BT-Drucksache 16/8903

Rechtsstaatlichkeit sichern - Effektiven Rechtsschutz bei Terrorismusbekämpfung schaffen

Vom 23. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8903
16. Wahlperiode 23. 04. 2008

Antrag
der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Florian Toncar, Dr. Max
Stadler, Ernst Burgbacher, Gisela Piltz, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Christian
Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Paul K.
Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Michael
Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen,
Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg
Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und
der Fraktion der FDP

Rechtsstaatlichkeit sichern – Effektiven Rechtsschutz bei
Terrorismusbekämpfung schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der internationale Terrorismus stellt eine ernstzunehmende Bedrohung für die
Sicherheit weltweit dar. Zur weltweiten Bekämpfung des Terrorismus ist eine
enge Kooperation innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft auf Ebene
der Vereinten Nationen (VN) und der Europäischen Union (EU) notwendig, an
der sich auch die Bundesrepublik Deutschland engagiert beteiligt. Um den Ge-
fahren des internationalen Terrorismus wirksam zu begegnen, haben die VN und
die EU so genannte targeted sanctions eingeführt. Die Durchführung dieser
Maßnahmen zur Terrorbekämpfung darf jedoch nicht dazu führen, dass durch
staatliche Eingriffe rechtsstaatliche Grundsätze und die Achtung der Menschen-
rechte ausgehebelt oder gar aufgegeben werden.

Bei der praktischen Umsetzung des so genannten Listungsverfahrens auf VN-
und EU-Ebene, welches Teil des genannten Maßnahmenpakets zur Terrorismus-
bekämpfung ist, treten substanzielle rechtsstaatliche Defizite offen zu Tage. Mit
dem Listungsverfahren soll gezielt gegen einzelne terrorverdächtigte Personen,

Gruppen und Organisationen vorgegangen werden. Dazu gehören das Einfrieren
von Konten, der Zugriff auf wirtschaftliche Ressourcen, Reisebeschränkungen
sowie die Verweigerung bestimmter staatlicher Dienstleistungen.

Drucksache 16/8903 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Auf der VN-Ebene basiert das Listungsverfahren auf den Resolutionen 1267
(1999) und 1333 (2000) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Diese rich-
ten sich in erster Linie gegen die Taliban, Al Qaida, Osama bin Laden sowie
damit verbundene Organisationen und Personen. Der Inhalt dieser Resolutionen
wurde im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)
vom Rat der Europäischen Union in einem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/
GASP am 27. Dezember 2001 übernommen und unter anderem durch die Ver-
ordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 (und darauf folgende Rechtsakte
der EU) für das hoheitliche Handeln der EU-Mitgliedstaaten umgesetzt. Da-
durch wurde auch auf EU-Ebene ein Listungsverfahren zur Sanktionierung der
von den VN identifizierten entsprechenden Organisationen und Individuen ge-
schaffen.

Zum Zweck der Listenaufstellung wurde auf VN-Ebene der Sanktionsausschuss
des VN-Sicherheitsrates („The Al-Qaida and Taliban Sanctions Committee“)
eingesetzt, der auf Antrag der Mitgliedstaaten die entsprechenden terrorver-
dächtigen Organisationen und Personen auf diese „VN-Terrorliste“, auch
„schwarze Liste“ („black list“) genannt, setzt. Darüber hinaus werden mitglied-
staatliche Behörden benannt, die Maßnahmen gegen diese Verdächtigen durch-
setzen sollen. Problematisch an diesem Verfahren ist, dass die Staaten, die Lis-
tungsanträge stellen, dem Sanktionsausschuss zumeist nicht die notwendigen
Informationen bzw. Beweise übermitteln, um dem Sanktionsausschuss eine
unabhängige Beurteilung der gegen die Organisationen oder Personen vorge-
brachten Vorwürfe zu ermöglichen.

Die bisherige Anwendung zeigt, dass die Begrenzung so genannter targeted
sanctions auf den Kreis der tatsächlich mit dem Terrorismus in Verbindung ste-
henden Organisationen und Personen schwierig ist. So wurden auch unschuldige
Bürger Opfer staatlicher Sanktionen, die für die Betroffenen erhebliche Härten
bedeuten. Die Rechtsfolgen dieser Maßnahmen, wie das Einfrieren des kom-
pletten Vermögens der Gelisteten sowie Ein- und Durchreiseverbote, stellen
schwerwiegende Eingriffe in die Menschenrechte der Betroffenen dar. Bislang
ist es nicht gelungen, den Betroffenen Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen zu
eröffnen, der rechtsstaatlichen Anforderungen genügen würde.

Der Fall von Youssef Nada verdeutlicht in drastischer Weise, welchen Konse-
quenzen sich auch unbescholtene Bürger ausgesetzt sehen, die irrtümlich oder
zu Unrecht gelistet werden. Im Jahr 2001 wurde Youssef Nada auf die VN-
Terrorliste aufgenommen; seither kann er nicht mehr auf seine Vermögenswerte
zugreifen, und die Schweiz verhängte für ihn eine Ein- und Durchreisesperre. Da
er in der italienischen Enklave Campione lebt, für deren Verlassen er schweize-
risches Gebiet passieren muss, wirkt sich diese Durchreisesperre wie ein Verbot
des Verlassens des Wohnorts aus.

Der gegen ihn vorgebrachte Vorwurf, er habe die Terrororganisation Al Qaida
finanziell unterstützt, konnte in strafrechtlichen Verfahren aus Mangel an Be-
weisen weder in der Schweiz noch in Italien erhärtet werden. Daher beantragte
Youssef Nada die Löschung seines Namens von der Liste sowohl bei den VN
als auch bei dem Bundesgericht in der Schweiz; jedoch ohne Erfolg. Neben der
Beschränkung seiner Bewegungsfreiheit hat die fortgesetzte Listung für ihn
bereits zu finanziellen Einbußen in beträchtlichem Umfang geführt, für die er
keinerlei Entschädigung erhalten hat.

Die VN haben durch Sicherheitsrats-Resolution 1730 (2006) einen so genannten
focal point zur Streichung gelisteter Personen und Organisationen eingerichtet.
Dieser kann jedoch keinen effektiven Rechtsschutz gewährleisten wie etwa ein
unabhängiges Gericht. Bei dem „focal point“ handelt es sich ausschließlich um
eine Verwaltungsbehörde, die Anträge auf Streichung von der VN-Terrorliste

annimmt, diese jedoch weder bescheiden noch direkt an den Sanktionsausschuss
weiterleiten kann. Auch die nach Sicherheitsrats-Resolution (2006) einzuhal-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8903

tenden Verfahrensbestimmungen bei der Listung, wie die Benachrichtigung ge-
listeter Personen und Organisationen, haben keinen rechtsverbindlichen Charak-
ter und sind größtenteils bloße Empfehlungen an die Mitgliedstaaten.

Der Berichterstatter des Europarates, Dick Marty, hat in seinem Bericht „United
Nations Security Council and European Union blacklists“ vom 16. November
2007 ausgeführt, „die Sanktionsregime sehen, wenn überhaupt, wenig Schutz
der grundlegenden Verfahrensrechte einschließlich des Rechts auf ein gerechtes
Verfahren, auf Information über die Anklagepunkte und das Beweismaterial, auf
ein Verfahren innerhalb angemessener Fristen, auf Zugang zu einem unparteii-
schen Überprüfungsmechanismus, auf Entschädigung im Falle fälschlicher Ver-
hängung von Sanktionen, die Grundrechte verletzen, und auf eine mit Gründen
versehene Entscheidung vor“ (Doc. 11454, C III § 12).

Die Bundesregierung wurde durch die parlamentarische Versammlung des
Europarates am 23. Januar 2008 mit überwältigender Mehrheit durch die Reso-
lution 1597 (2008) und die Empfehlung 1824 (2008) aufgefordert, ihren
Einfluss im VN-Sicherheitsrat und im Rat der Europäischen Union geltend zu
machen, um die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten
Grundsätze und Rechte bei der Umsetzung der „targeted sanctions“ zu gewähr-
leisten.

Auch der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, Miguel Poiares Maduro,
hat in seinen Schlussanträgen zu mehreren gegen die Verordnung (EG) Nr. 881/
2002 vorliegenden Klagen ausgeführt, dass diese Verordnung und die erst-
instanzlichen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hierzu
die Grundrechte der Betroffenen auf rechtliches Gehör, effektive gerichtliche
Kontrolle und Eigentum beeinträchtigen. Folglich schlägt er dem EuGH vor, die
erstinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Verordnung für nichtig zu erklären.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Hans-Jürgen Papier, stellt in
einem am 14. Januar 2008 im Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ veröffent-
lichten Interview fest, dass „die Betreffenden, die auf eine solche Liste kommen,
weder vorher angehört werden noch dass ihnen die Gründe mitgeteilt werden,
weshalb sie aufgeführt sind. Die zugrunde liegenden Beweise werden nicht mit-
geteilt und es gibt keinen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.“

Die Mitgliedstaaten der VN, des Europarates und der EU müssen die für sie
verbindlichen Sanktionen umsetzen können, ohne ihre Verpflichtungen aus
völkerrechtlichen Verträgen, wie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und
politische Rechte oder der Europäischen Menschrechtskonvention, zu verletzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

auf die Mitglieder im VN-Sicherheitsrat sowie im Sanktionsausschuss der Ver-
einten Nationen aktiv dahingehend einzuwirken, dass

– verfahrensbezogene und materiell-rechtliche Standards des effektiven
Rechtsschutzes der Betroffenen im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfah-
rens garantiert werden;

– gewährleistet wird, dass die Betroffenen Zugang zu einem unabhängigen und
unparteiischen Gremium haben, das über die Rechtmäßigkeit ihrer Auf-
nahme in die „VN-Terrorliste“ entscheidet;

– diesem Gremium gegebenenfalls auch Einsicht in belastendes Beweismate-
rial unter Wahrung des Datenschutzes gewährt wird und es die Streichung der
Betroffenen von der „VN-Terrorliste“ vornehmen kann;

– sichergestellt wird, dass der Betroffene von den gegen ihn erhobenen Vor-

würfen direkt sowie umfassend informiert wird, und er Gelegenheit zur Stel-
lungnahme hat;

Drucksache 16/8903 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
– im Falle einer unrechtmäßigen Listung dem Betroffenen Schadenersatz ge-
währt wird;

– ausreichend klare Definitionen der Gründe für die Aufnahme auf die „VN-
Terrorliste“ sowie der hierfür geltenden Beweisanforderungen geschaffen
werden;

– eine zeitliche Befristung der Listung der Betroffenen vorgesehen wird, nach
deren Ablauf über den Verbleib des Betroffenen auf der „VN-Terrorliste“ neu
entschieden wird;

sich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass

– sowohl das Listungsverfahren als auch die Sanktionsmaßnahmen dem
Grundrechtsstandard der EU genügen;

– die Praxis der vorbehaltlosen Übernahme der „VN-Terrorliste“ ohne eigene
Überprüfung seitens der EU eingestellt wird;

– gewährleistet wird, dass die von der Listung Betroffenen Zugang zur Ge-
meinschaftsgerichtsbarkeit haben und dass diese über die Rechtmäßigkeit
ihrer Aufnahme auf die Liste nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/
2002 entscheiden kann;

– der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit Einsicht in belastendes Beweismaterial
gewährt wird, damit sie über den materiell-rechtlichen Befund der Listung
entscheiden kann;

– die Entscheidungen der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit bei der Zusammen-
stellung der Liste nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 bindend
berücksichtigt werden;

– der Betroffene, soweit möglich, vor seiner Listung angehört wird;

– im Falle einer unrechtmäßigen Listung dem Betroffenen Schadenersatz
gewährt wird und dieser von der Liste gestrichen wird;

– ausreichend klare Definitionen der Gründe für die Aufnahme auf die Liste
nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 sowie der hierfür gelten-
den Beweisanforderungen geschaffen werden;

– eine zeitliche Befristung der Listung der Betroffenen vorgesehen wird, nach
deren Ablauf über den Verbleib des Betroffenen auf der Liste nach Artikel 2
der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 neu entschieden wird.

Berlin, den 23. April 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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