BT-Drucksache 16/972

Bewertung, Umsetzungsstand und Zukunft der Bundesprogramme zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt

Vom 14. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/972
16. Wahlperiode 14. 03. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, Diana Golze, Klaus Ernst,
Frank Spieth, Jörn Wunderlich, Dr. Martina Bunge und der Fraktion Die LINKE.

Bewertung, Umsetzungsstand und Zukunft der Bundesprogramme zur Bekämp-
fung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt

Seit dem Jahr 2001 fördert die Bundesregierung über die Programme CIVITAS,
entimon und Xenos Projekte, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Antisemitismus engagieren. Während Xenos Maßnahmen für Toleranz und
interkulturelle Bildung im Bereich der beruflichen Ausbildung förderte (die
Antragsphase endete 2005) werden über das Programm entimon politische Bil-
dungsarbeit gegen Rechtsextremismus und Ausgrenzung sowie Projekte zum in-
terkulturellen Lernen gefördert. CIVITAS wiederum unterstützt lokale Projekte
gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Ostdeutschland,
wobei besonders die großen Strukturprojekte Mobile Beratung gegen Rechts-
extremismus und Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt zu nennen sind.
Insgesamt wurden über die drei Programmteile in den letzten Jahren mehr als
4 000 Projekte gefördert.

Vor dem Hintergrund der Ende 2006 auslaufenden Bundesprogramme CIVITAS
und entimon, die bis jetzt mit 19 Mio. Euro im Jahr ausgestattet sind, stellt sich
die Frage, wie diese wichtige Arbeit gegen eine weiterhin erfolgreiche und
äußerst aktive extreme Rechte fortgesetzt werden soll. Laut Presseberichten plant
das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
eine umfassende konzeptionelle Veränderung der bisherigen Programme. Der
Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, Dr. Hermann Kues, wurde mit Aussagen zitiert, die darauf
schließen lassen, dass es im Bundesministerium bereits eine weit reichende
Einigung über die Ziele und Inhalte sowie über die zukünftige finanzielle För-
derhöhe eines geplanten Programms zur „Förderung von Vielfalt, Toleranz und
Demokratie“ gibt. Die Aussagen des Parlamentarischen Staatssekretärs stoßen
auf ein erhebliches Interesse in der Öffentlichkeit und in der Jugendarbeit, wie
eine Vielzahl von Pressemeldungen und Interviews aber auch ein bereits vor-
liegendes Positionspapier der ostdeutschen Landesjugendringe zeigen. Dieses
Interesse steht in einem offenkundigen Widerspruch zur Informationspolitik des
Bundesministeriums. Die aktuelle Lage von Zuwendungsempfängern und
Antragstellern wird durch die intransparente und willkürliche Verbreitung von

Informationen erschwert. Antragsteller für das Jahr 2006 warten nicht nur auf
Zuwendungsbescheide, sondern auch auf Auswahlurteile zu ihren Anträgen.
Viele ambitionierte und wichtige Vorhaben sind in Gefahr, nicht realisiert zu
werden.

Die anscheinend geplante Ausweitung eines neuen Programms auf die Bereiche
„Linksextremismus“ und Islamismus wird der gegenwärtigen politischen Pro-
blemlage nicht gerecht, da es sich faktisch um eine Kürzung der Mittel gegen

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Rechtsextremismus handelt. Angesichts der nach wie vor bedrohlichen Ent-
wicklung der extremen Rechten, des erneuten Anstiegs rechtsextremer Straf-
taten und den Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitforschung ist eine sol-
che Kürzung das falsche Signal und lenkt die Aufmerksamkeit vom eigentlichen
Kern des Problems, der extremen Rechten, weg.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die aktuelle Gefahr durch den Rechts-
extremismus, und wie stellt sich vor diesem Hintergrund aus ihrer Sicht die
Notwendigkeit der Fortführung von Programmen gegen Rechtsextremis-
mus dar?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die durch das Programm CIVITAS ge-
förderten Strukturprojekte: Netzwerkstellen, Mobile Beratung, Opferbera-
tung? (Bitte nach einzelnen Bereichen aufschlüsseln.)

3. Welche Erfolge konnten bei der Stärkung demokratischer Strukturen in Ost-
deutschland durch die von CIVITAS geförderten Projekte erzielt werden?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die lokale Verankerung der durch
CIVITAS geförderten Strukturprojekte?

5. In welchen Bundesländern, Regionen, Kommunen gibt es eine Kofinanzie-
rung dieser Projekte, und wie hoch ist diese Kofinanzierung? (Bitte nach
Bundesländern und Projekten auflisten.)

6. Welche Auswirkungen auf die Teilprojekte hätte eine Verringerung von
Bundesmitteln?

7. Welche Bewertung nimmt die Bundesregierung bezüglich der vom Pro-
gramm entimon durchgeführten Schwerpunkte politische Bildungsarbeit,
interkulturelles Lernen, lokale Netzwerke vor?

8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der wissen-
schaftlichen Begleitforschung zu den Programmen entimon und CIVITAS

a) bezüglich der Bewertung der Projekte,

b) bezüglich der Verstetigung der Projekte?

9. Hat die Bundesregierung die Berichte der Beiräte von CIVITAS, entimon
und Xenos zur Kenntnis genommen, und wenn ja, welche Schlussfolgerun-
gen zieht sie daraus?

10. Haben diese Berichte der Beiräte thematische Defizite der Programme be-
zogen auf die Themen Linksextremismus und Islamismus benannt, wenn ja,
welche Argumente wurden angeführt?

11. Hat die wissenschaftliche Begleitforschung thematische Defizite der Pro-
grammteile bemängelt, etwa bezogen auf die Themen Linksextremismus
oder Islamismus?

12. Auf welche wissenschaftlichen Erkenntnisse stützt die Bundesregierung die
von ihr geplante thematische Ausweitung der Programme?

13. Wie ist der Planungsstand zur Neuausrichtung der bislang unter dem Titel
CIVITAS und entimon firmierenden Förderprogramme?

14. Zu welchem Zeitpunkt werden Parlament und Öffentlichkeit über die Ziele
und Inhalte des neu ausgerichteten Förderprogramms vollständig infor-
miert?

15. Ab welchem Zeitpunkt und für welchen Zeitraum wird eine Antragstellung

für Fördermittel aus dem neu ausgerichteten Förderprogramm möglich
sein?

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16. Welche Ziele und Inhalte wird das neu ausgerichtete Förderprogramm nach
dem jetzigen Planungsstand im BMFSFJ haben?

17. Wie wird die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Antisemitismus, Frem-
denfeindlichkeit und Gewalt zukünftig als Programmschwerpunkt quantita-
tiv und qualitativ gewichtet sein?

18. Ist aus der vom Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Hermann Kues vorge-
nommenen Gleichsetzung des Kampfes gegen den Rechtsextremismus mit
dem Kampf gegen „Linksextremismus“ und „radikalen Islamismus“ eine
beabsichtigte Kürzung bei den bisherigen Programmschwerpunkten abzu-
leiten?

19. In welcher Weise wird das neu ausgerichtete Förderprogramm die Bedeu-
tung kontinuierlicher Arbeit beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen
würdigen?

20. Werden die im Rahmen der Programme CIVITAS und entimon angescho-
benen Projekte (u. a. Opferberatungsstellen, Mobile Beratungsteams, Netz-
werkstellen) auch unter den Bedingungen des neuen Programms fortgeführt
werden können?

21. Welche Formen der Unterstützung plant die Bundesregierung, um vorhan-
dene Strukturen im Rahmen der Programme CIVITAS und entimon zu
erhalten?

22. Wie wird das neu ausgerichtete Förderprogramm die besondere Situation und
den besonderen Förderbedarf in Ostdeutschland beim Kampf gegen Rechts-
extremismus, Antisemitismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit sowie
beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen in Ostdeutschland berück-
sichtigen?

23. Welche Höhe ist nach dem bisherigen Planungsstand ab 2007 für das neu
ausgerichtete Förderprogramm insgesamt vorgesehen?

24. Wie verträgt sich insbesondere die in der Finanzplanung des BMFSFJ
vorgesehene Absenkung des Haushaltstitels 686 02 (bisher Programmteil
CIVITAS) im Einzelplan 17 von 9 Mio. Euro im Jahr 2006 auf 7 Mio. Euro
im Jahr 2007 und auf 6 Mio. Euro in den Folgejahren mit den öffentlichen
Äußerungen vom Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Hermann Kues, nach
denen sich an der Gesamtförderhöhe auch 2007 nichts ändern soll?

25. Wie verträgt sich die geplante Absenkung des Haushaltstitels 686 02 im
Einzelplan 17 mit der bisherigen mittelfristigen Finanzplanung des Bundes-
ministeriums, die bis 2009 eine Verstetigung der Förderung auf der bisheri-
gen Höhe von insgesamt 19 Mio. Euro vorsah?

26. In welcher Höhe und in welcher verbindlichen Form soll die im Koalitions-
vertrag angekündigte Verstetigung der Förderung von Aktivitäten gegen
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, für Demokratie und Toleranz
über das Jahr 2007 hinaus erfolgen?

27. Für wie viele Anträge auf Förderung, die für das Jahr 2006 im Rahmen der
Programme CIVITAS und entimon eingegangen sind, haben die Antragstel-
ler noch keinen Bescheid über die positive oder negative Beurteilung ihres
Antrags oder über die Gewährung von Fördermitteln erhalten?

28. Plant die Bundesregierung oder die von ihr beauftragten Institutionen Maß-
nahmen, wie die Genehmigung eines vorzeitigen Maßnahmebeginns, die
den Antragstellern für das Jahr 2006 eine qualitativ hochwertige Durch-
führung ihres Vorhabens erleichtern?

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29. Bis zu welchem Datum werden nach dem bisherigen Planungsstand des
BMFSFJ alle Antragsteller für das Jahr 2006 einen verbindlichen Bescheid
zu ihrem Vorhaben erhalten?

Berlin, den 13. März 2006

Ulla Jelpke
Petra Pau
Jan Korte
Diana Golze
Klaus Ernst
Frank Spieth
Jörn Wunderlich
Dr. Martina Bunge
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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