BT-Drucksache 16/8320

Soziale, ökologische und geschlechterpolitische Aspekte neuer bilateraler EU-Handelsabkommen mit Entwicklungs- und Schwellenländern

Vom 27. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8320
16. Wahlperiode 27. 02. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, Heike Hänsel,
Kornelia Möller, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Soziale, ökologische und geschlechterpolitische Aspekte neuer bilateraler
EU-Handelsabkommen mit Entwicklungs- und Schwellenländern

Neben ihren bereits mehrfach gescheiterten Liberalisierungsbemühungen in der
Welthandelsorganisation (WTO) bemüht sich die EU derzeit im Rahmen ihrer
„Global Europe“-Strategie um neue bilaterale Freihandels- und Investitionsab-
kommen u. a. mit Indien, Südkorea und den ASEAN-Ländern. Angestrebt wer-
den weitgehend reziproke (wechselseitig gleiche) Liberalisierungsverpflichtun-
gen und Vereinbarungen zu den umstrittenen Singapur-Themen (Investitionen,
Wettbewerb, Öffentliche Beschaffung). Ferner steht die EU in Verhandlungen
mit Ländern Zentralamerikas und der Andengemeinschaft über neue Wirt-
schaftsabkommen. Entwicklungsökonomische, soziale, ökologische und ge-
schlechterpolitische Aspekte der Handelspolitik sowie Transparenz- und Betei-
ligungsansprüche der Parlamente und der Zivilgesellschaften wurden schon im
Kontext der WTO-Verhandlungen unzureichend berücksichtigt. Noch weniger
geschieht dies in den derzeitigen bilateralen Verhandlungen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche spezifischen deutschen Interessen offensiver und defensiver Art ver-
folgt die Bundesregierung im Rahmen der o. g. bilateralen Handelsgesprä-
che, und wie bewertet sie diesbezüglich die bisherigen Verhandlungsverläufe
(bitte jeweils einzeln zu den fünf genannten Verhandlungsprozessen)?

2. Welche konkreten Forderungen und Angebote hat die Bundesregierung
bereits in den Themenbereichen Güterhandel, Dienstleistungshandel (inkl.
Mode 4/Arbeitsmigration), Investitionen, Öffentliche Beschaffung und
Geistiges Eigentum in die EU-interne Abstimmung der EU-Verhandlungs-
position eingebracht bzw. welche Forderungen und Angebote beabsichtigt
sie im ersten Halbjahr 2008 einzubringen (möglichst tabellarische Darstel-
lung)?

3. Welche Auswirkungen auf die jeweiligen bilateralen Handelsbilanzen erwar-
tet die Bundesregierung von der Einführung weitgehend reziproker Handels-
liberalisierungen bzgl. der fünf angesprochenen Partnerländer bzw. -regio-

nen?

Strebt die Bundesregierung weitere Handelsbilanzüberschüsse gegenüber
den Partnerländern an, und was bedeutet dies für die Rolle der Bundesrepu-
blik Deutschland beim notwendigen Ausgleich weltwirtschaftlicher Un-
gleichgewichte?

Drucksache 16/8320 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Wie gedenkt die Bundesregierung eine Kohärenz zwischen den bilateralen
Abkommen und den in ihrer Entwicklungszusammenarbeit proklamierten
Querschnittszielen der Armutsbekämpfung und der Geschlechtergleichheit
herzustellen?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Warnungen des UNCTAD Trade and
Development Report 2007 vor entwicklungsökonomisch nachteiligen Fol-
gen für Entwicklungsländer, wenn diese reziproke bilaterale Nord-Süd-
Freihandelsabkommen (unter Einbezug der „Singapur“-Themen) mit wett-
bewerbsstarken Industrieländern eingehen?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung der deutschen und euro-
päischen Gewerkschaften nach einer verbindlichen Verankerung der inter-
nationalen ILO-Arbeitsstandards in den derzeit verhandelten Abkommen,
und welche Konsequenzen hat dies für eine mögliche Unterstützung der
Bundesregierung für bilaterale Handelsabkommen ohne entsprechende
Sozialstandards?

7. Könnten nach Auffassung der Bundesregierung die immer wieder auftreten-
den Nord-Süd-Konflikte bezüglich der Verankerung von Sozial- und Um-
weltstandards dadurch beigelegt werden, dass diese Standards vor allem als
verbindliche, überprüf- und einklagbare Pflichten für Transnationale Kon-
zerne und deren Herkunftsländer festgeschrieben werden?

Wie begründet sie ihre Haltung?

8. Welche geschlechtsspezifischen Implikationen und Auswirkungen vor
allem bezüglich der Bekämpfung von Frauenarmut werden die bilateralen
Freihandelsabkommen aus Sicht der Bundesregierung haben?

9. Inwiefern verfolgt die Bundesregierung im Rahmen der angestrebten bilate-
ralen Abkommen ihre eigenen Gleichstellungsziele, den Gender Main-
streaming-Auftrag der EU (Amsterdamer Vertrag) sowie die Strategie der
Aktionsplattform von Peking, der sich die Bundesregierung 1995 bei der
4. Weltfrauenkonferenz verpflichtet hat?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die Warnungen aus Studien von
UNIFEM und UNRISD, dass reziproke Handelsliberalisierung Frauen als
Marktakteurinnen im informellen Sektor, Kleinhandel und der bäuerlichen
Landwirtschaft weiter marginalisieren und die Liberalisierung öffentlicher
Dienstleistungen den Zugang der Armen zu Bildung, Gesundheit, Wasser-
und Energieversorgung erschweren wird?

11. Welche umwelt- und klimapolitischen Auswirkungen werden die neuen bi-
lateralen Abkommen aus Sicht der Bundesregierung haben, und in welchem
Verhältnis stehen die angestrebten bilateralen Freihandelsabkommen zu den
klimapolitischen Zielen und Plänen der Bundesregierung?

Auf welcher Grundlage beruht diese Einschätzung?

12. Inwiefern beruht die Verhandlungsposition der EU und der Bundesregie-
rung auf produktgruppenspezifischen oder zumindest sektoral ausdifferen-
zierten ökologischen Folgeabschätzungen der angestrebten Abkommen?

13. Wie gedenkt die Bundesregierung angesichts der ökologischen Folgen wei-
terer Handelsliberalisierungen (Wachstums-, Struktur-, Transport- u. regu-
latorische Effekte) sicherzustellen, dass die Handelspolitik nicht zur ver-
mehrten Klimaschädigung, sondern zur mittel- und langfristigen Reduktion
des deutschen CO2-Ausstoßes (40 Prozent bis 2020; 80 Prozent bis 2050)
sowie zu einer Angleichung der weltweiten Pro-Kopf-Emissionen auf
einem weitaus niedrigeren als dem heutigen Niveau beiträgt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8320

14. Ist die Bundesregierung auch im Bereich der Handelspolitik zur vollständi-
gen Umsetzung der „Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und
der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der
Europäischen Union“ (Bundestagsdrucksache 16/2620) bereit, und wird sie
dem Deutschen Bundestag zukünftig umfassend und zeitnah alle Dokumen-
te des handelspolitischen Ausschusses nach Artikel 133 EG-Vertrag zur
Verfügung stellen?

Warum ist dies bisher nicht geschehen?

Berlin, den 19. Februar 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.