BT-Drucksache 16/8428

Eckpunkte des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit für kooperative Jobcenter

Vom 5. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8428
16. Wahlperiode 05. 03. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike
Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund
Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn),
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig
Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker
Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Eckpunkte des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der
Bundesagentur für Arbeit für kooperative Jobcenter

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Bundesagentur für
Arbeit haben am 12. Februar 2008 einen ersten Vorschlag zu Eckpunkten für
„kooperative Jobcenter“ vorgelegt. Damit soll der vom Bundesverfassungs-
gericht am 20. Dezember 2007 getroffenen Entscheidung zur Verfassungs-
widrigkeit der ARGEn Rechnung getragen werden, ohne dafür gesetzliche
Änderungen vorzunehmen. Das Konzept setzt vielmehr auf eine freiwillige
Zusammenarbeit der Kommunen mit der Bundesagentur für Arbeit.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie begründet die Bundesregierung ihre Entscheidung, den Gesetzgeber
nicht mit der Organisationsfrage des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB II) und der Entscheidung über mögliche Alternativen für die SGB-II-
Aufgabenwahrnehmung zu befassen?

2. Hält die Bundesregierung eine untergesetzliche Regelung zur Zusammen-
arbeit der SGB-II-Träger für vereinbar mit der fortbestehenden Regelung in

§ 44b SGB II, und wenn ja, wie begründet sie dies?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefahr, dass die vom Bundesverfas-
sungsgericht festgestellten verfassungsrechtlichen Mängel ohne eine grund-
legende und sorgfältig vorbereitete Entscheidungsfindung des Gesetzgebers
bestehen bleiben oder gar erneuert werden, und wie begründet sie diese Auf-
fassung?

Drucksache 16/8428 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Welchen Charakter und welche Verbindlichkeit soll der Kooperationsver-
trag als Grundlage für die Leistungserbringung haben?

Für den Fall, dass damit eine Selbstbindung der Träger bezweckt wird, die
die eigene Aufgabenwahrnehmung dauerhaft beschränkt, sieht die Bundes-
regierung hierin einen Verstoß gegen die vom Bundesverfassungsgericht
eingeforderte eigenständige Aufgabenwahrnehmung?

5. Welche Kompetenzen verbleiben dem kommunalen Träger nach Abschluss
des Kooperationsvertrages?

6. Hält die Bundesregierung eine arbeitsteilige Aufgabenwahrnehmung für
vereinbar mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das Mischver-
waltung im SGB II für grundsätzlich verfassungswidrig erklärt hat?

7. Hält sich die Bundesregierung an die vom Gesetzgeber im Rahmen des
SGB-II-Gesetzgebungsverfahrens beabsichtigte Bündelung der Leistungs-
erbringung aus einer Hand gebunden, und wenn ja, mit welcher Begründung
weicht die Bundesregierung durch eine stärkere organisatorische Trennung
der Aufgabenwahrnehmung von diesem Ziel ab?

8. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die vom Bundesverfassungs-
gericht eingeforderte klare und für den Bürger nachvollziehbare Aufgaben-
zuordnung gewährleistet werden kann, ohne dass entweder Bund oder Län-
der umfassend für die Ausführung des SGB II zuständig werden, und wie
begründet sie diese Auffassung?

9. Auf welche Weise wird die Bundesregierung der im Grundgesetz angeleg-
ten Rolle der Länder bei der Ausführung von Bundesgesetzen im Zusam-
menhang mit dem SGB II künftig Rechnung tragen?

10. Wie sollen bei den von der Bundesregierung geplanten kooperativen Job-
centern die Aufsichts- und Durchgriffsrechte sowie die Haftungsregelungen
bei Konfliktfällen zwischen den Trägern ausgestaltet sein?

11. Wie soll die Steuerung durch Zielvereinbarungen konkret erfolgen, wie soll
bei Zielkonflikten zwischen Kommunalen- und Bundesleistungen vorge-
gangen werden, und welche Konsequenzen hat das Über- oder Untertreffen
der vereinbarten Ziele?

12. Wie soll die Rolle des Geschäftsführers konkret ausgestaltet sein, bei wel-
chen Sachverhalten ist die Bundesagentur für Arbeit dem Geschäftsführer
gegenüber weisungsbefugt, und wie ist die Rollenverteilung gegenüber dem
paritätisch besetzten Kooperationsausschuss?

13. Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung unter Beachtung des Urteils des
Bundesverfassungsgerichtes das Personal der verschiedenen Träger einge-
setzt werden?

Soll das Personal nach den Aufgabenbereichen der Träger getrennt tätig sein
oder arbeitsteilig in allen Zuständigkeitsbereichen arbeiten?

14. Welche Probleme und Risiken und welche Vorteile für Beschäftigte und
Betroffene sieht die Bundesregierung durch die geplante Einführung von
kooperativen Jobcentern gegenüber dem Beibehalten der ARGEn bis zu
einer sorgfältig vorbereiteten Gesetzesänderung, die den verfassungsge-
richtlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung trägt?

15. Sieht die Bundesregierung in dem geplanten Vorgehen zur Begründung von
kooperativen Jobcentern einen geeigneten Weg, die rechtlichen Unsicher-
heiten für Betroffene und Beschäftigte auszuschließen, wie es das Bundes-
verfassungsgericht durch die Weiteranwendung von § 44b SGB II bis Ende
2010 erreichen wollte?
Wenn nein, woraus leitet die Bundesregierung bei ihrem Vorgehen Rechts-
sicherheit und Verlässlichkeit der geplanten Organisationsform ab?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8428

16. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die vorliegenden Eckpunkte
zum kooperativen Jobcenter Grundlage für eine effiziente, unbürokratische
und im Interesse der Betroffenen ideale Organisationsform für das SGB II
darstellt?

Wie begründet sie diese Auffassung angesichts der hierbei unvermeidlichen
Doppelstrukturen?

17. Wie begründet die Bundesregierung den schnellen Handlungsbedarf ange-
sichts der ohnehin gemäß § 6c SGB II vorgesehenen Entscheidung des Ge-
setzgebers über das bis Ende 2010 laufende Experimentiermodell im Jahr
2009 und in Anbetracht der vom Bundesverfassungsgericht bis Ende 2010
gewährten Neuregelungszeitraumes?

18. Worauf stützt die Bundesregierung ihre Annahme, dass mit der Entscheidung
die aufgeteilte Trägerschaft innerhalb des SGB II „bestätigt“ worden sei, ob-
wohl das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offenlässt, ob der Bund
durch § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II gegen Artikel 84 Abs. 1 des Grund-
gesetzes (GG) a. F. verstoßen hat (Tz. 130 BVerfGE Az. 2 BvR 2433/04
und 2434/04 vom 20. Dezember 2007) oder dem Übergangsrecht des Arti-
kels 125a GG gerecht geworden ist (Tz. 136, ebd.)?

19. Soll für die kooperativen Jobcenter an der Aufsichtskompetenz der obersten
Landesbehörden nach § 44b Abs. 3 Satz 4 SGB II festgehalten werden, und
wenn nein, wie ist dies mit der bestehenden Rechtslage vereinbar, und wie
soll die Aufsicht über die Aufgabenwahrnehmung ausgestaltet werden?

20. Sieht die Bundesregierung in dem Modell der kooperativen Jobcenter eine
auf Dauer angelegte Form der Zusammenarbeit, und wenn ja, wie beabsich-
tigt sie die Ergebnisse der laufenden Wirkungsforschung zur Experimentier-
klausel zu berücksichtigen?

21. Ergeben sich durch das beabsichtigte Angebot der Bundesagentur für Arbeit
zur Übernahme von 18 000 Beschäftigten der Kommunen bei Statuserhalt
und Besitzstandwahrung hinsichtlich der individuellen Besoldung und Ver-
gütung Zusatzbelastungen für den Bundeshaushalt?

Wenn ja, wie hoch fallen diese Mehrbelastungen unmittelbar und in den
Folgejahren aus, und wie ist dies im Bundeshaushalt berücksichtigt?

22. Wie beabsichtigt die Bundesregierung mit dem Problem umzugehen, dass
nach einer Übernahme der kommunalen Beschäftigten durch die Bundes-
agentur für Arbeit mit gleichen Aufgaben betraute Mitarbeiter desselben
Arbeitgebers unterschiedlich vergütet werden?

Berlin, den 5. März 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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