BT-Drucksache 16/9745

Die Regierungsverhandlungen mit China zur Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit und zur Förderung der chinesischen Zivilgesellschaft nutzen

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9745
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Die Regierungsverhandlungen mit China zur Neuorientierung der Entwicklungs-
zusammenarbeit und zur Förderung der chinesischen Zivilgesellschaft nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesrepublik Deutschland leistet seit 1981 Entwicklungshilfe an die
Volksrepublik China (VR China). Dabei ist die deutsche Hilfe in den letzten
Jahren stetig angestiegen. Im Jahr 2007 betrugen die Mittel für die Entwick-
lungszusammenarbeit aus dem Einzelplan 23 des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 57,5 Mio. Euro. In die-
sem Jahr ist der Etat für die Finanzielle Zusammenarbeit nochmals um 10 Mio.
Euro erhöht worden. Mit insgesamt 67,5 Mio. Euro steht die VR China damit an
dritter Stelle der Empfänger deutscher Mittel aus dem Etat des BMZ. Auch das
Development Assistance Committee (DAC) der Organisation für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), welches die offiziellen Ent-
wicklungshilfezusagen der Länder weltweit berechnet, hat für die Jahre 2005
und 2006 einen erheblichen Aufwuchs der deutschen Hilfsleistungen an China,
die auch sonstige, nicht über den Haushalt des BMZ finanzierte Entwicklungs-
leistungen enthalten, festgestellt. Während die deutschen Hilfsgelder im Jahr
2005 noch 187 Mio. Euro betrugen, stiegen sie im Jahr 2006 auf 195 Mio. Euro

an. Im weltweiten Vergleich ist Deutschland damit der größte Zahler an öffent-
licher Entwicklungshilfe an China.

China ist inzwischen zu einer der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt auf-
gestiegen. Mit Devisenreserven in Höhe von rund eine Billion (1 000 Mrd.)
Euro steht China auf Platz drei der Wirtschaftsmächte. Als ständiges Mitglied
im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen und Mitglied der Welthandels-
organisation (WTO) ist die Volksrepublik China zu einem der einflussreichsten

Drucksache 16/9745 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Akteure der Völkergemeinschaft geworden. China leistet inzwischen selbst
Entwicklungshilfe, allein an Afrika in einer Größenordung von 7,5 Mrd. Euro.
Diese neue Gewichtung hat der Entwicklungsausschuss des Europäischen Par-
laments in seinem am 27. Februar 2008 beschlossenen Bericht, der sich mit
dem wachsenden Einfluss Chinas und seiner veränderten Rolle als Geber auf
dem afrikanischen Kontinent befasst, beschrieben.

Nach dem schweren Erdbeben in der Provinz Sichuan am 12. Mai 2008 hat die
chinesische Staatsführung transparent und entschlossen gehandelt, um den
Menschen im Erdbebengebiet schnell und unbürokratisch zu helfen. Ein sol-
ches an den Bedürfnissen der chinesischen Bürger ausgerichtetem Regierungs-
handeln eröffnet neue Perspektiven für die gesellschaftspolitische Entwicklung
des Landes. In der Volksrepublik China ist seit längerer Zeit das Aufkommen
zivilgesellschaftlicher Strukturen und Akteure zu beobachten.

Der Deutsche Bundestag begrüßt diese Entwicklungen ausdrücklich und
erkennt die gewaltigen Herausforderungen an, die mit diesem Transformations-
prozess einhergehen. Jetzt gilt es, diese positiven Impulse für die Gestaltung
der entwicklungspolitischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Volksrepublik China zu nutzen und umzusetzen. Seitens
der Bundesregierung ist eine Neuorientierung in der Gestaltung der deutsch-
chinesischen Entwicklungszusammenarbeit dringend erforderlich. Dabei geht
es darum, die VR China nicht mehr als Entwicklungsland, sondern als Wirt-
schaftspartner auf gleicher Augenhöhe einzustufen. Die Bundesregierung be-
gründete ihr entwicklungspolitisches Engagement noch bis vor kurzem mit
dem geringen Pro-Kopf-Einkommen in der VR China. Inzwischen räumt das
BMZ ein, dass es sich bei den Zahlungen nicht mehr um Hilfe zur Armuts-
bekämpfung handelt. Es begründet die Fortsetzung der Zahlungen nunmehr mit
den positiven Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft und den weltweiten
Klimaschutz. Damit hat die deutsche Entwicklungspolitik aber nur verbal auf
die unübersehbaren Veränderungen reagiert. Sie will die Entwicklungszusam-
menarbeit nahezu unverändert fortführen, obgleich sie erkannt hat, dass es die
primäre Aufgabe der chinesischen Staatsführung selbst ist, die noch erforder-
lichen Maßnahmen zur Armutsminderung aus dem eigenen Staatshaushalt zu
finanzieren. Inzwischen werden zwar deutsche Interessen immer deutlicher for-
muliert, wie etwa im Bereich der Nutzung deutscher Umwelttechnik und der
Rechtskooperation. Die bestehenden Institutionen der Interessenaushandlung
werden diesem neuen Anspruch jedoch nicht einmal im Ansatz gerecht.

Der Deutsche Bundestag stellt zudem fest, dass trotz der gesellschaftlichen
Pluralisierung in China die personellen, technischen und finanziellen Zuwen-
dungen im Rahmen der deutsch-chinesischen Entwicklungszusammenarbeit
bislang fast ausschließlich an staatliche chinesische Partnerorganisationen ge-
leistet werden. Dies wird weder den entwicklungspolitischen Grundsätzen
Deutschlands noch der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Entwicklung in
China gerecht.

Die für Mai 2008 geplanten Verhandlungen sind als Reaktion auf den Tibet-
konflikt von der Bundesregierung zunächst einseitig ausgesetzt worden. Die
Bundesregierung beabsichtigt aber nun offenbar, die Entwicklungszusammen-
arbeit in der bisherigen Form fortzusetzen. Noch in diesem Jahr stehen Regie-
rungsverhandlungen über die deutsche Entwicklungshilfeleistungen an die
Volksrepublik China an.

Es wird immer deutlicher, dass die bisherige, staatszentrierte Entwicklungszu-
sammenarbeit an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stößt. China muss im
Rahmen seiner Leistungsfähigkeit bei allen Entwicklungsvorhaben signifikante
Eigenbeiträge leisten und sich, soweit es selbst in anderen Ländern als Geber

auftritt, in die Aktivitäten der traditionellen Geberländer kohärent einbringen.
Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die deutsche Entwicklungszusam-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9745

menarbeit mit China auf eine neue Grundlage zu stellen. Im Rahmen der jetzt
anstehenden Verhandlungen gilt es, vor allem der chinesischen Zivilgesell-
schaft einen geregelten Zugang zu den finanziellen, technischen und personel-
len Ressourcen der deutsch-chinesischen Entwicklungszusammenarbeit, soweit
sie überhaupt noch erforderlich ist, zu gewähren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Finanzielle Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China einzustellen
und im Bereich der Technischen Zusammenarbeit laufende Entwicklungs-
vorhaben nur dann fortzuführen, wenn im Rahmen der chinesischen Leis-
tungsfähigkeit zumutbare Eigenleistungen erbracht werden und sie einen
direkten Beitrag zur Umsetzung der fünf sog. Good-Governance-Kriterien
(Achtung der Menschenrechte; Beteiligung der Bevölkerung an politischen
Entscheidungsprozessen; Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit; markt-
orientierte soziale Wirtschaftsordnung und Entwicklungsorientierung staat-
lichen Handelns) leisten;

2. die Regierungsverhandlungen zu nutzen, um der chinesischen Zivilgesell-
schaft einen geregelten Zugang zu den finanziellen, technischen und per-
sonellen Ressourcen der verbleibenden deutsch-chinesischen Entwicklungs-
zusammenarbeit zu gewähren;

3. bestehende Partnerschaftsabkommen deutscher staatlicher und nichtstaat-
licher Durchführungsorganisationen mit chinesischen Partnern systematisch
darauf zu überprüfen, ob sie noch erforderlich sind sowie ob und wie sie
eine möglichst breite Einbindung der chinesischen Bevölkerung und ihrer
Assoziationen zulassen;

4. Defizite im Bereich der Programmierung der deutsch-chinesischen Entwick-
lungszusammenarbeit durch ein Öffentlichkeitsverfahren mit größtmög-
licher Beteiligung chinesischer gesellschaftspolitischer Vertreter auszuglei-
chen;

5. Anliegen der chinesischen Zivilgesellschaft (z. B. im Bereich des Katastro-
phenschutzes, im Umwelt- und Gesundheitsbereich, der Bildung usw.) bei
den Regierungsverhandlungen zu thematisieren und zum Anlass zu nehmen,
um neue Kooperationsmodelle zu erörtern;

6. zur Vorbereitung der Regierungsverhandlungen chinesische Sozial- und
Umweltverbände zu konsultieren, z. B. in Form von runden Tischen.

Berlin, den 24. Juni 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.