BT-Drucksache 16/9256

EUFOR Tschad/ZAR

Vom 23. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9256
16. Wahlperiode 23. 05. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Inge Höger, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

EUFOR Tschad/ZAR

Am 15. Oktober 2007 hat der Rat der Europäischen Union die militärische Ope-
ration EUFOR Tschad/ZAR (European Union Force Tschad/Zentralafrikanische
Republik) beschlossen. Sie ist Teil einer am 25. September 2007 vom UN-
Sicherheitsrat mit der Resolution 1 778 gebilligten multidimensionalen Mission
im Tschad und der ZAR. Laut Mandat gehören zu den Aufgaben von EUFOR
Tschad/ZAR der Schutz der sudanesischen Flüchtlinge und der tschadischen
Binnenvertriebenen sowie die Erhöhung der Sicherheit in der Region. Ferner
soll EUFOR Tschad/ZAR die Arbeit von MINURCAT durch die Herstellung
eines sicheren Umfelds unterstützen. Im Rahmen der Mission der Vereinten
Nationen in der Zentralafrikanischen Republik und im Tschad (MINURCAT)
sollen bis zu 300 Polizisten und 50 Verbindungsoffiziere zur Ausbildung ört-
licher Sicherheitskräfte in die beiden Staaten entsendet werden. Deutschland
beteiligt sich bislang mit vier Offizieren an EUFOR Tschad/ZAR an der Planung
und Durchführung der Militärmission.

Mit mehrmonatiger Verspätung verkündete die EU am 17. März dieses Jahres
den offiziellen Beginn des 12-monatigen Einsatzes von EUFOR Tschad/ZAR.
Die bisherige Truppen- und Personalstärke wurde Anfang April mit rund 1 750
Kräften angegeben, von denen rund 1 500 im Tschad und der ZAR stationiert
waren. Die volle Truppenstärke von insgesamt 3 700 Soldaten soll bis zum Som-
mer 2008 erreicht sein.

Abgesehen von den organisatorischen Schwierigkeiten sind es in erster Linie die
politische Ausrichtung des EUFOR-Mandats und die ungünstigen Rahmen-
bedingungen, die zu berechtigten Fragen hinsichtlich der Notwendigkeit des
EU-Einsatzes im Tschad führen. EUFOR Tschad/ZAR ist weder im Tschad noch
in der ZAR in ein örtliches Friedensabkommen der innerstaatlichen Konfliktpar-
teien eingebettet. Die europäische Militärmission wird nicht von allen Konflikt-
parteien akzeptiert, nicht zuletzt wegen der Dominanz Frankreichs als größtem
Truppensteller von EUFOR Tschad/ZAR. Frankreich unterstützt seit Jahrzehn-
ten die Regierungen des Tschads und der ZAR und unterhält militärische Stütz-
punkte in beiden Staaten, weshalb die erklärte Neutralität der Mission von loka-
len Rebellengruppen angezweifelt wird. Selbst der UN-Generalsekretär stellt im
aktuellen Bericht zum Tschad und zur ZAR vom 1. April 2008 fest, dass weder
MINURCAT noch EUFOR Tschad/ZAR derzeit in der Lage sind, die jeweils an
sie gestellten Aufgaben erfüllen zu können (S/2008/215 § 38).

Drucksache 16/9256 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Bewertung des UN-Generalsekretärs?

Wenn ja, welche Konsequenzen sollten nach Auffassung der Bundesregie-
rung daraus für das Mandat von EUFOR Tschad/ZAR und die deutsche
Beteiligung daran gezogen werden?

Wenn nein, warum nicht?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass bei einer Beteiligung der
Bundeswehr an militärischen Operationen der EU gewährleistet sein muss,
dass die Bundesregierung zeitnah über die Planung und Durchführung des
Einsatzes im Detail unterrichtet wird?

3. Wenn ja, wie wird dies gewährleistet, und welche Rolle und Verantwortung
haben die vier deutschen Offiziere für die Durchführung der Operation in
der EUFOR Tschad/ZAR-Befehlskette?

4. Verfügt das EUFOR-Tschad/ZAR-Kontingent über eine strategische Re-
serve, und wenn ja, welche Staaten beteiligen sich daran (bitte unter Angabe
der jeweiligen Truppenstärke), und unter welchen Umständen kann diese
strategische Reserve eingesetzt werden?

5. Welche weiteren militärischen und finanziellen Unterstützungsleistungen
erbringt die Bundesregierung für EUFOR Tschad/ZAR?

6. Welche gemeinsamen Ausgaben von EUFOR Tschad/ZAR werden über
den ATHENA-Mechanismus (Mechanismus zur Finanzierung der gemein-
samen Kosten der Operationen der EU mit militärischen Bezügen) finan-
ziert (bitte einzeln auflisten)?

7. Welche Kosten hat die EU insgesamt für die Durchführung von EUFOR
Tschad/ZAR eingeplant, und wie hoch ist der deutsche Beitrag nach aktuel-
len Schätzungen?

8. Welche EU-Staaten werden sich nach Kenntnis der Bundesregierung per-
sonell an dem MINURCAT-Einsatz beteiligen?

9. In welcher Weise wird es eine Zusammenarbeit zwischen EUFOR Tschad/
ZAR mit den bereits im Tschad und der ZAR stationierten französischen
Truppen geben, und auf welchen Vereinbarungen beruht eine solche Zu-
sammenarbeit?

10. Werden Einheiten der bereits im Tschad und der ZAR stationierten fran-
zösischen Kontingente in die EUFOR-Tschad/ZAR-Mission überführt?

Wenn ja, welche Einheiten?

11. Existieren Vereinbarungen von EUFOR Tschad/ZAR mit Frankreich be-
züglich der Gewährleistung von Ad-hoc-Nothilfe und Beistand, Close-Air-
Support und des Austausches von Aufklärungsergebnissen?

Wenn ja, welche sind dies im Einzelnen, und welche Rechte und Pflichten
beinhalten diese für beide Seiten?

12. Werden die EU-Staaten über die Truppenbewegungen und Flugzeugein-
sätze der bereits im Tschad und der ZAR stationierten französischen Einhei-
ten, die außerhalb des EUFOR Tschad/ZAR-Einsatzes erfolgen, vorab bzw.
generell informiert?

13. Wie viele Flüchtlingslager existieren wo im Tschad und der ZAR, und wel-
che Flüchtlingslager sollen geschützt werden (bitte unter Angabe der An-
zahl der Flüchtlinge je Flüchtlingslager und der jeweiligen Truppenstärke)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9256

14. In welcher Entfernung von den Flüchtlingslagern sind die Einheiten jeweils
stationiert und welchen konkreten Beitrag sollen die Einheiten von EUFOR
Tschad/ZAR zum Schutz der Flüchtlingslager vor Ort leisten?

15. Welchen Einschränkungen durch die Regierungen des Tschads und der
ZAR unterliegt das EUFOR-Tschad/ZAR-Kontingent hinsichtlich der Be-
gleitung und des Schutzes von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen und
Flüchtlingslagern vor Ort?

16. Welche Handlungsmöglichkeiten für die Erhöhung der Sicherheit in der Re-
gion hat EUFOR Tschad/ZAR im Fall grenzüberschreitender Kampfhand-
lungen und grenzüberschreitenden Waffenhandels vor dem Hintergrund,
dass das Mandat eine direkte Beteiligung an Grenzsicherungsaufgaben ver-
bietet?

17. Dürfen Angehörige des EUFOR-Tschad/ZAR-Kontingents ohne Genehmi-
gung der Regierungen des Tschads und der ZAR die gemeinsamen Grenzen
passieren, und wenn nicht, welchen Vorbehalten unterliegt der Grenzüber-
tritt?

18. Hat es seit Beginn der EUFOR-Tschad/ZAR-Mission Grenzübertritte mit
Zustimmung der sudanesischen und der zentralafrikanischen Regierungen
gegeben?

Wenn ja, wann, und mit welchem Auftrag?

19. Welche Form der Zusammenarbeit und Koordination zwischen EUFOR
Tschad/ZAR und den AU-UN-Missionen UNAMID (African Union/United
Nations Hybrid operation in Darfur) und BONUCA (United Nations Peace-
building Office in the Central African Republic) wurde vereinbart?

20. Wie gestalten sich Kommunikation, Kooperation und Koordinationen zwi-
schen den beiden Missionen MINURCAT und EUFOR Tschad/ZAR?

21. Wie gestaltet sich die direkte Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften
und der Polizei des Tschads und der ZAR und EUFOR Tschad/ZAR, und
welche Maßnahmen beinhaltet dies in den Regionen, in denen die jeweili-
gen Regierungen das Gewaltmonopol nicht mehr durchsetzen können?

22. Hat sich die Bundesregierung für eine UN-geführte Militärmission im
Tschad und der ZAR eingesetzt, und wenn nein, welche Gründe sprachen
nach Einschätzung der Bundesregierung gegen eine von der UNO geführten
Militärmission im Tschad und der ZAR?

23. Welche Auswirkungen für die Neutralität der EU-Militärmission hat nach
Auffassung der Bundesregierung die Dominanz der französischen Truppen
bei EUFOR Tschad/ZAR, gerade vor dem Hintergrund des jahrzehnte-
langen militärischen Engagements Frankreichs in beiden Staaten?

24. Wie schätzt die Bundesregierung die Akzeptanz von EUFOR Tschad/ZAR
unter den verschiedenen Konfliktparteien und in der Bevölkerung im
Tschad und der ZAR ein (bitte mit Einschätzung zur Position jeder der Kon-
fliktparteien)?

25. Verfügt die Bundesregierung über Kenntnisse oder eine Einschätzung dar-
über, inwieweit Frankreich konkrete militärische Unterstützungsleistungen
für die tschadische Regierung leistet oder zu leisten plant?

Wenn ja, welche?

26. Hat die Bundesregierung in dem zurückliegenden Jahr mit der französi-
schen Seite Gespräche über einen möglichen Einsatz der deutsch-französi-
schen EU-Battlegroup im Tschad und der ZAR geführt?

Wenn ja, wann, und mit welchem Ergebnis?

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27. Verfügt die Bundesregierung über Informationen oder eine Einschätzung
darüber, ob Frankreich plant, während der französischen Ratspräsident-
schaft (2/2008) die dann in Einsatzbereitschaft stehende deutsch-französi-
sche EU-Battlegroup im Tschad einzusetzen?

28. Verfügt die Bundesregierung über Kenntnisse grenzüberschreitender Mili-
täroperationen der sudanesischen Regierungsarmee, und wie beurteilt sie
diese politisch und völkerrechtlich?

29. Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen den jüngsten
Gefechten der Rebellen mit der tschadischen Regierungsarmee im Osten
des Tschads im April 2008 und der Stationierung der EUFOR Tschad/
ZAR?

30. Wie kann EUFOR Tschad/ZAR nach Ansicht der Bundesregierung den
Schutz von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen im Tschad und der ZAR
gewährleisten und Zwangsrekrutierungen verhindern, insbesondere vor
dem Hintergrund, dass EUFOR Tschad/ZAR keinen Zugang zu den Flücht-
lingslagern hat?

31. Welche konkrete Unterstützung haben die Flüchtlinge und Binnenvertriebe-
nen im Tschad und der ZAR durch die EU-Staaten seit 2005 erhalten, und
welche sind geplant?

32. Mit welchen Maßnahmen wollen die Staaten, die sich an EUFOR Tschad/
ZAR beteiligen, den Wiederaufbau und die Entwicklung in dieser Region
unterstützen, und welche Vorraussetzungen müssen nach Auffassung der
Bundesregierung dafür geschaffen werden?

33. Wie beurteilt die Bundesregierung die Befürchtung, dass die militärischen
Kosten des EUFOR Tschad/ZAR Einsatzes zu Lasten der Mittel zur huma-
nitären Versorgung sowie der langfristigen Entwicklung in der Region ge-
hen?

34. Werden über das durch den 10. Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) zu-
gesagte umfassende regionale Sicherheits- und Friedenspaket, welches
Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Situation, zur Konfliktbear-
beitung, zu Sicherheitssektorreformen, Konfliktnachsorge sowie Unterstüt-
zungsleistungen für die AU umfasst, auch Aufgaben bzw. Teilbereiche von
EUFOR Tschad/ZAR finanziert?

Wenn ja, bitte einzeln aufschlüsseln nach Bereich und Höhe.

35. Welche Maßnahmen zur Unterstützung von Friedensverhandlungen zwi-
schen den Regierungen des Tschads und der ZAR und den Widerstands-
gruppen hat die Bundesregierung in den letzten fünf Jahren ergriffen, und
welche sind geplant?

36. Welche Kontakte – bilateral oder im Rahmen der EU – hat die Bundesregie-
rung zu Menschenrechtsorganisationen im Tschad und der ZAR, und wenn
keine bestehen, plant sie, Kontakte aufzunehmen?

37. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass auch die Konfliktparteien aus
dem Sudan in den Versöhnungsprozess eingebunden sein sollten?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, wieso nicht?

Berlin, den 19. Mai 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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