BT-Drucksache 16/8757

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Erstes Mindestarbeitsbedingungen-Änderungsgesetz - 1. MiArbGÄndG)

Vom 9. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8757
16. Wahlperiode 09. 04. 2008

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Birgitt Bender, Dr. Gerhard Schick,
Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen
(Erstes Mindestarbeitsbedingungen-Änderungsgesetz – 1. MiArbGÄndG)

A. Problem

Es gibt zunehmend Wirtschaftszweige, in denen es bundesweit oder auf regio-
naler Ebene entweder keine Tarifverträge gibt oder eine Tarifbindung nur für
eine Minderheit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen oder der Arbeitge-
ber besteht. In diesen Bereichen bedarf es eines Verfahrens zur Sicherstellung
angemessener (Mindest)Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer und Arbeitneh-
merinnen.

B. Lösung

Das bisher in der Praxis nicht angewandte Mindestarbeitsbedingungengesetz
von 1952 wird mit Blick auf diese Problemstellung überarbeitet.

C. Alternativen

Keine

D. Finanzielle Auswirkungen

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Keine

2. Vollzugsaufwand

Kosten für Hauptausschuss und Fachausschüsse.
E. Sonstige Kosten

Durch die Neuregelung des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeits-
bedingungen kann die deutsche Wirtschaft mittelbar kostenseitig belastet wer-
den. Kosteninduzierte Einzelpreiserhöhungen lassen sich nicht ausschließen.
Unmittelbare Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbrau-
cherpreisniveau, sind jedoch nicht zu erwarten. Mit der Festsetzung von Min-
destarbeitsbedingungen verbundene Erhöhungen der Einkünfte der Arbeitneh-

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mer und Arbeitnehmerinnen haben entsprechende Mehreinnahmen des Fiskus
und der Sozialversicherungsträger zur Folge.

F. Bürokratiekosten

Durch das Änderungsgesetz werden keine Informationspflichten im Sinne des
Normenkontrollratgesetzes eingeführt, geändert oder aufgehoben.

G. Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung

Die Festsetzung von Mindestlöhnen kann in der Praxis auftretenden ge-
schlechtsspezifischen Lohndiskriminierungen entgegenwirken. Dies käme
tendenziell den im Niedriglohnbereich regelmäßig überproportional vertretenen
Frauen zugute.

jedes zu berufende Mitglied oder seinen Stellvertreter Mindestarbeitsbedingungen unterbreiten. Der Hauptaus-

jeweils zwei Personen vor. Die Mitglieder dürfen
nicht Repräsentanten eines Wirtschaftsverbandes
oder einer Organisation der Arbeitgeber oder Arbeit-
nehmer sein oder zu diesen in einem ständigen
Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis stehen
oder im letzten Jahr vor ihrer Berufung zum Mitglied

schuss soll innerhalb von sechs Monaten nach Unterbrei-
tung eines Vorschlags nach Satz 1 über die Festsetzung,
Änderung oder Aufhebung einer entsprechenden Min-
destarbeitsbedingung entscheiden.“

4. § 4 wird wie folgt geändert:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8757

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen
(Erstes Mindestarbeitsbedingungen-Änderungsgesetz – 1. MiArbGÄndG)

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Gesetzes zur Festsetzung
von Mindestarbeitsbedingungen

Das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeits-
bedingungen in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliede-
rungsnummer 802-2, veröffentlichten bereinigten Fassung,
zuletzt geändert durch Artikel 224 der Verordnung vom
31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407), wird wie folgt geändert:

1. § 1 wird wie folgt geändert:

In Absatz 2 werden nach dem Wort „Arbeitsbedingun-
gen“ die Wörter „bundesweit oder regional“ eingefügt
und die Buchstaben a bis c werden durch die Wörter „in
einem Wirtschaftszweig bundesweit oder regional die
an Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber weniger als
50 vom Hundert der unter den Geltungsbereich dieser Ta-
rifverträge fallenden Arbeitnehmer beschäftigen“ ersetzt.

2. § 2 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 wird nach dem Wort „einen“ das Wort
„ständigen“ eingefügt.

b) Absatz 2 wird wie folgt geändert:

aa) Satz 1 wird wie folgt geändert:

aaa) Die Wörter „dem Bundesminister für Arbeit
und Soziales oder einer von ihm bestimmten
Person als Vorsitzendem“ werden durch die
Wörter „einem Vorsitzenden“ ersetzt.

bbb) Die Wörter „je fünf Vertretern der Gewerk-
schaften und der Vereinigungen der Arbeit-
geber als“ werden durch die Wörter „sechs
weiteren ständigen“ ersetzt.

bb) Dem Absatz 2 wird folgender Satz angefügt:

„Alle Mitglieder müssen über besondere soziale
und ökonomische Kenntnisse verfügen.“

c) Absatz 3 wird wie folgt gefasst:

„(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Sozia-
les beruft jeweils drei der Mitglieder und ihre Stell-
vertreter auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der
Arbeitgeber und der Arbeitnehmer für die Dauer von
drei Jahren. Die Spitzenorganisationen schlagen für

übt, so erfolgt die Berufung durch das Bundesminis-
terium für Arbeit und Soziales.“

d) Absatz 4 wird wie folgt gefasst:

„(4) Der Vorsitzende wird auf Vorschlag der Mit-
glieder des Ausschusses vom Bundesministerium für
Arbeit und Soziales berufen. Können sich die Mitglie-
der nicht mehrheitlich auf einen Vorschlag für einen
Vorsitzenden verständigen, wird er mit Zustimmung
der Bundesregierung durch das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales berufen.“

e) Der bisherige Absatz 4 wird Absatz 5 und wie folgt
gefasst:

„(5) Der Hauptausschuss ist beschlussfähig, wenn
alle Mitglieder anwesend oder vertreten sind. Der
Ausschuss kann sich eine Geschäftsordnung geben.“

f) Der bisherige Absatz 5 wird Absatz 6 und ihm werden
folgende Sätze angefügt:

„Die Mitglieder unterliegen bei der Wahrnehmung ihrer
Tätigkeit keinen Weisungen. Sie erhalten eine ange-
messene Entschädigung für den von ihnen aus der
Wahrnehmung ihrer Tätigkeit erwachsenden Ver-
dienstausfall und Aufwand sowie Ersatz der Fahrtkos-
ten entsprechend den für die ehrenamtlichen Richter
der Arbeitsgerichte geltenden Vorschriften. Die Ent-
schädigung und die erstattungsfähigen Fahrtkosten
setzt im Einzelfall der Vorsitzende des Ausschusses
fest.“

3. § 3 wird wie folgt gefasst:

㤠3

(1) Der Hauptausschuss kann unter umfassender
Berücksichtigung der sozialen und ökonomischen Aus-
wirkungen beschließen, ob für Wirtschaftszweige bun-
desweit oder regional Mindestarbeitsbedingungen fest-
gesetzt, geändert oder aufgehoben werden sollen. Der
Beschluss des Hauptausschusses, der schriftlich zu be-
gründen ist, bedarf der Zustimmung des Bundesministe-
riums für Arbeit und Soziales.

(2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales,
die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Ar-
beitnehmer und die Landesregierungen können dem
Hauptausschuss unter Angabe von Gründen Vorschläge
für die Festsetzung, Änderung oder Aufhebung von
des Hauptausschusses eine derartige Stellung inne-
gehabt haben. Wird das Vorschlagsrecht nicht ausge-

a) In Absatz 1 werden die Wörter „und Beschäftigungs-
arten“ gestrichen.

bedingung als Rechtsverordnung erlassen;“.

cc) In Satz 3 werden die Wörter „das Bundesministe-
rium für Wirtschaft und Arbeit keinen anderen
Zeitpunkt bestimmt“ durch die Wörter „kein an-
derer Zeitpunkt bestimmt ist“ ersetzt.

d) Absatz 4 wird wie folgt geändert:

aa) Die Wörter „oder einer Beschäftigungsart“ wer-
den gestrichen.

bb) Folgende Sätze werden angefügt:

„Der Fachausschuss prüft im Rahmen einer Ge-
samtabwägung, ob seine Entscheidung insbeson-
dere geeignet ist,

1. angemessene Arbeitsbedingungen zu schaf-
fen,

2. faire Wettbewerbsbedingungen für die Unter-
nehmen zu gewährleisten,

3. sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
zu erhalten und Arbeitslosigkeit zu bekämp-
fen,

4. das fiskalische Interesse, dass in Vollzeit
beschäftigte Arbeitnehmer für ihren eigenen
Lebensunterhalt regelmäßig nicht ergänzend
auf Leistungen der Grundsicherung für Ar-
beitsuchende angewiesen sind, zu sichern.

Er berücksichtigt bei seiner Entscheidung die
Auswirkungen einer Mindestarbeitsbedingung
auf die in dem Wirtschaftszweig oder der Region
bereits bestehenden Tarifverträge.“

5. § 5 Abs. 1 wird wie folgt geändert:

a) In Satz 1 werden die Wörter „mindestens“, „, höchs-
tens je fünf“ und „vom Bundesministerium für Arbeit
und Soziales bestimmten“ gestrichen.

arbeitsbedingung, so gilt diese zwingend, unabhängig
davon, ob der Arbeitgeber seinen Sitz innerhalb oder
außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieser
Mindestarbeitsbedingung hat.“

b) Absatz 3 wird wie folgt geändert:

aa) In Satz 1 werden die Wörter „nur durch Ver-
gleich“ durch das Wort „nicht“ ersetzt.

bb) Satz 2 wird durch folgende Sätze ersetzt:

„Die Verwirkung dieser Rechte ist ausgeschlos-
sen. Ausschlussfristen für die Geltendmachung
des Anspruchs auf eine Mindestarbeitsbedingung
sind unzulässig. Der Anspruch auf eine Mindest-
arbeitsbedingung verjährt mit Ablauf von drei
Jahren seit dem Ende des Jahres der Beendigung
des Arbeitsverhältnisses; eine Verkürzung der
Verjährungsfrist ist ausgeschlossen.“

8. § 10 wird wie folgt gefasst:

㤠10

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nimmt
die Aufgaben einer Geschäftsstelle des Hauptausschus-
ses und der Fachausschüsse wahr. Die Tätigkeit der Ge-
schäftsstelle besteht in der Zusammenstellung und Auf-
bereitung der für die Tätigkeit der Ausschüsse
erforderlichen Daten, in der technischen Vor- und Nach-
bereitung der Sitzungen des Ausschusses sowie der Erle-
digung der sonst anfallenden Verwaltungsarbeiten.“

9. Die §§ 16 bis 18 werden gestrichen.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 9. April 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
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b) Dem Absatz 2 wird folgender Satz angefügt:

„§ 2 Abs. 5 sowie § 3 Abs. 1 Satz 2 finden entspre-
chende Anwendung.“

c) Absatz 3 wird wie folgt geändert:

aa) Satz 1 wird gestrichen.

bb) Satz 2 erster Halbsatz wird wie folgt gefasst:

„Die Bundesregierung kann auf Vorschlag des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die
vom Fachausschuss festgesetzte Mindestarbeits-

b) Folgender Satz wird angefügt:

„§ 2 Abs. 4 findet entsprechende Anwendung.“

6. § 6 Abs. 4 wird wie folgt gefasst:

„(4) § 2 Abs. 6 findet entsprechende Anwendung.“

7. § 8 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Beschäftigt ein Arbeitgeber einen Arbeitneh-
mer im räumlichen Geltungsbereich einer Mindest-

Berufung der Experten sowie ihrer Stellvertreter erhalten die Einhaltung im Inland geltender Mindestarbeitsbedingungen

Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitneh-
mer und Arbeitnehmerinnen ein Vorschlagsrecht. Für jeden
Experten sind zwei Vorschläge zu unterbreiten. Zur Förde-

verpflichtet werden, wenn auch alle entsprechenden inländi-
schen Arbeitgeber diese Mindestarbeitsbedingung einhalten
müssen. Um eine derartige Gleichbehandlung von in- und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8757

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Ziel/Wesentlicher Inhalt

Das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedin-
gungen (Mindestarbeitsbedingungengesetz) von 1952 ist auf
die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Nach-
kriegszeit zugeschnitten. Seither hat sich die Tariflandschaft
einerseits erheblich gewandelt, andererseits nimmt die Zahl
der Wirtschaftszweige zu, in denen die Tarifbindung erheb-
lich zurückgegangen ist. Zudem sind durch grenzüberschrei-
tende Dienst- und Werkleistungen bedingte Veränderungen
auf den Arbeitsmärkten im bisherigen Gesetz nicht berück-
sichtigt. Dies gilt z. B. für die grenzüberschreitende Entsen-
dung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen oder auch
für die soziale Flankierung der Auswirkungen des europäi-
schen Binnenmarktes. Vor diesem Hintergrund hat sich der
Koalitionsausschuss am 18./19. Juni 2007 u. a. auf eine
Aktualisierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes ver-
ständigt.

Das Mindestarbeitsbedingungengesetz dient künftig insbe-
sondere als Grundlage für Mindestlöhne in Wirtschaftszwei-
gen, in denen es entweder keine Tarifverträge gibt oder nur
noch eine Minderheit von Arbeitnehmern und Arbeitnehme-
rinnen tarifgebunden beschäftigt wird. Der Begriff des Wirt-
schaftszweiges ist weit zu verstehen; er umfasst Gewerbe
und Tätigkeiten. Der Grad der in einem Wirtschaftszweig
vorhandenen Tarifbindung ist künftig einzige Voraussetzung
für die Anwendung des Gesetzes. Diese Voraussetzung ist
erfüllt, wenn für einen Wirtschaftszweig bundesweit oder in
einer einzelnen Region keine Tarifverträge bestehen oder die
an Tarifverträge für diesen Wirtschaftszweig gebundenen
Arbeitgeber weniger als 50 vom Hundert der unter den Gel-
tungsbereich dieser Tarifverträge fallenden Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen beschäftigen. In Wirtschaftszwei-
gen mit einer Tarifbindung von mehr als 50 vom Hundert
können Tarifvertragsparteien die Aufnahme in das Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz beantragen. Durch diese Zweitei-
lung können flächendeckend Mindestlöhne für Branchen
bzw. Wirtschaftszweige bundesweit oder in einzelnen Re-
gionen entweder auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetzes oder des Mindestarbeitsbedingungengesetzes
geschaffen werden.

Das bisherige Verfahren des Gesetzes über die Festsetzung
von Mindestarbeitsbedingungen wird modernisiert. Hierfür
wird der Hauptausschuss dauerhaft eingerichtet. Zusammen-
setzung und Verfahren des Hauptausschusses werden moder-
nisiert und entbürokratisiert, um schnelle und sachgerechte
Lösungen zu ermöglichen. Der Hauptausschuss setzt sich
künftig aus sechs unabhängigen Experten zusammen, die in
der Lage sind, die ökonomischen und sozialen Auswirkun-
gen von Mindestarbeitsbedingungen einzuschätzen. Für die

oder einer Organisation der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen sein noch zu diesen in einem stän-
digen Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis stehen.
Die sechs Experten bestimmen einen zusätzlichen unpartei-
ischen stimmberechtigten Vorsitzenden. Erfolgt keine Eini-
gung auf einen Vorsitzenden, erfolgt die Benennung durch
die Bundesregierung auf Vorschlag des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales.

Es ist Aufgabe des Hauptausschusses, festzustellen, ob Min-
destlöhne oder sonstige Mindestarbeitsbedingungen fest-
gesetzt, geändert oder aufgehoben werden müssen. Bei den
zu begründenden Beschlüssen hat der Hauptausschuss die
sozialen und ökonomischen Auswirkungen zu berücksich-
tigen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die
Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitneh-
mer und Arbeitnehmerinnen sowie die Landesregierungen
können dem Hauptausschuss Vorschläge unterbreiten, in
welchen Wirtschaftszweigen bundesweit oder regional Min-
destarbeitsbedingungen festgesetzt, geändert oder aufgeho-
ben werden sollen.

Die Fachausschüsse als Gremien der betroffenen Wirt-
schaftszweige werden so zusammengesetzt, dass sich diver-
gierende Einzelinteressen nicht blockieren. Jeder Fachaus-
schuss besteht daher künftig aus sechs Beisitzern, die je zur
Hälfte den Kreisen der beteiligten Arbeitnehmer und Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitgeber angehören. Hinzu kommt ein
unparteiischer Vorsitzender mit Stimmrecht, der von beiden
Seiten bestimmt wird. Bei Nichteinigung bestimmt die Bun-
desregierung auf Vorschlag des Bundesministeriums für Ar-
beit und Soziales den Vorsitzenden. Die Fachausschüsse
werden ebenso wie der Hauptausschuss durch eine Ge-
schäftsstelle in ihrer Arbeit unterstützt.

Die von einem Fachausschuss in einem schriftlich begründe-
ten Beschluss vorgeschlagene Mindestarbeitsbedingung
kann auf Vorschlag des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales durch eine entsprechende Rechtsverordnung der
Bundesregierung festgesetzt werden.

Der Verordnungsgeber kann von dem Beschluss des Fach-
ausschusses inhaltlich nicht abweichen. Zugleich werden
dem Fachausschuss für die Festlegung der untersten Grenze
der Entgelte und sonstigen Arbeitsbedingungen Kriterien an
die Hand gegeben. Im Rahmen seiner Entscheidung hat der
Fachausschuss die Auswirkungen auf bestehende Tarifver-
träge in dem Wirtschaftszweig bundesweit oder in der Re-
gion zu berücksichtigen.

Die soziale Flankierung des europäischen Binnenmarktes er-
fordert heutzutage eine Konzeption des Gesetzes, die auch
eine rechtliche Einbindung im Ausland ansässiger Arbeit-
geber ermöglicht. Wegen des europarechtlichen Diskrimi-
nierungsverbots darf ein Arbeitgeber mit Sitz in einem ande-
ren Staat des europäischen Wirtschaftsraums nur dann zur
rung der Unabhängigkeit des Gremiums dürfen seine Mit-
glieder weder Repräsentanten eines Wirtschaftsverbandes

ausländischen Arbeitgebern sicherzustellen, wird künftig
ausdrücklich gesetzlich angeordnet, dass eine festgesetzte

Drucksache 16/8757 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Mindestarbeitsbedingung ausnahmslos für alle in deren
räumlichen und fachlichen Geltungsbereich beschäftigten
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen anzuwenden ist. Dies
gilt unabhängig davon, ob ihr Arbeitgeber seinen Sitz inner-
halb oder außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs einer
festgesetzten Mindestarbeitsbedingung hat. Auf diesem We-
ge wird Lohndumping aus dem Ausland verhindert.

II. Gesetzgebungskompetenz

Dem Bund steht nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 12 des Grundge-
setzes eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für
das Arbeitsrecht zu. Diese Regelungskompetenz erstreckt
sich auf die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen für
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Mit dem Ersten Ge-
setz zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung von
Mindestarbeitsbedingungen werden die erforderlichen Rah-
menbedingungen geschaffen.

III. Gesetzesfolgen

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Keine

2. Vollzugsaufwand

Durch die vorgesehenen Änderungen entstehen durch die
ständige Einrichtung des Hauptausschusses und einer
Geschäftsstelle für den Hauptausschuss und die Fachaus-
schüsse noch nicht bezifferbare Kosten für die öffentlichen
Haushalte. Die Tätigkeit der Mitglieder des Hauptausschus-
ses und der Fachausschüsse ist durch das Gesetz als Ehren-
amt ausgestaltet. Erforderliche Reisekosten und Aufwands-
entschädigungen werden jedoch erstattet. Daneben werden
Personalkosten in der neu zu errichtenden Geschäftsstelle
anfallen.

Mit der Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen können
Mehreinnahmen für die öffentlichen Haushalte durch ein er-
höhtes an die Einkommen gekoppeltes Steueraufkommen
verbunden sein. In diesen Fällen ist zugleich mit einer Ent-
lastung der Sozialversicherungssysteme durch an das Ein-
kommen gekoppelte Mehreinnahmen zu rechnen.

3. Sonstige Kosten

Die Aussagen zur Preis- und Kostenwirkung ergehen vor
dem Hintergrund, dass nach Inkrafttreten der Neuregelung
praktische Auswirkungen erst dann entstehen, wenn der
Hauptausschuss für relevante Wirtschaftsbereiche feststellt,
dass Mindestlöhne oder sonstige Mindestarbeitsbedingun-
gen festgesetzt werden müssen. In diesen Wirtschaftsberei-
chen kann es – je nach festgelegter Höhe insbesondere des
Mindestlohnes durch den Fachausschuss – zu einer Anhe-
bung des Lohnniveaus kommen. Diese kann sich in kosten-
induzierten Einzelpreiserhöhungen niederschlagen, sofern
es den Unternehmen gelingt, diese zusätzlichen Kosten auf
ihre Kunden überzuwälzen. Die Festlegung von Mindest-
löhnen dürfte in den relevanten Wirtschaftsbereichen nicht
zeitgleich erfolgen. Deshalb sind keine unmittelbaren Aus-
wirkungen auf das allgemeine Preisniveau bzw. auf das Ver-
braucherpreisniveau zu erwarten.

Mittelfristig könnten Teile der deutschen Wirtschaft mittelbar
mit Kosten belastet werden. Je größer der Anteil der Güter

chen, desto stärker ist diese mittelbare Belastung. Soweit es
den Unternehmen in den mittelbar betroffenen Wirtschafts-
zweigen gelingt, die gestiegenen Vorleistungskosten wieder-
um an ihre Kunden weiterzugeben, kann es zu weiteren
Einzelpreiserhöhungen kommen. Infolge des Vorleistungs-
charakters für die Produktion weiterer Güter, die u. U.
ihrerseits Vorleistungen für die Produktion anderer Güter dar-
stellen, können die erwarteten Einzelpreiserhöhungen wei-
tere – im Vergleich zum Primärimpuls aber schwächere –
Preiseffekte bei den entsprechenden gewerblichen Abneh-
mern auslösen, bis diese Preiseffekte auf der Endverbraucher-
stufe auslaufen.

Die Festlegung von Mindestlöhnen kann zudem unmittelba-
re und mittelbare (negative wie positive) Auswirkungen auf
das Angebot und die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, die
Motivation der Beschäftigten sowie die Arbeitsproduktivität
und damit weitere Rückwirkungen auf Kosten und Preise
haben. Außerdem können sich Rückwirkungen auf die Höhe
der an Beschäftigte und an Arbeitslose zu gewährenden
Transferleistungen ergeben. Diese Effekte lassen sich weder
in der Richtung noch in der Höhe eindeutig beziffern.

IV. Bürokratiekosten

Der vorliegende Änderungsgesetzentwurf beschränkt sich
auf eine Modernisierung des geltenden Mindestarbeitsbedin-
gungengesetzes. Durch das Änderungsgesetz selbst werden
keine Informationspflichten für Unternehmen, Bürgerinnen
und Bürger und die Verwaltung eingeführt, vereinfacht oder
abgeschafft.

V. Auswirkungen von gleichstellungspolitischer
Bedeutung

Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung
sind durch das Gesetzgebungsverfahren selbst nicht zu er-
warten. Da der Gesetzentwurf jedoch die Festsetzung von
Mindestarbeitsbedingungen insbesondere im Niedriglohn-
sektor ermöglicht, der traditionell einen hohen Frauenanteil
und einen eher unterdurchschnittlichen Organisationsgrad
aufweist, ist davon auszugehen, dass der Gesetzentwurf
derzeit noch bestehenden geschlechtsspezifischen Ungleich-
heiten bei der tatsächlichen Höhe der Entlohnung entgegen-
wirken wird. Im Vereinigten Königreich haben von der Ein-
führung eines gesetzlichen Mindestlohnes Frauen in einem
besonderen Maße profitiert.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Mindestarbeitsbedin-
gungengesetzes)

Zu Nummer 1 (Änderung § 1)

Mit dem Gesetz zur Festsetzung von Mindestarbeitsbedin-
gungen von 1952 bestand die Hoffnung, dass allein die Exis-
tenz des Gesetzes einen Ansporn darstellen könnte, „reprä-
sentative Koalitionen“ zu gründen und Tarifverträge
abzuschließen, um so eine Anwendung des Gesetzes und da-
mit eine staatliche Festsetzung von Mindestarbeitsbedingun-
gen zu verhindern (Fitting, RdA 1952, 5, 9; Herschel,
BArbBl. 1952, 36, 39). Die Koalitions- und Tariflandschaft
(Waren und Dienstleistungen) mit erwarteten Einzelpreiser-
höhungen an den Vorleistungen in anderen Wirtschaftsberei-

hat sich seither erheblich gewandelt. Die bislang in den
Buchstaben a bis c des Absatzes 2 enthaltenen, inzwischen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/8757

zeitlich überholten Anwendungsvoraussetzungen werden
künftig durch die einzige Anwendungsvoraussetzung er-
setzt, dass für einen Wirtschaftszweig bundesweit oder re-
gional Tarifverträge entweder nicht bestehen oder – im Fall
ihres Bestehens – die an die betreffenden Tarifverträge ge-
bundenen Arbeitgeber insgesamt nicht mehr als 50 vom
Hundert der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in die-
sem Wirtschaftsbereich beschäftigen.

Zu Nummer 2 (Änderung § 2)

Zu Absatz 1

Die Einfügung in Absatz 1 stellt klar, dass der Hauptaus-
schuss wegen seiner zentralen Aufgabenstellung als ständi-
ges Gremium eingerichtet wird.

Zu den Absätzen 2 bis 4

Um die Unabhängigkeit des Ausschusses zu stärken und die
Bereitschaft der Mitglieder zur Zusammenarbeit zu fördern,
wird der Vorsitzende des Ausschusses künftig von den Mit-
gliedern des Ausschusses selbst vorgeschlagen und sodann
vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales förmlich
berufen. Können sich die Ausschussmitglieder nicht verstän-
digen, erfolgt die Berufung mit Zustimmung der Bundes-
regierung (vgl. Absatz 4). Zudem wird die Anzahl der weite-
ren Mitglieder von bislang zehn auf sechs reduziert.

Aus der umfassenden Aufgabenstellung des Ausschusses
folgt die Notwendigkeit einer entsprechenden Grundsatz-
qualifikation aller seiner Mitglieder. Dieses Erfordernis wird
im neu eingefügten Absatz 2 Satz 2 nunmehr auch ausdrück-
lich klargestellt („besondere soziale und ökonomische
Kenntnisse“).

Der neu gefasste Absatz 3 trägt der Reduzierung bei der An-
zahl der Mitglieder durch eine Konzentration auf eine Betei-
ligung der Spitzenorganisationen Rechnung. Zur Förderung
der Unabhängigkeit des Gremiums hat der Vorschlagsbe-
rechtigte für jeden zu besetzenden Platz im Ausschuss zwei
Personalvorschläge zu unterbreiten. Zudem dürfen die Mit-
glieder nicht Repräsentanten eines Wirtschaftsverbandes
oder einer Organisation der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen sein und auch nicht in einem Dienst-
oder Geschäftsbesorgungsverhältnis zu einem solchen Ver-
band stehen. Dieses Erfordernis gilt im Interesse der ge-
forderten Unabhängigkeit sowohl für den Zeitpunkt der
Berufung selbst als auch für das der Berufung vorangehende
Jahr. Für den Fall, dass ein Spitzenverband sein Vorschlags-
recht nicht ausübt, wird das Mitglied mit Zustimmung der
Bundesregierung durch das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales berufen. Ein solcher Fall der Nichtausübung
liegt auch dann vor, wenn der Verband sein Vorschlagsrecht
nicht rechtzeitig ausübt oder die gesetzlichen Vorgaben für
die Ausübung seines Vorschlagsrechts nicht beachtet.

Zu Absatz 5

Eine Regelung zur Einberufung des Ausschusses wird ent-
behrlich, da der Hauptausschuss wegen seiner zentralen Auf-
gabenstellung nunmehr als ständiges Gremium eingerichtet

Zu Absatz 6

Nach Satz 2 (neu) finden zugunsten der Ausschussmitglieder
die für die ehrenamtlichen Richter der Arbeitsgerichte gel-
tenden Vorschriften über Aufwandsentschädigung und Rei-
sekostenerstattung Anwendung. Der neu eingefügte Satz 3
stellt ein weiteres Element dar, um die Unabhängigkeit der
Ausschussmitglieder sicherzustellen.

Zu Nummer 3 (Änderung § 3)

Zu Absatz 1

Die neue Fassung der Vorschrift trägt in Satz 1 der zentralen
Stellung des Hauptausschusses im Verfahren besser Rech-
nung und übernimmt die Vorgaben für die Qualifikation der
Ausschussmitglieder zugleich als Vorgabe für die Aus-
schussarbeit. Der neue Satz 2 schreibt für den Beschluss des
Hauptausschusses eine schriftliche Begründung vor. Nur auf
einer solchen formalisierten inhaltlichen Grundlage ist die
anschließende eigenständige Prüfung und Entscheidung des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die vom
Hauptausschuss für erforderlich gehaltene Festsetzung von
Mindestarbeitsbedingungen möglich.

Zu Absatz 2

Der neue Satz 1 stellt die bislang in Absatz 1 enthaltene
Möglichkeit eines verfahrenseinleitenden Impulses des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales klar; die Vorschrift
verdeutlicht, dass es sich nur um einen Vorschlag handelt,
den der Ausschuss in seinem Beschluss aufgreifen kann oder
nicht. Ergänzend wird ein entsprechendes Vorschlagsrecht
den Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeit-
nehmer und Arbeitnehmerinnen sowie den Landesregierun-
gen eingeräumt. Nach Satz 2 soll der Hauptausschuss inner-
halb von sechs Monaten über entsprechende Vorschläge
entscheiden. Die Einführung einer Frist gewährleistet eine
zeitnahe Entscheidung des Hauptausschusses. Die Frist von
sechs Monaten ist angemessen und erforderlich, um dem
Hauptausschuss eine ausgewogene Entscheidung auf einer
breiten Informationsbasis zu ermöglichen.

Zu Nummer 4 (Änderung § 4)

Zu Absatz 1

Es handelt sich um eine redaktionelle Anpassung an den
neuen § 1 Abs. 2.

Zu Absatz 2

Die für den Hauptausschuss eingeführten Vorschriften über
die Beschlussfähigkeit und das Erfordernis einer schrift-
lichen Begründung finden für die Beschlüsse des Fachaus-
schusses entsprechende Anwendung.

Zu Absatz 3

Die Rechtsverordnung zur Festsetzung der Mindestarbeits-
bedingung wird künftig von der Bundesregierung erlassen.
Das bislang für den Erlass der Rechtsverordnung zuständige
Bundesministerium für Arbeit und Soziales behält ein eigen-
ständiges Prüfungsrecht insoweit, als es die vom Fachaus-
schuss vorgeschlagene Mindestarbeitsbedingung in eigener
wird. Die Vorschrift wird zudem um eine Regelung über die
Beschlussfähigkeit ergänzt.

Verantwortung prüft. Stimmt es dem Vorschlag des Fachaus-
schusses zu, so schlägt es dem Kabinett die Verabschiedung

Drucksache 16/8757 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

einer Rechtsverordnung vor; stimmt es dem Vorschlag nicht
zu, so unterbleibt mangels positiven Vorschlags des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales eine Festsetzung. Der
Vorschlag des Fachausschusses kann nur unverändert in die
Rechtsverordnung übernommen werden; es besteht keine
Möglichkeit zur inhaltlichen Abweichung.

Zu Absatz 4

Satz 1 enthält eine redaktionelle Folgeänderung zu § 1 Abs. 2.

Der neue Satz 2 stellt sicher, dass der Fachausschuss bei der
Festlegung der untersten Grenze der Entgelte und sonstigen
Arbeitsbedingungen die dem Gesetz zugrunde liegenden
Ziele berücksichtigt. Die Entscheidung des Fachausschusses
muss daher insbesondere geeignet sein,

1. angemessene Arbeitsbedingungen zu schaffen,

2. faire Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen zu
gewährleisten,

3. sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu erhalten
und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen,

4. das fiskalische Interesse, dass in Vollzeit beschäftigte
Arbeitnehmer für ihren eigenen Lebensunterhalt regel-
mäßig nicht ergänzend auf Leistungen der Grundsiche-
rung für Arbeitsuchende angewiesen sind, zu sichern.

Diese Kriterien bewirken, dass der Fachausschuss sich bei
seiner Entscheidungsfindung von sachgemäßen Erwägun-
gen leiten lässt.

Satz 3 enthält die für die Neuregelung des Verhältnisses von
Mindestarbeitsbedingungen zu bereits bestehenden Tarifver-
trägen erforderliche verfassungsrechtliche Flankierung. Der
Fachausschuss berücksichtigt bei seiner Entscheidung deren
Auswirkungen auf die in dem Wirtschaftszweig bundesweit
oder regional bereits bestehenden Tarifverträge. Die Festset-
zung von Mindestarbeitsbedingungen bei einer gleich-
zeitigen Verdrängung niedriger dotierter Tarifverträge ist
verfassungsrechtlich zulässig. Im Verhältnis zu einer Min-
destarbeitsbedingung ungünstigere Tarifverträge kommen
künftig nicht mehr zur Anwendung. Der mit der Verdrän-
gung bestehender Tarifverträge verbundene Eingriff in die
Tarifautonomie ist statthaft. Voraussetzung ist, dass hinrei-
chend gewichtige Gemeinwohlbelange beschrieben werden
können, denen der Eingriff zu dienen bestimmt ist. Hinrei-
chend gewichtig sind derartige Gemeinwohlbelange jeden-
falls, wenn ihnen gleichermaßen verfassungsrechtlicher
Rang gebührt. Als verfassungsrechtlich legitimierte Rege-
lungszwecke benennt das Bundesverfassungsgericht u. a.
folgende Ziele:

– die finanzielle Stabilität des Systems der sozialen Siche-
rung (BVerfG, Beschluss vom 3. April 2001, 1 BvL 32/97;
BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007, 1 BvR 1047/05);

– die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit (BVerfG,
Beschluss vom 3. April 2001, 1 BvL 32/97).

Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine Begrenzung
des Grundrechts der Koalitionsfreiheit werden im Mindest-
arbeitsbedingungengesetz durch die Einführung der in Satz 2
genannten Kriterien konkretisiert.

Der Verordnungsgeber hat den Beschluss des Fachausschus-

nismäßigkeit kommt dem Gesetz- und Verordnungsgeber ein
Einschätzungs- und Prognosevorrang zu. Es ist vornehmlich
seine Sache, auf der Grundlage seiner wirtschafts-, arbeits-
markt- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele unter
Beachtung der Gesetzlichkeiten des betreffenden Sachge-
biets zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des
Gemeinwohls ergreifen will (BVerfG, Beschluss vom
20. März 2007, 1 BvR 1047/05).

Zu Nummer 5 (Änderung § 5 Abs. 1)

Die Änderungen folgen der neuen Konzeption für die Beset-
zung des Hauptausschusses. Die Anzahl der Beisitzer der
Fachausschüsse wird zur Straffung des Verfahrens auf insge-
samt sechs begrenzt. Das Verfahren zur Berufung des Vor-
sitzenden wird parallel zu dem entsprechenden neuen Ver-
fahren für den Hauptausschuss geregelt. Dies wird technisch
durch die Inbezugnahme des neuen § 2 Abs. 4 bewirkt (vgl.
zu Nummer 2).

Zu Nummer 6 (Änderung § 6 Abs. 4)

Die bislang in Absatz 4 enthaltene Regelung über die ehren-
amtliche Tätigkeit und die erforderliche Entschädigung wird
redaktionell an die entsprechende Vorschrift für die Mitglie-
der des Hauptausschusses in § 2 Abs. 6 angepasst. Zugleich
werden die für den Hauptausschuss eingeführten Regelun-
gen über die Weisungsfreiheit seiner Mitglieder übernom-
men.

Zu Nummer 7 (Änderung § 8)

Zu Absatz 2

Das europarechtliche Diskriminierungsverbot verfolgt das
Ziel einer gemeinschaftsrechtlich zulässigen Lösung für die
Einbindung auch ausländischer Arbeitgeber und ihrer nach
Deutschland entsandten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin-
nen. Wegen des europarechtlichen Diskriminierungsverbots
darf die Einhaltung einer Mindestarbeitsbedingung von
einem Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Staat des euro-
päischen Wirtschaftsraums nur dann verlangt werden, wenn
auch alle entsprechenden Inländer an diese Mindestarbeits-
bedingung gebunden sind. Deshalb darf keine rechtliche
Möglichkeit bestehen, Mindestarbeitsbedingungen nach die-
sem Gesetz durch abweichende arbeits- oder tarifvertrag-
liche Regelungen abzubedingen. Dieses Ziel wird durch den
neuen Absatz 2 positiv umschrieben; es formuliert unter
Bezugnahme auf den Geltungsbereich der Mindestarbeits-
bedingung die ausnahmslose Bindungswirkung für alle im
In- oder im Ausland ansässigen Arbeitgeber, die Arbeitneh-
mer und Arbeitnehmerinnen im räumlichen Geltungsbereich
der Mindestarbeitsbedingung beschäftigen. Durch das Ab-
stellen auf den räumlichen Geltungsbereich der Mindestar-
beitsbedingung wird zugleich auch für den Fall einer nicht
bundesweiten, sondern regional begrenzten Mindestarbeits-
bedingung mitgeregelt, dass auch inländische Arbeitgeber,
die ihren Sitz außerhalb der geregelten Region haben, bei
einer Beschäftigung von Arbeitnehmern und Arbeitnehme-
rinnen in dieser geregelten Region rechtlich an diese Min-
destarbeitsbedingung gebunden sind. Auf diese Weise wird
auch für diese Fallkonstellation das für eine Bindung auch
ausländischer Arbeitgeber erforderliche Arbeitsortsprinzip
ses vor Erlass der Rechtsverordnung auf seine Verhältnis-
mäßigkeit zu untersuchen. Bei der Beurteilung der Verhält-

gewahrt. Damit bestehen keine gemeinschaftsrechtlichen
Hindernisse, die nach diesem Gesetz festgesetzten Mindest-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/8757

arbeitsbedingungen als international zwingende Regelungen
im Sinne des Artikels 34 des Einführungsgesetzes zum Bür-
gerlichen Gesetzbuche anzuerkennen. Das Mindestarbeits-
bedingungengesetz in seiner durch diesen Gesetzentwurf
geänderten Fassung ist damit auch eine Rechtsvorschrift
über die Mindestentgeltsätze im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, die von ausländischen
Arbeitgebern im Falle einer Entsendung von Arbeitnehmern
und Arbeitnehmerinnen nach Deutschland zwingend zu be-
achten ist.

Besteht in einem Wirtschaftszweig bereits ein Tarifvertrag,
so wird dies vom Fachausschuss bei seiner Beschlussfassung
über eine Mindestarbeitsbedingung nach Maßgabe des in § 4
Abs. 4 Satz 3 (neu) berücksichtigt. Schlägt der Fachaus-
schuss nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls eine

auf Mindestarbeitsbedingungen durchzusetzen. Gerade im
Hinblick auf langjährig bestehende Arbeitsverhältnisse er-
fordert dies, dass die Verjährungsfrist erst mit dem Ende des
Arbeitsverhältnisses zu laufen beginnt; eine Verkürzung der
Verjährung ist ausgeschlossen.

Zu Nummer 8 (Änderung § 10)

Die umfassende Aufgabenstellung der Ausschüsse bedarf
der fachlichen und technischen Hilfestellung durch Exper-
tise für die Entscheidungsfindung und Vor- und Nachberei-
tung der Ausschusssitzungen. Diese Aufgabe wird einer
beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales angesie-
delten Geschäftsstelle zugewiesen, die u. a. auch einen um-
fassenden Zugriff auf das dortige amtliche Tarifregister be-
nötigt. Die Geschäftsstelle ist mit den erforderlichen
über dem Niveau des bereits bestehenden Tarifvertrags lie-
gende Mindestarbeitsbedingung vor und wird dieser Be-
schluss von der Bundesregierung durch Übernahme in eine
Rechtsverordnung bestätigt, so darf die dergestalt festgelegte
Mindestarbeitsbedingung weder durch bestehende noch
durch spätere abweichende Vereinbarungen unterschritten
werden. Den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für
einen derartigen Eingriff des Staates in die Tarifautonomie
wird Rechnung getragen durch die bereits erwähnte Prüfung
des Fachausschusses nach § 4 Abs. 4 (neu).

Zu Absatz 3

Ebenfalls wegen des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminie-
rungsverbotes kann die bislang bestehende Möglichkeit
einer Befreiung von der Einhaltung einer Mindestarbeits-
bedingung durch Vergleich keinen Bestand haben. Ergän-
zend werden in Absatz 3 Sicherungen zum Schutz des
Anspruchs auf eine Mindestarbeitsbedingung aufgenom-
men. Der Zweck von Mindestarbeitsbedingungen würde
unterlaufen, wenn der Anspruch durch Verzicht, Verwirkung
oder den Ablauf von Ausschlussfristen untergehen könnte.
Der Beginn der in den §§ 195, 199 des Bürgerlichen Gesetz-
buchs geregelten regelmäßigen Verjährungsfrist von drei
Jahren wird dem erforderlichen Schutz einer Mindestarbeits-
bedingung nicht gerecht. Das fehlende Kräftegleichgewicht
im Arbeitsverhältnis erfordert es, Arbeitnehmern und Arbeit-
nehmerinnen auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnis-
ses die Möglichkeit zu erhalten, ihre gesamten Ansprüche

Personal- und Sachmitteln auszustatten.

Die bislang in § 10 geregelte Möglichkeit einer Delegation
auf einzelne Bundesländer entfällt. Zwar ist in diesen Fällen
die Geltung der Mindestarbeitsbedingung auf die in einem
regional beschränkten Gebiet eingesetzten Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen begrenzt. Die nach Gemeinschafts-
recht erforderliche rechtliche Bindung auch derjenigen Ar-
beitgeber, die ihren Sitz nicht in dem betreffenden Bundes-
land haben, kann nur durch eine auf Bundesebene erlassene
Rechtsverordnung angeordnet werden.

Zu Nummer 9 (Streichung §§ 16 bis 18)

Die für das Verfahren unerlässlichen Verfahrensregelungen
für die Ausschüsse sind nunmehr im Gesetz geregelt. Die
Regelung sonstiger Detailfragen des Verfahrens der Aus-
schüsse bedarf keiner staatlichen Norm, sondern wird den
Ausschüssen in eigener Verantwortung übertragen (vgl. § 2
Abs. 5 Satz 3 (neu)).

Eine Aktualisierung des aus dem Jahre 1952 stammenden
Gesetzes erfordert eine Streichung der in § 17 gegenstands-
los gewordenen Berlin-Klausel sowie der bislang in § 18
enthaltenen Regelung zum erstmaligen Inkrafttreten des Ge-
setzes.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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