BT-Drucksache 16/8627

Ökologische Konsequenzen der geplanten Ostseepipeline und Prüfung alternativer Streckenverläufe

Vom 14. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8627
16. Wahlperiode 14. 03. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Rainder Steenblock, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl,
Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Nicole Maisch, Volker
Beck (Köln), Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ökologische Konsequenzen der geplanten Ostseepipeline und Prüfung
alternativer Streckenverläufe

„Ungenügend“ und „lückenhaft“ sei der Genehmigungsantrag für den Bau der
Ostseepipeline, den die Nord Stream AG im Dezember 2007 bei der schwedi-
schen Regierung eingereicht hatte. Daher werde man ihn „postwendend zurück-
schicken“, so Schwedens Umweltminister Andreas Carlgren Anfang Februar
2008. Die schwedische Regierung weise den Antrag ab, da die für eine Prüfung
der Umweltkonsequenzen notwendigen Angaben sowie die Prüfung alternativer
Streckenverläufe in den Antragsunterlagen fehlten.

Der Widerstand gegen die geplante Gaspipeline durch die Ostsee wächst: Die
Regierungen von Polen, Estland, Litauen und Lettland fordern in einem Brief
an die Europäische Kommission, eine Machbarkeitsstudie zur Prüfung einer
Landroute zu finanzieren, die durch Polen und die baltischen Staaten verläuft
und eine ökologisch verträgliche Alternative böte. Auf Initiative des ehema-
ligen estnischen Umweltministers und jetzigen Europaabgeordneten Andres
Tarand hat die Europäische Kommission für den 6. März 2008 eine Sondersit-
zung einberufen. Auf der Tagesordnung stand auch die Frage, ob die EU eine
Studie über die Kosten und Umweltkonsequenzen einer Landroute finanziert.
Bei einer Anhörung im Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments am
29. Januar 2008 kritisierten Abgeordnete, dass sich die EU abhängig von einem
Rohstoff und einem Lieferanten mache, der seine Monopolstellung für poli-
tische Ziele nutze.

Die Ablehnung durch die baltischen Staaten, Polens, Schwedens und zuneh-
mend auch Finnlands gegen das Pipelineprojekt gründet auf energiepolitischen,
ökonomischen, ökologischen und sicherheitspolitischen Bedenken. Die Gegner
befürchten, von russischen Gaslieferungen abgeschnitten zu werden. Auch
kritisieren sie die Absicht, die Pipeline durch russisches Militär zu schützen.
Außerdem müssten die Transitstaaten auf Durchleitungsgebühren verzichten,
wenn die Pipeline außerhalb ihrer Hoheitsgewässer verläuft. Estland hat bereits
angekündigt, die Verlegung der Pipeline in seinen Hoheitsgewässern nicht zu-
zulassen und lehnt Vorprüfungen für den Bau der Leitung durch seine Wirt-

schaftszone in der Ostsee ab.

Schwerwiegende ökologische Bedenken bestehen, da die geplante Strecke durch
eine der weltweit meist befahrenen Schiffsrouten, durch die ökologisch stark ge-
fährdete Ostsee und durch Vogelschutzgebiete und Naturparks führt. Darüber
hinaus plant die Nord Stream AG, bei der Druckprüfung der Röhren 2,4 Mrd.
Liter biozidhaltiges Abwasser in die Ostsee zu spülen. Schließlich liegen nach

Drucksache 16/8627 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

wissenschaftlichen Schätzungen 400 000 Tonnen konventioneller Munition und
65 000 Tonnen chemischer Kampfstoffe in der Ostsee, darunter Senfgas, Sarin,
Tabun und Zyklon B. Bisher ist ungeklärt, wie mit den Altlasten umzugehen ist.

Die von Deutschland und Russland initiierte Ostseepipeline soll ab dem Jahr
2010 Erdgas vom russischen Wyborg bei St. Petersburg nach Greifswald trans-
portieren. In das Betreiberkonsortium Nord Stream AG, an dem der russische
staatliche Gaskonzern Gazprom mit 51 Prozent und die deutschen Stromversor-
ger Eon-Ruhrgas und das BASF-Tochterunternehmen Wintershall mit je 20
Prozent beteiligt sind, ist im vergangenen Dezember der niederländische Gas-
versorger Gasunie mit einem Anteil von neun Prozent eingestiegen. Der für das
Jahr 2008 angekündigte Baubeginn wird sich wegen der massiven Bedenken
der Anrainer und umfangreicher Voruntersuchungen auf Juli 2009 verschieben,
mit ersten Gaslieferungen ist ab Ende November 2010 zu rechnen. Der ehema-
lige Bundeskanzler und jetzige Vorsitzende des Aktionärsausschusses der Nord
Stream AG, Gerhard Schröder, rechnet damit, dass sich die Kosten für die Pipe-
line von den anfangs veranschlagten 4 Mrd. Euro aufgrund erhöhter Stahl- und
Konstruktionskosten auf bis zu 8 Mrd. verdoppeln könnten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Baukosten der geplanten Ostsee-
pipeline ein, und welche Einschätzungen seitens der Betreiber liegen ihr vor?

2. Wie schätzt die Bundesregierung die Chancen auf eine Mitfinanzierung
durch die Europäische Investitionsbank (EIB) vor dem Hintergrund ein, dass
der polnische Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak das polnische Veto
aktuell noch einmal bekräftigt (DIE WELT vom 5. März 2008), und welche
Länder lehnen ebenfalls eine Teilfinanzierung durch die EIB ab?

3. Warum weigert sich die Bundesregierung, die Akten über Planung und Bau
der Ostseepipeline sowie die Unterlagen der Kreditbürgschaft des Bundes
öffentlich zugänglich zu machen?

4. Wie oft hat die polnisch-deutsche Arbeitsgruppe bisher getagt und mit wel-
chen Ergebnissen?

5. Wie verhält sich die Bundesregierung zum Vorschlag des polnischen Außen-
ministers Radoslaw Sikorski, die geplante Ostseepipeline und in einem
größeren Kontext die Energiesicherheit zu einer europäischen Frage zu
machen?

6. Welche Position vertritt die Bundesregierung zum Vorschlag der Ostseepar-
lamentarierkonferenz vom August 2007, eine Arbeitsgemeinschaft Energie
und Klimawandel einzurichten, und was sind die bisherigen Ergebnisse?

7. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass es für eine einvernehm-
liche Lösung sinnvoll wäre, alle betroffenen Ostseeanrainer in die Konsulta-
tionen einzubeziehen – was nach Aussage des Stellvertretenden Vorsitzen-
den des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments der Republik Litauen,
Audronius Azubalis, bisher nicht geschehen ist, und falls ja, wie wird die
Bundesregierung die Einbeziehung aller betroffenen Anrainer sicherstellen?

Falls nein, warum nicht?

8. Besitzt die Bundesregierung Informationen darüber, wann damit gerechnet
werden kann, dass die Betreibergesellschaft Nord Stream AG bei der Bun-
desregierung einen Bauantrag einreicht?

9. In welcher Hinsicht fließt die Entscheidung der schwedischen Regierung,
den Bauantrag der Nord Stream AG abzulehnen, in die Bewertung des Pipe-

lineprojekts durch die Bundesregierung ein?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8627

10. In welcher Form beabsichtigt die Bundesregierung, den Deutschen Bundes-
tag mit der Entscheidung über den Bau der Ostseepipeline zu befassen, so
wie es die sozialdemokratische Fraktion im schwedischen Reichstag für die
schwedische Entscheidung fordert?

11. Wie schätzt die Bundesregierung die Realisierungschancen des Pipeline-
projekts ein angesichts der gravierenden Bedenken der schwedischen
Regierung und angesichts der Option der Ostseeanrainer, von der Möglich-
keit Gebrauch zu machen, das Projekt im April 2008 zu blockieren, wenn
die Nord Stream AG den Bericht zur Umweltverträglichkeitsprüfung im
Rahmen der Espoo-Konvention übergibt?

12. Liegen der Bundesregierung die Ergebnisse der Umweltverträglichkeits-
prüfung vor, die die Nord Stream AG bezüglich des geplanten Streckenver-
laufs durch schwedische Hoheitsgewässer durchgeführt hat, und wenn ja,
wird die Bundesregierung diese Ergebnisse veröffentlichen?

13. Plant die Bundesregierung, eine unabhängige, grenzüberschreitende und
von der EU mitfinanzierte Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterstützen?

14. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Unterstützung der
polnisch-baltischen Initiative durch die Bundesregierung und der Einsatz
der Bundesregierung für eine Prüfung alternativer landgestützter Routen
eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber der neuen polnischen Regie-
rung von Ministerpräsident Donald Tusk wäre?

15. Wie steht die Bundesregierung zu der Einschätzung, dass der Vorschlag
Polens und der baltischen Staaten, eine Landroute zu nutzen – z. B. durch
Schaffung zusätzlicher Kapazitäten für die Yamal-Pipeline bzw. die Nut-
zung der Amber-Pipeline durch die baltischen Staaten und Polen entlang
existierender Gasleitungen – ökonomisch und im Sinn des Baltic Sea
Action Plan der Helsinki-Kommission ökologisch sinnvoller ist, als die
ökologisch unverantwortliche Trassenführung durch die bereits hoch ge-
fährdete Ostsee?

16. Wie verhält sich die Bundesregierung zu den Ergebnissen der Analysen
von Forschern des Instituts für Toxikologie der Universität Kiel, die fest-
gestellt haben, dass ein Teil der untersuchten Schollen aus der Ostsee eine
Arsen-Konzentration aufweisen, die um das Zehnfache über dem Richt-
wert von fünf Milligramm pro Kilo liegt und nach Aussagen der Wissen-
schaftler möglicherweise auf chemische Kampfstoffe in der Ostsee zurück-
zuführen sind?

17. Wie will die Bundesregierung verhindern, dass die Nord Stream AG zur
Reinigung der Pipeline nicht die für Algen, Fische und Krebstiere giftige
chemische Verbindung Glutaraldehyd benutzen wird?

18. Wie steht die Bundesregierung zu den Plänen der Nord Stream AG, für die
Druckprüfung der Röhren 2,3 Mrd. Liter biozidhaltiges Abwasser in die
Ostsee zu spülen vor dem Hintergrund, dass sich die Bundesregierung klar
dagegen positioniert hat, zur Reinigung der Pipeline Glutaraldehyd zu ver-
wenden, und ist die Größenordnung von 2,3 Mrd. Litern korrekt?

19. Kann die Bundesregierung auf die Daten zugreifen, die der Nord Stream
AG zur Lokalisierung von Munitionsaltlasten aus den Anrainerstaaten vor-
liegen, u. a. Daten der Fischerei- und Marineverbände der NATO-Mitglie-
der, und falls ja, ist eine Veröffentlichung beabsichtigt?

20. Liegen der Bundesregierung die Daten aus früheren Untersuchungen zu
Munitionsaltlasten vor, insbesondere zur genauen Position, die die Nord
Stream AG nach eigenen Angaben „an die zuständigen Behörden“ (Nord

Stream AG, Hintergrundinformation vom 21. November 2007) weiterge-
leitet hat, und um welche Funde und Fundstellen handelt es sich?

Drucksache 16/8627 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

21. Hat die Nord Stream AG bereits Kontakt zu Munitionsspezialisten der deut-
schen Marine und zu deutschen Behörden aufgenommen, um gegebenen-
falls Funde zu identifizieren und zu beseitigen, wer wäre für die Besei-
tigung zuständig, und wer würde die Kosten übernehmen?

22. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung der baltischen Staaten,
Polens und Schwedens an die Europäische Kommission, alternative Trans-
portrouten zu prüfen, und falls ja, warum?

Falls nein, warum nicht?

23. Wie verhält sich die Bundesregierung zu der Möglichkeit, eine EU-finan-
zierte Studie zur Prüfung einer alternativen Landroute zu unterstützen,
warum hat die Bundesregierung von dieser Möglichkeit in der Vergangen-
heit keinen Gebrauch gemacht, und welche EU-Mitgliedstaaten haben nach
Kenntnis der Bundesregierung die Durchführung einer solchen EU-finan-
zierten Studie bisher verhindert?

24. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine mögliche Teil-
finanzierung der Ostseepipeline durch die Trans-European Energy Net-
works (TEN-E) der Europäischen Union?

25. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Ergebnisse der Son-
dersitzung der Europäischen Kommission vom 6. März 2008, in der auch
die Frage einer EU-finanzierten Studie über die Kosten und Umweltkonse-
quenzen einer Landroute auf der Tagesordnung stand?

26. Wie steht die Bundesregierung zu der Einschätzung, die Ostseepipeline
leiste einen Beitrag zur Erhöhung der Versorgungssicherheit in der EU im
Gegensatz zu der in der Anhörung im Petitionsausschuss des Europäischen
Parlaments am 29. Januar 2008 geäußerten Einschätzung, die EU mache
sich abhängig von einem Rohstoff und einem Lieferanten, der seine Mono-
polstellung für politische Ziele nutze – insbesondere vor dem Hintergrund,
dass die Gasabhängigkeit der EU nach Angaben der Europäischen Kom-
mission innerhalb der kommenden 20 Jahre auf 85 Prozent steigen wird?

27. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Aufnahmefähigkeit
der Ostseepipeline für Biogas deutlich eingeschränkt ist im Vergleich zu
einer über Land verlegten Gaspipeline?

28. In welcher Höhe würden sich die jährlichen Einnahmen aus Durchleitungs-
gebühren beim Bau einer Pipeline an Land anstatt durch die Ostsee für
Polen, Lettland, Litauen sowie Estland bewegen, und wie würde sich dies
auf die Gaspreise in Deutschland auswirken?

29. Wie hoch sind die Gebühren pro 1 000 Kubikmeter, die bei den bestehen-
den Gaspipelines für die Durchleitung russischen Erdgases nach Deutsch-
land in Polen, Estland, Lettland sowie Litauen anfallen, und in welcher
Höhe liegen die jährlichen Einnahmen?

30. Wie gestaltet sich das Gaspreisniveau in Polen und Estland, Lettland und
Litauen pro 1 000 Kubikmeter im Vergleich zu Deutschland?

31. Kann die Bundesregierung in Zahlen darstellen, welche gesamten Gasvolu-
mina durch die bestehenden und neu geplanten Pipelines (Nord Stream-
Pipeline, Chinapipeline, Poseidon-Pipeline, Yamal-Pipeline, Amber-Pipe-
line u. a.) transportiert werden können und wie viel Gas Russland insge-
samt im Vergleich zu diesem Transportvolumen zukünftig fördern kann
bzw. reicht die russische Gasförderung in der Zukunft aus, um alle beste-
henden und neu geplanten Gaspipelines auch vor dem Hintergrund eines
wachsenden russischen Binnenverbrauchs auszulasten?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8627

32. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung, wonach die Auslastung der Pipeline auf Grund einer
zukünftig möglicherweise eingeschränkten Lieferfähigkeit Russlands, eines
deutlich sinkenden Bedarfs an Gas in der EU sowie eines steigenden Ener-
giebedarfs in Russland nicht gewährleistet ist, und auf welche Erkenntnisse
stützt die Bundesregierung ihre Einschätzung?

33. Wie verhält sich die Bundesregierung zu Überlegungen des Betreiber-
konsortiums Nord Stream AG, die geplante Ostseepipeline gegebenenfalls
militärisch zu schützen, und welche Kenntnisse hat die Bundesregierung
über geplante Maßnahmen?

34. Wie schätzt die Bundesregierung die Konsequenzen ein, die sich aus dem
Bau der von Polen, Litauen, Georgien, der Ukraine und Aserbaidschan
geplanten Umgehungspipeline im Verhältnis zur Russischen Föderation
ergeben?

35. Wie steht die Bundesregierung zur EU-geförderten Poseidon-Pipeline, die
seit dem 19. November 2007 die Erdgasnetze Griechenlands und der
Türkei verbindet und erstmals Erdgas aus der Kaspischen Region nach
Westeuropa transportiert, auch hinsichtlich einer Diversifizierung der
Transportrouten und der Energielieferanten?

36. Wie schätzt die Bundesregierung die Aktivitäten des russischen Staatskon-
zerns Gazprom ein, der versucht, der EU zuvorzukommen und mittels Ex-
portabkommen mit Förderunternehmen in Turkmenistan und Aserbaid-
schan Gas vom Kaspischen Markt aufzukaufen?

37. Wie schätzt die Bundesregierung die Initiative Polens, Litauens, der
Ukraine, Georgiens und Aserbaidschans ein, die bei der Konferenz für
Energiesicherheit in Vilnius/Litauen im Frühjahr 2007 den Bau einer Öl-
pipeline vom Schwarzen Meer zur Ostsee vereinbart haben, um insbeson-
dere die Abhängigkeit der EU-Mitglieder Polen und Litauen von russischen
Energielieferungen zu mindern?

38. Wer wird für Abbau und Entsorgung der Pipeline zuständig sein, wenn die
Pipeline nicht mehr in Betrieb sein wird?

Berlin, den 13. März 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.