BT-Drucksache 16/9107

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD -16/8744, 16/9100- Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2008

Vom 7. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9107
16. Wahlperiode 07. 05. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Dr. Thea Dückert,
Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, Elisabeth Scharfenberg, Silke Stokar von
Neuforn, Christine Scheel, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD
– Drucksachen 16/8744, 16/9100 –

Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2008

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Große Koalition hat in den letzten Jahren durch eine Reihe von Maßnahmen
die finanzielle Situation von Rentnerinnen und Rentnern verschlechtert. Wäh-
rend jede einzelne Maßnahme für sich genommen zunächst geringe Wirkungen
zeigt, ist die Kumulation der Maßnahmen gerade für Menschen mit einem gerin-
gen Einkommen erheblich. Dies hat die Bundesregierung im Vorwahlkampf er-
kannt und will deshalb eine außerplanmäßige Erhöhung der Renten für die Jahre
2008 und 2009 vornehmen. Die Große Koalition beabsichtigt einen willkür-
lichen Eingriff in die Rentenformel. Durch diesen unstrukturierten Eingriff
schwindet in nicht wiedergutzumachender Weise das Vertrauen in die Nach-
haltigkeit der Rentenpolitik. Belastet werden sowohl die erwerbstätigen Bei-
tragszahlenden als auch die Arbeitgeber über steigende Beiträge. Mit mehr
politischer Weitsicht wäre diese Manipulation überflüssig gewesen. Die geringe
reguläre Rentenerhöhung im Jahr 2008 – trotz konjunktureller Belebung – ist
hausgemacht und durch die Politik dieser Bundesregierung verursacht: Ohne die
sozial fragwürdige Halbierung der Entgelte für Langzeitarbeitslose und die
unnötig hohe Steigerung der Beitragssätze der Versicherten wäre im Jahr 2008
eine reguläre und in der Höhe vergleichbare Rentensteigerung erfolgt.

Die Bundesregierung belastet mit dieser Politik nicht nur die Beitragszahlenden,
sondern auch die Rentnerinnen und Rentner. Denn diese Art der Rentenerhö-
hung heute wird ihnen über den Nachholfaktor in den Jahren 2012 und 2013
wieder genommen. Die Beitragszahlenden und die Arbeitgeber müssen länger
als nötig einen unangemessen hohen Beitrag finanzieren.

Menschen mit niedrigem Einkommen haben große Schwierigkeiten, die Erhö-
hung des Beitrages für die Pflegeversicherung, steigende Krankenversiche-
rungsbeiträge und die Kostensteigerungen bei Lebensmitteln und Gütern des

Drucksache 16/9107 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

täglichen Bedarfs zu verkraften. Die Erhöhung der Mehrwertsteuerer um 3 Pro-
zent hat die Inflationsrate angeheizt. Diese macht sich in Haushalten mit gerin-
gen Einkommen stark bemerkbar – bei den Renteneinkommen mit 6 Prozent.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. Die Grundsicherung im Alter muss dem sozialstaatlichen Gebot der Deckung
des Existenzminimums genügen. Mit Wirkung zum 1. Juli 2008 wird die
Regelleistung für die Grundsicherung im Alter auf 420 Euro erhöht.

2. Die Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge für Bezieherinnen und
Bezieher von Arbeitslosengeld II ist zurückzunehmen.

3. Bei der Festlegung des aktuellen Rentenwerts für das Jahr 2008 wird die ku-
mulierte Wirkung der beitragsfreien Entgeltumwandlung von 2002 bis 2007
herausgerechnet.

Berlin, den 7. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Die Große Koalition greift mit ihrem Gesetzentwurf willkürlich und unstruktu-
riert in die Rentenformel ein, um für die Jahre 2008 und 2009 eine um 0,64 Pro-
zentpunkte höhere Rentenanpassung zu erwirken. Dazu wird der Altersvor-
sorgeanteil für die sog. Riester-Treppe auf die Jahre 2012 und 2013 verschoben.
Dieser Eingriff verschiebt mögliche Beitragssenkungen nach hinten. Außerdem
wird der Eindruck erweckt, es sei jederzeit möglich, beliebig in die Renten-
formel eingreifen zu können.

Dabei ist die geringe Rentenerhöhung um 0,46 Prozentpunkte durch die Politik
dieser Bundesregierung selbst verursacht worden. Zusätzlich zu anderen renten-
dämpfenden Faktoren wirken folgende politisch motivierte Entscheidungen
negativ auf die Höhe des aktuellen Rentenwerts und damit direkt auf die Renten-
zahlungen:

● Die Halbierung der Entgelte für Leistungen zur Grundsicherung für Arbeit-
suchende (Arbeitslosengeld II) führt nicht nur zu geringeren individuellen
Rentenansprüchen, sondern entzieht der gesetzlichen Rentenversicherung
jährlich rd. 2 Mrd. Euro.

● Die Beiträge der Versicherten wurden zum 1. Januar 2007 doppelt so hoch
angehoben wie erforderlich. Um die Liquidität der gesetzlichen Rentenver-
sicherung zu gewährleisten, hätte eine Erhöhung um 0,2 statt 0,4 Prozent-
punkte ausgereicht. Bereits damals wurde vermutet, dass diese Erhöhung der
Rücklage der Rentenversicherung durch überhöhte Beiträge politische Be-
gehrlichkeiten wecken wird.

● Die beitragsfreie Entgeltumwandlung war nie mit dem Ziel eingeführt wor-
den, den Rentenwert zu dämpfen. Deshalb hätte die Entscheidung getroffen
werden müssen – ähnlich wie bei den Ein-Euro-Jobs für Langzeitarbeits-
lose –, die Wirkung der beitragsfreien Entgeltumwandlung bei der jährlichen
Anpassung des Rentenwerts herauszurechnen. Die Bundesregierung hat dies
versäumt, obwohl sie gleichzeitig die Entgeltumwandlung unbefristet fort-
setzt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9107

Die dämpfende Wirkung der beitragsfreien Entgeltumwandlung wurde erst mit
Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors erzeugt. Aus diesem Grund ist es poli-
tisch begründbar, die kumulierte Wirkung der beitragsfreien Entgeltumwand-
lung bei der Berechnung des Rentenwerts herauszurechnen. Im Unterschied
zum Vorgehen der Großen Koalition würde somit nicht willkürlich in die Ren-
tenformel eingegriffen werden. Zum Ende des Jahres 2008 wird eine neue Stu-
die zur fortgesetzten Wirkung der beitragsfreien Entgeltumwandlung erwartet.
Die Ergebnisse dieser Studie wären dazu geeignet, grundsätzlich zu entscheiden,
ob die beitragsfreie Entgeltumwandlung auch zukünftig bei der Berechnung des
aktuellen Rentenwerts einbezogen oder herausgerechnet werden muss.

Die Beschäftigten sowie die Menschen im Rentenalter sollen gleichermaßen von
der Entwicklung des Wohlstands profitieren. Das Gleiche gilt aber auch für die
Belastungen. Aus diesem Grund verbieten sich einseitige und politisch kurzsich-
tige Eingriffe in die Rentenformel. Denn sie zerstören nachhaltig das Vertrauen
in die dauerhafte Wirkung einer Rentenpolitik, die keine Generation einseitig
belasten darf.

Gleichwohl müssen wir die Situation der Menschen mit kleinem Einkommen in
den Blick nehmen, die durch steigende Belastungen infolge von höheren Sozial-
abgaben und einer deutlich gestiegenen Inflationsrate besonders belastet wer-
den. Die Lebensmittelpreise und andere Güter des täglichen Bedarfs sind im
Verlauf des zurückliegenden Jahres erheblich gestiegen. Dies gilt umso mehr, je
niedriger das Einkommen im Alter ist. Während die Erwerbstätigen durch eine
Beitragssenkung bei der Arbeitslosenversicherung entlastet wurden, entfiel
diese Entlastung bei Menschen im Rentenalter. Aus diesem Grund zielen unsere
Vorschläge darauf ab, auch die Menschen im Rentenalter an der konjunkturellen
Belebung im bescheidenen Umfang teilhaben zu lassen.

Für das Jahr 2008 besteht ein Handlungsbedarf, um auf die von der Großen
Koalition politisch verursachte geringe reguläre Rentensteigerung eine Antwort
zu geben, die ohne negative langfristige Wirkungen bleibt und auf willkürlich
Eingriffe in die Rentenformel verzichtet.

Zu Abschnitt II

Zu Nummer 1

Nach Auffassung von Sozialexperten und Wohlfahrtverbänden sichern die
Regelleistungen für die Grundsicherung im Alter nicht das soziokulturelle
Existenzminimum. Sie müssten (ohne die Kosten für Unterkunft und Heizung)
bei bedarfsgerechter Ausgestaltung und unter Berücksichtigung der Preis-
entwicklung heute mindestens 420 Euro betragen.

Zu Nummer 2

Die von der Großen Koalition festgelegte Halbierung schadet individuell den
Menschen, die Arbeitslosengeld-II-Leistungen beziehen. Der gesetzlichen Ren-
tenversicherung werden jährliche Einnahmen von 2 Mrd. Euro entzogen.

Zu Nummer 3

Wir schlagen eine Neufestlegung des aktuellen Rentenwerts vor, die die nega-
tiven Rentenwirkungen der Entgeltumwandlung ausgleicht. Bei dieser Lösung
wird nicht in die Rentenformel eingegriffen. Gleichzeitig wird für 2008 eine
prozentuale Rentensteigerung erreicht, die die durch die Bundesregierung poli-
tisch verursachte Rentendämpfung korrigiert.

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