BT-Drucksache 16/9475

zu dem Antrag der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP -16/9056- Die Beziehungen zu Lateinamerika und den Staaten der Karibik stärken und den EU-Lateinamerika/Karibik-Gipfel zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme nutzen

Vom 4. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9475
16. Wahlperiode 04. 06. 2008

Beschlussempfehlung und Bericht
des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
– Drucksache 16/9056 –

Die Beziehungen zu Lateinamerika und den Staaten der Karibik stärken und den
EU-Lateinamerika/Karibik-Gipfel zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme nutzen

A. Problem

Am 16. Mai 2008 fand in der peruanischen Hauptstadt Lima der fünfte EU-
Lateinamerika/Karibik-Gipfel statt.

Die Antragsteller stellen fest, dass Lateinamerika und die Karibik sich durch
große Heterogenität der einzelnen Länder auszeichnen, geprägt von kultureller
Vielfalt, unterschiedlichen geographischen, wirtschaftlichen, politischen und
gesellschaftlichen Gegebenheiten. Das Superwahljahr 2006 hat zum einen die
demokratische Konsolidierung Lateinamerikas weiter vorangebracht, gleich-
zeitig aber die politische Landkarte stärker polarisiert.

In der Region selbst nehmen die politischen Spannungen zu, diese wiederum er-
schweren die regionalen Integrationsbemühungen und beeinflussen damit auch
das Verhältnis zur Europäischen Union. Die EU, die zu Recht ein Konzept inter-
regionaler Kooperation verfolgt, muss sich auf diese veränderten Rahmenbedin-
gungen dennoch konzeptionell einstellen. Unter Beibehaltung des Ziels inter-
regionaler Kooperation müssen auch subregionale und gegebenenfalls bilaterale
Kooperationen stärker in den Vordergrund rücken.

Die Antragsteller erkennen spürbar positive Veränderungen in Lateinamerika
und der Karibik. Die Nachrichten über die politische Polarisierung Latein-
amerikas verdecken, dass der Kontinent insgesamt an Stabilität gewonnen hat.
Die Region erlebt mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von
5 Prozent den stärksten Aufschwung seit vier Jahrzehnten – im Jahr 2007 lag das
Wirtschaftswachstum sogar bei 6,2 Prozent. Die Staatshaushalte sind überwie-
gend ausgeglichen und die Devisenreserven Lateinamerikas haben sich auf

400 Mrd. US-Dollar verdoppelt. Die offizielle Arbeitslosenrate ging auf 8 Pro-
zent zurück. Das Inflationstempo blieb niedrig. Die Verschuldung der Regierun-
gen ging deutlich zurück. Es gelang Lateinamerika zudem erneut, die Belastung
durch die Auslandsschulden zu verringern. Die Exporte der Region stiegen um
12 Prozent an und die Importe um 18 Prozent. Der Anteil der armen Menschen
an der Gesamtbevölkerung hat sich in den vergangenen fünf Jahren von 44 auf
35 Prozent reduziert.

Drucksache 16/9475 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Trotz guter Wirtschaftszahlen bleiben Massenarmut und die nach wie vor
extrem ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen eine permanente
Gefahr für den sozialen Frieden und die innere Stabilität der lateinamerika-
nischen Gesellschaften sowie der Nährboden für Kriminalität, Nepotismus und
Populismus. Die Ineffizienz vieler Verwaltungen und die fehlende Transparenz
bei der Regierungsführung bieten weiterhin Anlass zur Kritik. Auch die Drogen-
problematik gibt weiterhin Anlass zur Sorge.

Ungeachtet der bestehenden Defizite haben sich teilweise beachtliche zivil-
gesellschaftliche Strukturen entwickelt. Hier sollten auch Deutschland und die
EU verstärkt Beiträge leisten, beispielsweise über die Arbeit der politischen Stif-
tungen und weiterer Akteure wie Nichtregierungsorganisationen vor Ort.

International hat Lateinamerika wieder an Handlungsspielraum gewonnen. Da-
bei haben etablierte Partner wie die Weltbank, der Internationale Währungs-
fonds, die USA und auch die EU an Einfluss verloren, während Russland, Indien
und vor allem China deutlich an Einfluss gewonnen haben. Zwischen den Jahren
2000 und 2005 hat der Handel zwischen Lateinamerika und China jährlich um
durchschnittlich 37 Prozent zugenommen.

Das Fehlen eines gesamtlateinamerikanischen Dialogforums und die Rivalitäten
zwischen den großen Staaten verhindern bislang eine stärkere Integration. In den
vergangenen Jahren ist der Faktor Energie zu einer wichtigen Machtressource in
der lateinamerikanischen Politik geworden. Venezuela, Mexiko, Brasilien,
Kolumbien, Argentinien und Ecuador verfügen jeweils über beträchtliche Erd-
ölreserven.

Die Herausforderung besteht darin, in den Rohstoff exportierenden Staaten
Lateinamerikas makroökonomische Stabilität und effektive sozialpolitische
Maßnahmen zu fördern und einer weiteren sozioökonomischen Fragmentierung
entgegenzuwirken. Nach Auffassung der Antragsteller reagieren Deutschland
und Europa auf diese neuen Entwicklungen bislang mit Verzögerung. Eine klare
Strategie und eine präzise Definition von Zielen und Interessen seien dabei nicht
erkennbar. Deutschland und die EU schöpften ihr Potential in Lateinamerika
weder politisch noch wirtschaftlich aus.

Die Umsetzung weiterer konkreter Projekte zwischen EU und Lateinamerika
wird als vordringlich angesehen. Die EU müsse deshalb ihrerseits – auch ange-
sichts des teils ökonomischen, teils politischen Konkurrenzverhältnisses zu Län-
dern wie die USA, Russland, China und zukünftig auch Indien – Überlegungen
anstellen, inwieweit subregionale oder bilaterale Ansätze verwirklicht werden
können.

Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass es an belastbaren Strukturen für eine
gemeinsame Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhan-
dels mangelt, mit Auswirkungen auch bei der Umsetzung der handelspolitischen
Zusammenarbeit. Dass es bis heute nicht gelungen ist, ein Freihandelsabkom-
men zwischen der EU und den MERCOSUR-Staaten abzuschließen, schade
dem strategischen europäischen Interesse, sich langfristig den Zugang zum ge-
samten lateinamerikanischen Markt zu sichern.

Die Bundesregierung wird daher aufgefordert,

● eine Überprüfung hinsichtlich der Umsetzung der 1999 vereinbarten Ziele
der strategischen Partnerschaft vorzunehmen und dem Deutschen Bundestag
darüber Bericht zu erstatten,

● eine kritische Bewertung ihrer Lateinamerikapolitik seit dem vierten EU-
Lateinamerika/Karibik-Gipfel in Wien 2006 vorzunehmen,
● innerhalb der EU auf Kohärenz und abgestimmtes Vorgehen der Mitglied-
staaten in Lateinamerika zu drängen,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9475

● ein ressortübergreifendes Konzept einschließlich nachprüfbarer Zieldefini-
tionen zur langfristigen Ausgestaltung ihrer Lateinamerikapolitik vorzule-
gen,

● gemeinsam mit unseren Partnern in der Gemeinschaft der Andenstaaten und
MERCOSUR einen zeitnahen Abschluss der Doha-Welthandelsrunde anzu-
streben,

● sich gleichzeitig dafür einzusetzen, dass die Verhandlungen über ein Freihan-
delsabkommen mit den MERCOSUR-Staaten zeitnah zu einem erfolgreichen
Abschluss gebracht werden, gleichzeitig aber auch subregionale und bilate-
rale Ansätze verfolgt werden,

● darzulegen, welche Rolle Lateinamerika künftig für die Energiediversifizie-
rung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union spielen
soll,

● die Sicherheitszusammenarbeit mit Lateinamerika im Sinne der Euro-
päischen Sicherheitsstrategie weiter auszubauen und die Schaffung einer
euro-lateinamerikanischen Sicherheitspartnerschaft anzustreben, die Koope-
rationen in den Bereichen der nuklearen Nichtverbreitung, der Bekämpfung
internationaler Kriminalität und des Terrorismus sowie des Drogenhandels in
den Mittelpunkt rückt,

● in Kooperation mit den deutschen politischen Stiftungen vor Ort die Förde-
rung demokratischer Institutionen und der Rechtsstaatlichkeit zum Schwer-
punkt deutscher Entwicklungszusammenarbeit zu machen und

die kultur- und bildungspolitische Präsenz Deutschlands in Lateinamerika wei-
ter zu stärken und zu fördern und dabei auf eine enge Kooperation zwischen den
deutschen Botschaften, Goethe-Instituten, Auslandsschulen, politischen Stiftun-
gen und deutschen Hochschulen hinzuwirken.

B. Lösung

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der
Fraktion der FDP

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Keine

Drucksache 16/9475 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 16/9056 abzulehnen.

Berlin, den 4. Juni 2008

Der Auswärtige Ausschuss

Ruprecht Polenz
Vorsitzender

Dr. Karl-Theodor
Freiherr zu Guttenberg
Berichterstatter

Niels Annen
Berichterstatter

Marina Schuster
Berichterstatterin

Wolfgang Gehrcke
Berichterstatter

Kerstin Müller (Köln)
Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/9475

Bericht der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Niels Annen,
Marina Schuster, Wolfgang Gehrcke und Kerstin Müller (Köln)

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
16/9056 in seiner 161. Sitzung am 9. Mai 2008 in erster Le-
sung beraten und zur federführenden Beratung dem Aus-
wärtigen Ausschuss, zur Mitberatung dem Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie, dem Ausschuss für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Aus-
schuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
überwiesen.

Berlin, den 4. Juni 2008

Dr. Karl-Theodor
Freiherr zu Guttenberg
Berichterstatter

Wolfgang Gehrcke
Berichterstatter
II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat den
Antrag in seiner 65. Sitzung am 4. Juni 2008 beraten und
empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die
Stimmen der Fraktion der FDP die Ablehnung.

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung hat den Antrag in seiner 63. Sitzung am 28. Mai
2008 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen
CDU/CSU, SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion der FDP die Ab-
lehnung.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union hat den Antrag in seiner 64. Sitzung am 4. Juni 2008
beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gegen die Stimmen der Fraktion der FDP die Ablehnung.

III. Beratung im Auswärtigen Ausschuss

Der Auswärtige Ausschuss hat den Antrag in seiner 65. Sit-
zung am 4. Juni 2008 beraten und empfiehlt mit den Stim-
men der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tion der FDP die Ablehnung.

Niels Annen
Berichterstatter

Marina Schuster
Berichterstatterin

Kerstin Müller (Köln)
Berichterstatterin

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