BT-Drucksache 16/9593

Integrationskurse qualitativ verbessern und entbürokratisieren

Vom 18. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9593
16. Wahlperiode 18. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich
(Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer,
Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Markus Löning, Horst Meierhofer, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk
Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Integrationskurse qualitativ verbessern und entbürokratisieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Beherrschen der deutschen Sprache ist die wichtigste Voraussetzung für
eine erfolgreiche Integration von Migranten.

Mit dem Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes zum 1. Januar 2005
wurden die Integrationskurse als neues Instrument eingeführt. Der Rechtsan-
spruch auf Teilnahme besteht grundsätzlich nur für ausländische Neuzuwande-
rer aus Drittstaaten, sofern deren Aufenthalt auf Dauer angelegt ist. Menschen
aus Drittstaaten, die bereits länger in Deutschland leben, und Unionsbürger
haben keinen festen Anspruch. Sie können nur teilnehmen, wenn noch Kurs-
plätze verfügbar sind. Diese Regelung verkennt die in Deutschland herrschende
Problemlage und wird dem Stellenwert der nachholenden Integration nicht ge-
recht.

Integrationskurse gemäß dem Zuwanderungsgesetz bestehen aus einem Basis-
und einem Aufbausprachkurs, welche je 300 Unterrichtsstunden umfassen.
Hinzu kommt ein Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der
Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands mit 45 Unter-
richtsstunden. Die Teilnahme ist grundsätzlich kostenpflichtig; für Spätaussied-
ler und ihre Familienangehörigen sind die Integrationskurse demgegenüber

kostenfrei. Ausländer, die vor dem 1. Januar 2005 einen Aufenthaltstitel erhal-
ten haben, können zur Teilnahme verpflichtet werden, wenn sie Arbeitslosen-
geld II (ALG II) beziehen und die Verpflichtung in der Eingliederungsvereinba-
rung vorgesehen ist (§ 44a Abs. 1 Nr. 2 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG).

Des Weiteren können gemäß § 44a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG Ausländer zur Teil-
nahme verpflichtet werden, wenn sie in besonderer Weise integrationsbedürftig

Drucksache 16/9593 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

sind. Besonders integrationsbedürftig ist, wem es bisher nicht gelungen ist, sich
ohne staatliche Hilfe in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche
Leben der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Die besondere Integra-
tionsbedürftigkeit wird von der Ausländerbehörde festgestellt.

Das Kursziel der Integrationskurse ist erreicht, wenn sich die Kursteilnehmer und
-teilnehmerinnen im täglichen Leben in ihrer Umgebung selbstständig sprachlich
zurechtfinden und entsprechend ihrem Alter und Bildungsstand ein Gespräch
führen und sich schriftlich ausdrücken können (B1). Das Niveau B1, auch als
„Zertifikat Deutsch“ bezeichnet, soll innerhalb von 600 Lernstunden erreicht wer-
den. Die Praxis zeigt deutlich, dass es für die Mehrzahl der Kursabsolventen
unmöglich ist, in dieser Zeit das angestrebte Niveau zu erreichen. Lediglich für
bestimmte Zielgruppen wurde daher die Stundenzahl auf 900 Stunden erhöht.
Zum Vergleich: Die alte Regelung vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes
sah z. B. für Spätaussiedler 1 200 Stunden Deutschunterricht vor. Vor diesem
Hintergrund bleibt die Festsetzung auf 600 Unterrichtsstunden unverständlich.
Spätaussiedler verfügen häufig über ein höheres Bildungsniveau und Kenntnisse
des Deutschen, während in den Integrationskursen auch Teilnehmer dazugehö-
ren, die weder Kenntnisse des Deutschen noch überhaupt eine Alphabetisierung
durchlaufen haben. Es ist im gesamtgesellschaftlichen Interesse, zu einer Rege-
lung zu gelangen, die ein Mindestsprachniveau im Alltagsleben sichert und somit
auch dazu beiträgt, Gettoisierungen zu vermeiden.

Aber nicht nur Kursteilnehmer mit Lernschwierigkeiten, auch Schnelllerner
brauchen gezielte Förderung. So sollten besonders erfolgreiche Kursabsol-
venten durch berufsbezogene Aufbauförderung gezielt für den Eintritt in den
Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Allgemein muss die Regelung, dass nach Er-
reichen des Sprachlevels B1 keine weitere Förderung mehr möglich ist, auch
nicht, wenn das Stundenkontingent (derzeit 600 bzw. 900 Stunden) noch nicht
ausgeschöpft wurde, abgeschafft werden.

Mit Erreichen des Niveaus B1 erlischt bisher der Förderanspruch, d. h. der Teil-
nehmer verlässt den Kurs, obwohl seine Sprachfähigkeit i. d. R. noch nicht aus-
reichend ist, um eine Berufsanstellung zu erlangen. Die Integrationskurse sind
darauf ausgelegt, das Sprachniveau B1 nach dem Gemeinsamen Europäischen
Referenzrahmen (GER) zu erreichen. Damit wird aber keine Arbeits- oder Aus-
bildungsreife erreicht, geschweige denn Hochschulniveau. Deutlich wird dies
in den Problemen der Arbeitsagenturen und Jobcenter, den Absolventen der
Kurse eine Arbeitsstelle zu vermitteln. Selbst diejenigen, die die Abschluss-
prüfung bestanden haben, bleiben häufig arbeitslos. Die bisherige Möglichkeit
einer sprachlichen Weiterbildung, finanziert durch die Träger der Grundsiche-
rung, ist allerdings auf Anweisung der Arbeitsagentur nicht mehr möglich. Es
bleibt vollkommen unverständlich, warum der Staat hier ein Sparpotential
sieht, welches in der Folge definitiv zum Verbleib in der Arbeitslosigkeit führt.
Jedem Anspruchsberechtigten muss es daher ermöglicht werden, sein Sprach-
niveau innerhalb des Höchststundensatzes über das Niveau B1 zu verbessern.

Entscheidend wird es sein, das Angebot so auszugestalten, dass Neuzuwan-
dernde möglichst schnell einen Kurs besuchen können und möglichst vielen
Kursteilnehmern der erfolgreiche Kursabschluss ermöglicht wird. Zudem müs-
sen ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um die freiwillige
Nachfrage von bereits länger in Deutschland lebenden Ausländerinnen und
Ausländern befriedigen zu können.

Nach einer umfangreichen Evaluierung im Jahr 2006 wurde die Integrations-
kursverordnung am 5. Dezember 2007 geändert. Dabei wurden unter anderem
die Höchstteilnehmerzahl pro Kurs auf 20 Personen verringert, für bestimmte
Zielgruppen ein Sonderkurs (Zielgruppenkurs) mit weiteren 300 Stunden ein-

gerichtet (z. B. für Teilnehmer mit einem besonderen sprachpädagogischen
Förderbedarf), ein spezieller Förderkurs, eine Fahrtkostenerstattung durch das

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9593

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für Empfänger der Grund-
sicherung eingeführt, der Orientierungskurs auf 45 Unterrichtsstunden ausge-
weitet sowie die Vergütung an die Integrationskursträger pro Unterrichtseinheit
pro Teilnehmer von 2,05 auf 2,35 Euro erhöht.

Die Neuregelung hat allerdings gravierende Mängel. So wird die Prüfung durch
das BAMF für die Fahrtkostenerstattung über den Träger der Sprachkurse
unnötig bürokratisch gehandhabt. Häufig treten Bearbeitungszeiten von drei
Monaten auf. In dieser Zeit treten die Teilnehmer für die Fahrtkosten in Vor-
kasse. Dies ist in der Praxis für viele ALG-II-Empfänger ein beträchtlicher
Betrag, der zu Kursabbrüchen führt. Darüber hinaus erzeugen die heutigen Vor-
schriften unverständliche Härten für die Teilnehmer. Die Regelung, dass die
Fahrtkosten nur bei einer Teilnahme von mindestens 70 Prozent der Unter-
richtsstunden unabhängig vom Grund des Fernbleibens erstattet werden, wird
der Lebenswirklichkeit der Teilnehmer nicht gerecht. Selbst ärztliche Atteste
werden nicht anerkannt.

Die Einführung der Wiederholungsmöglichkeit für den Aufbausprachkurs, also
die Erhöhung des Unterrichtsstundenkontingents von 600 auf 900 Stunden, war
überfällig und sinnvoll. Dies aber erst dann zu gestatten, nachdem ein Teilneh-
mer mit sehr geringen Sprachkenntnissen eine für ihn ungeeignete Prüfung so-
wie einen für ihn unverständlichen Orientierungskurs absolviert hat, ist kontra-
produktiv und unwirtschaftlich. So sind Misserfolge vorprogrammiert, die den
Teilnehmer demotivieren. Auch liegt die Bearbeitungszeit zwischen Antrag
und Beginn des zu wiederholenden Aufbausprachkurses durchschnittlich bei
zwei bis drei Monaten, was eine entsprechende Trainingslücke zur Folge hat.
Dadurch gehen Lernerfolge wieder verloren. Nötig ist es ebenso, dass die Mög-
lichkeit zur Wiederholung des Basissprachkurses geschaffen wird, wenn das
Niveau des Teilnehmers es erfordert.

Die ebenfalls neu eingerichteten Förderkurse für Teilnehmer mit erkennbar er-
höhtem sprachpädagogischen Förderbedarf sollten in kleineren Gruppen erfol-
gen, um dem Förderbedarf gerecht zu werden. Außerdem ist nicht verständlich,
warum Förderkurse nur für Altzuwanderer offenstehen.

Grundsätzliches Problem aller Anbieter von Integrationskursen ist die fehlende
Ausfallsicherung, d. h. wenn während eines Kurses Teilnehmer ausfallen, er-
halten die Anbieter für diese keine Vergütung mehr und müssen defizitäre
Kurse weiterbetreiben. Dies lässt zusammen mit der geringen Vergütung keine
gesicherten Kalkulationen für die Integrationskursträger zu und lädt das Risiko
ausschließlich auf diesen ab.

Die Erhöhung der Stundensätze auf 2,35 Euro pro Unterrichtsstunde pro Teil-
nehmer war ein erster, allerdings nicht ausreichender Schritt. Eine Differenzie-
rung des Kursangebots wird nur zu realisieren sein, wenn die Rahmenbedin-
gungen für die Träger entsprechend verbessert werden. Die Qualität der Kurse
hängt in hohem Maße von ihrer finanziellen Ausstattung ab.

Durch die unsichere Einnahmesituation und die hohen Fixkosten sind die Ho-
norare der Sprachlehrer stark unter Druck geraten und können teilweise nicht
mehr als auskömmlich betrachtet werden. Teilweise verdienen Lehrkräfte we-
niger als die ALG-II-Empfänger, die sie unterrichten. Ein Mindeststundensatz
von 3 Euro/Teilnehmer für die Sprachkurse ist notwendig, um das Niveau der
Sprachbildung zu heben und den Kurserfolg in den vorgegebenen Stunden-
zahlen zu ermöglichen. Aufgrund der vielfältigen Rechtsvorgaben müssen die
Kursträger einen Teil der Finanzmittel, die ihnen das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge für die Kursdurchführung zur Verfügung stellt, für Verwal-
tungsaufgaben aufwenden, da die Verwaltungspauschale unzureichend ist. Ein
Bürokratieabbau bei den Trägern käme der Qualität der Kurse zu Gute. Eine

Vereinfachung der Abrechnungsmodalitäten und Gebührenverfahren und die

Drucksache 16/9593 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Übernahme von bisher bei den Trägern angesiedelten Verwaltungsaufgaben
durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge könnten den bürokrati-
schen Aufwand erheblich reduzieren.

Der von allen Nichtsozialleistungsbeziehern zu erbringende Eigenbedarf von
1 Euro pro Kursstunde (Regelsatz: 645 Euro pro Kurs) ist für Geringverdiener
oft Grund, die Kurse nicht zu besuchen. Dies gilt insbesondere, wenn mehrere
Familienmitglieder an einem Integrationskurs teilnehmen wollen oder müssen.
Entsprechend der Vorgabe des Aufenthaltsgesetzes, wonach für die Teilnahme
Kosten „in angemessenem Umfang und Berücksichtigung der Leistungsfähig-
keit erhoben werden“ sollen, sollten Geringverdiener daher grundsätzlich von
der Zahlung des Eigenbeitrags befreit werden. Die vermeidlich eingesparten
Kosten seitens des Staates stehen in keinem Verhältnis zu den staatlichen Auf-
wendungen, wenn ein Migrant mangels Sprachfähigkeit nicht in Arbeit vermit-
telt werden kann.

Weiterhin problematisch bleibt die Ausstattung der Kinderbetreuung. Immer
noch scheitert eine Kursteilnahme an fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten.
Doch gerade für zugewanderte Mütter sind die Sprachkurse wichtig, da sie für
sie häufig die einzige Möglichkeit sind, sich zu integrieren. Daher sollten zu-
sammen mit den Ländern die Möglichkeiten der Kinderbetreuung ausgedehnt
werden.

Zu einer effizienten Abwicklung der Integrationskurse gehören kurze Informa-
tionswege zwischen dem BAMF, dessen Regionalkoordinatoren und den Trä-
gern. Hier besteht nach übereinstimmenden Berichten aus der Praxis dringend
Handlungsbedarf. Oftmals werden Erlässe und veränderte Bestimmungen erst
Monate später bekannt gegeben, deren Kenntnis aber sofort vorausgesetzt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Integrationskurse umgehend zu verbessern durch

– eine Erhöhung der Stundenzahl von 600 (bzw. 900 Stunden) auf 1 200 Stun-
den, wie dies vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes üblich war,

– die Weiterführung der Sprachkurse auch über das Sprachniveau B1 hinaus,
wenn das Kontingent von 1 200 Stunden noch nicht ausgeschöpft wurde, um
die Chancen der Integration zu erhöhen,

– die Einführung einer generellen Fahrtkostenbefreiung für Jugendliche,

– die Vereinfachung und Entbürokratisierung der Abrechnungsregelungen der
Fahrtkosten der Teilnehmer. Für diejenigen, die aufgrund der Teilnahme-
verpflichtung durch die Träger der Grundsicherung einen Anspruch auf
Fahrtkostenerstattung haben, soll die Auszahlung von dort erfolgen. Für
Teilnehmer, die ohne Verpflichtung durch die Träger der Grundsicherung
teilnehmen, soll das BAMF die Abwicklung übernehmen,

– die Möglichkeit einer Wiederholung des Basis- bzw. Aufbaukurses zeitnah
und nach der Einschätzung der Sprachlehrer innerhalb des Kontingents von
1 200 Stunden,

– die Öffnung der Förderkurse auch für Neuzuwanderer,

– die Sicherstellung der Kinderbetreuung für die Eltern- und Mütterkurse in
Zusammenarbeit mit den Ländern,

– die Verbesserung des Informationsflusses zwischen dem Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge, dessen Regionalkoordinatoren und den Integra-
tionskursträgern,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/9593

– die Einführung einer sozialpädagogischen Betreuung für alle Teilnehmer,
die das Kursniveau B1 noch nicht erreicht haben, da die Praxis zeigt, dass
die vielfältigen Problemlagen der Kursteilnehmer niederschwellig bewältigt
werden müssen und der jeweilige Sprachkursträger zeitlich und finanziell
nicht in der Lage ist, diese Betreuung zu gewährleisten,

– die Erhöhung der Vergütung auf mindestens 3 Euro pro Unterrichtseinheit
und Teilnehmer,

– die Ermöglichung eines angemessenen Honorars für die Lehrkräfte,

– die bessere Verzahnung zwischen den Integrationskursen, Anschlussangebo-
ten und den Anforderungen des Arbeitsmarktes,

– weitergehende Freistellung von Geringverdienern von den Kursgebühren.

Berlin, den 17. Juni 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.