BT-Drucksache 16/863

Positionen der Bundesregierung zur EU-Dienstleistungsrichtlinie im Rat der Europäischen Union

Vom 8. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/863
16. Wahlperiode 08. 03. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Diether Dehm, Cornelia Hirsch, Dr. Barbara Höll,
Kornelia Möller, Alexander Ulrich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Position der Bundesregierung zur EU-Dienstleistungsrichtlinie
im Rat der Europäischen Union

Nach der ersten Lesung des Vorschlags für eine Richtlinie über Dienstleis-
tungen im Binnenmarkt (KOMM (2004) 0002) am 16. Februar 2006 finden nun
nach den Regeln des Mitentscheidungsverfahrens (Artikel 251 EGV) Beratun-
gen im Rat der Europäischen Union statt. Bei den Beratungen im Rat ist die
Bundesregierung nach Artikel 23 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) verpflichtet,
die Stellungnahme des Deutschen Bundestages zu berücksichtigen (s. Bundes-
tagsdrucksache 15/5865). Grundlage der Beratungen sind die Änderungs-
vorschläge des Europäischen Parlaments (P6_TA-PROV(2006)0061). Die
Bundesregierung hat in ihrer offiziellen Pressemitteilung Nr. 43 (www.bundes-
regierung.de) den Beschluss begrüßt und erklärt: „Die Bundesregierung wird sich
an den weiteren Verhandlungen im Rat konstruktiv beteiligen.“ Der für die Ver-
handlungen im Rat zuständige Ressortminister für Wirtschaft und Technologie,
Michael Glos, hat dazu in der 19. Sitzung des Deutschen Bundestages (Plenar-
protokoll 16/19, 1329) erklärt: „Deswegen müssen wir im Rat – hier sind wir
noch einmal gefragt – helfen, dass weder die Befürchtungen zum Tragen kom-
men noch dass die Hoffnungen zerstört werden … Wir sind in der Koalition kurz
davor, eine gemeinsame Sprachregelung zu finden … Ich halte das im Hinblick
auf Kalkulierbarkeit und Verlässlichkeit für notwendig.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung bis heute eine „gemeinsame Sprachregelung“ für
die Beratungen im Rat der Europäischen Union gefunden?

2. Welches sind die wesentlichen Inhalte und Kernpunkte der „gemeinsamen
Sprachregelung“ der Bundesregierung bezüglich ihrer Verhandlungsposition
im Rat?

3. Für welche Bereiche des Beschlusses des Europäischen Parlaments sieht die
Bundesregierung besonderen Beratungsbedarf im Rat der Europäischen
Union?

4. Welche Verhandlungsposition wird die Bundesregierung bei den Tagungen

des Rates Wettbewerbsfähigkeit vertreten?

5. Inwieweit berücksichtigt die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen im
Rat die Aufforderung des Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksache
15/5865) an die EU-Kommission „die EU-Dienstleistungsrichtlinie zurück-
zuziehen, grundlegend zu überarbeiten und einen geänderten Entwurf vor-
zulegen“?

Drucksache 16/863 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

6. Wie interpretiert die Bundesregierung den Änderungsvorschlag des Euro-
päischen Parlaments (P6_TA-PROV(2006)0061) für den Artikel 16 zum
Freien Dienstleitungsverkehr, nach dem die Ausübung und Aufnahme von
grenzüberschreitenden Dienstleistungen nicht von Anforderungen des Mit-
gliedstaates, in dem die Dienstleistung erbracht wird, abhängig gemacht
werden darf, wenn diese nicht den Grundsätzen der Diskriminierungsfrei-
heit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit genügen und welche
Position nimmt die Bundesregierung hierzu bei den Verhandlungen im Rat
ein?

7. Wie würde die Bundesregierung im Einzelnen die Grundsätze

a) der Diskriminierungsfreiheit,

b) der Erforderlichkeit und

c) der Verhältnismäßigkeit

beim Erlassen von Auflagen definieren?

8. Welche nationalen Auflagen und Anforderungen für den grenzüberschrei-
tenden Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung würde die Bundes-
regierung als unerlässlich ansehen?

9. Welche Möglichkeiten bestehen auf Grundlage des Beschlusses des Euro-
päischen Parlaments (P6_TA-PROV(2006)0061), die Aufnahme und Aus-
übung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen von Anforderungen
abhängig zu machen, die den Schutz des Arbeitsmarktes, Standards bei
Arbeitsbedingungen, die bevorzugte Beschäftigung von Arbeitlosen, die
Geltung von Tarifverträgen und sozialpolitische Gründen zum Ziel haben,
und welche Position nimmt die Bundesregierung hierzu bei den Verhand-
lungen im Rat ein?

10. Welche Möglichkeiten bestehen auf Grundlage des Beschlusses des Euro-
päischen Parlaments (P6_TA-PROV(2006)0061), die Aufnahme und Ausü-
bung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen von Anforderungen des
Verbraucherschutzes abhängig zu machen, und welche Position nimmt die
Bundesregierung hierzu bei den Verhandlungen im Rat ein?

11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass nach dem Beschluss des Eu-
ropäischen Parlaments (P6_TA-PROV(2006)0061) im Grundsatz weiter
das Herkunftslandprinzip gilt, wenn es z. B. in der weiterhin gültigen Erwä-
gung 42 heißt: „Vom Herkunftslandprinzip sollte abgewichen werden bei
Dienstleistungen, die in dem Mitgliedstaat, in den sich der Dienstleistungs-
erbringer begibt, einem generellen Verbot unterliegen, wenn dieses Verbot
durch Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit objek-
tiv gerechtfertigt ist“ (siehe auch Erwägungen 17, 43, 47)?

Wenn nein, wie begründet sie diese Haltung?

12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass nach der vom Europäischen
Parlament vorgeschlagenen Fassung des Artikel 16 Abs. 3b die Arbeit von
Berufsgenossenschaften und Handwerkskammern gefährdet ist, wenn sich
Dienstleister aus anderen Mitgliedstaaten nicht mehr registrieren lassen
müssen?

Wenn nein, wie begründet sie diese Haltung?

13. Wie ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Abgrenzung zwischen
temporärer Dienstleistung und Niederlassung möglich, wenn nach der vom
Europäischen Parlament vorgeschlagenen Fassung des Artikel 16 Abs. 3
dem Dienstleister aus einem anderen Mitgliedstaat die Errichtung einer

Infrastruktur nicht untersagt werden darf?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/863

14. Inwieweit kann nach Auffassung der Bundesregierung die Sitzverlagerung
von Unternehmen zur Umgehung von höheren Umwelt-, Arbeits- und Ge-
sundheitsstandards verhindert werden, wenn weiterhin nach Artikel 14 das
Verbot der Errichtung von Niederlassungen in mehreren Mitgliedstaaten
oder die Eintragung in Register oder die Registrierung bei Standesorganisa-
tionen in mehreren Mitgliedstaaten als unzulässige Anforderung gelten
würde?

15. Welche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse würden nach dem Be-
schluss des Europäischen Parlaments unter den Geltungsbereich der Richt-
linie fallen?

16. Welche Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse wür-
den nach dem Beschluss des Europäischen Parlaments unter den Geltungs-
bereich der Richtlinie fallen?

17. Wären nach Auffassung der Bundesregierung private Pflegedienste, private
Kinderbetreuungseinrichtungen, private Gesundheitsdienste und private
Bildungsträger im Geltungsbereich der Richtlinie, und welche Position ver-
tritt die Bundesregierung in dieser Frage im Rat?

18. Welche Position wird die Bundesregierung im Rat hinsichtlich der Heraus-
nahme weiterer Bereiche aus dem Geltungsbereich der gesamten Richtlinie
und aus dem Geltungsbereich von Artikel 16 vertreten?

19. Wie interpretiert die Bundesregierung die Erwägung 7d (P6_TA-PROV
(2006)0061): „Diese Richtlinie sollte so ausgelegt werden, dass die Aus-
übung der in den Mitgliedstaaten und durch die Charta der Grundrechte der
Europäischen Union anerkannten Grundrechte mit den in den Artikeln 43
(Niederlassungsfreiheit) und 49 (freier Dienstleistungsverkehr) des Vertrags
festgelegten Grundfreiheiten in Einklang gebracht werden“, und welche
Konsequenzen zieht sie aus dieser Gleichstellung für die Schutzfunktion
von Grundrechten?

Berlin, den 7. März 2006

Ulla Lötzer
Dr. Diether Dehm
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Kornelia Möller
Alexander Ulrich
Sabine Zimmermann
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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