BT-Drucksache 16/8409

Effiziente und ökologische Energie- und Wertholzproduktion in Agroforstsystemen ermöglichen - Ökologische Vorteilswirkungen von Agroforstsystemen erforschen

Vom 5. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8409
16. Wahlperiode 05. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Edmund Peter Geisen, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Michael
Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Heinz Lanfermann, Sibylle
Laurischk, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Max Stadler,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Effiziente und ökologische Energie- und Wertholzproduktion in
Agroforstsystemen ermöglichen – Ökologische Vorteilswirkungen von
Agroforstsystemen erforschen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Union hat im vergangenen Jahr nach der Vorstellung des
Klimaberichts der Vereinten Nationen beschlossen, bis 2020 20 Prozent des
Primärenergieverbrauchs durch erneuerbare Energien wie Biomasse, Wind,
Photovoltaik zu erzeugen. Die Bundesregierung hat weiterhin für Deutschland
als verbindliches Ziel eine Minderung der Treibhausgasemissionen um 40 Pro-
zent festgelegt. In 2006 betrug der Anteil erneuerbarer Energien am Primär-
energieverbrauch entsprechend der Darstellung auf der Konferenz für Erneuer-
bare Energien etwa 5,3 Prozent; das 20-Prozent-Ziel der EU bedeutet somit
eine Vervierfachung. Die Bereitstellung der Primärenergie aus erneuerbaren
Energien erfolgte nach Angaben des Bundesministeriums für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit zu etwa 75 Prozent durch Biomasse. Dabei ist die
energetische Verwertung von Holz, die einen Anteil von 40,1 Prozent erzielt
hat, nach wie vor von herausragender Bedeutung. Die ehrgeizigen klima- und
energiepolitischen Ziele von EU und Bundesregierung erfordern große An-
strengungen beim Einsparen von Energie, bei der effizienten Nutzung der Ener-

gieträger zum Beispiel durch verstärkte Kraft-Wärme-Kopplung und insbeson-
dere bei der Bereitstellung des wichtigsten erneuerbaren Energieträgers, der
Biomasse. Nur dann ist gewährleistet, dass die Kostenstruktur für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher sozial verantwortbar ist und die Wettbewerbsfähig-
keit der Unternehmen erhalten bleibt.

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat in seinem im Novem-

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ber 2007 vorgelegten Gutachten „Nutzung von Biomasse zur Energiegewin-
nung – Empfehlungen an die Politik“ die Biomasseträger und deren unterschied-
liche Nutzung miteinander verglichen. Dabei zeigt sich, dass die Vermeidungs-
kosten pro eingesparter Tonne CO2-Äquivalent und die Vermeidungsleistung
Tonne CO2-Äquivalent pro Hektar bei der Verwendung von Hackschnitzeln aus
Kurzumtriebsplantagen die mit Abstand kostengünstigste und effizienteste
Möglichkeit der Erzeugung erneuerbarer Energien auf Biomassebasis ist. Der
Beirat empfiehlt daher ausdrücklich, „die Erzeugung von Bioenergie (a) in wär-
megeführten KWK-Anlagen bzw. in Heizanlagen auf Basis von Hackschnitzeln
sowie (b) auf Basis von Biogas aus Gülle und Reststoffen in den Mittelpunkt der
deutschen Bioenergiepolitik zu stellen.“ Zur Umsetzung der vorgenannten
klimapolitischen Ziele ist die alleinige Nutzung von Waldrestholz nicht aus-
reichend. Kurzumtriebsplantagen oder andere Formen von Agroforstsystemen
bieten eine weitere, bisher in Deutschland noch wenig genutzte Möglichkeit der
Holzproduktion, die enorme ökologische Vorteile bietet.

In Europa waren Agroforstsysteme über Jahrhunderte ein integraler Bestandteil
der Agrarlandschaft – zum Beispiel Knicklandschaften in Schleswig-Holstein,
Streuobstwiesen und Waldweidewirtschaften, Niederwälder in Bergbauregio-
nen, Korkeichenanbau in Portugal, Dehesas in Spanien. Im Zuge der zuneh-
menden Industrialisierung und Spezialisierung der Landwirtschaft wurden sie
jedoch weitgehend verdrängt und es sind nur noch rudimentäre Reste in der
Kulturlandschaft erhalten geblieben. In modernen Agroforstsystemen, die der
Bereitstellung von Energieholz dienen, werden meist Pappeln und Weiden so-
wie auf nährstoffarmen und trockenheitsexponierten Standorten auch Robinien
im lockeren Verband oder in Reihen (z. B. Alley-Cropping-Systeme, streifen-
weiser Anbau von Gehölzen) angebaut. Nach der Ernte treiben diese Baum-
arten aus dem verbleibenden Stock wieder aus. Nach bisherigen Erfahrungen
liefern die in mindestens 2- oder maximal 10-jährigem Zyklus beernteten
Bäume mindestens 20 bis 30 Jahre lang energetisch und stofflich nutzbares
Holz. Alternativ können die Baumstreifen aber auch für die Wertholz- oder
Streuobstproduktion genutzt werden.

Alley-Cropping-Systeme sind eine spezielle Form der Agroforstwirtschaft, bei
der holzartige Pflanzen in Heckenstrukturen angepflanzt und landwirtschaft-
liche Kulturen auf den dazwischenliegenden Ackerstreifen angebaut werden. In
Alley-Cropping-Systemen können betriebswirtschaftliche Effizienz und ökolo-
gische Vorteilswirkungen in bestmöglicher Form in Einklang gebracht werden.
Die Windschutzstreifen haben eine positive Wirkung auf das Mikroklima. Die
Senkung der Windgeschwindigkeit auf der vom Wind abgewandten Seite der
Baumstreifen und deren Schattenwirkung mindern die Wasserverdunstung des
Bodens und erhöhen die Tauwasserbildung. Bei lang anhaltender Trockenheit
können diese Effekte entscheidend zur Ertragssicherung beitragen. Zusätzlich
nehmen die Bäume Wasser und Nährstoffe aus dem von Ackerpflanzen nicht
durchwurzelten Unterboden auf. Es kommt zu einem Eintrag von Blattstreu auf
den benachbarten Ackerflächen, der mittel- und langfristig zur Anreicherung
von organischem Material und Nährstoffen im Oberboden führt und über die so
verbesserte Wasserhaltekapazität und Nährstoffversorgung die Bodenfunktio-
nen und die Ertragsbildung nachhaltig positiv beeinflusst.

Im Hinblick auf den aktuell diskutierten Nutzungskonflikt zwischen Nahrungs-
mittel- und Futtermittelproduktion einerseits und Bioenergieproduktion ande-
rerseits bietet die Agroforstwirtschaft als alternative Form der Landnutzung die
Möglichkeit, den Anbau mehrjähriger Holzpflanzen (Bäume und Sträucher)
mit der Produktion landwirtschaftlicher Nutzpflanzen oder auch der Nutztier-
haltung zu kombinieren. Die verschiedenen Elemente des Baum-Feld-Systems
können hierbei räumlich und nach Erntezyklus je nach betrieblichem Produk-

tionsschwerpunkt und naturräumlicher Ausstattung einer Region beliebig vari-
iert werden.

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Aller Voraussicht nach wird der weltweit steigende Holzbedarf auf Dauer nicht
rein forstwirtschaftlich in unseren multifunktionalen Wäldern zu decken sein.
Schon jetzt sind Pelletheizungen ohne Förderung konkurrenzfähig und tragen
zu einer erhöhten Nachfrage nach Energieholz bei. Der in Agroforstsystemen
gegebene Erosionsschutz, der unter den Bedingungen des Klimawandels an
Bedeutung gewinnt, die erhöhte Biodiversität in Agroforstsystemen und die
Sicherung der Nährstoffkreisläufe bieten ökologische Vorteile dieser Form der
Biomasseproduktion. Durch den Windschutz und die zeitweilige Beschattung
durch die Bäume in Agroforstsystemen kann in trockenen Sommern zudem der
Wasserbedarf der darunter wachsenden Pflanzen gesenkt und es können so die
Erträge gesteigert werden. Schon heute können Agroforstsysteme an geeigne-
ten Standorten eine wirtschaftlich interessante Alternative zur reinen landwirt-
schaftlichen Nutzung darstellen. Steigende Holz- und Energiepreise verbessern
die wirtschaftlichen Ergebnisse. In Schweden beispielsweise werden seit meh-
reren Jahren auf über 10 000 Hektar Kurzumtriebsplantagen bewirtschaftet.

Agroforstsysteme sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bislang nur in ge-
ringem Maße erforscht worden. Da über das komplexe Wechselspiel zwischen
den Komponenten eines Agroforstsystems und deren Wirkungen auf Boden,
Biodiversität, Mikroklima und Produktivität unter mitteleuropäischen Verhält-
nissen bislang nur wenig bekannt ist, besteht gerade im Hinblick auf den
prognostizierten Klimawandel ein erheblicher Forschungsbedarf, wie ange-
sichts zunehmender Witterungsextreme (Dürre, Sturm, Starkregen etc.) die
landwirtschaftliche Produktion sichergestellt werden kann (Anpassung) und
welchen Beitrag Agroforstsysteme durch den integrierten Anbau von Bäumen
im Vergleich zu herkömmlichen Bewirtschaftungssystemen als Senke für
klimarelevante Gase (Kohlendioxid, Methan, Lachgas, andere Stickoxide) und
damit für den Klimaschutz leisten können. Die Dynamik dieser Prozesse und
ihre ökologische und ökonomische Bedeutung sind bislang für die temperierte
Klimazone aus Sicht der Forschung nur unzureichend verstanden und beschrie-
ben worden. Sie bilden aber die wesentliche Voraussetzung, um Agroforst-
systeme auf regionaler Ebene an die jeweiligen naturräumlichen und betrieb-
lichen Voraussetzungen anpassen und konkrete Empfehlungen für Akteure in
der Landnutzung ableiten zu können. Zukünftige Forschungsbemühungen müs-
sen hier eine enge Verbindung zwischen Grundlagen- und Anwendungsfor-
schung herstellen, um einen raschen Transfer von neuem Wissen in die Wirt-
schaft zu gewährleisten und die Wertschöpfungskette in den Bereichen „food“
und „non-food“ effizient zu realisieren.

Neben den klimarelevanten Forschungsaspekten besteht auch im Hinblick auf
die ökonomische Bewertung agroforstlicher Bewirtschaftungssysteme ein er-
hebliches Forschungsdefizit. Ertragsanalytische Ansätze aus den USA zeigen,
dass die Gesamtbiomasseproduktion in Agroforstsystemen die in intensiv be-
wirtschafteten Agrarsystemen in der Regel nicht nur erreicht, sondern sogar
übertrifft. Aufgrund des reduzierten Bewirtschaftungsaufwandes für die Baum-
komponenten eines solchen Systems wird erwartet, dass die Deckungsbeiträge
pro Hektar Agroforstfläche im Hinblick auf steigende Holzpreise und Bewirt-
schaftungskosten (Dünger, maschinelle Bewirtschaftung, Pflanzenschutzmittel
etc.) in den nächsten Jahren über denen herkömmlicher Betriebssysteme liegen
werden.

Standortangepasste Agroforstsysteme erhöhen den Arten- und Strukturreich-
tum der Landschaft und schaffen die Voraussetzungen für die Erhöhung bzw.
Stabilisierung der Biodiversität auf hohem Niveau. Aufgrund der durch sie
geschaffenen mikroklimatischen Vorteilswirkungen erhöhen sie ferner die
Klimaplastizität des Systems Pflanze-Boden-Mensch. Sie ermöglichen die Be-
reitstellung von nachwachsenden Rohstoffen zur energetischen und stofflichen

Nutzung sowie von Nahrungsmitteln auf derselben Fläche. Im Sinne dezentra-
ler Stoffkreisläufe kann so die Selbstversorgung ländlicher Räume gestärkt

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sowie die Bildung regionaler Wertschöpfungsketten und Märkte angeregt wer-
den. Aufgrund ihres landschaftsästhetischen Wertes fördern agroforstlich struk-
turierte Nutzungen potenziell auch den szenischen Wert von Landschaften und
können so das touristische Potential von Landschaften befördern.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Bundeswaldgesetz zu ändern und im Gesetz den Begriff „Agroforst-
systeme“ gegenüber dem Begriff „Wald“ klar abzugrenzen, so dass auf
langfristige Nutzung angelegte Agroforstsysteme nicht zu Wald im Sinne
des Bundeswaldgesetzes werden;

2. Projekte zur Anlage von unterschiedlichen Formen von Agroforstsystemen
zu fördern und für die Analyse und Bewertung der kurz-, mittel- und lang-
fristig wirksamen ökologischen Vorteilswirkungen von Agroforstsystemen
im Hinblick auf den Schutz und die Entwicklung der Bodenfunktionen, der
Biodiversität, der Sickerwassergüte und -menge sowie das Mikro- und
Regionalklima zu nutzen;

3. die Entwicklung von Anlagekonzepten für an chemisch-physikalische
Eigenschaften der Böden und an klimatische Faktoren angepasste, zukunfts-
sichere Agroforstsysteme unter Auswahl von geeigneten Baumarten für
optimal angepasste landwirtschaftliche Kulturformen zu initiieren;

4. Forschungen in der Pflanzenzüchtung zu fördern, um Trockenheitsresistenz
und Ertragsmaximierung bei schnell wachsenden Baumarten zu verbessern;

5. eine ökologisch-ökonomische Gesamtbilanz zu Agroforstsystemen zu er-
stellen;

6. die Anlage von Agroforstsystemen im investiven Bereich über die ELER-
Verordnung (ELER: Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwick-
lung des ländlichen Raums) zu fördern;

7. die klimarelevanten Leistungen von Agroforstsystemen durch die Zulassung
nationaler Waldsenkenprojekte im Rahmen der künftigen Klimaschutz-
gesetzgebung anzuerkennen;

8. die Anlage von Agroforstsystemen künftig als Ausgleichs- bzw. Ersatzmaß-
nahme anzuerkennen.

Berlin, den 5. März 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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