BT-Drucksache 16/848

In der EU-Mittelmeerpolitik mehr auf Demokratisierung und Good Governance drängen

Vom 8. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/848
16. Wahlperiode 08. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Dr. Karl Addicks, Jens Ackermann, Christian
Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth),
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter
Haustein, Hellmut Königshaus, Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen,
Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

In der EU-Mittelmeerpolitik mehr auf Demokratisierung und Good Governance
drängen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zehn Jahre nach Beginn des Barcelona-Prozesses (der Europa-Mittelmeer-Part-
nerschaft, EMP) sind die Ergebnisse ernüchternd. Außer sehr ermutigenden Ver-
änderungen in Marokko sind in den südlichen EU-Nachbarländern nur geringe
Fortschritte bei Demokratisierung und Durchsetzung der Menschenrechte er-
zielt worden.

Anlässlich der EU-Osterweiterung hat die Europäische Kommission 2004 ein
Strategiepapier zur neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) vorge-
stellt; die Beziehungen der EU zu ihren Nachbarländern sollen mit einer neuen
Strategie vertieft und gestärkt werden. Bilaterale Aktionspläne sollen die Maß-
nahmen für die einzelnen Partnerländer definieren, und deren Umsetzung über-
prüfbar machen. Der Barcelona-Prozess ist in diese ENP integriert; dieser neue
Ansatz hat der europäischen Mittelmeerpolitik bereits ermutigende Impulse ge-
geben.

Die bisherige finanzielle Förderung der ENP-Partnerländer mittels MEDA und
TACIS wird ab 2007 zusammengefasst zu dem neuen Nachbarschafts- und Part-
nerschaftsinstrument ENPI. Dieses neue Instrument soll die Umsetzung der

ENP-Aktionspläne fördern. Im Gegensatz zur früheren Förderung wird beim
ENPI stärker auf die Reformwilligkeit der betreffenden Länder abgestellt.

Der Deutsche Bundestag unterstützt dieses Vorhaben. Sichtbare Fortschritte bei
Menschenrechten und Demokratisierung, Ablehnung des Terrorismus, eine
transparente Mittelverwendung und Fortschritte bei „Good Governance“ sind
notwendige Voraussetzungen für weitere Förderung. Ein zeitnahes Monitoring

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durch Sub-Comittees muss die Fortschritte umfassend bewerten und darf sich
nicht auf Detailprüfung von Einzelprojekten beschränken.

Lassen die Regierungen der Partnerländer die Bereitschaft zur Umsetzung der
Aktionspläne vermissen, muss die EU die Möglichkeit haben, ihre finanzielle
Unterstützung verstärkt Nichtregierungsorganisationen zukommen zu lassen.

Der Aufbau und die Stärkung der Zivilgesellschaft im südlichen und östlichen
Mittelmeerraum wurden im Barcelona-Prozess sträflich vernachlässigt. Der An-
teil der EU-Fördergelder, der Akteuren der Zivilgesellschaft zugute kommt, ist
im Mittelmeerraum geringer als bei allen anderen Entwicklungsregionen. Ob-
wohl 90 Prozent der Mittel für Projekte zur Stärkung der wirtschaftlichen Kon-
kurrenzfähigkeit der Mittelmeernachbarn ausgegeben wurden, hat sich die Er-
wartung, dadurch werde auch ein politischer Reformprozess ausgelöst, in den
meisten Ländern nicht erfüllt.

Erklärtes Ziel der ENP ist es, Stabilität, Sicherheit und Wohlstand aller Betrof-
fenen zu stärken. Alle drei Ziele sind jedoch nur zu erreichen durch eine Öffnung
der politischen Systeme, die Stärkung des Rechtsstaats, die Bekämpfung von
Korruption und die Ausweitung der demokratischen Rechte der Bevölkerungen.
Nur durch solche Reformschritte können wirtschaftlicher Wohlstand und dauer-
hafte Stabilität erreicht werden. Die Schaffung eines friedlichen, freiheitlichen
und demokratischen Klimas in den Ländern des Maghreb und des Nahen Ostens
muss deshalb eine Kernaufgabe europäischer Nachbarschaftspolitik sein. Eine
kurzfristige Stabilisierung des Status quo in der Region würde lediglich zu ver-
schärften Spannungen innerhalb der Gesellschaften führen und liegt schon des-
halb nicht im politischen Interesse der Europäischen Union. Daher muss bei der
Umsetzung der Mittelmeerkomponente der ENP der Schwerpunkt eindeutig auf
einer strikten politischen Modernisierungsorientierung liegen.

Dem Aufbau von Wissenskapazität kommt eine große Bedeutung als eine Vo-
raussetzung für die wirtschaftliche und politische Entwicklung der Mittelmeer-
Partnerstaaten zu. Der Arab Human Development Report hat hier gravierende
Defizite festgestellt und gleichzeitig unterstrichen, wie wichtig die Transforma-
tion der arabischen Gesellschaften in eine Wissensgesellschaft ist. Die Förde-
rung von Bildung und Forschung muss stärker als bisher Inhalt der im Rahmen
der Mittelmeerkomponente der ENP zu vereinbarenden Aktionspläne sein. Ge-
rade in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonal und bei der Gestaltung der
Lehrinhalte kann und muss die EU ihren Mittelmeerpartnern mehr Hilfe leisten.

Größter Vorteil der ENP gegenüber der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft ist der
bilaterale Ansatz, der eine stärkere Differenzierung zwischen den einzelnen
Partnerländern ermöglicht und größere Fortschritte reformwilliger Staaten er-
laubt. Der regionale Aspekt darf darüber jedoch nicht vernachlässigt werden:
Ein Blick auf die Erfolgsgeschichte der europäischen Einigung einerseits und
die politische und wirtschaftliche Fragmentierung des südlichen und östlichen
Mittelmeerraums andererseits bestätigt die These, dass regionale Integrations-
prozesse ein wichtiger Motor für eine erfolgreiche Entwicklung sind. Es bedarf
daher stärkerer Anstrengungen von Seiten der EU, die Mittelmeerpartner zu
einer engeren Kooperation untereinander zu bewegen. Handlungsfelder hierfür
können länderübergreifende Infrastrukturmaßnahmen, ein Abbau von Handels-
hemmnissen zwischen den Staaten sowie eine verstärkte Zusammenarbeit von
Polizei und Sicherheitskräften sein.

Der bisher ungelöste Nahost-Konflikt hat sich immer wieder als großes Hinder-
nis für den Barcelona-Prozess erwiesen. Auch hier eröffnet der bilaterale Ansatz
neue Chancen, den Erfolg der Partnerschaft von diesem Konflikt unabhängiger
zu machen. Ein Stocken des Friedensprozesses im Nahen Osten darf keine Ent-
schuldigung für reformunwillige Regime sein. Unabhängig davon muss die EU

sich stärker um eine Vermittlung zwischen Israel und Palästina bemühen und

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/848

sich verstärkt im Nahost-Quartett engagieren. Ziel bleibt weiterhin ein Friedens-
prozess an dessen Ende eine Zwei-Staaten-Lösung auf Grundlage der Roadmap
steht. Dauerhaft kann die EU nur solche Regierungen unterstützen, die diese
Zwei-Staaten-Lösung und die Roadmap als Weg dahin grundsätzlich akzeptie-
ren.

Die EU muss kritisch hinterfragen, welche Erfolge bislang mit ihren Konzepten
erreicht wurden. Die Europa-Mittelmeer-Partnerschaft hat keine nennenswerte
Dynamik in den südlichen und östlichen Mittelmeerländern ausgelöst. Das
Engagement der Partnerländer für echte Reformen bleibt unbefriedigend. Vor
allem hat sich gezeigt, dass die Unterstützung moderater Kräfte ohne gleich-
zeitige strikte Kontrolle der Mittelverwendung leicht zu weiterer Radikalisie-
rung und Protestwahlen führen kann und damit nicht nur ineffizient ist, sondern
kontraproduktiv wirkt. Diesen Erfahrungen muss eine zukünftige, neu ausge-
richtete EU-Mittelmeerpolitik Rechnung tragen.

In der Zielsetzung stimmen die EU und die USA überein: Ein demokratischer,
prosperierender und stabiler Maghreb- und Nahostraum liegt im Interesse von
Europa wie der USA. EU und USA müssen sich daher gemeinsam um eine um-
fassende Reform der Region bemühen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– sich dafür einzusetzen, dass die Mittelmeerkomponente der ENP den
Schwerpunkt auf deutliche Fortschritte bei Demokratisierung und Good
Governance legt;

– sich dafür einzusetzen, dass die regelmäßige Überprüfung der Aktionspläne
der einzelnen Länder eine umfassende politische Bewertung enthält, die die
Grundlage für die Planung weiterer Hilfen bildet;

– sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union verstärkt finanzielle Un-
terstützung den anerkannten Nichtregierungsorganisationen aus der Region
zukommen lässt. Dies muss vor allem dann gelten, wenn politische Fort-
schritte und Fortschritte bei Good Governance und Korruptionsbekämpfung
in einem Land mangelhaft sind;

– sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union klare und nachvollzieh-
bare Kriterien entwickelt, wann sie Regierungen in den Partnerländern die
Unterstützung entzieht;

– sich dafür einzusetzen, dass zu diesen Kriterien auch die Anerkennung des
Existenzrechtes Israels und die Verurteilung des Terrorismus gehören;

– sich dafür einzusetzen, dass die Förderung von Bildung und Forschung stär-
ker als bisher berücksichtigt wird;

– sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union sich stärker um regionale
Kooperation der Mittelmeerpartner untereinander bemüht;

– sich dafür einzusetzen, dass die bisher vorliegenden Programme und Initiati-
ven anderer multinationaler Organisationen (etwa NATO, G8 und OSZE)
zum Nahen und Mittleren Osten gemeinsam mit allen Beteiligten präzisiert
und weiterentwickelt werden.

Berlin, den 7. März 2006

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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