BT-Drucksache 16/9118

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/8546, 16/9024- Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes

Vom 7. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9118
16. Wahlperiode 07. 05. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Grietje Staffelt, Ekin Deligöz, Katrin Göring-
Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/8546, 16/9024 –

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die gesetzlichen Regelungen zum Jugendschutz in Deutschland haben sich ins-
gesamt bewährt und sind auch im internationalen Vergleich vorbildlich. Wir
brauchen keine reflexartige Verschärfung der bestehenden Regelungen, son-
dern vor allem eine Verbesserung des gesetzlichen Vollzugs.

Der Deutsche Bundestag setzt sich für einen starken Jugendschutz ein. Er stellt
fest, dass die rot-grüne Reform des Jugendschutzes aus dem Jahr 2003 Wirkung
zeigt und das erstmalig eingesetzte Prinzip der regulierten Selbstregulierung
spürbar zur Verbesserung und zu mehr Effektivität des Jugendmedienschutzes
geführt hat. Die durch das Hans-Bredow-Institut vorgenommene und seit Okto-
ber 2007 vorliegende Evaluation des Jugendmedienschutzsystems in Deutsch-
land bestätigt: Die eingeführten Maßnahmen funktionieren weitgehend. Ange-
sichts einer sich rasant entwickelnden Medienwelt und neuer technischer Mög-
lichkeiten ist allerdings eine kontinuierliche Weiterentwicklung erforderlich.

Der Deutsche Bundestag bedauert, dass die bestehenden Defizite bei Vollzug
und Umsetzung des Jugendschutzes in den Ländern und Kommunen nicht auf
allen politischen Ebenen konsequent und nachhaltig angegangen werden. Der
runde Tisch zum Jugendschutz im November 2007 hat dazu sinnvolle Vor-
schläge gemacht. Notwendig ist insbesondere die systematische Beseitigung
von Umsetzungs- und Kontrolldefiziten. Höhere Kontrolldichten müssen das
Risiko von Anbietern jugendschutzrelevanter Produkte (wie u. a. Computer-
spiele, Alkoholika, Tabak) erhöhen, bei Verstößen gegen das Jugendschutz-

gesetz erwischt zu werden. Solche Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz sind
streng zu ahnden, Bußgelder müssen abschreckend sein. Hierzu ist ein Mindest-
bußgeld unabdingbar. Darüber hinaus braucht es seitens des Handels Kassen-
systeme, die akustische und optische Signale geben, sobald jugendschutzrele-
vante Produkte gekauft werden sollen.

Drucksache 16/9118 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag erinnert daran, dass im ursprünglichen Entwurf zur
Novelle des Jugendschutzgesetzes der Einsatz von Kindern und Jugendlichen
als Testkäufer ausdrücklich vorgesehen war. Dieses Vorhaben konnte die
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach berechtigter
Kritik nicht aufrechterhalten. Kinder und Jugendliche dürfen nicht zu Lücken-
büßern für mangelnde staatliche Jugendschutzkontrollen werden. Kinder, d. h.
unter 14-Jährige, sind rechtlich weder einwilligungs- noch geschäftsfähig, d. h.
Erwachsene müssten sie zu Taten verleiten, deren Kontext Kinder oft nicht aus-
reichend erfassen können. Kinder würden dazu angehalten, Erwachsenen bei
einer gesetzeswidrigen Handlung zuzusehen oder wären sogar aktiv darin in-
volviert. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird die Frage der Testkäufer nun gar
nicht geregelt. In den Bundesländern gibt es ebenfalls keinerlei gesetzliche
Regelungen. Nichtsdestotrotz werden nachweislich immer wieder Kinder als
Testkäufer beispielsweise für Alkoholika eingesetzt. Aus ethischen, pädagogi-
schen und entwicklungspsychologischen Gründen ist es unabdingbar, Einsätze
von Kindern als Testkäufer gesetzlich zu verbieten.

Der Deutsche Bundestag hält es für verantwortbar, im Rahmen eines Gesamt-
konzeptes zur Verbesserung des Gesetzesvollzugs den ergänzenden Einsatz von
über 16-jährigen Jugendlichen unter klaren gesetzlichen Maßgaben zu regeln.
Damit kann skrupellosen Geschäftspraktiken und ihren manchmal sogar töd-
lichen Folgen entgegengewirkt werden. Mindestvoraussetzungen sind eine in-
tensive pädagogische und psychologische Begleitung der Jugendlichen, eine
schriftliche Einverständniserklärung der Eltern nach deren Aufklärung über
mögliche Risiken des Einsatzes, der Ausschluss eines Einsatzes im sozialen
Nahraum der Jugendlichen sowie das Bestehen eines psychologischen Eig-
nungstests, der die Reife, Stressresistenz, emotionale Stabilität und Abgren-
zungsfähigkeit des Jugendlichen feststellt und somit das Risiko minimiert, dass
Schäden entstehen. Der Einsatz Jugendlicher als Testkäufer ist als Instrument
der Effizienzverbesserung und in der Wirkung auf die Jugendlichen wissen-
schaftlich zu evaluieren.

Der Deutsche Bundestag begrüßt jede Anstrengung, die einem verantwortungs-
vollen Jugendschutz Rechnung trägt. In diesem Sinne ist die verbesserte Sicht-
barkeit des durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) zu ver-
gebenden Altersfreigabesiegels auf Trägermedien (CDs/DVDs), wie es der
Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, ein Beitrag zu einem noch effek-
tiveren Jugendmedienschutz. Bei der Alterskennzeichnung ist neben einer bes-
seren Sichtbarkeit künftig jedoch vor allem auf verständlichere Formulierungen
zu achten.

Der Deutsche Bundestag bezweifelt, dass die Einführung neuer Gewaltbegriffe
zur Weiterentwicklung des Jugendschutzes beiträgt. Formulierungen wie
„selbstzweckhafte Gewalt“ schaffen keine Rechtsklarheit, sondern sind in der
Praxis erklärungsbedürftig und zu unbestimmt. Auch die vorliegende wissen-
schaftliche Evaluation sieht ein solches Kriterium als nicht notwendig an. Die
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) berücksichtigt den
Gewaltaspekt bereits in ihren Prüfungen. Der Deutsche Bundestag erachtet die
Formulierung in § 131 des Strafgesetzbuches für die Verfolgung von extrem
gewaltverherrlichenden Computerspielen als ausreichend.

Der Deutsche Bundestag bedauert ausdrücklich, dass die Bundesregierung die
vorliegenden Ergebnisse der Analyse des Jugendmedienschutzsystems fast
vollständig ignoriert und sinnvolle Handlungsempfehlungen der Evaluation
keinen Eingang in den vorliegenden Gesetzentwurf gefunden haben. Einige der
dort aufgeführten Vorschläge hätte die Bundesregierung ohne besondere An-
strengung mit in den vorliegenden Gesetzentwurf aufnehmen können.
Der Deutsche Bundestag kritisiert insbesondere, dass es die Bundesregierung
unterlässt, den Jugendschutz auch an das Internet und die dortigen rasanten Ent-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9118

wicklungen anzupassen. Dazu gehört vor allem, Onlinespiele in die Jugend-
schutzprüfungen einzubeziehen. Bislang ist leider völlig unklar, welche Stelle
für die Freigabe und Kennzeichnung von Onlinespielen zuständig ist. Auch das
Suchtpotential, das von bestimmten Computerspielen ausgeht, muss nach An-
sicht des Deutschen Bundestages Eingang in die Entscheidung der USK über
die Alterseinstufung von Computerspielen finden.

Der Deutsche Bundestag kritisiert darüber hinaus, dass die Bundesregierung
keine Vorschläge unterbreitet, um die langwierigen und komplizierten Ver-
fahren bei der Umsetzung der Jugendschutzregelungen zu vereinfachen und zu
verkürzen. Der Deutsche Bundestag spricht sich für systematische Koopera-
tionsregelungen zwischen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien
und den anerkannten Selbstkontrollen sowie für eine einheitliche Auslegung
der Indizierungskriterien aus. Spiele, die von der Unterhaltungssoftware Selbst-
kontrolle keine Kennzeichnung erhalten, müssen automatisch von der Bundes-
prüfstelle geprüft werden. Darüber hinaus muss das Verfahren der BPjM bei der
Telemedienindizierung beschleunigt werden. Um schnell auf extrem jugend-
gefährdende Inhalte reagieren zu können, müssen auch die freiwilligen Selbst-
kontrolleinrichtungen Indizierungen bei der BPjM anregen dürfen.

Nach Ansicht des Deutschen Bundestages sind unklare Definitionen und Ver-
antwortlichkeiten im Bereich der Telemedien ein großes Defizit für einen effek-
tiven Jugendmedienschutz. Telemedien und Telemedienanbieter müssen end-
lich klar definiert werden. Bei Internetforen oder -plattformen mit „user genera-
ted content“ muss geregelt sein, wer für die Inhalte verantwortlich ist. Da das
Internet nicht an Landesgrenzen halt macht, braucht es letztlich multinationale
Vereinbarungen für den Jugendmedienschutz. Die Europäische Union muss
hier Vorreiter sein und zumindest im europäischen Rahmen für homogene
Regelungen sorgen – wie sie es bereits ansatzweise über die Richtlinie für
audiovisuelle Mediendienste getan hat. Die Bundesregierung muss sich auf
europäischer Ebene für solche Regelungen einsetzen.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt, dass durch Maßnahmen des Jugendschut-
zes Kinder und Jugendliche einerseits vor Gefährdungen gesetzlich geschützt
und andererseits befähigt werden müssen, Gefährdungen zu bewältigen sowie
bewusst und kritisch mit ihnen umzugehen. Deshalb müssen nachhaltige politi-
sche Maßnahmen zur Förderung des eigenverantwortlichen Handelns junger
Menschen ergriffen werden. Aufklärung, Information, Prävention und Beratung
für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer sind
daher zu verbessern und zu stärken. Dazu zählen die Förderung der Medien-
kompetenz und die Thematisierung von riskantem Verhalten wie etwa exzessi-
vem Alkoholkonsum und Computerspielsucht. Dies ist die beste Grundlage für
ein gutes Aufwachsen und das Erlernen von verantwortungsbewusstem Han-
deln.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● schnellstmöglich eine umfassendere Novelle des Jugendschutzes vorzu-
legen, die die Ergebnisse der Analyse des Hans-Bredow-Instituts und die
Vereinbarungen des runden Tisches zum besseren Vollzug des Jugend-
schutzes berücksichtigt,

● gemeinsam mit den Bundesländern Mindestbußgelder für Verstöße gegen
den Jugendschutz einzuführen und einen einheitlichen Bußgeldkatalog zu
entwickeln,

● den Einsatz von Kindern als Testkäufer im Gesetz explizit auszuschließen,

Drucksache 16/9118 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
● die Einhaltung der Jugendschutzstandards im Einzel- und Versandhandel
verstärkt zu kontrollieren und hierzu den ergänzenden Einsatz von über
16-jährigen Testkäufern unter strengen Bedingungen und bei intensiver
pädagogischer und psychologischer Begleitung gesetzlich zu regeln,

● dafür zu sorgen, dass auch Onlinespiele eine Alterseinstufung erhalten, wo-
bei es für die Prüfung der Spiele einer klaren Aufgabenzuteilung zwischen
der für Spiele zuständigen Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle und der
für Onlinemedien zuständigen Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-
Diensteanbieter (FSM) bedarf,

● das mögliche Suchtpotential von Computerspielen bei der Alterseinstufung
angemessen zu berücksichtigen und Suchtprävention zu verbessern,

● auf die Einführung unklarer Gewaltbegriffe wie „selbstzweckhafte Gewalt“
im Gesetz zu verzichten,

● gemeinsam mit den Bundesländern die Begriffe „Telemedien“ und „Tele-
medienanbieter“ in den jeweiligen Gesetzen und Staatsverträgen eindeutig
zu definieren,

● für klare Verantwortlichkeiten für Inhalte auf Internetforen und -plattformen
mit „user generated content“ zu sorgen und sich hier gegenüber der Euro-
päischen Union für europaweit geltende Regelungen einzusetzen,

● ein beschleunigtes Verfahren der BPjM bei der Indizierung von Telemedien
einzuführen,

● eine optionale Möglichkeit der Vorabkontrolle von Telemedien einzuführen,

● für eine einheitliche Auslegung der Indizierungskriterien zu sorgen sowie
systematische Kooperationsregelungen zwischen BPjM und Selbstkontroll-
einrichtungen zu schaffen, so dass Spiele automatisch entweder eine Alters-
freigabe erhalten oder indiziert werden,

● die Alterskennzeichnungen verständlicher zu machen, unter anderem da-
durch, dass die Kennzeichnung „keine Jugendfreigabe“ durch die klarere
Formulierung „Freigegeben ab 18 Jahren“ ersetzt wird,

● die Angemessenheit der gegenwärtigen Altersgrenzen zu überprüfen und
gegebenenfalls differenziertere Altersgrenzen einzuführen,

● die Anregungsberechtigung für Indizierungen auf Selbstkontrolleinrichtun-
gen auszuweiten,

● dafür Sorge zu tragen, dass das Wissen über gekennzeichnete Medien ver-
breitet wird und Eltern sowie Lehrkräfte bessere Kenntnis der indizierten
Medien – insbesondere auch der Telemedien – und des Jugendschutzsystems
allgemein erhalten.

Berlin, den 7. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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