BT-Drucksache 16/9166

Steuermissbrauch wirksam bekämpfen - Vorhandene Steuerquellen erschließen

Vom 8. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9166
16. Wahlperiode 08. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Dr. Gregor Gysi, Oskar
Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Steuermissbrauch wirksam bekämpfen – Vorhandene Steuerquellen erschließen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

aggressive Steuermodelle bzw. Steuerplanungsmodelle zu unterbinden, um den
Steuermissbrauch wirksam zu bekämpfen. Voraussetzung hierfür ist die schnelle
Kenntnis von Steuergestaltungsmodellen. Zu diesem Zweck wird für diese eine
gesetzliche Anzeige- und Registrierungspflicht eingeführt:

– Anzeigepflichtige Steuergestaltungen sind Modelle, die zu einer Nicht-
besteuerung, einem Steueraufschub oder einer Steueranrechnung bzw.
-erstattung führen. Betroffen sind Modelle im Rahmen der Einkommen-,
Körperschaft-, Kapitalertrag- und Gewerbesteuer sowie der beschränkt Steuer-
pflichtigen (§ 50a des Einkommensteuergesetzes – EStG).

– Anzeigepflichtig ist, wer geschäftsmäßig Steuergestaltungen anbietet oder
empfiehlt.

– Die Anzeige ist dem Bundeszentralamt für Steuern innerhalb von zehn Ka-
lendertagen nach Abgabe des Angebots zu übermitteln. Dieses weist jeder
Steuergestaltung eine Registriernummer zu und teilt diese dem Vermarkter
mit. Letzterer informiert den Steuerpflichtigen entsprechend. Steuerpflich-
tige, die Gestaltungen nutzen, geben in ihrer Steuererklärung die dem Modell
zugeteilte Registrierungsnummer an.

– Das Bundesministerium der Finanzen erstattet dem Bundestag regelmäßig
Bericht bezüglich aufgelegter Steuergestaltungsmodelle, um diesem eine
Grundlage für ein Verbot derartiger Gestaltungsmodelle zu geben.

Berlin, den 8. Mai 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion
Begründung

Aggressive Steuermodelle sind Gestaltungen zur gezielten Steuervermeidung,
ohne dass die Steuerpflichtigen ein wirtschaftliches Interesse an den entspre-
chenden Konstruktionen besitzen. In der Regel werden sie von diesen auch nicht
weiter betrieben, sobald der Anreiz zur Steuerumgehung wegfällt, z. B. durch

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gesetzliche Änderungen. Aggressive Steuermodelle verursachen massive Steu-
ermindereinnahmen.

Aggressive Steuergestaltungen und -planungen haben seitens der Unternehmen
und vermögenden Privatpersonen in den vergangenen Jahren in zahlreichen
OECD-Staaten massiv zugenommen. Die Ursachen sind vielfältig: So stehen
international agierenden Unternehmen national ausgerichtete Steuersysteme ge-
genüber. Im Privatbereich kommen starke Vermögenszuwächse und ein leichte-
rer Zugang zu den Steueroasen hinzu. Gemeinsam ist allen der Drang nach
Steuerumgehung und -vermeidung. Dies wird von Banken, Kanzleien und Wirt-
schaftsprüfungsgesellschaften genutzt, um aktiv Steuergestaltungsmodelle zu
verkaufen. So werben beispielsweise Unternehmensberatungen mit dem Slogan
„Firmengründung im Ausland: Die besten Steuermodelle“ für Holdingmodelle
in Malta und Zypern oder für die Zwischenschaltung von Domizilgesellschaften
in Niedrigsteuerländern.

Einzelne Staaten haben auf diese Praxis mit Offenlegungs- bzw. Anzeigepflich-
ten bezüglich Steuergestaltungen und mit Bußgeldern im Falle der Nichtoffen-
legung reagiert. So müssen z. B. in Großbritannien meldepflichtige Steuerspar-
modelle innerhalb von fünf Tagen nach Abgabe des Angebots bei den Behörden
angezeigt werden. Der Steuerpflichtige erhält eine Identifikationsnummer und
muss diese seinerseits bei der Einkommensteuererklärung angeben. Ähnlich
verfahren die USA, Australien und Kanada. Darüber hinaus bedienen sich die
USA standes- und berufsrechtlicher Maßnahmen gegen Berater (Circular 230).
Alle betroffenen Länder bewerten ihre Erfahrungen, mit Hilfe von Anzeige- und
Registrierungspflichten Steuermissbrauch einzudämmen, als positiv.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland hat die Bedeutung von Steuergestal-
tungen im internationalen Bereich massiv zugenommen. Die Bundesregierung
kann diese zwar nicht konkret beziffern. Sie geht aber – wie aus der Beantwor-
tung einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. hervorgeht – von bis zu
100 Mrd. Euro nicht versteuerter Gewinne und Einkommen jährlich aus. Steuer-
pflichtige nutzen grenzüberschreitende Gestaltungen, bei denen der Steuervor-
teil aus der gleichzeitigen Nutzung der deutschen und einer ausländischen
Rechtsordnung resultiert. So können Steuerpflichtige z. B. Aufwand in anderen
Staaten steuerlich geltend machen, während die in diesem Zusammenhang ste-
henden Erträge im Inland steuerfrei sind und umgekehrt. Gleichzeitig nutzen
zahlreiche Unternehmen und vermögende Steuerpflichtige die Möglichkeiten
der Gewinn- und Einkommensverlagerung ins Ausland. Auch wenn die Mehr-
heit dieser Steuerplanungsmodelle legal ist, entsprechen sie nicht dem Zweck
der Steuergesetze bzw. laufen ihnen zuwider.

Der Vorteil der Anzeigepflicht ist offensichtlich: Derzeit erhält die Finanzver-
waltung frühestens im Rahmen der Betriebsprüfungen von derartigen Gestaltun-
gen Kenntnis. Steuerprüfungen finden jedoch oft erst viele Jahre nach Auflage
der Gestaltungsmodelle statt. Darüber hinaus werden zahlreiche Steuerpflich-
tige, die Gestaltungsmodelle nutzen, nicht geprüft. Durch eine Anzeigepflicht
von Steuersparmodellen erhält der Bundestag via Finanzverwaltung sehr kurz-
fristig entsprechende Informationen. Legale, aber unerwünschte Steuergestal-
tungen können so zeitnah erkannt und innerhalb weniger Monate gesetzlich
unterbunden werden. Dazu kommt, dass die betroffenen Steuerpflichtigen früh-
zeitig erkennen, dass sie sich in einen rechtlichen Graubereich begeben. Steuer-
ausfälle in Größenordnungen können damit verhindert und nicht zuletzt kann ein
gleichmäßigerer Steuervollzug garantiert werden.

Anzeigepflichtige Steuergestaltungen sind u. a. Konstruktionen mit doppel-
ansässigen Gesellschaften, Fälle, in denen im deutschen und in ausländischen
Steuerrechten Zahlungen unterschiedlich eingeordnet und dieselben Abzüge

anerkannt sowie Doppelbesteuerungsabkommen unterschiedlich angewendet
werden. So sind als gängige Gestaltungen – unter zur Hilfenahme von Domizil-

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gesellschaften – z. B. die Übernahme verlustbehafteter Geschäfte ohne wirt-
schaftlichen Grund, der Abschluss fingierter Miet-, Pacht- und Leasingverträge
sowie die Zahlung hoher Beraterverträge ohne werthaltige Gegenleistung
bekannt. Der Katalog der zu meldenden Steuergestaltungsmodelle soll nicht
abschließend sein.

Anzeigepflichtig sind die Vermarkter der Steuergestaltungsmodelle, da insbe-
sondere diese durch ihre „Kreationen“ erst zu einem Steuermissbrauch in dem
beschriebenen Ausmaß beitragen. Dazu gehören z. B. Banken, Unternehmens-
und Steuerberatungsgesellschaften sowie Investmentgesellschaften im In- und
Ausland. Eine Pflicht der Finanzverwaltung, dem Vermarkter die Rechtmäßig-
keit der Steuergestaltung zuzusichern, besteht nicht. Auch das Untätigbleiben der
Verwaltung bindet den Gesetzgeber nicht dahingehend, unerwünschte Steuer-
gestaltungen zu akzeptieren.

Die gesetzliche Ausgestaltung der Anzeigepflicht kann sich an den Vorschlägen
des Finanzausschusses des Bundesrates orientieren. Dieser hatte im Rahmen der
Behandlung des Jahressteuergesetzes 2008 konkrete Empfehlungen zur Ände-
rung der Abgabenordnung (Empfehlungen 544/1/07) unterbreitet. Die Gesetz-
gebungskompetenz hierfür liegt beim Bund.

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