BT-Drucksache 16/9717

Besuch der Bundeskanzlerin in Kolumbien

Vom 23. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9717
16. Wahlperiode 23. 06. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Dag˘delen, Monika Knoche, Hüseyin-
Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Inge Höger, Dr. Norman
Paech, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Besuch der Bundeskanzlerin in Kolumbien

Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel besuchte am 17. und 18. Mai 2008
Kolumbien. Dort lobte die Bundeskanzlerin ausdrücklich die vermeintlichen
Erfolge der rechts-konservativen Regierung von Präsident Álvaro Uribe in der
Wirtschaftspolitik und bei der Herstellung von öffentlicher Sicherheit und
Rechtsstaatlichkeit. Diese positive Einschätzung der Regierung durch die Bun-
deskanzlerin wird von vielen Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaf-
ten in Kolumbien nicht geteilt.

Sie kritisieren beispielsweise, dass ihre Arbeit immer wieder von Vertretern der
Regierung öffentlich ins Zwielicht und sogar in die Nähe terroristischer Aktivi-
täten gerückt wird. Durch diese öffentliche Anprangerung und dadurch, dass
viele Morde an Aktivistinnen und Aktivisten ungesühnt bleiben, wird ihre Be-
drohung durch paramilitärische Gruppen, die trotz des Demobilisierungspro-
zesses weiter bestehen oder neu gegründet wurden, noch verstärkt.

Auch Friedensgemeinden, wie die Gemeinde San José de Apartadó, die im letz-
ten Jahr den Aachener Friedenspreis erhielt, wurden wiederholt unter den Ver-
dacht der Nähe zu den Guerilla bzw. zum Terrorismus gestellt. Viele dieser Ge-
meinden werden durch Paramilitärs, reguläre Streitkräfte und teilweise auch
durch Guerilla bedroht und haben bereits viele Tote zu beklagen.

Seit Jahren weisen Menschenrechtsorganisationen überdies auf die engen Ver-
bindungen von Paramilitärs zu den staatlichen Streitkräften sowie zu Regie-
rungsvertretern und Abgeordneten der Regierungsmehrheit hin. Gegen 65 Ab-
geordnete der Regierungsmehrheit wird in diesem Zusammenhang ermittelt,
33 davon sind in Haft. Ungeachtet dessen ist der Öffentlichkeit von einer kriti-
schen Ansprache der Menschenrechtsproblematik seitens der Bundeskanzlerin
nichts bekannt geworden, im Gegenteil unterstützte die Bundeskanzlerin den
Kurs der Regierung Uribes ausdrücklich und kündigte eine verstärkte Zusam-
menarbeit an.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Rolle spielte die Situation der Menschenrechte in Kolumbien bei
den Gesprächen der Bundeskanzlerin mit dem kolumbianischen Präsiden-
ten?

2. Mit welchen weiteren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern konnte
die Bundeskanzlerin die Menschenrechtslage in Kolumbien erörtern, und
welche von der Haltung des Präsidenten abweichenden Einschätzungen
wurden dabei vorgetragen?

Drucksache 16/9717 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Welchen Eindruck bekam die Bundeskanzlerin dabei von der Entwicklung
der Menschenrechtslage und den fortbestehenden diesbezüglichen Proble-
men?

4. Hat die Bundesregierung den Eindruck, dass die kolumbianische Regie-
rung ihrer Verpflichtung aus der UN-Charta, zahlreichen Selbstverpflich-
tungen und den Empfehlungen der UN-Hochkommissarin für Menschen-
rechte, Menschenrechtsaktivisten in ihrem Land zu schützen, in ausrei-
chendem Maße nachkommt (bitte mit Begründung)?

5. Drang die Bundeskanzlerin gegenüber der kolumbianischen Regierung
darauf, Menschenrechts- und Gewerkschaftsaktivistinnen und -aktivisten
besser zu schützen und die Urheber von politisch motivierten Morden und
Drohungen strafrechtlich zu verfolgen (bitte mit Begründung)?

6. Welche Verabredungen mit der kolumbianischen Regierung wurden dies-
bezüglich getroffen, und welche Unterstützung bietet die Bundesregierung
dabei an?

7. In welcher Weise hat die Bundeskanzlerin die Kriminalisierung oppositio-
neller Gruppen durch Vertreter der kolumbianischen Regierung in ihren
Gesprächen in Kolumbien thematisiert (bitte mit Begründung)?

8. In welcher Weise wurde in den Gesprächen der Bundeskanzlerin mit der
kolumbianischen Regierung und mit Vertreterinnen und Vertretern der
Zivilgesellschaft die Situation der 4 Millionen Binnenflüchtlinge thema-
tisiert?

9. Inwiefern wird die Bundesregierung diese Problematik in ihrer Zusammen-
arbeit mit Kolumbien berücksichtigen?

10. Plant die Bundesregierung im Rahmen der Zusammenarbeit auf dem Feld
des Rechtsstaatsaufbaus auch Maßnahmen, die zu einer Stärkung der Funk-
tionsfähigkeit und der Unabhängigkeit des Obersten Gerichtshofs von poli-
tischer Einflussnahme beitragen können?

Wenn ja, welche?

11. Entsprechen Berichte der kolumbianischen Medien, dass die Bundesregie-
rung die Unterstützung des von Menschenrechtsgruppen kritisierten Wald-
schützerprogramms „Guardabosques“ erwägt, den Tatsachen?

Welcher Art und von welchem Umfang soll diese Unterstützung sein?

12. Hat die Bundesregierung Kenntnis von den Bedenken der Menschenrechts-
gruppen, die das Waldschützerprogramm „Guardabosques“ dafür kritisie-
ren, dass es die beteiligten ländlichen Gemeinden unter anderem durch
Aufforderung zur Denunziation in den bewaffneten Konflikt hineinzieht?

13. Inwiefern wird die Bundesregierung diesen Bedenken Rechnung tragen?

14. Teilt die Bundesregierung die Analyse, dass dem bewaffneten Konflikt in
Kolumbien tief greifende soziale Ursachen zugrunde liegen (bitte mit Er-
läuterung)?

15. Inwiefern spielt diese Erwägung eine Rolle für die Ausgestaltung der bila-
teralen Entwicklungszusammenarbeit mit Kolumbien?

Welche konkreten Maßnahmen zur Armutsbekämpfung, zur Unterstützung
einer Landreform, zur Wahrung der Rechte der Vertriebenen sowie zur
Stärkung zivilgesellschaftlicher Initiativen für einen Friedensprozess wer-
den umgesetzt oder sind in Planung?

16. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass der Konflikt mit den FARC nur

politisch und auf dem Wege von Verhandlungen, nicht aber militärisch ge-
löst werden kann (bitte mit Begründung)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9717

17. Inwiefern spielten Szenarien einer friedlichen Lösung des Konflikts mit
den FARC eine Rolle bei den Gesprächen mit der kolumbianischen Regie-
rung?

18. Teilt die Bundesregierung die positive Bewertung des französischen Staats-
präsidenten Nicolas Sarkozy, die Bemühungen des venezolanischen Staats-
präsidenten Hugo Chavez um die Freilassung von Geiseln der FARC be-
treffend (bitte mit Begründung)?

19. Welche diplomatischen Initiativen unterstützt die Bundesregierung, um zu
einer friedlichen und politischen Lösung des Konflikts beizutragen?

20. Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Initiative
der Schweiz, von Frankreich und Spanien aus dem Jahr 2006, die Verhand-
lungen über einen humanitären Gefangenenaustausch als Einstieg in Frie-
densverhandlungen und für die Übergabe der Gefangenen den vorüber-
gehenden Rückzug des Militärs aus einer Zone in Kolumbien vorsah?

21. Wie wertet die Bundesregierung die Bilanz der von der Europäischen
Union unterstützten Friedenslabors aus, angesichts der Kritik von Men-
schenrechtsorganisationen, in den Projektgebieten würden sich vielfach
paramilitärische Strukturen in ziviler Form reorganisieren?

22. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Friedensgemeinden
in Kolumbien politisch zu unterstützen und ihren Schutz vor Übergriffen
abzusichern?

23. In welcher Weise hat die Bundesregierung gegenüber der kolumbianischen
Regierung auf die Verletzung der ekuadorianischen Souveränität am 1. März
2008 durch die kolumbianische Luftwaffe und Streitkräfte reagiert?

24. Teilt die Bundesregierung die von der Organisation Amerikanischer Staa-
ten vorgenommene Verurteilung des Übergriffs als Verletzung der Souverä-
nität Ekuadors?

Berlin, den 20. Juni 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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