BT-Drucksache 16/8294

Nachhaltige Nutzung des Holzes aus heimischen Wäldern und weitere Stärkung ihrer biologischen Vielfalt

Vom 20. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8294
16. Wahlperiode 20. 02. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Edmund Peter Geisen, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Miriam Gruß, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig
Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Nachhaltige Nutzung des Holzes aus heimischen Wäldern und weitere Stärkung
ihrer biologischen Vielfalt

Die potenzielle natürliche Vegetation in Deutschland ist der Wald. Daher haben
der Schutz der Wälder und ihre nachhaltige Nutzung für den Erhalt der biologi-
schen Vielfalt in Deutschland eine besondere Bedeutung. Am 7. November 2007
hat die Bundesregierung den Entwurf der „Nationalen Strategie zur biologischen
Vielfalt“ verabschiedet. Mit dieser Strategie soll Artikel 6 des „Übereinkom-
mens zur biologischen Vielfalt“ umgesetzt werden, ein Schritt, zu dem sich
Deutschland bereits mit der Ratifizierung im Jahr 1993 verpflichtet hatte und der
im Zuge der Vorbereitung der 9. Vertragsstaatenkonferenz im Mai 2008 in Bonn
jetzt vollzogen wird.

Deutschland hat sich zum Schutz des Klimas zu einer Minderung der Treibhaus-
gasemissionen um 30 Prozent und einem Anteil der erneuerbaren Energien von
20 Prozent an dem Primärenergieverbrauch bis 2020 verpflichtet. Holz ist der
wichtigste nachwachsende Rohstoff in Deutschland. Die energetische Nutzung
von Holz zur Minderung der Treibhausgasemissionen ist daher aus Gründen des
Klimaschutzes unverzichtbar. Dies gilt ebenso für die rohstoffliche Nutzung von
Holz, die Teil der Nachhaltigkeitsstrategie ist. Laut den Ergebnissen der zweiten
Bundeswaldinventur gehört Deutschland mit rund 11,1 Mio. Hektar Wald zu den
waldreichsten Ländern der Europäischen Union. Knapp ein Drittel der Fläche
Deutschlands ist mit Wald bedeckt. Deutschland hat im Vergleich aller europäi-

schen Länder mit 3 381 Mio. m3 die höchsten Holzvorräte und mit 320 m3 Holz
pro Hektar nach Österreich die höchsten Vorräte pro Flächeneinheit in der Euro-
päischen Union. Das Waldeigentum verteilt sich auf den Privatwald (einschließ-
lich Treuhandwald) 47 Prozent, Staatswald 33 Prozent und den Körperschafts-
wald (Bundeswaldinventur 2002). 73 Prozent der Wälder sind Mischwälder, die
besonders geschützten Waldbiotope sind auf alle Eigentumsarten praktisch

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gleichmäßig verteilt. Der Holzvorrat in den Wäldern ist in den letzten Jahren
deutlich angestiegen, und zwar überproportional in den Privatwäldern.

Die globale Erwärmung des Klimas ist in Deutschland messbar. Der in den letz-
ten Jahren in Deutschland zu verzeichnende Temperaturanstieg, der zum Bei-
spiel zu einer 10-tägigen Verfrühung des Beginns der Obstbaumblüte in Nord-
deutschland geführt hat, und die Verringerung der Niederschlagsmenge im
Sommer bei gleichzeitiger Erhöhung der Niederschlagsmenge im Winter verän-
dern die Wachstumsbedingungen für Wälder und führen zu einer Verschiebung
der Verbreitungsgebiete von Tier- und Pflanzenarten. Diese Gegebenheiten
müssen von einer Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt berücksichtigt
werden. Die langen Generationszyklen der Waldbäume verhindern, dass sie sich
anders als beispielsweise kurzlebige Insektenarten in ihrer Verbreitung den jetzt
erfolgenden vergleichsweise schnellen Klimaänderungen anpassen können. Die
Verschiebung der Wachstumsareale der einheimischen Baumarten kann dazu
führen, dass erhebliche Zuwachsverluste auftreten und möglicherweise mit
einer Entwaldung bestimmter Gebiete zu rechnen ist. Dies könnte mit nicht-
standortheimischen, dafür aber unter den neuen Bedingungen standortgerechten
Baumarten verhindert werden.

Die Bewirtschaftung der Wälder muss diesen Umstand berücksichtigen und bei-
spielsweise mit einer geänderten Baumartenwahl darauf reagieren. Die sehr ein-
seitige Ausrichtung der Strategie der biologischen Vielfalt auf jetzt standort-
heimische Waldgehölze berücksichtigt nicht die Tatsache, dass die Natur sich
dynamisch verändert.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Waldbiotope sind akut in ihrem Bestand gefährdet, für die Deutsch-
land im Rahmen von Natura 2000 nationale Verantwortung hat, wie werden
diese geschützt, und welche Tier- und Pflanzenarten sind davon insbesondere
betroffen?

2. In welcher Weise will die Bundesregierung anthropogen stark beeinflusste
Waldbiotope, die sich durch die besondere Form der Nutzung entwickelt haben
wie Hutewälder oder Niederwälder erhalten und deren Biodiversität stärken?

3. Welche finanziellen Mittel stellt die Bundesregierung für die in der „Natio-
nalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ genannte „Wiederherstellung
natürlicher oder naturverträglich genutzter Auwälder“ in Deutschland zur
Verfügung und welche „naturverträglichen Nutzungsmöglichkeiten“ sind
hierbei angedacht?

4. Worauf gründet die Bundesregierung ihre Annahme, dass ein Totalschutz von
Wäldern deren Biodiversität erhöht?

5. Welcher Anteil (bitte nach Kategorien auflisten) der deutschen Waldfläche
steht heute schon unter den verschiedenen Schutzkategorien des Natur-
schutzrechts einschließlich der Anmeldung als Natura-2000-Flächen?

6. Welcher Anteil des deutschen Waldes steht derzeit unter Totalreservatschutz,
und anteilig in welchen Eigentumsarten (Privatwald, Staatswald, Körper-
schaftswald) befinden sich diese Schutzbereiche?

7. In welchem Maße und zu welchem Zeitpunkt waren bei der Erstellung der
„Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ Vertreter aus den Bereichen
der Forstwissenschaften, der Forstwirtschaft und des Waldbesitzes eingebun-
den?

8. In welcher Weise berücksichtigt die „Nationale Strategie zur biologischen
Vielfalt“ den Beschluss der Bundesregierung, die Option des Artikels 3.4 des

Kyoto-Protokolls für Wälder als Kohlenstoffsenken wahrzunehmen und sich
Nettosenken im erlaubten Rahmen anrechnen zu lassen?

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9. Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, Wald-Kohlenstoffsenken-Pro-
jekte mit dem Schutz alter Wälder zu verknüpfen und durch Mittel aus dem
Emissionshandel den Nutzungsverzicht von Altwäldern zu finanzieren, und
wenn ja, wie könnte dies organisiert werden, und wenn nein, warum nicht?

10. Mit welcher Begründung spricht sich die Bundesregierung in der „Nationa-
len Strategie zur biologischen Vielfalt“ für die Erhöhung des Anteils zerti-
fizierter Wälder von jetzt etwa 70 Prozent auf 80 Prozent aus, und welche
Vorteile erwartet die Bundesregierung dadurch für die Stärkung der Bio-
diversität in den Wäldern?

11. Welche bundesgesetzlichen Defizite will die Bundesregierung durch die Er-
höhung des Anteils zertifizierter Wälder ausgleichen?

12. Beabsichtigt die Bundesregierung die Zertifizierung von Privatwäldern zu
fördern, und wenn ja, für welche Zertifizierungsorganisationen gilt dies,
und in welcher Höhe soll dies erfolgen?

13. Wie soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung der Verzicht auf die
Nutzung heimischer Rohholzreserven, der durch die in der „Nationalen
Strategie für biologische Vielfalt“ geforderte 5-prozentige Gesamtwaldstill-
legung verursacht wird, die einem Nutzungsverzicht von etwa 550 000 ha
Waldwirtschaftsfläche entspricht, künftig kompensiert werden?

14. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass bei einer Erhöhung der
Importrate von Holz und Holzprodukten, die durch diesen Nutzungs-
verzicht zur Stärkung der biologischen Vielfalt in heimischen Wäldern
verursacht wird, möglicherweise der Holzeinschlag in anderen Teilen der
Erde wie zum Beispiel Indonesien verstärkt und dort die biologische Viel-
falt gefährdet wird, und wenn nein, warum nicht?

15. Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund der weltweiten Wald-
zerstörung einen Nutzungsverzicht der nachhaltig bewirtschafteten Wälder
in Deutschland für verantwortbar, und wenn ja, mit welcher Begründung?

16. In welchem Umfang müssten für die Forderung nach einem Nutzungsver-
zicht auf 10 Prozent des öffentlichen Waldes Waldflächen zusätzlich zu den
bereits heute geschützten Flächen unter Schutz gestellt werden, und durch
welche Anreize will die Bundesregierung die Länder und Kommunen, in
deren Eigentum mehr als 90 Prozent dieser öffentlichen Wälder stehen,
dazu bringen, diese Vorgaben umzusetzen?

17. Wie sollen bei diesen 10-prozentigen Wald-Stilllegungsplänen künftig
Waldflächen berücksichtigt werden, die von der öffentlichen Hand an
Stiftungen des privaten Rechts oder an Umweltverbände übertragen wurden
(z. B. beim so genannten Grünen Band) und plant die Bundesregierung eine
Entschädigung an die öffentlichen Waldbesitzer für den Nutzungsverzicht?

18. In welcher Weise und in welchem Umfang will die Bundesregierung den
Privatwald zur Umsetzung der „Nationalen Strategie zur biologischen Viel-
falt“ einbeziehen, und welche Finanzmittel hat die Bundesregierung für den
Vertragsnaturschutz auf den vorgesehenen 10 Prozent der Privatwaldfläche
eingeplant?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung von Forstfachleuten,
die Gesamtwaldstilllegung, werde künftig ca. 40 000 Arbeitsplätze im
Cluster Forst und Holz gefährden?

20. Nach welchen Kriterien und unter welcher Beteiligung werden diese
zusätzlichen Waldflächen ausgewählt?

21. In welcher Weise wird bei der Auswahl der Waldstilllegungsflächen die

Produktivität der einzelnen Standorte berücksichtigt werden?

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22. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass ein Nutzungsver-
zicht auf 10 Prozent der öffentlichen Waldfläche in Deutschland die Abkehr
von der multifunktionalen Forstwirtschaft als integrativem Ansatz hin zu
einer segregativen Wirtschaftsweise bedeutet, und wird diese Entwicklung
von der Bundesregierung befürwortet?

23. Welche Änderungen bzw. Konkretisierungen plant die Bundesregierung im
Hinblick auf die gute fachliche Praxis der Forstwirtschaft, und sollen diese
im Rahmen einer Novellierung des Bundeswaldgesetzes erfolgen?

24. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass in Deutschland als Folge
des Klimawandels zukünftig verstärkt auch nicht heimische Baumarten,
wie z. B. Douglasie, Schwarzkiefer, Robinie oder Roteiche im Forstbereich
einzusetzen sind, und wie begründet sie diese Auffassung?

25. Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um „bis zum
Jahr 2020 ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Waldverjüngung und
Wildbesatz zu erreichen“, wie es in der „Nationalen Strategie für biologi-
sche Vielfalt“ gefordert wird?

26. Aus welchen fachlich fundierten Gründen heraus wird in der „Nationalen
Strategie für biologische Vielfalt“ auch „weiterhin die Verwendung gen-
technisch veränderter Organismen (GVO) oder deren vermehrungsfähiger
Teile“ abgelehnt, und welche begründete „Gefahr für Waldökosysteme“ be-
steht nach Einschätzung der Bundesregierung durch den Einsatz von GVO
in Wirtschaftswäldern?

Berlin, den 20. Februar 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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