BT-Drucksache 16/9413

Für die Durchsetzung von Mindeststandards humanen Arbeitens in der Volksrepublik China eintreten - Menschenrechte und Sozialstandards bei Konzerngeschäften in und mit China durchsetzen

Vom 3. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9413
16. Wahlperiode 03. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Michael Leutert, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche,
Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin,
Katrin Kunert, Ulla Lötzer, Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln),
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Für die Durchsetzung von Mindeststandards humanen Arbeitens
in der Volksrepublik China eintreten – Menschenrechte und Sozialstandards
bei Konzerngeschäften in und mit China durchsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Bericht der „ILO-Weltkommission über die soziale Dimension der Globali-
sierung“ von 2004 kommt zu dem Ergebnis, die Globalisierung habe der großen
Mehrheit der Menschheit eine bessere Zukunft für ihre Kinder und menschen-
würdige Arbeitsplätze verwehrt.

Insbesondere dem Zukunftsversprechen menschenwürdiger Arbeit stehen die
Beschäftigungspraktiken global agierender, multinationaler Unternehmen ent-
gegen. Diese Praktiken haben eine weltweite und anhaltende Kritik nach sich
gezogen. Unter dem Titel einer „Corporate Social Responsibility“ (einer „Unter-
nehmerischen Sozialverantwortung“, im Folgenden: CSR) legen multinationale
Unternehmen Programme auf, mit denen sie auf diese Kritiken reagieren.

Eine Debatte über CSR wird seit Mitte der 90er-Jahre geführt – und zwar in aka-
demischen Einrichtungen, in Parlamenten und Regierungen, in internationalen
Organisationen und selbstverständlich auch in der Presse und Publizistik. Als
zentrales Problem erweist sich die Frage nach der Tauglichkeit von CSR-Kon-
zepten, insbesondere freiwilliger Verhaltenskodizes, unter den Bedingungen zu-
nehmender Marktliberalisierung und Auslagerung von Zulieferern.

Seit langem engagieren sich internationale Kampagnen dafür, verbindliche Ver-
haltenskodizes in multinationalen Unternehmen einzuführen und deren Durch-
führung von unabhängigen Instanzen kontrollieren zu lassen. Studien stellen
indessen eine negative Bilanz, da die meisten der über 1 000 Verhaltenskodizes
Lieferanten und Beschäftigte ungenügend einbeziehen. Das ist insbesondere
dort der Fall, wo Zulieferbetriebe im informellen Wirtschaftssektor angesiedelt
sind. Positive Wirkung entfalteten diese Kampagnen meist nur bei besonders

herausragenden Konfliktfällen.

Freiwillige Verhaltenskodizes stellen allenfalls eine sinnvolle Ergänzung im
Rahmen einer bindenden staatlichen Regelung von Arbeits- und Sozialrechten
dar.

Die Öffnung nationaler Märkte hat jedoch die globale Wettbewerbssituation
vieler Industrien – im Bekleidungssektor insbesondere nach dem Ende des

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WTO-Welttextilabkommens – verschärft und zu Unterbietungswettkämpfen zu
Lasten der Beschäftigten geführt. Diese Konkurrenz untergräbt zunehmend po-
sitive Wirkungen, die von der Umsetzung von Verhaltenskodexbestimmungen
ausgehen können. Der Druck von multinationalen Unternehmen auf Lieferanten
bezüglich Preise, Lieferfristen und Flexibilität nimmt in der globalen Konkur-
renz immer weiter zu. Diese Situation führt zu Einkaufspraktiken, die die Lage
von Beschäftigten verschärft. Eine CSR-Politik, die nicht mit Einkaufspraktiken
verknüpft wird, die eine Einhaltung von grundlegenden Sozialstandards erlau-
ben, ist nichts anderes als eine Werbemaßnahme für multinationale Unterneh-
men.

Ein Großteil der in Deutschland verkauften Kleidung und anderer Textilien wird
unter oft menschenunwürdigen Bedingungen in Entwicklungs- und Schwellen-
ländern hergestellt. Das bedeutendste Exportland von Bekleidung ist heute die
Volksrepublik China (VR China), mit einem weltweiten Marktanteil von 25 Pro-
zent.

Die „ILO-Deklaration über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der
Arbeit“, die bei der 86. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz beschlos-
sen wurde, zeichnet die folgenden ILO-Normen als Kern-Normen aus:

– Vereinigungsfreiheit, Schutz des Vereinigungsrechts und Recht zu Kollektiv-
verhandlungen (Konvention Nr. 87 und Nr. 98),

– Verbot der Zwangsarbeit (Konvention Nr. 29 und Nr. 105),

– Gleiche Entlohnung und Verbot der Diskriminierung am Arbeitsplatz (Kon-
vention Nr. 100 und Nr. 111),

– Verbot der Kinderarbeit (Konvention Nr. 138 und Nr. 182).

Von diesen Konventionen hat die VR China lediglich die Konventionen Nr. 100,
Nr. 111, Nr. 138 und Nr. 182 ratifiziert. Zwar enthält die chinesische Arbeits-
gesetzgebung wie auch das chinesische Gesetz gegen die Diskriminierung von
Frauen Regelungen, die vermuten lassen, dass einige Kernnormen humaner
Arbeit in der VR China wenigstens im Ansatz erfüllt wären. Zudem scheint es
in der VR China ein wachsendes Problembewusstsein bezüglich der ökologi-
schen und sozialen Arbeitsbedingungen zu geben und unter anderem ein neues
Arbeitsvertragsgesetz versucht hier ab 1. Januar 2008 Abhilfe zu schaffen – dies
zum Teil im offenen Widerspruch zur Lobbyarbeit amerikanischer und euro-
päischer Konzerne gegen dieses neue Gesetz. Nach wie vor gibt es aber in China
keine Vereinigungsfreiheit, keine freien Kollektivverhandlungen und kein ge-
setzlich geschütztes Streikrecht. Insbesondere die Situation von Wanderarbei-
terinnen und Wanderarbeitern in der Textilbranche zeigt zudem, dass die öko-
nomische Praxis oft von gesetzlichen Regelungen nicht berührt wird.

Umso wichtiger ist es daher, auch unterhalb der Ebene gesetzlicher Veränderun-
gen konkrete Maßnahmen zur Durchsetzung humaner Arbeitsbedingungen in
China anzugehen. So zielt z. B. der Ansatz der Organisation Social Account-
ability International und deren Regelwerk SA 8000 darauf ab, das Recht auf
Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen zumindest auf betrieblicher
Ebene, etwa bei Töchtern und Zulieferern westlicher Konzerne, durch die Grün-
dung betrieblicher Mitarbeitervertretungen zu ermöglichen.

Für Deutschland gibt in diesem Kontext durchaus Möglichkeiten der Einfluss-
nahme insbesondere auch auf in China tätige oder einkaufende Multinationale
Unternehmen mit relevanten Besitz- oder Marktanteilen in Deutschland. Ent-
scheidend ist, dass politisch anerkannt wird, dass Importunternehmen aufgrund
ihrer ökonomischen Macht die Hauptverantwortung für die Einhaltung grund-
legender Arbeitsnormen auch bei Zulieferern haben und diese nicht einfach auf

die Lieferanten abschieben dürfen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9413

Von den Importeuren unabhängige Einrichtungen müssen die Einhaltung dieser
Normen kontrollieren können. Kontrollverfahren müssen sich auf die gesamte
Lieferkette erstrecken, die Verfahren selbst und die durch sie erzielten Resultate
müssen transparent gemacht werden. Beschäftigte, Gewerkschaften und zivil-
gesellschaftliche Gruppen müssen sich über Arbeitsbedingungen bei solchen
Kontrolleinrichtungen beschweren können.

Die Einfuhr von Waren, deren Lieferanten sich solcher Kontrollen entziehen
oder bei denen gravierende Verstöße gegen Mindeststandards humaner Arbeits-
bedingungen wiederholt festgestellt worden sind, muss bestraft, in besonders
schweren Fällen auch verboten werden können.

Die Bundesrepublik Deutschland führt mit der Volksrepublik China einen
Rechtsstaatsdialog. Da die VR China eine Reihe von Grundnormen humaner Ar-
beitsbedingungen bereits gesetzlich verankert hat, ist die tatsächlich defizitäre
Situation insbesondere in der Textilindustrie zumindest teilweise auch auf die
technische und rechtsstaatliche Qualität der chinesischen Gesetzgebung zurück-
führbar. Der Rechtsstaatsdialog mit der VR China stellt eine Möglichkeit dar,
Vorschläge zu einer effektiveren Implementierung der Kernnormen humaner
Arbeit in die ökonomische Praxis zu unterbreiten. Ebenso kann Deutschland
sich im Rahmen der Europäischen Union dafür engagieren, den Menschen-
rechtsdialog zwischen der EU und der VR China für die Verbesserung der Situ-
ation in der Textilindustrie zu nutzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Bundestag ein Gesetz vorzulegen, das Folgendes regelt:

a) die Schaffung einer Einrichtung, die die Einhaltung der grundlegendsten
Arbeitsnormen bei der gesamten Lieferkette von in Deutschland tätigen
Importunternehmen auf transparente und partizipative Weise kontrollieren
kann,

b) die Ausstattung einer solchen Einrichtung mit angemessenen materiellen
Mitteln,

c) dass angemessene Sanktionen gegenüber in Deutschland tätigen Import-
unternehmen für den Fall zum Einsatz kommen, dass sich Lieferanten
einer Kontrolle von Arbeitsbedingungen entziehen bzw. gravierende Ver-
letzungen von Kernnormen wiederholt festgestellt werden;

2. im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe des Bundes sowie bei der
anstehenden Vergaberechtsreform die Berücksichtigung der ILO-Kern-
arbeitsnormen verbindlich zu verankern;

3. im Rahmen des Rechtsstaatsdialogs mit der VR China stärker Vorschläge zu
unterbreiten, wie Kernnormen humanen Arbeitens effektiv in die ökonomi-
sche Praxis implementiert werden können;

4. gegenüber den anderen Staaten der Europäischen Union nachdrücklich dafür
einzusetzen, dass die effektive Implementierung der Kernnormen humanen
Arbeitens in die ökonomische Praxis zu einem wichtigen Thema auch des
Menschenrechtsdialogs zwischen der EU und VR China wird.

Berlin, den 25. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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