BT-Drucksache 16/9340

Das Verhalten von Birmas Junta muss Konsequenzen haben

Vom 28. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9340
16. Wahlperiode 28. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Harald Leibrecht, Burkhardt Müller-Sönksen,
Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun
Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Ina Lenke, Michael
Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Das Verhalten von Birmas Junta muss Konsequenzen haben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit 1962 wird Birma/Myanmar von verschiedenen Militärjuntas regiert. Seit
1988 hält eine Gruppe von Militärs die Macht in Händen, die ihrer Junta die
Bezeichnung „Staatsrat für Frieden und Entwicklung“ (State Peace and De-
velopment Council/SPDC) gegeben hat. Die Folgen des repressiven Regie-
rungsstils für die wirtschaftliche Entwicklung sowie für die menschenrechtli-
che Lage im Land sind erschütternd. Nach der gewaltsamen Niederschlagung
friedlicher Proteste 1988 und der Annullierung der demokratischen Wahlen
von 1990, die die oppositionelle National League for Democracy (NDL) mit
großer Mehrheit gewann, schlug das Regime den Weg außenpolitischer Isola-
tion ein. Die Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San
Suu Kyi steht seitdem unter Hausarrest.

Im Laufe des Septembers 2007 kam es landesweit zu zahlreichen friedlichen De-
monstrationen buddhistischer Mönche und weiter Teile der Zivilgesellschaft ge-
gen die Politik der Militärdiktatoren. Ende September 2007 schlug die Junta
diese Demokratiebewegung unter Anwendung exzessiver Gewalt brutal nieder
und verstärkte durch Massenverhaftungen und eine Nachrichtensperre die Un-

terdrückung kritischer Stimmen. Eine Verurteilung der Junta im Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen (VN) wurde durch ein Veto Chinas verhindert. Auch die
wiederholten Vermittlungsbemühungen des VN-Sondergesandten Ibrahim
Gambari blieben ohne greifbare Verbesserungen der menschenrechtlichen
Situation. Entgegen den Versprechungen der militärischen Führung befindet
sich Birma/Myanmar nicht auf dem Weg der Demokratisierung.

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Am 3. Mai 2008 fegte der Zyklon „Nargis“ über die dicht besiedelte Region des
Irrawaddy-Flussdeltas im Süden Birmas/Myanmars hinweg. In der Folge wurde
das Land mit der schlimmsten humanitären Katastrophe Asiens seit dem Tsu-
nami im Jahr 2004 konfrontiert. Während die Junta offiziell von bis zu 70 000
Toten sowie Vermissten ausgeht, belaufen sich Schätzungen der Vereinten Na-
tionen auf über 130 000 Todesopfer sowie bis zu 2,4 Millionen Obdachlose.

Angesichts einer Tragödie dieses Ausmaßes ist das folgende Verhalten der
Militärjunta schockierend. Bereits zwei Tage vor dem Eintreffen des Wirbel-
sturms war die birmanische Junta durch eine Sonderorganisation der Vereinten
Nationen (World Meteorological Organization/WMO) vor der herannahenden
Gefahr gewarnt worden. Diese Vorwarnzeit ließ die Regierung ungenutzt ver-
streichen, ohne Evakuierungs- oder Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung
vorzunehmen und hielt alle Informationen zurück. Nachdem „Nargis“ Verwüs-
tungen katastrophalen Ausmaßes angerichtet hatte, galt es, rasch effektive
humanitäre Hilfe für die Betroffenen zu leisten. Durch den Zusammenbruch der
Infrastruktur wurde es notwendig, gezielt den Ausbruch von Seuchen zu verhin-
dern. Dazu mussten die Opfer mit Lebensmitteln, Trinkwasser, Decken und
Medikamenten versorgt werden. Für die Durchführung komplizierter Hilfsmaß-
nahmen nach einer Naturkatastrophe ist es grundsätzlich unerlässlich, unverzüg-
lich professionelles Hilfspersonal in das Krisengebiet zu verlegen. Die interna-
tionale Staatengemeinschaft einschließlich der Vereinten Nationen bot der Re-
gierung von Birma/Myanmar umfangreiche Unterstützung an. Diese lehnte die
Hilfsangebote zunächst jedoch ab. Der Deutsche Bundestag verurteilt, dass die
Militärregierung Birmas/Myanmars ihre eigene Bevölkerung in dieser Notlage
im Stich gelassen hat. Einer der ureigenen Aufgaben jeder Regierung, nämlich
für Leben und Unversehrtheit der eigenen Bevölkerung einzutreten, ist die
Militärregierung vorsätzlich nicht nachgekommen.

Für die Junta kam die Wirbelsturmkatastrophe zur Unzeit. Für den 10. Mai 2008
war in Birma/Myanmar ein Referendum über einen neuen Verfassungsentwurf
vorgesehen, das die Junta unbedingt unter Ausschluss ausländischer Wahlbeob-
achter durchführen wollte. Dieser Verfassungsentwurf sieht hinter einer Fassade
aus schwachen zivilen Institutionen die Festigung der Macht der Militärs vor.
Nachdem der genaue Text lange unter Verschluss gehalten worden war, wurden
kritische Äußerungen über den Verfassungsentwurf unterdrückt und ein Klima
der Angst erzeugt. Obwohl die Abhaltung des Referendums in den am
schlimmsten betroffenen Gebieten verschoben wurde, veröffentlichte die Junta
am 15. Mai 2008 das Abstimmungsergebnis. Danach sei die Verfassung mit
einer Mehrheit von 92,4 Prozent angenommen worden. Oppositionsgruppen be-
richten von massiven Einschüchterungen, Wahlfälschungen und Manipulatio-
nen. Das Referendum wurde demokratischen Standards nicht gerecht und glich
einer politischen Farce.

Um das Land vor und während des Referendums für Ausländer abzuschotten,
verweigerte die Junta auch die Einreise der ausländischen Katastrophenhelfer
und Journalisten. Einzig Finanztransfers und Hilfsgüter wurden ins Land gelas-
sen, allerdings von den Militärs in Empfang genommen und verteilt. Es besteht
der Verdacht, dass die Junta dabei regierungstreue Personen bevorzugt behan-
delt hat.

Selbst nach wiederholten internationalen Aufforderungen verweigerte die Mili-
tärregierung die Einreise für die humanitären Helfer. Lediglich einer kleinen
Zahl von Katastrophenhelfern wurde der Zugang unter strengen Auflagen er-
möglicht. Diese berichteten, dass sie in ihrer Arbeit massiv behindert wurden.
Einige schafften es nur durch Täuschung, sich der Drangsalierung durch die
Streitkräfte zu entziehen und verdeckt Zugang zum Krisengebiet zu erlangen.
Andere Organisationen berichteten von Beschlagnahmungen ihrer Hilfsgüter
und Ausrüstung. Dabei etikettierte die Junta Teile der ausländischen Hilfsgüter

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zu Propagandazwecken um und deklarierte sie als eigene Hilfsgüter. Ferner sol-
len Teile der Hilfsgüter von Militärs verkauft worden sein, anstatt diese an Be-
dürftige zu verteilen. Obdachlose wurden teilweise zwangsweise aus zu Be-
helfsunterkünften umfunktionierten Klöstern und Schulen vertrieben und in von
der Regierung eingerichtete Flüchtlingslager eingewiesen. Erst drei Wochen
nach der Wirbelsturmkatastrophe machte der birmanische Junta-Chef Than
Shwe am 23. Mai 2008 gegenüber dem VN-Generalsekretär Ban Ki Moon eine
Zusage, westlichen Katastrophenhelfern die Einreise zu gestatten. Am 25. Mai
2008 konnten humanitäre Helfer ihre Arbeit in der Katastrophenregion aufneh-
men.

Das Vorgehen von Birmas Generälen hat für die von der Wirbelsturmkatastro-
phe betroffene Bevölkerung fatale Konsequenzen. Es ist zu befürchten, dass die
in den entscheidenden Wochen nach der Wirbelsturmkatastrophe betriebene ge-
zielte Verhinderung professioneller humanitärer Hilfe unzählige Menschenleben
gekostet hat. So haben Tausende Unschuldige den Versuch der Junta, sich durch
ein von der Weltöffentlichkeit abgeschirmtes, manipuliertes Referendum an die
Macht zu klammern, mit dem Leben bezahlen müssen. Dieses von paranoidem
Kontrollwahn gekennzeichnete Verhalten war zynisch, erbarmungslos und be-
rechnend. Derartige Rücksichtslosigkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung
muss Konsequenzen für die Junta Birmas/Myanmars haben.

Die Europäische Union verfolgt eine zweigleisige Strategie, die einerseits die
Bereitschaft zum Dialog bzw. zur Unterstützung für rechtsstaatliche und demo-
kratische Reformen zusichert. Andererseits verhängte die Europäische Union
1996 erstmals gezielte Sanktionen gegen die Militärführung in Birma/Myanmar.
Diese wurden im Jahr 2003 durch den Gemeinsamen Standpunkt der Euro-
päischen Union ersetzt, welcher zuletzt am 29. April 2008 um ein Jahr verlän-
gert wurde. Die jüngste Eskalation macht eine Überprüfung des Gemeinsamen
Standpunktes der EU und eine Anpassung der Strategie gegenüber Birma/
Myanmar notwendig. Neben der Feinjustierung der existierenden Finanzsank-
tionen und der Überprüfung der Sanktionszielgruppe sollte die Liste der von der
Lieferung an die Junta ausgeschlossenen Güter um die Gruppe der exklusiven
Luxusgüter erweitert werden. Im Fall von Nordkorea hatten entsprechende Lie-
ferverbote von exklusiven Luxusgütern an die dortige politische Führung Wir-
kung gezeigt. Diese Maßnahme sollte auch im Fall Birmas/Myanmars ange-
wandt werden.

Eine Lockerung der Sanktionen darf nur erfolgen, wenn spürbare Verbesserun-
gen der menschenrechtlichen Lage erfolgen. Dazu gehören die Freilassung poli-
tischer Gefangener, die Unterlassung von Übergriffen der Sicherheitskräfte ge-
gen Zivilisten wie Tötungen und Verhaftungen, die Untersuchung vergangener
Übergriffe insbesondere während der Demokratiebewegung im Herbst 2007 so-
wie weitere politische Reformen. Für die Bewältigung der Folgen der Natur-
katastrophe vom Mai 2008 muss echte internationale Kooperation erfolgen.

Der Verband südostasiatischer Nationen (ASEAN), der die Aufnahme Birmas/
Myanmars im Jahr 1997 mit dem Argument rechtfertigte, Birma/Myanmar auf
diesem Wege zu innenpolitischen Reformen und außenpolitischer Kooperation
bewegen zu wollen ist, ist jetzt in der besonderen Pflicht, diesen Prozess nach-
drücklicher als bisher zu verfolgen. Bislang hat die Mitgliedschaft Birmas/
Myanmars im ASEAN nicht den erwünschten und prognostizierten Effekt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Maßnahmen zu ergreifen, um

1. im Rahmen der Europäischen Union die finanziellen Sanktionen gegen die

birmanische Junta zu verschärfen, so dass neben der Einfrierung von Gut-

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haben auch Finanztransaktionen von Dritten an die Junta, die durch Banken
in der EU fließen, erfasst und unterbunden werden;

2. im Rahmen der Europäischen Union die Liste der von der Lieferung an die
birmanische Junta ausgeschlossenen Güter um exklusive Luxusgüter zu er-
weitern;

3. im Rahmen der Europäischen Union die von den EU-Sanktionen erfasste
Zielgruppe um folgende natürliche und juristische Personen zu verbreitern:

a) weitere hochrangige birmanische Militärangehörige ab dem Rang Oberst,

b) weitere mit den birmanischen Streitkräften verbundene Unternehmen so-
wie

c) sonstige birmanische Unternehmen, deren Gewinn den Streitkräften zu-
gute kommt oder die sonst maßgeblich für Menschenrechtsverstöße ver-
antwortlich sind;

4. im Rahmen der Europäischen Union die Identifikation von mit der Junta in
Verbindung stehenden Personen und Unternehmen zu verbessern, Sanktio-
nen rasch gezielt anzupassen und deren Umsetzung sorgfältig zu überwa-
chen;

5. im Rahmen der Europäischen Union das eigene Vorgehen mit dem anderer
Staaten wie den USA und Australien zu koordinieren, wobei die Abgleichung
der Zielgruppen sowie die lückenlose Effektivität der gezielten Sanktions-
instrumente im Vordergrund stehen muss;

6. auf Ebene der Vereinten Nationen für ein Waffenembargo und spürbare wei-
tere Sanktionen gegen Birma/Myanmar einzutreten;

7. auf internationaler Ebene, insbesondere bei den Partnern in Asien, für ein
verstärktes Engagement hinsichtlich politischer Reformen in Birma/Myan-
mar einzutreten, das die Verhängung gezielter Sanktionsmaßnahmen seitens
der ASEAN-Staaten gegen die birmanische Militärführung beinhalten kann;

8. der birmanischen Führung zu signalisieren, dass die EU ihre Sanktionen erst
lockern wird, wenn eine deutliche Verbesserung der Menschenrechtslage im
Land spürbar wird;

9. der birmanischen Regierung weiterhin Unterstützung bei der Bewältigung
der Folgen der Naturkatastrophe vom Mai 2008 sowie bei der Umsetzung
von rechtsstaatlichen und demokratischen Reformen anzubieten.

Berlin, den 28. Mai 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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