BT-Drucksache 16/8961

Post Mindestlohnverordnung

Vom 23. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8961
16. Wahlperiode 23. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Martin Zeil, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, Daniel Bahr
(Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Michael
Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef
Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster,
Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der
Fraktion der FDP

Post Mindestlohnverordnung

Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
wurde im Dezember 2007 die Branche der Briefdienstleistungen in das Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Dem Bundesminister für Arbeit und
Soziales wurde damit die Möglichkeit eingeräumt, tarifvertragliche Mindest-
lohnregelungen ohne Zustimmung des Tarifausschusses des Bundes, der seine
ablehnende Haltung bereits signalisiert hatte, für allgemeinverbindlich zu er-
klären. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales erklärte den Mindestlohn-
tarifvertrag sodann durch Rechtsverordnung vom 28. Dezember 2007 für allge-
meinverbindlich, ohne zuvor den Betroffenen, wie dies gesetzlich vorgeschrie-
ben ist, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Im März 2008 erklärte das Verwaltungsgericht Berlin die Rechtsverordnung
über die Einführung eines einheitlichen Post-Mindestlohns für nichtig (Az.:
VG 4 A 439.07). Mit diesem Urteil setzte das Verwaltungsgericht Berlin dem
„Monopolkampf mit allen Mitteln“ (Monopolkommission) der Deutschen Post
AG ein vorläufiges Ende. Nach Auffassung des Gerichts fehlt der Mindestlohn-
verordnung die notwendige gesetzliche Grundlage. Das Arbeitnehmer-Entsen-
degesetz erlaube die Erstreckung eines Tarifvertrages nur auf „alle nicht tarif-
gebundenen Arbeitgeber“, also auf Arbeitgeber, die nicht an einen anderen
Tarifvertrag gebunden seien. Die Verordnung wird dieser Bedingung nicht
gerecht. Damit ist diese nach Auffassung des Gerichts nicht mehr von der Er-

mächtigungsgrundlage des § 1 Abs. 3a Arbeitnehmer-Entsendegesetz gedeckt
und folglich rechtswidrig.

Das Gericht stellte ausdrücklich klar, dass die Kläger in ihren Rechten auch un-
abhängig von der Frage verletzt werden, ob die konkurrierenden Tarifverträge
mit der Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ), deren
Tariffähigkeit die Bundesregierung in Abrede stellt, wirksam sind. Ferner stellt
das Gericht klar, dass die Kläger in jedem Fall Träger des Grundrechts der

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Koalitionsfreiheit sind. So heißt es in der Urteilsbegründung: „Von seinem
Schutzbereich erfasst sind sowohl die Bildung einer Koalition, wie sie der Bun-
desverband der Kurier-Express-Post-Dienste darstellt, als auch deren Wirken
zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, die
Mitglieder einer Koalition, wie TNT und PIN, als für sich verbindlich anse-
hen“. Die Tarifverträge mit der GNBZ fallen damit in den Schutzbereich des
Artikels 9 Abs. 3 des Grundgesetzes. Des Weiteren monierten die Richter, dass
sich die Bundesregierung beim Erlass der Verordnung „nicht um die Folgen der
Verordnung für die betroffene Branche gekümmert habe“. Demnach ist nach
der sorgfältig und überzeugend begründeten Entscheidung des Verwaltungsge-
richts Berlin die Mindestlohn-Verordnung nichtig und damit unbeachtlich.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales verkündet aber dessen
ungeachtet auf seinen Internetseiten: „Die Mindestlohnverordnung bleibt
weiterhin in Kraft.“ (http://www.bmas.de/coremedia/generator/24852/2008_
03_07_mindestlohn_postdienstleister.html; Stand: 15. April 2008). Nach
Ansicht von Experten entsteht durch diesen schwebenden Zustand eine Rechts-
unsicherheit bei den betroffenen Unternehmen, was sich negativ auf die Inves-
titionsbereitschaft niederschlagen kann. Langfristig besteht die Gefahr eines
wieder abnehmenden Wettbewerbs, wenn diese Unternehmen den Markt ver-
lassen, Arbeitsplätze abgebaut werden und letztlich Verbraucherpreise steigen.

Darüber hinaus werden mit der Mindestlohnverordnung auch europarechtliche
Aspekte betroffen. So hat das Post- und Expressdienstleistungsunternehmen
TNT eine förmliche Beschwerde bei der Europäischen Kommission einge-
reicht, da die in Artikel 43 EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit durch
die Mindestlohnverordnung verletzt wird. Durch die Festsetzung überhöhter
Mindestlöhne wird es den Wettbewerbern der Deutschen Post AG unmöglich
gemacht, sich auf dem deutschen Markt zu etablieren. Ferner müssen gegebe-
nenfalls die Europäische Kommission und die deutschen Gerichte prüfen, ob
die Mindestlohnverordnung als eine Maßnahme anzusehen ist, die den Wettbe-
werbsvorschriften des EG-Vertrages (Artikel 81, 82) widerspricht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie begründet die Bundesregierung die Aussage des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales „Die Bundesregierung hat eine klare und fundierte
Rechtsauffassung zur Rechtmäßigkeit der Mindestlohnverordnung Brief-
dienstleistungen“ und ihre Entscheidung, dass die Post-Mindestlohn-
verordnung in Kraft bleibt unter Bezugnahme auf das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Berlin, das die Rechtsverordnung über die Einführung eines
einheitlichen Post-Mindestlohns für rechtswidrig erklärt hat?

2. Mit welcher Begründung hat die Bundesregierung den Mindestlohntarif-
vertrag durch Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich erklärt, ohne
zuvor den Betroffenen, wie dies gesetzlich vorgeschrieben ist, Gelegenheit
zur Stellungnahme zu geben?

3. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass über die Wirksamkeit der Ver-
ordnung die Gerichte entscheiden und nicht der zuständige Bundesminister
für Arbeit und Soziales?

4. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die entstandene Rechts-
unsicherheit bei den betroffenen Unternehmen zu beenden und wie ist der
genaue Planungsstand?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass die Rechtsunsicherheit
dazu führen kann, dass einige Unternehmen nicht mehr investieren, den
Markt verlassen und damit Tausende von Arbeitsplätzen gefährdet sind?

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6. Wie beurteilt die Bundesregierung mit Blick auf ihre Unterstellung im Ver-
ordnungsverfahren, vertrauenswürdige und zuverlässige Arbeitnehmer seien
für einen Stundenlohn von unter 9,80 Euro nicht zu finden, die Aussage des
Berliner Verwaltungsgerichts, wonach Redlichkeit nicht vom Gehalt ab-
hänge?

7. Verstößt nach Ansicht der Bundesregierung die Mindestlohn-Verordnung
gegen die in Artikel 43 EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit?

Wenn nein, warum nicht?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die förmliche Beschwerde des Post- und
Expressdienstleisters TNT, die dieser bei der Europäischen Kommission ein-
gereicht hat, da nach Ansicht von TNT die Mindestlohnverordnung gegen
die in Artikel 43 EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit verstößt und
durch die Festsetzung überhöhter Mindestlöhne es den Wettbewerbern der
Deutschen Post unmöglich gemacht wird, auf dem deutschen Markt Fuß zu
fassen?

9. Widerspricht nach Ansicht der Bundesregierung die Mindestlohnverord-
nung den Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrages (Artikel 81, 82)?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 23. April 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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