BT-Drucksache 16/8408

Differenzierte Mengensteuerung zur Förderung erneuerbarer Energien im Stromsektor

Vom 5. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8408
16. Wahlperiode 05. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Michael Kauch, Gudrun Kopp, Angelika Brunkhorst, Dr. Christel
Happach-Kasan, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike
Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-
Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Michael Link
(Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Differenzierte Mengensteuerung zur Förderung erneuerbarer Energien im
Stromsektor

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit sind für
eine nachhaltige Energieversorgung in Deutschland gleichrangige Orientie-
rungspunkte. Um diese Ziele zu verwirklichen, ist mittelfristig ein ausgewo-
gener Energiemix aus deutlich mehr erneuerbaren Energien sowie aus fossilen
Energieträgern und der Kernenergie unabdingbar, bei fossilen Brennstoffen
möglichst unter Abscheidung und Einlagerung von CO2. Ein vielfältiger
Energiemix in Verbindung mit einer fortlaufenden Steigerung der Energie-
effizienz und intensivierten Bemühungen zur Energieeinsparung sind die not-
wendigen Voraussetzungen für eine nachhaltige Energie- und Klimapolitik,
die zugleich die Abhängigkeit Deutschlands vom internationalen Rohstoff-
bezug verringert.

Die Zielsetzungen des Europäischen Rates vom März 2007, wonach die Treib-
hausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Prozent verringert
und der Anteil erneuerbarer Energien auf 20 Prozent am Primärenergiever-
brauch gesteigert werden sollen, sind in diesem Zusammenhang zu begrüßen

und zu unterstützen. Die erneuerbaren Energien können mit einer wachsenden
Bedeutung im Energiemix maßgeblich dazu beitragen, die CO2-Intensität der
Stromerzeugung weiter zu verringern und zugleich die Versorgungssicherheit
in Deutschland auf eine strukturell breitere Grundlage zu stellen.

Der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien muss dabei alle Energienutzungs-
pfade (Strom, Wärme, Mobilität) konzeptionell im Blick behalten und neben

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Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit durchgängig dem Ziel preis-
werter Energieversorgung, mithin der Kostenminimierung, verpflichtet sein. Es
geht darum, die spezifischen Stärken der erneuerbaren Energien besser als bis-
her zu nutzen, die Entwicklungen von Forschung und Technik in diesem Sinne
facettenreicher anzuregen und die bisher einseitige Ausrichtung des Erneuer-
bare-Energien-Gesetzes (EEG) zu überwinden, wodurch allein die Erzeugung
von elektrischem Strom und dessen Einspeisung in ein bestehendes Netz zu
staatlich vorgegebenen Preisen und bei selektiver Förderung bestimmter Tech-
niken gefördert wird.

Die Förderung erneuerbarer Energien wird zurzeit fast ausschließlich durch die
Stromkunden finanziert. Die Realisierung des erforderlichen europäischen Aus-
bauziels wird zu steigenden Zusatzbelastungen führen. Wirtschaft und Verbraucher
können daher zu Recht beanspruchen, für den Ausbau der erneuerbaren Energien
nicht mehr zu zahlen als zur Erreichung des Ausbauziels unvermeidbar ist.

Dazu ist das gegenwärtige System der Förderung jedoch nicht in der Lage: Die
Förderung über staatlich festgesetzte Preise führt zu einer teilweisen Über- oder
auch Unterförderung einzelner Technologien. Ferner wird die Integration der er-
neuerbaren Energien in den Energiemarkt dort erschwert, wo z. B. im Bereich
der Windenergie der erzeugte Strom bereits zu Teilen konkurrenzfähig mit kon-
ventionell erzeugtem Strom ist. Denn staatlich festgesetzte Preise und der Ver-
kauf der erzeugten Strommengen über die Strombörse sind nicht kompatibel.

Ein konsistentes Förderinstrument für die erneuerbaren Energien im Stromsek-
tor ist neben dem Emissionshandel erforderlich, da ansonsten die Klimaschutz-
ziele im Rahmen des Emissionshandels im Wesentlichen durch den verstärkten
Einsatz von Erdgas erreicht würden, was unter dem Gesichtspunkt der Versor-
gungssicherheit kontraproduktiv wäre. Dessen ungeachtet muss die Förderung
erneuerbarer Energien konzeptionell mit dem klimapolitischen Zertifikatehan-
del verknüpft werden, da die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien ohne
diese Verknüpfung lediglich Zertifikate für den verstärkten Ausstoß von Treib-
hausgasen aus anderen Quellen frei macht.

Im Interesse einer internationalen Vorreiterrolle der EU, aber gerade auch im
Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland, müssen die
künftigen Rahmenbedingungen für die Förderung erneuerbarer Energien
gleichrangig auf Klimaschutz und Versorgungssicherheit sowie auf Kosten-
minimierung und Wettbewerb ausgerichtet werden, wie dies im jüngsten
Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission angelegt ist. Der Richt-
linienvorschlag sieht ein europäisches Zertifikatesystem für Strom aus erneuer-
baren Energien vor, wonach für jede Kilowattstunde Strom aus derartigen
Techniken ein Zertifikat ausgestellt wird. Diese Zertifikate können von den
Produzenten des betreffenden Stroms veräußert werden. Der Preis des Zertifikats
soll einen Deckungsbeitrag zu den Mehrkosten leisten, welche die Produktion
von Strom aus erneuerbaren Energien im Vergleich zu konventionellen Strom-
erzeugungstechniken verursacht. Die Europäische Kommission begründet einen
solchen Handel mit „Grünstrom-Zertifikaten“ zu Recht damit, dass in einem der-
artigen System die erneuerbaren Energien dort ausgebaut würden, wo es wirt-
schaftlich am sinnvollsten sei. Die Staaten könnten ihre nationalen Vorgaben
damit auch im Ausland erfüllen. Diese Zielvorstellung ist nachdrücklich unter-
stützenswert und muss auch für den weiteren Zubau im Bereich der erneuerbaren
Energien in Deutschland – zumindest nach einer angemessenen Übergangs-
periode – Orientierungspunkt sein. Nach den gegenwärtigen Vorstellungen der
Europäischen Kommission können die Mitgliedstaaten den Transfer von Zerti-
fikaten in ein anderes Mitgliedsland allerdings von ihrer Autorisierung abhängig
machen. Die Bundesregierung hat bereits signalisiert, an einem derartigen

System der Kostenverringerung zugunsten des bisherigen EEG-Systems nicht
teilnehmen zu wollen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8408

Die damit bekundete Absicht der Bundesregierung, am bisherigen EEG-För-
derarrangement im Sinne eines dem Lobbyismus anfälligen deutschen Sonder-
wegs mit staatlicher Preisfestsetzung festhalten zu wollen, steht dem Ziel einer
kostengünstigen und wettbewerblichen Nutzung erneuerbarer Energien entge-
gen und ist abzulehnen. Zumindest für den weiteren Zubau bei der Nutzung er-
neuerbarer Energien muss Deutschland alle Möglichkeiten für Kostenminimie-
rung und Wettbewerb nutzen. Für bestehende Anlagen und bereits genehmigte
Projekte ist das bisherige System der EEG-Einspeisevergütungen gleichwohl
beizubehalten, da das Vertrauen der Anlagenbetreiber in stabile Rahmenbedin-
gungen schutzwürdig ist.

Überdies muss ein differenziertes Konzept der Mengensteuerung zur Förde-
rung erneuerbarer Energien, das kompatibel zu dem von der Europäischen
Kommission angeregten Handel mit „Grünstrom-Zertifikaten“ auszugestalten
ist, nachdrücklich flankiert werden mit Blick auf eine verstärkte Nutzung
erneuerbarer Energien im Ausland, weil z. B. die Nutzung der Sonnenenergie
(Photovoltaik und solarthermische Kraftwerke) gerade in klimatisch begüns-
tigten Regionen mit hohem solarem Direktstrahlungsanteil besonders attrak-
tiv und kostengünstig ist. Die Nutzung erneuerbarer Energien muss deshalb
explizit und nachdrücklicher als bisher in die Mittelmeerpolitik der EU, in die
Entwicklungszusammenarbeit und die Außenhandelsförderung Deutschlands
eingebunden werden – nicht zuletzt mit dem Ziel, die Unternehmen der be-
treffenden Branchen in Deutschland darin zu unterstützen, ihre Position auf
den Weltmärkten auszubauen (siehe in diesem Sinne bereits die Anträge der
Fraktion der FDP „Exportaktivitäten deutscher Unternehmen im Technologie-
bereich erneuerbarer Energien sachgerecht unterstützen“, Bundestagsdruck-
sache 16/1565 vom 19. Mai 2006 und „Solares Unternehmertum in Deutsch-
land – Herausforderungen annehmen, Chancen nutzen“, Bundestagsdrucksache
16/3355 vom 9. November 2006). In diesem Zusammenhang gilt es auch, den
Import von Strom aus erneuerbaren Energien aus den Mittelmeerstaaten und
das DESERTEC/TREC-Konzept „Strom aus den Wüsten Nordafrikas für
Europa“ als Option im Blick zu behalten und dafür die Voraussetzungen zu
schaffen. Eine notwendige Erfolgsbedingung ist die Öffnung der europäi-
schen Stromnetze und der Ausbau der Grenzkuppelstellen sowie die Weiter-
entwicklung und Nutzung der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-
technik (HGÜ).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Einsatz erneuerbarer Energien sowohl in Deutschland als auch auf eu-
ropäischer und globaler Ebene weiter voranzubringen, um die CO2-Inten-
sität der Stromerzeugung deutlich zu verringern, die technologische Ent-
wicklung auf weniger kohlenstoffintensive Techniken zu orientieren und
zugleich die Versorgungssicherheit in Deutschland auf eine strukturell
breitere Grundlage zu stellen;

2. in diesem Sinne die Zielsetzungen des Europäischen Rates vom März 2007,
wonach die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um mindestens 20
Prozent verringert und der Anteil erneuerbarer Energien auf 20 Prozent ge-
steigert werden sollen, zu unterstützen;

3. für den weiteren Zubau von Anlagen zum Einsatz erneuerbarer Energien in
Deutschland ein konsistentes Gesamtkonzept vorzulegen, welches auf Kos-
tenminimierung, Innovation und Wettbewerb ausgerichtet ist. Der weiter zu
verstärkende Einsatz erneuerbarer Energien muss alle Energienutzungspfade
(Strom, Wärme, Mobilität) konzeptionell im Blick behalten und durchgängig
dem Ziel des Klimaschutzes sowie gleichrangig dem Ziel preiswerter Ener-

gieversorgung verpflichtet sein;

Drucksache 16/8408 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. bei der Umsetzung europäischer Richtlinien keine deutschen Sonderwege zu
gehen und nach einer angemessenen Übergangszeit auf ein „Opt out“ aus
dem europäischen Handel mit „Grünstrom-Zertifikaten“ zu verzichten. Statt-
dessen soll die Förderung erneuerbarer Energien im Stromsektor auf ein Sys-
tem der differenzierten Mengensteuerung umgestellt werden, das aus drei
Komponenten besteht:

a) einer prinzipiellen Fortsetzung der EEG-Förderung für Altanlagen, ver-
bunden mit einer freiwilligen Opt-in-Regelung in das System der Men-
gensteuerung;

b) einem EU-weiten Handel mit „Grünstrom-Zertifikaten“, der konzeptionell
den jüngst präzisierten Vorstellungen der Europäischen Kommission fol-
gen sollte. Dabei sind die Energieversorger in Deutschland zu verpflichten,
in einem Entwicklungspfad bis 2020 im Stromsektor für 30 Prozent ihrer
verkauften Energiemenge „Grünstrom-Zertifikate“ nachzuweisen, um
dem Gesamtziel 20 Prozent erneuerbarer Energien am Primärenergiever-
brauch zu entsprechen. Auf diese Verpflichtung sind Strommengen aus
den EEG-geförderten Altanlagen anzurechnen;

c) innovativen und vielversprechenden Technologien, die aufgrund ihres
Entwicklungsstandes im so geschaffenen Markt für erneuerbare Energien
noch nicht eigenständig bestehen können; sie sollen zusätzlich steuer-
finanzierte, zeitlich befristete und degressive Zuschüsse zu den Erlösen er-
halten, die die Betreiber im System der Mengensteuerung erwirtschaften.
Dies betrifft insbesondere die Photovoltaik, die von einem hohen Kosten-
niveau kommend massive Kostensenkungsraten pro Jahr realisiert. Glei-
ches gilt für ökologisch besonders wertvolle Technologien wie die Nut-
zung von Gülle, von Holz aus Agro-Forstsystemen sowie von organischen
Reststoffen für die Verstromung, die auch keine Nutzungskonkurrenzen
mit der Nahrungsmittelversorgung haben;

5. bei den Regelungen zur Mengensteuerung vorzusehen, dass dezentrale Nut-
zungsformen erneuerbarer Energien ebenfalls handelbare „Grünstrom-Zerti-
fikate“ generieren können oder – sofern dies EU-rechtlich nicht durchsetzbar
sein sollte – diese Zertifikate zumindest anrechenbar zu machen auf die Ver-
pflichtung der deutschen Energieversorger;

6. Biomasse-KWK-Anlagen mit ihren jeweiligen Strom- und Wärmeanteilen
sowohl in eine Mengensteuerung für erneuerbar produzierten Strom als auch
in eine Mengensteuerung für erneuerbar produzierte Wärme gleichberechtigt
einzubeziehen (siehe Antrag der Fraktion der FDP vom 13. Juni 2007: „Per-
spektiven für eine sektorale Ausweitung des Emissionshandels sowie für die
Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmesektor“, Bundestagsdrucksache
16/5610);

7. bei der Netzeinspeisung sicherzustellen, dass grundlastfähige erneuerbare
Energien sowie grundlastfähige Kombinationskraftwerke aus verschiede-
nen erneuerbaren Energien Vorrang gegenüber fluktuierenden erneuerbaren
Energien erhalten;

8. konkrete Bemühungen auf europäischer und nationaler Ebene zu intensivie-
ren, die Techniken der Energiespeicherung nachdrücklich voranzubringen, um
auch bisher nicht grundlastfähige erneuerbare Energien an die Grundlastfähig-
keit heranzuführen. Dies betrifft neben Druckluft- und Wasserspeicherkraft-
werken auch die Wasserstofftechnologie und die Entwicklung „intelligenter“
Stromnetze, die eine dezentrale und bedarfsgerechte Speicherung erneuer-
baren Stroms in Aussicht stellen (beispielsweise dezentrale Stromspeicherung
durch Weiterentwicklung von Lithium-Ionen-Akkumulatoren, etwa in Fahr-

zeugbatterien);

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8408

9. auf europäischer Ebene auf die Öffnung der Stromnetze und den Ausbau der
Grenzkuppelstellen zu drängen, um einen wirksamen europäischen Binnen-
markt für erneuerbare Energien, aber auch die Einbindung von Stromimpor-
ten aus dem südlichen Mittelmeerraum zu ermöglichen;

10. die Nutzung erneuerbarer Energien explizit und nachdrücklicher als bisher
in die Mittelmeerpolitik der EU sowie in die Entwicklungszusammenarbeit
und Außenhandelsförderung Deutschlands einzubinden – nicht zuletzt mit
dem Ziel, die Unternehmen der betreffenden Branchen in Deutschland darin
zu unterstützen, ihre Position auf den Weltmärkten auszubauen. In diesem
Zusammenhang gilt es auch, den Import von solarem Strom aus erneuerba-
ren Energien aus den Mittelmeerstaaten und das DESERTEC/TREC-Kon-
zept „Strom aus den Wüsten Nordafrikas für Europa“ im Blick zu behalten
und dafür die Voraussetzungen zu schaffen, insbesondere hinsichtlich einer
Nutzung der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstechnik.

Berlin, den 4. März 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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