BT-Drucksache 16/8540

Klimaschutz durch effiziente Landwirtschaft

Vom 12. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8540
16. Wahlperiode 12. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel
Happach-Kasan, Birgit Homburger, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Miriam Gruß,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut
Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Klimaschutz durch effiziente Landwirtschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Nahrungsmittel- und Energieversorgung bilden die Grundlage jeglicher
Existenz auf der Erde. Chancen und Risiken der Bereitstellung müssen auf Basis
der gegenwärtigen Möglichkeiten abgewogen werden.

Die Landwirtschaft ist nicht länger Teil einer Wirtschaftsstruktur, von der sich
die Industriegesellschaft allmählich verabschiedet: Im Gegenteil – Deutschland
und andere Industrienationen stehen vor einer „Revolution auf dem Acker“,
welche die Landwirtschaft in die Mitte des Innovations- und Wirtschaftsgesche-
hens katapultiert. Wir stehen vor einer Renaissance des ländlichen Raumes.

Seit dem Frühjahr 2007 – mit Veröffentlichung der jüngsten UN-Weltklima-
berichte durch den UN-Klimarat (IPCC) – erkennt die Weltbevölkerung wieder
an, dass die Landbewirtschaftung für alle von Bedeutung ist. Der Klimawandel
kann nicht mehr gestoppt werden, er kann nur noch begrenzt werden. Dabei
spielt die Land- und Forstwirtschaft eine Schlüsselrolle. Sie zählt zu den
Hauptbetroffenen des Klimawandels. Und während sie einerseits Klimagase
emittiert – der Ausstoß aller Treibhausgase in der deutschen Landwirtschaft in-
klusive der Umwandlungsprozesse von organischen Stoffen beträgt allerdings
nur 7,1 Prozent (2005; gerechnet in CO -Äquivalenten; Quelle: UBA, Statis-
2
tisches Bundesamt) –, leistet sie auf der anderen Seite einen großen Beitrag
zum Klimaschutz. So ist die Land- und Forstwirtschaft heute der einzige Wirt-
schaftsbereich, der durch seine eigentliche Produktion mit einer überproportio-
nalen CO2-Bindung eine positive Klimabilanz aufweist.

Die rasant wachsende Weltbevölkerung sowie der gestiegene Lebensstandard in
bevölkerungsreichen Schwellenländern lassen auch in Zukunft einen steigenden

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Nachfragemarkt für Agrargüter zur Nahrungsmittelproduktion erwarten. Gleich-
zeitig ist – bedingt durch den Klimawandel – eine weitere Verknappung dieser
Rohstoffe schon jetzt absehbar: So werden einige große Agrargüter produzie-
rende Staaten der südlichen Hemisphäre aufgrund ihrer verschlechterten klima-
tischen Bedingungen für die Weltmarktproduktion fast komplett ausfallen.

Die deutsche Land- und Nahrungsmittelwirtschaft hat über Jahrzehnte hinweg
ihre Produktionsmethoden und -qualitäten so optimiert, dass sie heute weltweit
eine Spitzenposition einnimmt. Das muss so bleiben. Die Wertschöpfung aus der
Land- und Ernährungswirtschaft wird aktuell mit 160 Mrd. Euro pro Jahr ange-
geben, wobei ein neuer Exportrekord von rd. 40 Mrd. Euro die Bedeutung dieses
Sektors für die Gesamtwirtschaft unterstreicht. Damit steht diese Branche an
zweiter Stelle hinter der Automobilindustrie.

Für die Fraktion der FDP ist die Nahrungsmittelproduktion weiterhin vorrangige
Aufgabe der Landwirtschaft. Sie wird sich auch in Zeiten des Klimawandels da-
für einsetzen, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Agrarstandorts Deutschland
gesichert bleibt.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kann und sollte die heimische Land-
wirtschaft einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Nachwachsende Rohstoffe
und die organischen Reststoffe können in vielfältiger Form zur Energiegewin-
nung eingesetzt werden. Wie bei der landwirtschaftlichen Produktion zu Ernäh-
rungszwecken sind auch hier die Nachhaltigkeit der Produktion und eine größt-
mögliche Effizienz im Sinne des Klimaschutzes zu gewährleisten.

Fördersysteme für nachwachsende Rohstoffe zur Energiegewinnung sind immer
daraufhin zu überprüfen, ob sie zu Konkurrenzsituationen mit negativen Folgen
für die Nahrungsmittelproduktion führen. Nicht die Alternative „Teller oder
Tank“, sondern „Teller und Tank“ sollte die Leitlinie sein. Zur Energiegewin-
nung sollte der Schwerpunkt auf der Verwertung von Reststoffen liegen.

Es kann in der Landwirtschaft keine universellen Lösungen geben – zu unter-
schiedlich sind die Standortbedingungen. Die Fraktion der FDP will die Eigen-
verantwortlichkeit der Landwirte stärken, kennen sie doch selbst am ehesten die
vorgegebenen Standortfaktoren und die beste Produktionstechnologie, um die
Nachhaltigkeit der Produktion zu gewährleisten. Gesetzliche Regulierungen, die
überproportional und einseitig die Land- und Forstwirtschaft belasten, lehnt die
Fraktion der FDP strikt ab.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich an folgenden Zielen, Kriterien und Vorgaben zu orientieren und diese zum
Maßstab ihres politischen Handelns zu machen:

National

1. Oberstes Ziel muss immer die Gewährleistung einer nachhaltigen Landwirt-
schaft sein. Dabei dienen Produktivität und Effizienz dem Klima-, Umwelt-,
Verbraucher- und Naturschutz.

– Hochleistungstiere verursachen pro Kilo Ertrag (Fleisch oder Milch) we-
niger Emissionen als extensiv gehaltene Tiere, weil zur Erzeugung der
gleichen Leistung eine höhere Anzahl von Tieren den jeweiligen Bedarf
an Erhaltungsfutter umsetzt, bevor die Leistung eintritt. Daher sollte die
Politik Zielkonflikte wahrnehmen, auch unter Klimagesichtspunkten kon-
ventionelle und ökologische Formen der Landwirtschaft als gleichwertig
ansehen und die Konsumentscheidung dem Verbraucher überlassen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8540

– zum Zwecke der Tierhaltung und zur Energiegewinnung sind im Pflan-
zenbau Dauerkulturen zu bevorzugen, um durch CO2-Bindung die CO2-
Senken zu erhalten;

– um CO2-Senken zu erhalten, sind Bodenqualitäten durch Humusanreiche-
rung und Maßnahmen der Produktion zu verbessern;

– Aufforstungsmaßnahmen und Neuwaldbildung sowie innovative Landbe-
wirtschaftungssysteme sind zu unterstützen;

– das Bundeswaldgesetz ist zu ändern, um den Anbau von Energiehölzern
in Agroforstsystemen zu ermöglichen.

2. Zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität und Intensität ist tech-
nischer Fortschritt in Form von modernster Landtechnik, Betriebsmitteln wie
Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, Pflanzenzüchtung (inkl. grüner Gentech-
nik), Wasser sparenden Bewässerungssystemen unabdingbar.

– Die Pflanzenzüchtung ist auf höchste CO2-Bindung, optimale Energieaus-
beute und Futterverwertung auszurichten, hierfür bieten gentechnisch ver-
änderte Organismen (GVO) besonders günstige Möglichkeiten;

– Die Boden- und Pflanzendüngung ist mittels modernster Techniken und
Strategien (GPS, Dosierung, Präzisionstechnik) zu optimieren;

– Schließlich ist der Wissenstransfer aus der Forschung in die Praxis zu be-
schleunigen.

3. Verarbeitungs- und Transportwege müssen im Interesse des Klimaschutzes
von der Veredelungsstufe der Produkte abhängen: Landwirtschaftliche Roh-
stoffe aus der Bodenproduktion sollten möglichst ortsnah zur Veredelung
bzw. Energiegewinnung eingesetzt werden, regionale Vermarktungsstrate-
gien müssen einen höheren Stellenwert im Bewusstsein der Menschen erhal-
ten.

4. Des Weiteren ist eine kritische Abwägung weiterer Flächenansprüche für
Siedlungs-, Gewerbe- und Verkehrsmaßnahmen und sonstiger Ansprüche
nötig. Die Belange des Naturschutzes müssen verstärkt im Sinne einer guten
ökologischen Praxis parallel zur landwirtschaftlichen Nutzung auf der Fläche
berücksichtigt werden. Um dies bei einer stetig steigenden Nutzungskonkur-
renz zu ermöglichen, ist eine möglichst produktive und effiziente Landwirt-
schaft als Garant für eine nachhaltige und klimafreundliche Ressourcennut-
zung erforderlich.

5. Reinbiokraftstoffe sind von der neu eingeführten Sondersteuer bis Ende 2009
zu befreien. Danach ist statt einer Erhöhung der Beimischungsquote eine Pro-
portionalsteuer einzuführen, um die negativen ökologischen und ökonomi-
schen Effekte des Beimischungszwanges zu vermeiden und einen positiven
Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

6. Es sollten neue Anreizsysteme zur Nutzung der vorhandenen Emissions-
reduktionspotenziale in der Landwirtschaft geschaffen werden. Eine Stick-
stoffsteuer wirkt einer Optimierung der Produktion und damit dem Klima-
schutz entgegen und wird abgelehnt.

7. „Verzichtsstrategien“ und Verbraucherbevormundung in der Ernährungspoli-
tik werden als untaugliches Mittel abgelehnt. Sinnvoller sind die Information
und Bildung z. B. über die ernährungsphysiologischen und klimapolitischen
Vorteile des Genusses saisonaler Obst- und Gemüsearten. Zudem sind im Er-
nährungsbereich Verbesserungen bei der Herstellung, beim Transport und
Handel von Lebensmitteln anzustreben.

Drucksache 16/8540 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

8. Forschung und Entwicklung im Agrar- und Nahrungsmittelbereich sind auf
nationaler Ebene deutlich stärker voranzutreiben. Die gegenwärtig prakti-
zierte Sparpolitik bei der klassischen Agrarforschung ist unverantwortlich.

EU-Ebene

9. Zwar muss die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU den neuen Anfor-
derungen, die sich aus dem Klimawandel ergeben, angepasst werden; dies
darf aber nicht als Begründung zur Ausweitung der Modulation beim sog.
„Health Check“ führen. Aus Gründen der Planungssicherheit und Verläss-
lichkeit müssen die Direktzahlungen der Ersten Säule bis 2013 gesichert
sein.

10. Marktliberalisierung sowie die Integration von Umweltbelangen in die GAP
haben bereits zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Klimagasemis-
sionen geführt; eine Fortsetzung dieses Reformkurses ist daher auch aus
klimapolitischer Sicht notwendig.

11. Um Produktionserweiterung und die Reduktion von Treibhausgasemissio-
nen zu ermöglichen, muss die obligatorische Flächenstilllegung in der EU
abgeschafft werden, damit eine landwirtschaftliche Nutzung erfolgen kann.
Zukünftig ist eine Flächenstilllegung, die aus Naturschutzsicht vorteilhaft
ist, durch gesonderte Programme zu honorieren.

12. Beim Wassermanagement ist ein nachhaltiges Bewirtschaftungs- und Nach-
fragemanagement erforderlich. Es gilt, effizientere Nutzungsmethoden anzu-
wenden und zu entwickeln/weiterzuentwickeln (z. B. Tröpfchenbewässe-
rung) sowie die grenzüberschreitende Koordinierung von Wasserentnahmen
aus Flüssen und Schaffung zusätzlicher Speicherkapazitäten zu optimieren.

13. Die Forschungsförderung durch das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm ist
in folgenden Bereichen zu verstärken:

– Innovation und Entwicklung neuerer und effizienterer Technologien
(z. B. Düngeverfahren, Energie-, Wassermanagement) und Produkte
(z. B. Pflanzenzüchtung, Humusanreicherung der Böden);

– Auswirkung der agroökologischen Bewirtschaftung auf die Belastbar-
keit von Ökosystemen;

– allgemeine Untersuchungen von Klimaauswirkungen auf Kohlenstoff-
anteile in Böden und Biosphäre;

– Datensammlung und Vernetzung vorhandener Informationssysteme.

International

14. Auf internationaler Ebene gilt es, Zertifizierungssysteme für Produktions-,
Verarbeitungs- und Vermarktungsstränge von Biomasse festzulegen und
durchzusetzen, um Nachhaltigkeitsstandards sicherzustellen. Ansonsten
führt die verstärkte Biomasse-Nutzung in Europa zu global kontraprodukti-
ven Ergebnissen bei Klimaschutz und Biodiversität. So sind der weitere
Kahlschlag tropischer Regenwälder, das höchst klimaschädliche Abbrennen
von Torfwäldern sowie die Trockenlegung von wertvollen Feuchtgebieten
zur Anlage von Plantagen zu stoppen.

15. Zertifizierung ist aber keine alleinige Antwort, um kontraproduktive Effekte
der Biomassenutzung zu vermeiden. Die geplante Verdopplung der nationa-
len Quote zur Beimischung von Biokraftstoffen in Deutschland, aber auch
das EU-Ziel für Biokraftstoffe verstärken den Druck auf die Liefermärkte in
tropischen Ländern und müssen korrigiert werden. Die Erhöhung der natio-

nalen Beimischungsquote sollte – wenn überhaupt – erst als Option zur
Debatte stehen, wenn funktionierende Zertifizierungssysteme aufgebaut sind.

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16. Mittelfristig sollte auf internationaler Ebene ein sektorübergreifender und
möglichst unbürokratischer Emissionshandel eingeführt werden. Über inter-
nationale politische Verhandlungen muss großräumige Entwaldung verhin-
dert werden.

17. Die internationalen Handelsbeziehungen müssen dahingehend angepasst
werden, dass ein globaler Markt für ressourcenschonende und nachhaltige
Technologien geschaffen werden kann. Beim Technologietransfer ist darauf
zu achten, den Schutz des geistigen Eigentums der Unternehmen zu wahren.

18. Schließlich muss auf internationaler Ebene die Agrarforschung zur Ent-
wicklung angepasster Pflanzen- und Tierarten und zur Sicherstellung der
Ernährung sowie eines möglichst optimalen Klimaschutzes verstärkt wer-
den. Investitionen in den Ausbau land- und forstwirtschaftlicher Strukturen
in Entwicklungs- und Schwellenländern sind zu verstärken, da sie zu einer
besonders hohen Wertschöpfung in diesen ländlichen Regionen führen.

Berlin, den 12. März 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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