BT-Drucksache 16/9509

"Informations"-Materialien der Bundesregierung zum Thema "Fakten und Kontroversen zum so genannten Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie" für Kinder und Heranwachsende

Vom 4. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9509
16. Wahlperiode 04. 06. 2008

Große Anfrage
der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Cornelia Pieper, Michael Kauch,
Uwe Barth, Miriam Gruß, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Joachim Günther (Plauen),
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut
Königshaus, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-
Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Informations-Materialien der Bundesregierung zum Thema „Fakten und
Kontroversen zum so genannten Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der
Kernenergie“ für Kinder und Heranwachsende

Bei der Zukunft der friedlichen Kernenergienutzung handelt es sich um ein
Thema von höchster Aktualität und Relevanz. Die Verbreitung von Unterrichts-
materialien an Kinder und Heranwachsende zu einem so wichtigen Thema im
Überschneidungsbereich von Energie- und Umweltpolitik sowie von Bildungs-
und Forschungspolitik verlangt besondere Sorgfalt und Ernsthaftigkeit. Die
Fraktion der FDP hat deshalb am 13. Februar 2008 mit Bezug auf eine Internet-
Publikation des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit (BMU) an die Bundesregierung eine Kleine Anfrage zu dem Thema
„Erstellung und Verbreitung der Unterrichtsmaterialien „Einfach Abschalten? –
Fakten und Kontroversen zum Atomausstieg“ (Bundestagsdrucksache 16/8134)
gerichtet.

Die genannten Unterrichtsmaterialien waren zuvor u. a. vom Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Michael Glos, scharf kritisiert wor-
den. Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie hatte sich in Medien-
berichten „über die sehr negative, einseitige und damit tendenziöse sowie in
vielen Details fachliche fehlerhafte, auch unvollständige Darstellung in den
Materialien“ äußerst besorgt geäußert (WELT am SONNTAG vom 27. Januar
2008) und den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
Sigmar Gabriel, deshalb im Januar 2008 gebeten, die genannten Lehrmateria-
lien von der Internetseite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit wieder zu entfernen. Der Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit ist dieser Aufforderung nicht nachgekom-
men. Statt dessen wurden die Materialien zwischenzeitlich zahlreichen Lehr-
kräften und Multiplikatoren für Umweltbildung in Schulen und anderen Bil-
dungseinrichtungen zur Verwendung im Unterricht an die Hand gegeben.

Drucksache 16/9509 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Nach Eingang der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP hatte die Bundes-
regierung den Fragesteller mit Schreiben des zuständigen Staatssekretärs,
Matthias Machnig, vom 18. Februar 2008 um Einverständnis gebeten, die Frist
zur Beantwortung zu verlängern.

Da es sich bei dem angesprochenen Sachverhalt unzweifelhaft um einen gra-
vierenden Vorgang handelt, hatte sich die Fraktion der FDP mit der erbetenen
Fristverlängerung einverstanden erklärt. Dafür maßgeblich war die nachgerade
selbstverständliche Erwartung, mit diesem Entgegenkommen eine angemes-
sene, sorgfältige und ernsthafte Beantwortung der Kleinen Anfrage zu fördern
und zu erleichtern. Mit der am 12. März 2008 vorgelegten Antwort der Bundes-
regierung (Bundestagsdrucksache 16/8514) ist diese Erwartung allerdings auf
das Äußerste enttäuscht worden.

So antwortet die Bundesregierung eingangs lediglich mit dem lapidaren Satz
„Der Bundesumweltminister hält die Unterrichtsmaterialien grundsätzlich für
mit den Festlegungen des Bundesverfassungsgerichtes vereinbar“ (zu Frage 1:
„Wie bewertet die Bundesregierung die eingangs genannten Unterrichtsmate-
rialien vor dem Hintergrund der Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts
hinsichtlich der fachlichen Unvoreingenommenheit und Neutralität?). Anstatt
die gestellten Fragen mit dem gebotenen Respekt vor dem Fragerecht des Par-
laments und mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu beantworten, hat die Bundes-
regierung es im Rahmen ihrer Antwort für angemessen gehalten, bei 13 weite-
ren der insgesamt 31 gestellten Fragen allein auf diesen unangemessen
lakonischen Antwortsatz zu Frage 1 zu verweisen.

Es entsteht damit der Eindruck mangelnden Respekts der Bundesregierung vor
einem Verfassungsorgan. Abgesehen von der besonderen Aktualität und hohen
politischen Relevanz des Themas kann die unangemessene Lässigkeit der Bun-
desregierung im Umgang mit parlamentarischen Fragen der Legislative in kei-
nem Fall akzeptiert werden.

Zwei Tage nach Vorliegen der unangemessenen Antwort der Bundesregierung,
am 14. März 2008, ist der Vorgang auch zum Gegenstand einer Kleinen An-
frage der Fraktion der FDP im niedersächsischen Landtag geworden, um die
Haltung der niedersächsischen Landesregierung zu den Materialien des BMU
zu erfragen.

Das niedersächsische Kultusministerium führt in der Antwort vom 29. April
2008 unter dem Aktenzeichen – 01-01 429/5-II/721-8 – dazu aus, dass die Un-
terlagen im „Widerspruch“ zu dem Ziel stünden, eine neutrale Aufarbeitung
von Vor- und Nachteilen der Kernenergie und ihrer Nutzung anzubieten. Im
Gegenteil würden die vermittelten „erläuternden Beispiele, wie Unfälle, Risi-
ken, Umweltschäden … eine ausschließlich negative Konnotation … nahe-
legen. Es entstehe der Eindruck, dass sich die Generation der Großeltern der
Schülerinnen und Schüler sehr unkritisch mit der Atomenergie und ihren mög-
lichen Folgen auseinandergesetzt hat. Doch genau diese kritische Auseinander-
setzung lassen die vom BMU ausgewählten Beiträge zur Position ,Pro Aus-
stieg‘ vermissen, z. B. wenn beim Arbeitsblatt Stromversorgung behauptet
wird, dass der Boom der erneuerbaren Energie in der Bundesrepublik Deutsch-
land seinen Beitrag leisten wird, die Atomkraftwerke bald ersetzen zu können.
Im Originalzitat, das als Textquelle neben IPPNW (International Physicians for
the Prevention of Nuclear War) und Greenpeace auch das BMU nennt, heißt es
dazu ,Mit der Biomasse haben wir eine erneuerbare Energie, die rund um die
Uhr zuverlässig Strom liefern kann.‘ Diese Aussage bleibt als Behauptung ste-
hen. Es finden sich im Weiteren z. B. keine Hinweise zu Auswirkungen und
Umweltschäden bei der Nutzung von Biomasse, die jedoch bereits bekannt sind
und auch öffentlich diskutiert werden.“

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9509

Die Regierung des Landes Niedersachsen stellt weiterhin fest, dass Unterricht
über Kernenergie Teil der politischen Bildung sei. Im so genannten Beutelsba-
cher Konsens seien Minimalbedingungen für politische Bildung verankert, die
Bildungsträger erfüllen müssten, um von der Bundeszentrale für Politische Bil-
dung anerkannt zu werden: das Indoktrinationsverbot, die Kontroversität und
die Schülerorientierung. Zumindest mit den beiden erstgenannten Kriterien sei
bei der Auswahl der Themen und Inhalte bzw. bei der Anlage der Arbeitsblätter
nicht sorgfältig umgegangen worden, eine neutrale Herangehensweise des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Kernener-
gie sei für die Landesregierung nicht erkennbar. Vielmehr seien die Unterrichts-
materialien des BMU „… eindeutig manipulativ angelegt … (und) für einen
ausgewogenen naturwissenschaftlichen bzw. Politikunterricht untauglich.“
(Landtagsdrucksache 16/155, S. 2 f.)

Ungeachtet dieser vielstimmigen Kritik und einhelligen Ablehnung finden sich
die Unterrichtsmaterialien unverändert auf den Internetseiten des BMU. Dies
ist nicht zuletzt auch aus forschungspolitischer Sicht scharf zu kritiseren: Bein-
haltet doch die nukleare Sicherheits- und Endlagerforschung Forschungs- und
Entwicklungsarbeiten zu wissenschaftlichen und technologischen Aspekten der
Sicherheit der bestehenden Kernreaktoren, zur Sicherheit der nuklearen Entsor-
gung sowie der Minimierung kerntechnischer Abfälle für die Endlagerung.

Die Sicherheit der Kernreaktoren auf dem jeweils neuesten Stand von Wissen-
schaft und Technik ist über ihre gesamte Laufzeit zu gewährleisten. Hierfür be-
darf es einer kerntechnischen Kompetenz auf höchstem wissenschaftlichem
und technischem Niveau – auch bezogen auf eine umfassende akademische
Ausbildung in der Kerntechnik an Universitäten und Hochschulen inklusive der
Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern und der Weiterbildung von Kraft-
werkspersonal. Da sich heutzutage alle Forschungs- und Entwicklungsarbeiten
durch eine enge Einbindung in europäische und internationale Kooperationen
im Rahmen des EURATOM (Europäische Atomgemeinschaft) Rahmenpro-
gramms und IAEA- und OECD/NEA-Aktivitäten und Projekten auszeichnen
und es darüber hinaus dringend erforderlich ist, internationale Erkenntnisse und
Sicherheitskonzepte in die eigene Forschung zu integrieren, ist auch die Teil-
nahme deutscher Forscher an internationalen Aktivitäten, wie z. B. des Genera-
tion IV International Forum und des International Project on Innovative
Nuclear Reactors and Fuel Guides (INPRO) mit dem Ziel, internationales
Know-how in den Bereichen passive Sicherheitssysteme und Abfallminderung
national nutzbar zu machen, unabdingbar.

Vor diesem Hintergrund ist es geradezu skandalös, wenn die Bundesregierung
auf die Frage der Fraktion der FDP, ob die zitierten Unterrichtsmaterialien nach
Auffassung der Bundesregierung dazu geeignet seien, junge Menschen dazu zu
ermutigen, an exzellenten Hochschulen im Ausland beispielsweise ein ingeni-
eurwissenschaftliches Studium der auf Kernspaltung bezogenen Reaktortech-
nik, der Radiochemie oder der Kernphysik aufzunehmen, schlicht mit „nein“
antwortet (siehe Bundestagsdrucksache 16/8514, Antwort zu Frage 5).

Sowohl mit Blick auf den konkreten Vorgang als auch im Eindruck des be-
schriebenen Verhaltens der Bundesregierung gegenüber dem Parlament ist eine
Befassung mit dem Thema im Plenum des Deutschen Bundestages geboten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält es die Bundesregierung für erforderlich, zu der Auffassung der nieder-
sächsischen Landesregierung Stellung zu nehmen, wonach das von der Bun-
desregierung bereitgestellte Unterrichtsmaterial manipulativ angelegt und
für einen ausgewogenen naturwissenschaftlichen Unterricht bzw. Politikun-
terricht untauglich sei?

Drucksache 16/9509 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Wenn nein, weshalb nicht, und wenn ja, zu welchem Ergebnis kommt die
Bundesregierung, und welche Schlussfolgerungen leitet sie daraus ab?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Auffassung, dass das BMU mit den
zitierten Unterrichtsmaterialien dem Anspruch einer neutralen Informa-
tionsvermittlung im Namen der Bundesregierung nicht gerecht werde?

4. Hat die Bundesregierung die Absicht, den für den Vorgang verantwort-
lichen Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
Sigmar Gabriel, dazu zu veranlassen, seine Haltung in dieser Angelegen-
heit zu überdenken?

5. Wenn nein, weshalb nicht, und wenn ja, in welchem Sinne?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die zitierten Unterrichtsmaterialien mit
Blick auf die im so genannten Beutelsbacher Konsens formulierten Mini-
malbedingungen für politische Bildung, und welche Schlussfolgerungen
leitet die Bundesregierung daraus ab?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die in den Unterrichtsmaterialien ent-
haltene Aussage, dass mit der Biomasse ein Energieträger zu Verfügung
stehe, der „rund um die Uhr zuverlässig Strom liefern“ könne, angesichts
der jüngst intensiv diskutierten ökologischen Probleme bei der energeti-
schen Nutzung von Biomasse?

8. Welche konkreten Überlegungen und Argumente begründen die in der
Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Fraktion der FDP vorge-
tragene Auffassung, dass die zitierten Unterrichtsmaterialien „grundsätz-
lich mit den Festlegungen des Bundesverfassungsgerichtes vereinbar“
seien?

9. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die vorliegenden Materialien
rein informatorischen und nicht wertenden oder parteipolitisch beeinflus-
senden Charakter hätten, und wenn ja, durch welche Sachverhalte oder in-
haltlichen Eigenschaften des Materials lässt sich dies nach Meinung der
Bundesregierung im Einzelnen nachweisen oder verdeutlichen?

10. Wie begründet die Bundesregierung im Einzelnen, dass das einleitende Ar-
beitsblatt „Euphorie und Ausstieg“ die Kolumnen „Einst: Ein Traum von
1955“ und „Jetzt: ‚Eine Technologie des letzten Jahrhunderts’“ gegenüber-
stellt, und inwieweit sieht sie hier die Neutralität der Unterlagen, die den
Schülerinnen und Schülern die freie Meinungsbildung ermöglichen sollen,
gewahrt?

11. Aus welchen konkreten Erwägungen heraus hält es die Bundesregierung
für sinnvoll und vertretbar, allgemeine Steuermittel dafür aufzuwenden,
Unterrichtsmaterialien für Kinder und Heranwachsende zu erarbeiten, die
nach Auffassung der Bundesregierung nicht dazu geeignet sind, junge
Menschen dazu zu ermutigen, an exzellenten Hochschulen im Ausland
beispielsweise ein ingenieurwissenschaftliches Studium der auf Kernspal-
tung bezogenen Reaktortechnik, der Radiochemie oder der Kernphysik
aufzunehmen?

12. Warum wurde in den Unterrichtsmaterialien darauf verzichtet, auf dem Ar-
beitsblatt „Euphorie und Ausstieg“ eine aktuelle, wissenschaftlich fun-
dierte Meinung zugunsten einer energietechnischen Nutzung der Kernspal-
tung zu zitieren?

13. Zu welchem Zweck hat die Bundesregierung auf Arbeitsblatt 6: „Was bist
Du für ein Risikotyp?“ das dort zitierte Gedicht von Erich Kästner einge-
fügt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/9509

14. Vor dem Hintergrund konkret welcher Überlegungen spricht die Bundes-
regierung auf Seite 2 der „Informationen für Lehrer“ bezüglich Kernspal-
tung, Kernfusion, Bauprinzipien von Kernreaktoren und Umweltschutz
von „Problematik der Nutzung der Kernenergie“, und weshalb erläutert die
Bundesregierung denselben Begriff einen Absatz weiter in ausschließlich
negativem Kontext, nämlich im Zusammenhang mit den Begriffen „Un-
fälle, Risiken, Auswirkungen, Umweltschäden, radioaktive Abfälle“?

15. Weshalb listet die Bundesregierung an der vorgenannten Stelle keine posi-
tiven Aspekte der Nutzung der Kernenergie, wie Versorgungssicherheit,
Klimafreundlichkeit und Kosteneffizienz auf?

16. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass für eine ausgewogene Darstel-
lung der Diskussion um die Kernenergie – zumal das Material sich mittel-
bar an Kinder und Heranwachsende wendet – an den vorgenannten Stellen
auch positive Aspekte der Kernenergie hätten genannt werden müssen, und
wenn nein, weshalb nicht?

17. Hat die Bundesregierung ein Interesse daran, dass sich neben den Schüle-
rinnen und Schülern auch die Lehrkräfte eine eigene, vor allem aber fach-
lich fundierte und ausgewogene Meinung bezüglich der Kernenergie bil-
den, und wenn ja, warum verschweigt die Bundesregierung die positiven
Aspekte der Kernenergie?

18. Nennt die Bundesregierung im einleitenden Arbeitsblatt „Euphorie und
Ausstieg“ zeitgemäße Argumente zugunsten der Kernenergie, und berück-
sichtigen die dortigen Ausführungen den derzeitigen Stand von Forschung
und technischer Entwicklung, und wenn ja, an welcher Stelle werden diese
Argumente gewürdigt, und welcher Stand von Forschung und technischer
Entwicklung wird zugrunde gelegt?

19. Wenn nein, ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Heranwachsen-
den, die sich mit Hilfe der vorliegenden Arbeitsblätter möglicherweise
erstmalig mit dem Thema Kernenergie befassen, durchgängig zeitgemäße
Pro- und Kontra-Argumente vorgestellt werden müssten, damit diese sich
eine eigene und fundierte zeitgemäße Meinung bilden können, die dem ak-
tuellen Stand von Forschung und technischer Entwicklung entspricht, und
wie begründet die Bundesregierung ihre diesbezügliche Auffassung im
Einzelnen?

20. Verfolgt die Bundesregierung mit den oben genannten Materialien mehr
als den Zweck reiner Information, und wenn ja, in welcher konkreten Hin-
sicht?

Wenn nein, warum werden nicht nur objektiv belegbare Fakten dargestellt
und vermittelt, sondern Wertungen vorgenommen?

21. Nach welchen Kriterien wurde die mit der Erstellung des Materials beauf-
tragte Redaktion ausgewählt, und über welche wissenschaftliche Qualifi-
kation verfügt diese, um die in den Materialien vorgenommenen Bewer-
tungen als objektiv gelten zu lassen?

22. Inwieweit wird die Bundesregierung dem selbsterklärten Ziel (siehe Presse-
mitteilung Nr. 291/07 des BMU vom 30. Oktober 2008) gerecht, mit den
Material Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu bieten, „die unter-
schiedlichen Positionen in der Atom-Kontroverse nachzuvollziehen und
die Argumente mit dem ihrem Alter angemessenen naturwissenschaft-
lichen und technischen Sachverstand zu bewerten“ und den Schülerinnen
und Schülern dabei zu helfen, „sich selbst eine fachlich fundierte Meinung
zu bilden und diese Position in einer Diskussion auch zu vertreten“?

23. Welche konkreten Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen,
um den zwischenzeitlich sowohl auf der Bundes- als auch auf der Landes-

Drucksache 16/9509 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ebene entstandenen Eindruck zu korrigieren, die Bundesregierung trage
aktiv dazu bei, dass an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen poli-
tisch motivierte Manipulation und Indoktrination von Kindern und Heran-
wachsenden betrieben werde?

24. In welcher Weise hat sich das BMU hinsichtlich der curricularen Einbin-
dung des Informationsmaterials mit den Ländern und den zuständigen Kul-
tusministerien abgestimmt?

Mit welchem Ergebnis?

25. Welche Bundesländer empfehlen nach Kenntnis der Bundesregierung den
Einsatz der Materialen im Rahmen des Unterrichts, welche Bundesländer
haben bisher keine Empfehlung ausgesprochen oder sogar davon abgera-
ten?

Mit welcher Begründung?

26. In welchen Jahrgangsstufen und welchen Unterrichtsfächern sind die Ma-
terialien zum Einsatz gekommen?

Entspricht dies den Vorstellungen der Bundesregierung?

27. Inwiefern eignen sich die zur Verfügung gestellten Materialen für den Ein-
satz oder Verwendung im Rahmen eines naturwissenschaftlich-technischen
Unterrichtsfaches (z. B. Physik oder Chemie)?

Präjudiziert die Ausgestaltung der Materialen den Einsatz im Rahmen von
Fächern mit gesellschafts- oder sozialkundiger Prägung?

Ist dies beabsichtigt?

28. Inwiefern lassen sich Risikoeinschätzungen ohne fundierte Kenntnis der
naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und Grundlagen in Bezug auf
die Kernenergie treffen?

Ist dieses Wissen nicht Voraussetzung für eine rationale und sachliche Aus-
einandersetzung mit der Thematik?

29. Konterkarieren die Unterrichtsmaterialien des BMU die Bemühungen der
Bundesregierung zur Förderung der naturwissenschaftlich-technischen Be-
geisterung unter Schülerinnen und Schülern?

30. Verfügt die Bundesregierung über Informationen darüber, in welchem Um-
fang die vom BMU zur Verfügung gestellten Materialien abgerufen und im
Rahmen des Schulunterrichts eingesetzt worden sind?

Welche?

Inwiefern spielen diese Daten bei der Evaluierung der Maßnahme eine
Rolle?

31. Welche Forschungsarbeiten werden auf dem Gebiet der kerntechnischen
Sicherheits- und Endlagerforschung in den zwei Helmholtz-Zentren For-
schungszentrum Karlsruhe (FZK) und Forschungszentrum Jülich (FZJ)
und dem Leibniz-Institut Forschungszentrum Dresden-Rossendorf (FZD)
durchgeführt?

32. Welche Forschungsergebnisse aus den zuvor benannten Forschungszentren
sind in den letzten zehn Jahren in die Modernisierung und den Betrieb
kerntechnischer Anlagen mit welchen sicherheitsrelevanten Wirkungen
eingeflossen (bitte Angaben bezogen auf alle noch seit dem Jahr 1998 be-
findlichen Kernreaktoren in Kraftwerken und Forschungseinrichtungen)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/9509

33. Welche Forschungsergebnisse aus den zuvor benannten Forschungszentren
sind besonders geeignet, um auch einen Beitrag zur Sicherheit von kern-
technischen Anlagen im Ausland, die unter Beteiligung der deutschen In-
dustrie gebaut worden sind, zu leisten?

34. Welche forschungspolitischen Anstrengungen unternimmt die Bundesre-
gierung, um auch solche Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der kerntech-
nischen Sicherheitsforschung zu fördern, die der Anlagensicherheit des
„Europäischen Druckwasser-Reaktors, EPR“ – einer evolutionären Weiter-
entwicklung der Konvoi-Anlagen der Bundesrepublik Deutschland – die-
nen, dessen Entwicklung bekanntlich auch von der Bundesrepublik
Deutschland gefördert wurde?

35. Welche Schwerpunkte wurden durch den Kompetenzverbund Kerntechnik
für die Bereiche Forschung und Lehre zum Jahr 2017 in der kerntechnischen
Sicherheits- und Endlagerforschung gesetzt, und wie erfolgt die Aufgaben-
verteilung zwischen dem FZK, FZJ und dem FZD, der Gesellschaft für An-
lagen- und Reaktorsicherheit mbH (GRS), der Bundesanstalt für Geowis-
senschaften und Rohstoffe (BRG) sowie der Materialprüfungsanstalt der
Universität Stuttgart (MPA) und den assoziierten Universitäten RWTH
Aachen und FH Aachen/Jülich, den Universitäten Karlsruhe, Stuttgart,
Heidelberg, den TU München und Dresden und der FH Zittau/Görlitz?

36. Worin begründen sich Kooperationsinteressen des europäischen Instituts
für Transurane, der IAEO sowie des europäischen Hochschulnetzwerks
ENEN mit dem deutschen Kompetenzverbundes Kerntechnik?

37. Welche Forschungsprojekte wurden und werden innerhalb des Kompe-
tenzverbundes Kerntechnik zur Minimierung des hochradioaktiven Abfalls
durch Partitioning und Transmutation durchgeführt?

38. Auf welche Forschungsergebnisse aus dem Bereich Minimierung des
hochradioaktiven Abfalls durch Partitioning und Transmutation kann der
Kompetenzverbund Kerntechnik verweisen, die bereits weltweit in ent-
sprechende Technologien eingeflossen sind?

39. Verfügt die Bundesrepublik Deutschland bzw. die entsprechenden For-
schungseinrichtungen über Europäische oder sogar Triaden-Patente auf
den Gebieten Reaktorsicherheit, der Minimierung des hochradioaktiven
Abfalls durch Partitioning und Transmutation und bestimmte Technologien
des sicheren Einschlusses sowie der Endlagerung kerntechnischer Abfälle?

Wenn ja, über welche?

40. Erzielen deutsche Hochschulen und öffentliche Forschungsinstitute Pa-
tenteinnahmen aus den genannten Bereichen?

41. Welche konkreten Forschungsarbeiten werden heute von den im Kompe-
tenzverbund Kerntechnik arbeitenden Forschungseinrichtungen zur Ent-
sorgung und sicheren Endlagerung kerntechnischer Abfälle in verschiede-
nen geologischen Formationen (Salz, Granit, Ton) durchgeführt bzw.
werden nach Beendigung des Moratoriums zur Erforschung des Salz-
stockes Gorleben wieder aufgenommen?

42. Welche Forschungsarbeiten dienen heute dem geochemisch basierten
Langzeitsicherheitsnachweis der Endlagerung kerntechnischer Abfälle?

43. Welche konkreten Projekte der kerntechnischen Sicherheits- und Endlager-
forschung fördern heute das BMWi und das BMU?

44. Welche Forschungsaufgaben führen die Ressortforschungseinrichtungen
des Bundes im Rahmen der kerntechnischen Sicherheits- und Endlagerfor-
schung aus?

Drucksache 16/9509 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
45. Ist der Bundesregierung bekannt, dass Ressortforschungseinrichtungen des
Bundes künftig ihre Dienstleistungen den mit ihnen im Kompetenzverbund
Kerntechnik kooperierenden öffentlichen Forschungseinrichtungen in
Rechnung stellen wollen?

Wenn ja, welchem Ziel dient ein solches Verrechnungsverfahren innerhalb
der öffentlich finanzierten Forschungsförderung?

46. Finden die Antworten der Bundesregierung auf die vorstehenden Fragen,
insbesondere auch auf die Fragen 31 bis 45, Eingang in die zitierten Unter-
richtsmaterialien, bzw. ist dies für eine ggf. zu überarbeitende Fassung der
Materialien geplant?

Wenn ja, an welcher Stelle und in welchem Sinne, und wenn nein, weshalb
nicht?

47. Wird es die Bundesregierung zulassen, dass die zitierten Materialien unge-
achtet der vielstimmigen Kritik und beschrieben Ablehnung weiterhin un-
verändert auf den Internetseiten des BMU angeboten werden?

Wenn ja, warum, und wenn nein, was gedenkt die Bundesregierung diesbe-
züglich konkret zu unternehmen?

48. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Risiken der Kernenergie
deren Nutzen für die Volkswirtschaft und die Umwelt überwiegen, und
welche Schlussfolgerungen leitet sie daraus ab?

49. Wie wird der Themenkomplex im europäischen Ausland für den Unterricht
aufbereitet und ggf. in die Lehrpläne eingebettet?

Berlin, den 3. Juni 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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