BT-Drucksache 16/8940

Entwicklung der Alterseinkünfte und des Armutsrisikos insbesondere in den neuen Bundesländern

Vom 23. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8940
16. Wahlperiode 23. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Paul K.
Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß,
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann,
Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Entwicklung der Alterseinkünfte und des Armutsrisikos insbesondere in den
neuen Bundesländern

Das Thema Altersarmut, insbesondere in den neuen Bundesländern, wird seit
längerem in Wissenschaft, Medien und Politik intensiv diskutiert. Die Bundes-
regierung weigert sich bisher aber, trotz Fristüberschreitung, den 3. Armuts-
und Reichtumsbericht vorzulegen und damit aktuell auf die Diskussion ein-
zugehen. Der Armuts- und Reichtumsbericht ist jeweils in der Mitte der Legis-
laturperiode den gesetzgebenden Körperschaften vorzulegen.

Bereits existierende Studien zum Thema Alterseinkünfte und Armutsrisiko in
den neuen Bundesländern widersprechen sich. Die Studie „Untersuchung zur
Altersvorsorge in Deutschland 2005“, erstellt im Auftrag der Bundesregierung
und der Deutschen Rentenversicherung, kommt zu dem Ergebnis, dass auch in
Zukunft in den neuen Ländern kein Einbruch des Niveaus der Nettoalters-
einkommen zu erwarten ist und damit keine Ausweitung von Altersarmut
droht. Zu einem anderen Ergebnis kommt die Analyse „Auskömmliche Alter-
seinkünfte in Ostdeutschland?“, vom 20. März 2008, des Finanzministers von
Sachsen-Anhalt, Jens Bullerjahn, und des Sozialministers von Mecklenburg-
Vorpommern, Erwin Sellering. Sie begründen ihr abweichendes Ergebnis ins-
besondere mit folgenden Argumenten:

Nach der Wiedervereinigung wurden viele Menschen in den neuen Bundes-

ländern von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Anzahl der Personen, die mindes-
tens 6 Monate ALG II bezogen haben, liegt in den neuen Bundesländern fast
doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern. Ein Jahr Bezug von Arbeits-
losengeld II erbringt einen monatlichen Rentenanspruch von 2,19 Euro.

Daneben liegen die Löhne in den neuen Bundesländern bis heute deutlich unter
dem Niveau der Löhne in den alten Bundesländern, bei etwa 80 Prozent.
20 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern verdienen nur 7,50 Euro

Drucksache 16/8940 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

in der Stunde oder weniger. Dies reicht laut Studie kaum aus, um Anwartschaf-
ten in Höhe der Grundsicherung im Alter, d. h. etwa 650 Euro aufzubauen.

Insgesamt wirft diese Studie die Frage auf, ob die zunehmende Spreizung von
Altersanwartschaften und Einkommen in der AVID-2005-Studie ausreichend
berücksichtigt wurden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Studie „Auskömmliche
Alterseinkünfte in Ostdeutschland?“, dass in den neuen Bundesländern ab
dem Jahr 2025 eine erheblich größere Zahl an älteren Menschen als heute
Grundsicherung im Alter wird beziehen müssen, und wie begründet die
Bundesregierung ihre Auffassung?

2. Mit welchem Prozentsatz an tatsächlichen Grundsicherungsbeziehern im
Alter an den Beziehungsberechtigten insgesamt rechnet die Bundesregie-
rung im Zeitraum bis zum Jahr 2030 in den neuen und den alten Bundes-
ländern?

3. Welche Personengruppen werden dabei in welchem Ausmaß besonders
betroffen sein?

4. Werden sich nach Ansicht der Bundesregierung das Altersarmutsrisiko und
die Zahl der Grundsicherungsbezieher zwischen den alten und den neuen
Bundesländern ab 2020 eher angleichen oder werden das Altersarmuts-
risiko und die Zahl der Grundsicherungsbezieher in den neuen Bundes-
ländern deutlich höher bleiben als in den alten Bundesländern?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Studie von Bullerjahn und
Sellering, dass ein Versicherter mit 1 300 Euro Monatsverdienst, das ent-
spricht einer 40-Stundenwoche und 7,50 Euro Stundenlohn, in 2025 keine
Rente über Grundsicherungsniveau erreichen wird?

6. Wie viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in den neuen bzw.
alten Bundesländern erhalten ein Monatsgehalt von 1 300 Euro brutto und
weniger, und wie hoch ist dieser Anteil an den insgesamt sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigten?

7. Wie viele Erwerbstätige in den neuen bzw. alten Bundesländern verfügen
über ein Monatseinkommen von 1 300 Euro brutto und weniger, und wie
hoch ist dieser Anteil an den insgesamt Erwerbstätigen?

8. Führt die Tatsache, dass in den neuen Bundesländern das Lohnniveau bei
etwa 80 Prozent des Lohnniveaus in den alten Ländern verharrt, und die
Tatsache dass die Zahl der Leistungsbezieher von ALG II in den neuen
Ländern, prozentual gemessen an der Bevölkerung, doppelt so hoch ist wie
in den alten Bundesländern, seit der Wiedervereinigung zu deutlich niedri-
geren Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung in den neuen
Bundesländern als in den alten Bundesländern?

9. Liegen die in den neuen Ländern entstehenden Rentenanwartschaften von
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten damit im Schnitt 20 Prozent
unter den entstehenden Anwartschaften in den alten Ländern?

10. Wie ist die Schichtung der aufgebauten Rentenanwartschaften in den neuen
Bundesländern, geordnet nach Einkommenshöhe und Altersgruppen, und
wie verhält sie sich zu den entsprechenden Anwartschaften in den alten
Bundesländern?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8940

11. Müssen die um 20 Prozent niedrigeren Einkommen und längeren Zeiten
der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern nicht zwangsläufig dazu
führen, dass sich die bestehende Differenz bei den Armutsquoten zwischen
alten (12 Prozent) und neuen Bundesländern (17 Prozent) aus dem Jahre
2005 in Zukunft weiter auseinanderentwickelt?

12. Trifft es zu, dass in den neuen Bundesländern viele Beschäftigte und
Erwerbstätige keine oder zumindest weniger private und betriebliche
Zusatzversorgung aufbauen als in den alten Bundesländern, und kann die
Bundesregierung Angaben über den Verbreitungsgrad privater und be-
trieblicher Altersvorsorge in den neuen Bundesländern machen?

13. Teilt die Bundesregierung die Kritik der Studie von Bullerjahn und
Sellering, dass in der Studie AVID 2005 keine Angaben über die wirk-
liche Kaufkraft der Renten in der Zukunft gemacht wurden, weil die
Inflation nicht in dieser Studie berücksichtigt wurde?

14. Warum werden weder im Rentenversicherungsbericht noch in den Renten-
informationen der Versicherten bei den Informationen über die Ent-
wicklung des Rentenwertes bzw. der individuellen Rentenansprüche die
Inflation und die Entwicklung der realen Kaufkraft im Vergleich zu heute
angegeben, bzw. mit Varianten von 1 und 2 Prozent Inflation jährlich?

15. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass eine garantierte Rente ober-
halb des Grundsicherungsniveaus für Versicherte mit mindestens 35 Bei-
tragsjahren ein geeignetes Mittel darstellt, die Altersarmutsproblematik in
den neuen und alten Bundesländern zu lösen?

16. Welche Bevölkerungsgruppen sind in den alten und den neuen Bundes-
ländern besonders vom Armutsrisiko betroffen, und wie hat sich deren
Armutsrisiko in den letzten 10 Jahren entwickelt?

17. Warum legt die Bundesregierung den 3. Armuts- und Reichtumsbericht
nicht fristgerecht zur Mitte der Legislaturperiode vor, die bereits seit
Herbst 2007 verstrichen ist?

Berlin, den 23. April 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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