BT-Drucksache 16/832

Frauenpolitik - Gesellschaftlicher Erfolgsfaktor

Vom 8. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/832
16. Wahlperiode 08. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Hans-Michael
Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Hellmut
Königshaus, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Jörg Rohde, Marina
Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Frauenpolitik – Gesellschaftlicher Erfolgsfaktor

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich konsequent für die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung von
Frauen und Männern in Deutschland nach folgenden Maßgaben einzusetzen:

● Frauenpolitik muss vorangetrieben werden im Bewusstsein, dass Frauen
mehrheitlich besser qualifiziert sind als jemals zuvor und dass sie für die Ge-
sellschaft besondere Perspektiven, Wissen und Erfahrungen mitbringen. Die
wirkungsvollste Triebfeder für ein Engagement zur Frauenförderung ist es,
Gleichstellung als Erfolgsfaktor zu erkennen. Dies gilt ganz besonders für die
Arbeitswelt. Die berufliche Gleichstellung von Frauen muss vorangetrieben
werden angesichts eines sich ständig vergrößernden Wettbewerbs um die bes-
ten Fachkräfte in einer alternden Bevölkerung und aus der Erkenntnis heraus,
dass es für die eigene Organisation ein Verlust ist, wenn weibliche Potentiale
sich aufgrund von Diskriminierungen nicht optimal entfalten. Dagegen wird
die zielgruppenadäquate Förderung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in
einer Kultur, die Vielfalt schätzt und ermöglicht, die wirtschaftlich besten Er-
gebnisse bringen.

● Bestehende Barrieren und Benachteiligungen, die der faktischen Gleichbe-
rechtigung der Geschlechter entgegenstehen, müssen in einem breiten gesell-
schaftlichen Prozess, der Frauen und Männer gleichermaßen betrifft und ein-
bezieht, durch vielfältige Ansätze und Maßnahmen beseitigt werden. Bei der
Gleichstellung geht es nicht nur um Frauen, sondern um die Stellung von
Frau und Mann zueinander auf der Grundlage gleicher Rechte, Pflichten und

Chancen in allen Lebensbereichen. Nicht nur Frauen haben ein Recht, ohne
Diskriminierung Führungs- und Entscheidungspositionen einzunehmen,
auch Männern müssen Chancen zur Erweiterung ihres Rollenspektrums ge-
geben werden; durch Abbau von Vorurteilen beispielsweise hinsichtlich der
erweiterten oder ausschließlichen Familientätigkeit eines Mannes. Im Rah-
men der Unterstützung der Erziehungs- und Bildungskompetenz ist auch die
Väterkompetenz zu berücksichtigen.

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● Gender Mainstreaming sollte die gesamte Politik als Prozess zur Qualitäts-
entwicklung prägen. Durch die Ausrichtung aller gesellschaftlichen Vor-
haben an den Lebensrealitäten und Interessen beider Geschlechter wird die
Wirksamkeit von politischen und verwaltungstechnischen Maßnahmen
erhöht.

● Ein zentrales Anliegen der Förderung der Gleichberechtigung ist die nachhal-
tige, existenzsichernde Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, die ihnen
die erstrebte wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit, auch im Alter,
aber auch gesellschaftliche Integration und Anerkennung bietet. Fehlanreize
im Steuer- und Transfersystem, wie die Steuerklasse V, Schwächen in der
Arbeitsmarktvermittlung und Arbeitsmarktpolitik sowie die hohe Regulie-
rungsdichte am Arbeitsmarkt müssen abgebaut werden. Durch die Regulie-
rungsdichte werden nachweislich gerade Frauen benachteiligt. Sie finden
keinen adäquaten Zugang zum Arbeitsmarkt, weil Arbeitgeber angesichts des
hohen Regulierungsniveaus anderen, als „risikoärmer“ antizipierten Beschäf-
tigungsgruppen, den Vorzug geben.

● Die Strategien zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen
und Männer müssen in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern intensiviert
und vor allem die Angebote für eine bedarfsgerechte, hochwertige Kinderbe-
treuung und Pflege von Angehörigen ausgebaut werden. Hierzu ist ein Kin-
derbetreuungsgipfel einzuberufen, um in einer gemeinsamen Kraftanstren-
gung gemeinsam mit Ländern und Kommunen ein ganzheitliches Konzept
für flexible Modelle für die Familie und Kinderbetreuung zu erstellen; die
zahlreichen finanziellen Leistungen der Familienförderung sind unter Einbe-
ziehung der regionalen Unterschiede und der Flexibilisierung der Arbeitswelt
auf ihre Effizienz und Wechselwirkung zu überprüfen und transparent zu ge-
stalten.

● Besondere Anstrengungen müssen zur zielgruppengerechten Förderung und
Nutzung der Beschäftigungspotentiale von älteren und zugewanderten
Frauen unternommen werden. Bei diesen Gruppen sind die Beschäftigungs-
quoten bislang gering und häufig liegen nur Beschäftigungen in Niedriglohn-
bereichen vor.

● Die Beschränkungen und intransparenten, aufwändigen Verfahren bei der
Gründung neuer Unternehmen und der undurchlässige Arbeitsmarkt verhin-
dern besonders im Dienstleistungssektor die Schaffung von Arbeitsplätzen
und müssen abgebaut werden. Da die Dienstleistungsbranche aber in der Re-
gel für Frauen gute Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, leiden sie wiederum
besonders unter den Hemmnissen für diesen Sektor.

● Die Existenzgründungsförderung von Frauen ist konsequent fortzusetzen.
Bislang sind Frauen unter den Selbstständigen unterrepräsentiert. Deshalb
sollen sie im Rahmen bestehender Programme zielgruppengerecht, auf ihre
spezifischen Bedarfe ausgerichtet, angesprochen und unterstützt werden.
Schon in Schulen, im Berufsbildungssystem und im Studium sind Gründer-
geist und unternehmerisches Denken bei Mädchen und Frauen stärker zu för-
dern.

● Da die Ursachen für die Einkommensungleichheit zwischen Männern und
Frauen zahlreich sind, bedarf es breit angelegter Strategien, um diese schritt-
weise zu überwinden. Anstrengungen in der Bildungspolitik müssen auf ein
verändertes Studien- und Berufswahlverhalten von Mädchen und Frauen zie-
len, damit sie stärker bisher männerdominierte – und besser vergütete –Wirt-
schaftszweige und Tätigkeiten erobern. Mit Maßnahmen zur besseren Ver-
einbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit, muss Frauen ein anderes
Erwerbsverhalten und damit bessere Einkommenschancen ermöglicht wer-

den. Da Einkommensunterschiede gerade bei hohem Ausbildungsniveau

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groß sind, muss der Aufstieg von Frauen in Führungspositionen und ihre
gleichberechtigte Integration in den Führungsebenen gefördert werden. Frau-
ennetzwerke und Mentoringprojekte können dies unterstützen.

● Einen wichtigen Beitrag zu mehr Lohngerechtigkeit müssen die Tarifpartner
– nicht zuletzt im öffentlichen Dienst – leisten, indem sie die bestehenden Ar-
beitsbewertungssysteme und deren praktische Anwendung auf potentiell dis-
kriminierende Mechanismen hin untersuchen und diese beseitigen. Besonde-
res Augenmerk gebührt der Unterbewertung frauendominierter Tätigkeiten
durch die Nichtberücksichtigung von Anforderungen und Belastungen, die
Doppel- und Mehrfachbewertung von Kriterien, die Männerdomänen be-
günstigen, die Verwendung unterschiedlicher Kriterien bei der Bewertung
von frauen- und männerdominierten Tätigkeiten, die diskriminierende Aus-
legung von Anforderungsmerkmalen und die Anwendung verschiedener
Maßstäbe bei der Bewertung vergleichbarer Arbeit von Frauen und Männern.

● Wir brauchen ein durchlässiges und flexibles Bildungssystem. Nötig ist ein
Aufbau der Bildung in kleineren abgeschlossenen Einheiten (Modulen), die
aufeinander aufbauen, aber unterschiedliche Kombinationen zulassen, um
Verschiebungen von Interessen, Berufswechsel, die Verlängerung der Le-
bensarbeitszeit und den Beruf nach dem Beruf besser abzubilden. Ausbil-
dung, Studium und auch Fort- und Weiterbildung müssen so gestaltet sein,
dass sie auch für Menschen mit Familienpflichten zugänglich sind. Aus- und
Weiterbildung müssen stärker individuell vorhandenes Wissen und Fähigkei-
ten anerkennen und darauf aufbauen, auch auf Kompetenzen, die im Zusam-
menhang mit Familienarbeit erworben werden.

● Der öffentliche Dienst sollte als Arbeitgeber/Dienstherr in der Herstellung
von Chancengleichheit Vorbild und Vorreiter sein. Bislang fehlt oft das Be-
wusstsein, dass Gender Mainstreaming Teil einer zielgruppengerechten mo-
dernen Personalpolitik, Innovations- und Erfolgsfaktor einer Organisation
ist. Gerade Prozesse der Verwaltungsmodernisierung und des Bürokratieab-
baus müssen die Perspektiven und Potentiale von weiblichen Beschäftigten
und Kundinnen mit einbeziehen.

Berlin, den 6. März 2006

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Begründung

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat nicht nur die Gleichbe-
rechtigung von Frauen und Männern klar in Artikel 3 Abs. 2 verankert, sondern
seit über 10 Jahren auch das Gebot der Förderung der tatsächlichen Durchset-
zung der Gleichberechtigung und Beseitigung bestehender Nachteile durch den
Staat. Die Situation von Frauen in Deutschland zeigt, dass diese Handlungsvor-
gaben des Grundgesetzes immer noch aktuell sind:

Die Frauenerwerbstätigenquote d. h. der Anteil der Frauen, die tatsächlich eine
bezahlte Arbeit haben, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen
und liegt inzwischen bundesweit bei 59 Prozent (Mikrozensus 2004: Männer;
70,1 Prozent). In der Bundesrepublik Deutschland gibt es über 15,98 Millionen
erwerbstätige Frauen. Frauen stellen inzwischen 44,8 Prozent aller Erwerbstäti-
gen in Deutschland (Mikrozensus 2004). Allerdings wächst der Anteil der teil-

zeitbeschäftigten Frauen und liegt bei über 42 Prozent. Nach Angaben des Mi-
krozensus waren im März 2004 rund 86,1 Prozent der erwerbstätigen Frauen in

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der Bundesrepublik Deutschland als Angestellte und Arbeiterinnen tätig. Unter
den Beamten betrug der Frauenanteil 35,8 Prozent, dagegen unter den mithel-
fenden Angehörigen 76,4 Prozent. Immer mehr Frauen gründen Existenzen.
2004 gab es laut Mikrozensus in der Bundesrepublik Deutschland 1,112 Millio-
nen beruflich selbstständige Frauen; dies entspricht einem Frauenanteil an den
Selbstständigen von ca. 28,9 Prozent. Frauenbeschäftigung konzentriert sich in
den alten wie in den neuen Bundesländern nach wie vor auf relativ wenige
Berufe. Die Verteilung auf einzelne Berufe zeigt, dass sich über 55 Prozent aller
erwerbstätigen Frauen in nur 20 Berufen wieder finden. Zum größten Teil handelt
es sich um Dienstleistungsberufe mit niedrigen Qualifikationsanforderungen und
geringen Aufstiegsmöglichkeiten. Die meisten Frauen arbeiten in Büroberufen,
als Warenkauffrauen und im Gesundheitswesen. Unterrepräsentiert sind Frauen
dagegen vor allem in Fertigungsberufen und in naturwissenschaftlich-tech-
nischen Berufen und Studiengängen, also im Ingenieurwesen, in der Chemie,
Physik, Mathematik und Technik.

Frauen erwirtschaften einen großen Teil des Bruttosozialprodukts, tragen we-
sentlich zum Steueraufkommen bei und leisten erhebliche Beiträge in den
Sozialversicherungssystem. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist ein enormes
Potenzial für die Wirtschaft, das bisher jedoch nicht genügend genutzt wird.
Trotz immer besserer Bildungsabschlüsse kommen Frauen noch zu selten in hö-
here Positionen und besser bezahlte Tätigkeiten, wobei hier sicherlich auch die
Frage der Kinderbetreuung eine Rolle spielt. Nach der jüngsten Analyse des In-
stituts für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) sind Frauen unter dreißig Jahren
mit 43 Prozent fast genau so stark in Leitungsfunktionen vertreten wie gleichalt-
rige Männer; ihr Anteil sinkt jedoch ab der Geburt des ersten Kindes bis zum
Alter von 40 Jahren auf knapp über 20 Prozent. Der Frauenanteil an allen Ma-
nagementpositionen (nach Eurostat) ist seit 1998 kaum gestiegen und liegt bei
26,42 Prozent. Die höchsten Positionen nach den Ministerposten, die erste und
zweite Ebene darunter, sind in den Zentralverwaltungen in Deutschland zu
0 Prozent beziehungsweise 14 Prozent mit Frauen besetzt, während der EU-
Durchschnitt in diesen Ebenen bei 16 Prozent beziehungsweise 24 Prozent liegt.
In der höchsten Entscheidungsebene der 50 größten börsennotierten Unterneh-
men findet sich in Deutschland gar keine Frau als Präsident oder Vorstandsvor-
sitzende, unter den Mitgliedern der Entscheidungsgremien liegt der Frauenanteil
bei 12 Prozent. In Norwegen und Schweden werden in den höchsten Entschei-
dungsgremien Frauenanteile von 21 Prozent und 20 Prozent erreicht. Unter den
Mitgliedern der obersten Gerichtshöfe in Deutschland sind 20 Prozent Frauen;
in anderen EU-Staaten liegen die Frauenanteile deutlich höher, etwa bei 39 Pro-
zent in Norwegen. Mit weniger als 10 Prozent Frauen unter den Professoren
belegt Deutschland den viertletzten Platz in der EU.

Die Rechtslage ist seit mehr als 45 Jahren eindeutig: Grundgesetz, Bürgerliches
Gesetzbuch, Bundesgleichstellungsgesetz und die EU-Richtlinie zur Lohn-
gleichheit verbieten es, Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit schlechter
zu bezahlen als Männer. Frauen erhielten nach Eurostat im Jahr 2004 im Durch-
schnitt aller Beschäftigten ca. 78,5 Prozent des Lohnes der Männer. Der Lohn-
unterschied zwischen den Geschlechtern liegt 7,7 Prozentpunkte höher als im
Durchschnitt der EU-15-Länder. Selbst vollzeitbeschäftigte Frauen mit gleicher
Humankapitalausstattung, d. h. Ausbildung und Berufserfahrung, in gleichen
Berufen und Betrieben erhalten einen 12 Prozent niedrigeren Lohn als Männer.

Ausgehend von der Erkenntnis, dass – wie gezeigt – eine faktische Gleichbe-
rechtigung der Geschlechter in der Gesellschaft nicht gegeben ist, werden seit
vielen Jahren spezielle frauenfördernde Maßnahmen gefordert und durchge-
führt. Diese aktive Frauenförderung durch so genannte positive Maßnahmen er-
weckte und erweckt zum Teil bei Männern – und auch Frauen – den Eindruck,

es ginge darum, das weibliche Geschlecht zu bevorteilen. Das war und ist nicht
der Fall. Frauenförderung will vielmehr einen Ausgleich für nachgewiesene,

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faktische Nachteile oder Ungerechtigkeiten schaffen. Dabei ist wissenschaftlich
längst belegt, dass Diskriminierungen keineswegs immer dadurch beseitigt wer-
den, dass alle Personen rechtlich gleich gestellt und gleich behandelt werden.
Die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen heißt daher auch, Viel-
falt zu fördern. Die moderne Frauenpolitik greift die heute differenzierten und
gewandelten Lebenssituationen und Lebenswünsche von Frauen auf. Aufgabe
der Politik ist es, sich dafür einzusetzen, dass unsere Gesellschaft in allen Le-
bensbereichen durch geeignete Rahmenbedingungen jeder Frau ermöglicht, ihr
persönliches Lebensziel zu verfolgen. Die heutige Frauenpolitik baut auf die
Qualifikationen, Stärken und die Leistungsbereitschaft von Frauen.

Die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern setzt einen ge-
sellschaftlichen Wandel im weiblichen und im männlichen Rollenverständnis
und die stärkere Wertschätzung und Integration weiblicher Potenziale in Wirt-
schaft und Gesellschaft voraus. Mit dem Abbau von Benachteiligungen muss
die Anerkennung besonderer Talente und Kompetenzen einhergehen. Frauen-
förderung hatte und hat zu Recht den Blick auf Defizite hinsichtlich der Gleich-
berechtigung von Frauen gerichtet. Frauen fordern aber mehr denn je, dass der
Blick auch auf ihre Potentiale gerichtet wird. Zum Selbstverständnis vieler
Frauen gehören heute: Eigenverantwortung, Selbständigkeit, Leistungsbereit-
schaft und -fähigkeit, Toleranz, Veränderungsbereitschaft und soziale Verant-
wortung. Diese Werte und Prinzipien sind es, auf die die heutigen Frauen setzen
und die sie an vielen Stellen in unserer Gesellschaft schmerzlich vermissen. Sie
wollen auf eigenen Beinen stehen und sich nicht in eine tatsächliche oder emp-
fundene Abhängigkeit von einem Partner begeben. Sie wollen ihr persönliches
Lebenskonzept frei und ohne Schranken wählen und leben. Sie wollen für ihre
Arbeit, sei es in der Erwerbswelt oder in der Familie, eine angemessene Aner-
kennung finden. Sie sind leistungsbereit und leistungsstark und fordern, dass
allein im Leistungsprinzip das Kriterium für Karriere und Erfolg liegt – und
nicht in versteckten oder unbewussten Vorurteilen gegen ihre Fähigkeiten. Viele
Frauen tragen große persönliche Verantwortung für Kinder, Partnerschaft, hilfe-
bedürftige Eltern. Gleichzeitig beanspruchen sie Eigenverantwortung für ihr
Leben und Verantwortung in Beruf und Gesellschaft. Frauen sind nicht über
einen Kamm zu scheren – ihre Ziele und Bedürfnisse sind vielfältig und Vielfalt
und Toleranz gegenüber dieser Individualität ist ihnen wichtig. Eine Politik, die
alle diese Prinzipien hoch hält, das Individuum in den Mittelpunkt stellt und statt
mit der Gießkanne zu agieren zielgruppengerechte Lösungen finden will, trifft
die Vorstellungen der Frauen. Emanzipierung ist in vielerlei Hinsicht Liberali-
sierung.

Um unsere Gesellschaft zu einer liberalen Bürgergesellschaft weiter zu ent-
wickeln brauchen wir Menschen, die veränderungsbereit sind. Wir brauchen die
Frauen. Gerade weil Frauen erleben, dass die heutigen Verhältnisse in unserer
Gesellschaft ihnen immer noch Nachteile bringen, sind sie in besonderem Maße
bereit, sich mit Nachdruck für Reformen stark zu machen. Dabei sind es typi-
scherweise eher Frauen, die in solchen Veränderungsprozessen ganzheitliche
Problemlösungskompetenzen und auch eine soziale Verantwort zeigen. Die tra-
ditionellen Zuständigkeiten sehr vieler Frauen im Bereich des Privatlebens, in
Ehrenämtern etc. haben tendenziell bei Frauen zur Entwicklung eines besonde-
ren Maßes an Empathie geführt, das heißt zur Bereitschaft und Fähigkeit, sich in
die Einstellungen und Bedürfnisse anderer Menschen einzufühlen. Sie stehen
für Lebensentwürfe und -ziele, in denen wirtschaftlicher/beruflicher Erfolg,
Verantwortung für Familie, politisches und bürgerschaftliches Engagement,
Verstand und Herz keine Gegensätze sind. Ihre Mehrfachorientierung und die
Rollenerweiterung machen Frauen zu glaubwürdigen Vorreiterinnen für
flexible, zukunftsweisende Lebensmuster und zukunftsweisende Politik. Die

Reformen, die Frauen sich wünschen, braucht unsere Gesellschaft insgesamt:
Ein flexibilisiertes, modulares Ausbildungssystem und eine flexible Arbeits-

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welt, die wechselnde oder gleichzeitige Phasen von privatem und beruflichem
Engagement erleichtern und fördern; eine Kultur der Förderung und Anerken-
nung bürgerschaftlichen Engagements, einen Rückbau belastender, überborden-
der staatlicher Eingriffe und Bürokratie.

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