BT-Drucksache 16/8421

Zulassung der Stärkekartoffel Amflora und die wissenschaftliche Basis des Abstimmungsverhaltens deutscher Minister in den Gremien der EU

Vom 5. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8421
16. Wahlperiode 05. 03. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Edmund Peter Geisen, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen,
Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion
der FDP

Zulassung der Stärkekartoffel Amflora und die wissenschaftliche Basis des
Abstimmungsverhaltens deutscher Minister in den Gremien der EU

In der Bundesrepublik Deutschland wurden im Jahr 2006 laut Statistischem
Bundesamt auf etwa 274 000 Hektar Kartoffeln angebaut. Die Hälfte des Kar-
toffelanbaus diente der Produktion von Stärke für die industrielle Nutzung zum
Beispiel bei der Papierherstellung, in der Textilindustrie sowie der Stabilisie-
rung von Klebstoffen oder in bisher noch geringem Umfang zur Herstellung von
Biokunststoffen. Die Stärkeproduktion in der Bundesrepublik Deutschland be-
trug 2005 nach Angaben des Verbandes der Stärkeindustrie 1,51 Mio. Tonnen
bei einem Anteil von 44 Prozent an Kartoffelstärke. Weltweit werden über
45 Mio. Tonnen Stärke industriell erzeugt. Stärke ist ein Gemisch pflanzlicher
Kohlenhydrate. Kartoffelstärke besteht zu etwa 70 Prozent aus Amylopektin
und zu 30 Prozent aus Amylose. Amylopektin besteht aus verzweigten Ketten
und bindet gut, Amylose besteht aus langen unverzweigten Ketten und geliert.
Für die Stärkenutzung in der Papierindustrie sowie in der chemischen Industrie
wird ausschließlich das Amylopektin gebraucht. Deshalb wird bei der Stärke-
gewinnung die Amylose durch ein aufwändiges Verfahren, das Wasser und
Energie verbraucht, oder durch chemische Verfahren entfernt. Die mit gentech-
nischen Methoden gezüchtete Stärkekartoffel enthält nur Amylopektin. Für die
Stärkegewinnung kann daher auf den Prozess der Abtrennung der Amylose
verzichtet werden bei gleichzeitiger Verbesserung der Produktqualität und der
Verarbeitungseigenschaften. Insgesamt ist die Stärkekartoffel ein Beispiel für
eine gelungene züchterische Optimierung einer Kulturpflanze, mit der ein an die

industrielle Nutzung angepasster nachwachsender Rohstoff, die Stärke, produ-
ziert werden kann. Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit Sigmar Gabriel hatte in seiner Rede zum Bericht der Bundesregierung
zur Lage der Natur im Plenum des Deutschen Bundestages am 20. Oktober 2006
ausdrücklich auf die Stärkekartoffel als positives Beispiel verwiesen.

Der erste Antrag für die Zulassung dieser Stärkekartoffel für ihren Anbau, die
industrielle Nutzung sowie die Nutzung als Futtermittel wurde bereits im Jahr

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1996 entsprechend der Richtlinie 90/220/EC gestellt. Sie soll unter dem Namen
Amflora vermarktet werden. Das „de facto-Moratorium“ der EU in den Jahren
1998 bis 2004 verursachte einen Stillstand des Zulassungsverfahrens. 2005
wurde ein erneuter Zulassungsantrag zur Nutzung als Lebens- und Futtermittel
gemäß der inzwischen in Kraft getretenen Verordnung EG Nr. 1829/2003 ge-
stellt und 2005 nach Absprache mit der EU-Kommission der beantragte Zulas-
sungsumfang gemäß Richtlinie 2001/18/EC geändert.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat in ihrer Stel-
lungnahme die Sicherheit der Stärkekartoffel für die Umwelt wie auch für
Mensch und Tier festgestellt. In einer weiteren Stellungnahme vom Mai 2007
hat die EFSA gesondert den nptII-Antibiotikaresistenzmarker bewertet, der eine
Resistenz gegenüber dem Antibiotikum Kanamycin vermittelt. Die EFSA sieht
diesen Antibiotikaresistenzmarker als sicher an. Dieses Antibiotikum ist in Sal-
ben und Augentropfen enthalten und wird in der Human- und Tiermedizin als
Reserveantibiotikum genutzt. Die EFSA hat ihre Entscheidung damit begründet,
dass das nptII-Gen in Bakterien der Darmflora sowie in der Umwelt bereits vor-
kommt. Ein Transport des Gens von der Pflanzenzelle in ein Bakterium ist ex-
trem unwahrscheinlich. Nach Auffassung der EFSA gefährdet die Verwendung
des nptII-Markers in gentechnisch veränderten Pflanzen nicht die Wirksamkeit
von Antibiotika der Kanamycin-Gruppe.

Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Horst Seehofer hat in seiner Rede zur Einbringung der Novelle des Gentech-
nikgesetzes im Hinblick auf das Zulassungsverfahren der EU für gentechnisch
veränderte Pflanzen ausdrücklich festgestellt: „Es ist ganz wichtig, dass wir
dieses Zulassungsverfahren objektivieren und auf eine wissenschaftliche
Grundlage stellen.“ Bei der letzten Abstimmung im EU-Agrarministerrat am
18. Februar stimmte der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz Horst Seehofer jedoch trotz der positiven wissenschaft-
lichen Bewertungen der EFSA zur Stärkekartoffel wie auch speziell zum nptII-
Marker gegen die Zulassung der gentechnisch veränderten Stärkekartoffel Am-
flora als Lebens- und Futtermittel. Mit diesem Zulassungsantrag sollte erreicht
werden, dass Abfälle aus der Stärkeproduktion verfüttert werden können.
Außerdem würde dann bei versehentlichen, nicht völlig auszuschließenden
Vermengungen von Stärkekartoffeln mit Konsumkartoffeln die für nicht zuge-
lassene gentechnisch veränderte Organismen geltende Nulltoleranz nicht in
Kraft treten. Bei der ersten Abstimmung über die Zulassung des Anbaus und
der industriellen Nutzung im Regelungsausschuss im Dezember 2006 sowie im
Agrarministerrat im Juli 2007 stimmte der deutsche Vertreter für die Zulas-
sung, während im Rat der europäischen Umweltminister im Juni 2007 der Bun-
desminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Sigmar Gabriel die
Vertagung der Entscheidung über den Vorschlag der EU-Kommission, den An-
bau der Stärkekartoffel zuzulassen, beantragte.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Entscheidung in den
Gremien der EU über die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen-
sorten auf wissenschaftlicher Basis erfolgen sollte, da nur so die Sicherheit
der Umwelt sowie die Gesundheit von Mensch und Tier gewährleistet wer-
den kann und gleichzeitig den Unternehmen, die in die Entwicklung dieser
Sorten investiert haben, Rechtssicherheit über die Zulassung von Sorten, die
die vorgegebenen gesetzlichen Bestimmungen erfüllen, gegeben wird, und
wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8421

2. Welche Beispiele sind der Bundesregierung bekannt für wissenschaftlich
nachgewiesene Schäden an der Umwelt, die durch den Anbau von zugelas-
senen gentechnisch veränderten Pflanzensorten verursacht wurden, und wo
und wann sind diese eingetreten?

3. Welche Beispiele sind der Bundesregierung bekannt für wissenschaftlich
nachgewiesene gesundheitliche Schäden bei Tieren und Menschen durch
die Verfütterung bzw. den Verzehr von Produkten aus zugelassenen gen-
technisch veränderten Pflanzensorten, und wo und wann sind diese aufge-
treten?

4. Welchen Stellenwert haben die Stellungnahmen der EFSA für die Entschei-
dungsfindung der Bundesregierung in den Abstimmungen über die Zulas-
sung von Anbau oder Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzensorten im
Rat der Agrarminister sowie im Rat der Umweltminister?

5. Wie bewertet die Bundesregierung das jetzige Zulassungsverfahren der EU
für gentechnisch veränderte Pflanzen, in dem bei den Abstimmungen im
Ministerrat für viele Länder die von der EFSA vorgenommenen Sicherheits-
bewertungen nur eine untergeordnete Bedeutung haben.

6. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass solange das jetzige Zulas-
sungsverfahren in der EU in Kraft ist und über die Zulassung von gentech-
nisch veränderten Pflanzensorten im Ministerrat abgestimmt wird, entspre-
chend der zitierten Aussage aus der Rede des Bundesministers für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Horst Seehofer im Plenum des
Deutschen Bundestages die wissenschaftlichen Bewertungen der EFSA
Grundlage der Entscheidungsfindung sein sollten, und wenn nein, warum
nicht?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Eignung der Stärkekartoffel für die
Produktion von Stärke zur industriellen Nutzung als nachwachsender Roh-
stoff, und welchen Stellenwert haben nachwachsende Rohstoffe für die
industrielle Produktion im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie der Bun-
desregierung?

8. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass das aufwändige Zulas-
sungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen für mittelständische
Pflanzenzuchtunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland eine kaum
zu bewältigende Hürde darstellt, und wenn ja, welche Anstrengungen hat
die Bundesregierung bisher unternommen, das Verfahren für diese Unter-
nehmen zu erleichtern?

9. Welche konkreten Initiativen hat die Bundesregierung bisher unternommen,
um entsprechend der Zielsetzung des Bundesministers für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz Horst Seehofer das Zulassungsverfahren
für gentechnisch veränderte Pflanzen auf eine wissenschaftliche Grundlage
zu stellen?

10. In welcher Höhe finanziert die Bundesregierung die EFSA, und weshalb
wird die Finanzierung fortgesetzt, obwohl deren Bewertungen für die Ent-
scheidung z. B. über Zulassungsverfahren der EU nur noch von untergeord-
neter Bedeutung sind?

11. Welche Empfehlungen zur Koexistenz im Kartoffelanbau sind bisher von
den Einrichtungen der Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ent-
wickelt worden, vor dem Hintergrund, dass im dritten Bericht der Bundes-
regierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz ausgeführt wird,
dass die EU-Kommission in ihrem Koexistenz-Bericht vom 9. März 2006

empfiehlt, kulturartenspezifische Empfehlungen zur guten fachlichen Pra-
xis zu entwickeln?

Drucksache 16/8421 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
12. Haben Einrichtungen der Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz Unter-
suchungen zur Eignung von Resten aus der Herstellung von Stärke, die aus
der Stärkekartoffel gewonnen wurden, durchgeführt, und wenn ja, mit wel-
chem Ergebnis?

13. Hat die Bundesregierung das Bundesinstitut für Risikobewertung mit einer
Bewertung der Stärkekartoffel hinsichtlich ihrer Eignung als Tierfutter be-
auftragt, und wenn nein, warum nicht?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Stellungnahme der EFSA zum nptII-
Marker?

15. Welche in Europa zur Nutzung zugelassenen gentechnisch veränderten
Pflanzensorten enthalten den nptII-Marker?

16. Ist der horizontale Gentransport des nptII-Markergens von einer Pflanzen-
zelle in ein Bakterium nachgewiesen worden, und wenn ja, durch wen, und
wo ist dies veröffentlicht?

17. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der EFSA, dass die Verwendung
des nptII-Markers in gentechnisch veränderten Pflanzen die Wirksamkeit
von Antibiotika der Kanamycin-Gruppe nicht beeinträchtigt, und wenn
nein, warum nicht?

18. Hat die Bundesregierung in Vorbereitung der Abstimmung über die Stärke-
kartoffel im Ministerrat eine wissenschaftliche Bewertung der Verwendung
des nptII-Markers in einer für die Fütterung zugelassenen gentechnisch ver-
änderten Pflanzensorte eingeholt, und wenn ja, von welcher nationalen For-
schungseinrichtung hat sich die Bundesregierung mit welchem Ergebnis
beraten lassen, und wenn nein, warum nicht?

19. Aufgrund welcher Kriterien stimmt die Bundesregierung im Agrarrat bzw.
im Rat der Umweltminister über die Zulassung gentechnisch veränderter
Pflanzen ab, und welchen Stellenwert haben dabei die Empfehlungen der
EFSA, und welche Stellungnahmen nationaler Institute werden vor der Ab-
stimmung eingeholt?

20. Stimmt die Bundesregierung im Agrarrat bzw. im Rat der Umweltminister
nach wissenschaftlichen oder nach politischen Kriterien ab?

Berlin, den 5. März 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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