Ausgleich für die Besteuerung des Existenzminimums von
Kindern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● ein Gesamtkonzept vorzulegen, wie Kinderarmut gemeinsam mit den Bun-
desländern und Kommunen wirksam entgegengewirkt werden kann und
Maßnahmen zielgenauer auf das Wohlergehen der Kinder ausgerichtet wer-
den können;

● Vorschläge für eine Bündelung von Leistungen für Familien und die Siche-
rung des Kinderbedarfs im Sinne eines existenzsichernden Universaltrans-
fers, dem Bürgergeld, vorzulegen;

● die Regelungen des Steuer- und Sozialrechts auch mit Blick auf die Staffe-
lung bei Kinder- und Sozialgeld zu harmonisieren und ein transparentes Kon-
zept der Familienförderung vorzulegen, das insbesondere die Situation von
Alleinerziehenden und Selbstständigen berücksichtigt;

● gemeinsam mit Ländern und Kommunen schnellstmöglich Vorschläge für
Verfahrensvereinfachungen und einen Bürokratieabbau im Bereich der fami-
lienpolitischen Leistungen vorzulegen;

● in einem ersten Schritt zum 1. Januar 2009 das Kindergeld und die Kinder-
freibeträge zu erhöhen, und im Zusammenhang mit einer großen Steuer-
reform das Kindergeld zum 1. Januar 2010 auf 200 Euro zu erhöhen, einen
Grundfreibetrag von 8 000 Euro für Kinder und Erwachsene einzuführen,
sowie eine steuerliche Berücksichtigung der Kinderbetreuungskosten bis zu
12 000 Euro im Jahr und einen Freibetrag von 2 000 Euro für die letzten drei
Monate der Schwangerschaft vorzusehen;

● sich gemeinsam mit den Bundesländern und Kommunen weiterhin für eine
zügigen Ausbau von qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungsmöglich-
keiten unter Einbeziehung von privaten und privat-gewerblichen Trägern
einzusetzen, um eine echte Wahlfreiheit für Eltern und die Vereinbarkeit von
Familie und Erwerbstätigkeit zu ermöglichen;

● von einer darüber hinausgehenden Ausweitung familienpolitischer Leistun-
gen abzusehen, solange es auf der Grundlage einer umfassenden Wirkungs-
analyse der familienpolitischen Leistungen durch das Kompetenzzentrum für
familienbezogene Leistungen an einer Bewertung durch das Bundesminis-
terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fehlt.

Berlin, den 24. Juni 2008
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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