BT-Drucksache 16/9454

Barrieren für die Einführung der CCS-Technologie überwinden - Voraussetzungen für einen praktikablen und zukunftsweisenden Rechtsrahmen schaffen

Vom 4. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9454
16. Wahlperiode 04. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Michael
Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Barrieren für die Einführung der CCS-Technologie überwinden – Voraussetzungen
für einen praktikablen und zukunftsweisenden Rechtsrahmen schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Technologien zur Abtrennung und Ablagerung von CO2 (Carbon Capture and
Storage – CCS) werden absehbar von zentraler Bedeutung sein, um die bei der
Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern entstehenden klimaschädlichen
CO2-Emissionen zu verringern. Neben Techniken, die von vornherein auf die
endgültige Ablagerung von CO2 in geologischen Gesteinsformationen zielen,
werden auch Verfahren zur Nutzung des abgeschiedenen CO2 diskutiert, bei-
spielsweise für Biomassereaktoren oder zur Herstellung synthetischer Kraft-
stoffe.

Aufgrund der klimapolitischen Notwendigkeit und wegen der dynamischen
technologischen Entwicklung besteht akuter legislativer Handlungsbedarf –
nicht zuletzt, um den betroffenen Unternehmen hinreichende Planungs- und
Rechtssicherheit für einen großtechnischen Einsatz von CCS-Verfahren zu
bieten (siehe dazu den Antrag der Fraktion der FDP „Potenziale der Abtrennung
und Ablagerung von CO2 für den Klimaschutz nutzen“ vom 25. April 2007
(Bundestagsdrucksache 16/5131) sowie den gemeinsamen Bericht der Bundes-
ministerien für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Umwelt, Naturschutz und

Reaktorsicherheit (BMU) sowie Bildung und Forschung (BMBF) „Entwick-
lungsstand und Perspektiven von CCS-Technologien in Deutschland“ vom
19. September 2007). Andererseits sind die zukünftigen Pfade technologischer
Entwicklung derzeit nicht verlässlich abzuschätzen. Das regulatorische Umfeld
für CCS-Technologien muss deshalb hinreichend flexibel und technologieoffen
gehalten werden, um mögliche zukünftige technische Optionen nicht zu behin-
dern und innovative Verfahren ggf. nicht zu benachteiligen.

Drucksache 16/9454 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die EU-Kommission hat vor diesem Hintergrund am 23. Januar 2008 einen Richt-
linienvorschlag (KOM (2008) 18) für einen Rechtsrahmen für die geologische
Speicherung von CO2 vorgelegt. Zwei Zielsetzungen stehen dabei im Vordergrund:
Zum einen sollen rechtliche Hindernisse im europäischen Abfall- und Wasserrecht
beseitigt werden, die dem Einsatz von CCS-Technologien derzeit noch entgegen-
stehen. Zum anderen sollen die Grundlagen für ein geeignetes Risikomanagement
geschaffen werden, damit gewährleistet ist, dass das abgeschiedene und ggf. einge-
lagerte CO2 dauerhaft aus der Atmosphäre und der Biosphäre ferngehalten wird. In
diesem Sinne enthält der Richtlinienvorschlag umfassende Regelungen für die Ge-
nehmigung der Untersuchung des Untergrundes, die Genehmigung entsprechender
Speicherstandorte sowie für die Überwachung des im Gestein gespeicherten CO2.

In vorläufiger Gesamteinschätzung begrüßt der Deutsche Bundestag die Vor-
schläge der EU-Kommission. Gleichwohl ist darauf zu achten, dass mögliche Pfade
der zukünftigen technologischen Entwicklung durch europarechtliche Vorgaben
nicht unnötig eingeschränkt werden. Dies gilt es insbesondere bei den Vorgaben
zum so genannten Capture ready zu berücksichtigen. Demnach müssen dem Ent-
wurf folgend Kraftwerke mit einer Kapazität von mindestens 30 Megawatt ab dem
Inkrafttreten der Richtlinie ausreichend räumliche Kapazitäten für Anlagen zur Ab-
scheidung und Kompression von CO2 vorhalten.

Dieser Vorschlag ist sinnvoll und notwendig, um sicherzustellen, dass neue fossile
Kraftwerksanlagen ohne weiteres mit CCS-Technik nachgerüstet werden können,
sobald die technischen und sonstigen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Zusätzlich
ist im Richtlinienentwurf jedoch vorgesehen, dass bei der Errichtung neuer fossiler
Kraftwerksanlagen das Vorhandensein geeigneter Speicherstätten und Transport-
netze für CO2 als Voraussetzung für die Erteilung einer Errichtungs- oder Betriebs-
genehmigung zwingend nachzuweisen ist. Die weitere technologische Entwick-
lung würde damit gleichsam indirekt auf Verfahren zur endgültigen Ablagerung
von CO2 eingeschränkt, was dem Ziel, mögliche Pfade der technologischen Ent-
wicklung möglichst offenzuhalten, entgegensteht. Die von der EU-Kommission
vorgeschlagenen Vorgaben zum Capture ready sollten sich deshalb auf die Mög-
lichkeit zur Abscheidung und Kompression von CO2 beschränken, nicht jedoch den
zwingenden Abtransport oder eine finale Endlagerung des CO2 erzwingen. Es gilt
stattdessen die Möglichkeit offenzuhalten, das abgeschiedene CO2 in geschlosse-
nen Kreisläufen (wieder) zu verwerten.

Darüber hinaus bestehen Verbesserungspotentiale im Detail:

1. Hinsichtlich der Dauer der Explorationsgenehmigung wird im Entwurf der EU-
Kommission vorgeschlagen, diese für höchstens zwei Jahre mit einer einma-
ligen Verlängerungsoption um weitere zwei Jahre zu erteilen. Angesichts eines
derart engen Zeithorizonts steht zu befürchten, dass ggf. mit hohem Risiko-
kapitaleinsatz begonnene aber noch nicht abgeschlossene Untersuchungen man-
gels weiterer Verlängerungsmöglichkeiten ohne hinreichendes Untersuchungs-
ergebnis abgebrochen werden müssten. Sofern konkrete Fortschritte bei der
Erkundung nachgewiesen werden, sollte die Explorationsgenehmigung im Ein-
zelfall mit flexiblen Fristen verlängert werden können.

2. Der Richtlinienentwurf gewährt – obwohl das Aufsuchen geeigneter Ablage-
rungsstätten mit erheblichen Kosten verbunden ist – für den Inhaber der Explo-
rationsgenehmigung keinen Schutz der bis dahin getätigten Investitionen. So
fehlt insbesondere eine Regelung, wonach dem Inhaber der Explorationsgeneh-
migung ein Vorrang bei der Erteilung der Speichergenehmigung eingeräumt
wird, sofern die Untersuchungen zu einem positiven Ergebnis geführt haben.

3. Der Richtlinienentwurf sieht eine Vorabprüfungsbefugnis der EU-Kommission
hinsichtlich der Erteilung der Speichergenehmigung vor, wonach diese inner-

halb eines Prüfungszeitraums von sechs Monaten zu den Genehmigungsentwür-
fen der nationalen Behörden Stellung nehmen kann. Eine solche Regelung

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9454

würde unnötige Unsicherheiten in das Verfahren tragen und die Genehmigungs-
praxis und den Vollzug unnötig bürokratisch gestalten, zumal die nationalen Be-
hörden an das Ergebnis der Vorabprüfung ohnehin nicht gebunden wären.

4. Der Richtlinienvorschlag lässt offen, ob auch für Teile von Speicherstätten se-
parate Speichergenehmigungen erteilt werden können. Dies wirft insbesondere
Fragen nach der Abgrenzung der Verantwortlichkeiten auf.

Darüber hinaus lässt der Richtlinienvorschlag erkennen, dass wesentliche Bereiche
im Zuge der Anwendung der CCS-Technologien nicht Gegenstand des Gemein-
schaftsrechts sein werden. Dies gilt insbesondere für die Planung, den Bau und den
Betrieb von CO2-Leitungen sowie für eigentumsrechtliche Fragen im Zusammen-
hang mit CO2-Lagerstätten. Angesichts des engen Zeithorizonts hinsichtlich der auf
europäischer und auf nationaler Ebene beschlossenen Klimaschutzziele erscheint
es sinnvoll, bereits während des legislativen Prozesses auf europäischer Ebene mit
der Kodifizierung eines nationalen CCS-Gesetzes zu beginnen, wie dies in dem Be-
richt zur Umsetzung der in der Kabinettklausur am 23. und 24. August 2007 vom
BMU und vom BMWi am 5. Dezember 2007 zu den Eckpunkten für ein integriertes
Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung angekündigt worden ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass

a) die Vorgaben der Richtlinie möglichst technologieoffen gestaltet werden, um
mögliche Pfade der künftigen technologischen und technischen Entwicklung
nicht explizit oder implizit einzuschränken,

b) eine CCS-Richtlinie noch vor den nächsten Wahlen zum Europaparlament
verabschiedet werden kann und

c) bei den diesbezüglich weiteren Verhandlungen darauf hinzuwirken ist, dass

– die Dauer der Explorationsgenehmigung im vorgenannten Sinne flexibel
ausgestaltet wird,

– dem Inhaber der Explorationsgenehmigung ein Erstzugriffsrecht hinsicht-
lich der Erteilung der Speichergenehmigung zusteht,

– von der Einräumung einer Vorabprüfungsbefugnis der Europäischen
Kommission abgesehen wird,

– aus vorgenanntem Grund die Vorgaben zum Capture ready auf die Mög-
lichkeit zur Abscheidung und Kompression von CO2 beschränkt werden;

2. auf der nationalen Ebene entsprechend der Ankündigung in dem Bericht vom
BMU und vom BMWi bereits während des legislativen Prozesses auf der euro-
päischen Ebene mit der Kodifizierung eines CCS-Gesetzes für Deutschland zu
beginnen, dem Parlament zeitnah einen entsprechenden Entwurf vorzulegen und
dabei u. a. vorzusehen, dass

a) für den Fernleitungsbau zum Transport von CO2 Artikel 7 des Gesetzes zur
Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben Anwen-
dung findet,

b) für die Planfeststellung genau eine länderübergreifende zentrale Behörde zu-
ständig ist (Bundesverwaltung) und

c) eine Trennung zwischen dem Oberflächeneigentum und dem Eigentum der
Speicherstätten stattfindet.

Berlin, den 3. Juni 2008
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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