BT-Drucksache 16/8211

Gute Lehre an allen Hochschulen gewährleisten, herausragende Hochschullehre prämieren

Vom 20. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8211
16. Wahlperiode 20. 02. 2008

Antrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), Grietje Bettin,
Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gute Lehre an allen Hochschulen gewährleisten, herausragende Hochschullehre
prämieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In der Vergangenheit sind zahlreiche Initiativen zur Förderung exzellenter For-
schung an Hochschulen auf den Weg gebracht worden. Bund und Länder haben
bislang jedoch keine entsprechenden Maßnahmen zur Unterstützung qualitativ
hochwertiger Hochschullehre unternommen. Dies ist umso unbefriedigender,
als zahlreiche hochschulpolitische Akteure konkrete Forderungen oder umfas-
sende Konzepte zur Förderung guter Lehre vorgelegt haben. Die Bundestags-
fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat bereits im Oktober 2006 die Bundes-
regierung mit dem Antrag „Exzellenzinitiative erweitern – herausragende Lehre
prämieren“ (Bundestagsdrucksache 16/3094) aufgefordert, die laufende Exzel-
lenzinitiative um einen Wettbewerb für hervorragende Lehre zu ergänzen. Trotz
umfassender öffentlicher Unterstützung für die Forderung, gute Lehre zu för-
dern, ist die Bundesregierung hierbei bislang untätig geblieben.

Durch die Einseitigkeit der hochschulpolitischen Diskurse und Initiativen der
jüngsten Vergangenheit gerät ein Charakteristikum des deutschen Hochschul-
wesens aus dem Blick: Die Attraktivität und der Erfolg der deutschen Hochschu-
len bauen auf dem Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre auf. Die Förde-
rung von Forschung an Hochschulen wirkt sich vor allem dann positiv und nach-
haltig aus, wenn die Forschungsinhalte den Studierenden unter sehr guten Lehr-
und Lernbedingungen didaktisch kompetent vermittelt werden. Durch die um-
fassende Integration der aktuellen Forschungsfragen in die Lehre werden For-
schungsbegeisterung und -kompetenz unter Studierenden frühzeitig gefördert.

Qualitativ hochwertige Lehre ist der Schlüssel für ein hohes Kompetenzniveau
und gute Jobchancen der Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Zusam-
men mit der dringend erforderlichen quantitativen Ausweitung der Studienplatz-
kapazitäten ist sie daher auch eine Voraussetzung, um den Fachkräftemangel zu
überwinden. Gute Lehr- und Lernbedingungen und damit einhergehend eine
höhere Studierendenzufriedenheit sind entscheidende Beiträge, um die viel zu
hohen Studienabbrecherzahlen deutlich zu reduzieren.

Ziel einer ausgewogenen Hochschulpolitik muss es daher sein, an allen Hoch-
schulen die Einhaltung von Mindeststandards der Lehrqualität zu gewährleisten.
Darüber hinaus gilt es, innovative und besonders herausragende Konzepte zur
Förderung der Lehre zu identifizieren und zu unterstützen. Beiden Zielen liegt

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das Anliegen zugrunde, mehr öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung für
die Hochschullehre zu gewinnen. Das Ansehen sowohl einer Hochschule als
auch eines Hochschullehrers oder einer Hochschullehrerin darf nicht allein auf
den jeweiligen Forschungsleistungen beruhen.

Um diese Ziele zu erreichen, ist eine Gesamtstrategie bestehend aus drei Säulen
erforderlich, deren Umsetzung umgehend initiiert werden soll. Notwendig sind:

● eine ausreichende (d. h. steigende) Grundfinanzierung der Hochschulen,

● eine systematische Verankerung von Lehrqualität in Personalentwicklung
und Qualitätsmanagement zur Sicherung von Mindeststandards an allen
Hochschulen sowie

● Wettbewerbsverfahren zur Auszeichnung und Förderung innovativer und he-
rausragender Lehrleistungen einzelner Hochschulen, Fachbereiche sowie
Hochschullehrerinnen und -lehrer.

Unabdingbare Voraussetzung für hochwertigere Lehre an deutschen Hochschu-
len ist eine bessere Betreuungsrelation. Selbst wenn man bei der Betreuungsqua-
lität auch die Anzahl der Lehrbeauftragten unterhalb der Professur berücksich-
tigt, gilt: Mit durchschnittlich 60 Studierenden pro Professor – in einzelnen
Fächern noch deutlich mehr – lässt sich keine Lehre organisieren, die den Bega-
bungen und der Neugierde des Einzelnen gerecht wird. Dieses Missverhältnis
wird noch verschärft durch die Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse
im Rahmen des Bologna-Prozesses, dessen Erfolg maßgeblich von einem deut-
lich verbesserten Betreuungsschlüssel abhängt. Neben einem verstärkten Ange-
bot von Mentoren- und Tutorenprogrammen ist daher ein besseres Betreuungs-
verhältnis durch den akademischen Mittelbau und die Hochschullehrerinnen
und -lehrer erforderlich.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen in erster Linie die Länder
die Unterfinanzierung ihrer Hochschulen beenden und deren Grundfinanzierung
deutlich anheben. Gleichzeitig muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass der
Hochschulpakt von Bund und Ländern so ausgestattet wird, dass für die zusätz-
lich an die Hochschulen strömenden Studierenden gute Lehre organisiert wer-
den kann. Davon kann jedoch keine Rede sein, wenn der Bund de facto weniger
als ein Drittel der von der Bundesregierung selbst angesetzten Studienplatzkos-
ten bzw. weniger als ein Viertel des durch die Hochschulrektorenkonferenz kal-
kulierten Finanzbedarfs übernimmt.

Eine Flexibilisierung oder gar Abschaffung des geltenden Kapazitätsrechts löst
die Probleme der Unterfinanzierung dagegen keineswegs. Vielmehr ist zu be-
fürchten, dass die Hochschulen bei einer Aufhebung der Kapazitätsverordnung
die jeweils eigenen Studienplatzkapazitäten stark reduzieren würden. Dies ver-
bessert zwar die Betreuungsrelationen für diejenigen, die noch einen Studien-
platz ergattern können. Es verschärft jedoch den derzeit bereits bestehenden Stu-
dienplatzmangel dramatisch und führt so dazu, dass weniger Studienberechtigte
einen Studienplatz finden.

Rein quantitative Schritte wie eine Verbesserung der Grundfinanzierung und
Betreuungsrelation allein reichen jedoch nicht aus, die Qualität der Hochschul-
lehre zu steigern. Um gute Standards an allen Hochschulen fest zu etablieren,
muss Lehrqualität in Prozesse von Personalentwicklung und Qualitätsmanage-
ment systematisch verankert werden. Dabei müssen angesichts der personellen
Unterrepräsentanz von Wissenschaftlerinnen im Wissenschaftssystem und der
Marginalisierung von Genderkompetenz in der Lehre Genderaspekte als ein
zentrales Qualitätskriterium implementiert werden.

Im Bereich der Personalentwicklung hat eine Integration von Lehrqualität ver-
schiedene Facetten: Bereits in der Ausbildung von Nachwuchswissenschaft-
lerinnen und -wissenschaftlern müssen Lehrkompetenzen stärker vermittelt

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werden. Dies sollte durch verbindliche Ausbildungsbausteine in Graduierten-
schulen und Post-doc-Programmen gewährleistet werden. Darüber hinaus ist die
Fortbildung von Professorinnen und Professoren sowie aller weiteren Lehr-
beauftragten – auch im Hinblick auf Genderkompetenz – an Hochschulen quan-
titativ und qualitativ auszubauen. Die entsprechenden Kurse und Coachingange-
bote könnten in hochschuldidaktischen Kompetenzzentren gebündelt und ihre
Inanspruchnahme durch Anreize gefördert werden. Bei Berufungen von Hoch-
schullehrerinnen und -lehrern sind die didaktische Qualifikationen stärker zu be-
rücksichtigen und einzufordern. Die Berufungsordnungen sollten entsprechend
modernisiert werden. Zusätzliche Relevanz sollten die individuellen Lehrkom-
petenzen bei der Besetzung neuer Personalkategorien mit dem Schwerpunkt
Hochschullehre („Lecturer“) erhalten.

Über die Personalentwicklung hinaus muss Lehrqualität ein integraler Bestand-
teil der hochschulinternen Qualitätsmanagementsysteme werden. Nur wenn die
Lehrqualität in einzelnen Lehrveranstaltungen, der Kompetenzerwerb in den
Studiengangmodulen und der gesamte Studienerfolg systematisch evaluiert
werden, können aussagekräftige Informationen über Stärken und Schwächen
von Lehre und Betreuung gewonnen werden. Dazu ist ein Methodenmix erfor-
derlich, der die Bewertung von Lehrveranstaltungen durch Studierende genauso
umfasst wie Peer-Review-Verfahren und Absolventen- und Abbrecheranalysen.
Die Studierenden müssen bei der Entwicklung und Anwendung der Evaluie-
rungsmethoden beteiligt werden. Im Sinne einer effektiven Steuerung dürfen die
gewonnenen Informationen nicht folgenlos bleiben, sondern müssen mit Konse-
quenzen verbunden werden. Dies bedeutet beispielsweise eine Berücksichti-
gung der Lehrkompetenz bei leistungsbezogenen Gehalts- und Besoldungskom-
ponenten.

Die flächendeckende Verankerung von Lehrqualität in Personalentwicklung und
Qualitätsmanagement dient der Absicherung von Mindeststandards guter Lehre
an allen Hochschulen. Sie sollte daher durch Instrumente wie Zielvereinbarun-
gen, kriteriengebundene Mittelvergabe und eine Integration in die Akkreditie-
rungsprozesse an sämtlichen Hochschulen verbindlich gewährleistet werden.

Flächendeckend lediglich „gute“ Leistungen reichen in der Lehre jedoch nicht
aus. Die kreative Weiterentwicklung bestehender Ansätze und die Steigerung
der öffentlichen Anerkennung der Lehre gelingen am besten, wenn besonders
herausragende Leistungen sowie innovative Best-Practice-Beispiele prämiert
und gefördert werden. Daher ist über die genannten Schritte hinaus ein Wettbe-
werb für innovative und herausragende Lehre erforderlich. Dieser Wettbewerb
sollte umgehend als eigenständige Initiative gestartet werden. Hochschulen und
Fachbereichen würden damit Gelegenheit und Anreize geboten, ein auf exzel-
lenter Lehre basierendes und hoch attraktives Profil herauszubilden und dafür
Fördergelder zu erhalten. Mithilfe der gewonnenen Reputation und Fördermittel
verbessert sich auf diese Weise auch die Anschlussfähigkeit der prämierten
Hochschulen im künftigen Wettbewerb um Forschungsexzellenz.

Ein Wettbewerb für herausragende und innovative Lehre sollte in getrennten
Förderlinien sowohl einzelnen Fachbereichen als auch ganzen Hochschulen
offenstehen. Diese sollten unbürokratisch Strategiekonzepte für die systema-
tische Förderung qualitativ hochwertiger Lehre einreichen können. Dabei muss
sichergestellt sein, dass der Bewerbungsaufwand weniger Ressourcen bindet als
im bestehenden Wettbewerb für exzellente Forschung. Wenn – wie in der Exzel-
lenzinitiative für Forschung – eingereichte Zukunftskonzepte statt bereits umge-
setzter Maßnahmen Gegenstand der Bewertung sind, haben alle – und nicht nur
die finanziell stärksten – Hochschulen reale Gewinnaussichten. Ein transparen-
tes Verfahren zur Kriterienentwicklung, Bewertung und Rückmeldung gewähr-
leistet, dass der Wettbewerb klare Erkenntnisgewinne und Optimierungshin-

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weise für alle teilnehmenden Hochschulen – auch den nicht ausgezeichneten –
bietet.

Ab dem Jahr 2011 muss die bestehende Exzellenzinitiative im Zuge ihrer Wei-
terentwicklung um den Wettbewerb zur Förderung exzellenter Lehre erweitert
werden. Damit wäre die klare Botschaft verbunden, dass eine Hochschule nur
dann als herausragende Spitzenuniversität mit insgesamt überzeugendem Zu-
kunftskonzept gelten kann, wenn sie auch herausragende Leistungen in der
Lehre erzielt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, gemeinsam mit
den Ländern

● den laufenden Hochschulpakt I und den geplanten Hochschulpakt II finanziell
so auszustatten, dass für alle zusätzlichen Studierenden gute Betreuungsrela-
tionen und hochwertige Lehre ermöglicht werden. Die Verhandlungen über
den Hochschulpakt II ab 2010 sind zügig aufzunehmen und so frühzeitig ab-
zuschließen, dass die Hochschulen langfristig planen können;

● im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe für Bildungsforschung noch stärker
als bislang Fragen der Hochschuldidaktik, der Lehr- und Lernforschung an
Hochschulen sowie Absolventen- und Abbrecheranalysen zum Gegenstand
zu machen;

● umgehend einen Wettbewerb für herausragende und innovative Lehre an den
Hochschulen zu konzipieren und auszuschreiben, der den o. g. Anforderun-
gen entspricht;

● eine umfassende und kritische Evaluation der bestehenden Exzellenzinitia-
tive zu gewährleisten und bei einer erneuten Ausschreibung im Jahr 2011
Wettbewerbslinien für herausragende und innovative Lehre zu integrieren;

● auf die Wirtschaft einzuwirken, dass sie ihre Mitverantwortung für den Fach-
kräftenachwuchs wahrnimmt, indem sie Lehrpreise und ähnliche Fördermaß-
nahmen für herausragende Hochschullehre stiftet.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
auf die Länder einzuwirken, dass diese

● die Grundfinanzierung der Hochschulen deutlich erhöhen;

● mittels geeigneter Kontroll-, Anreiz- und Fördermaßnahmen gewährleisten,
dass Hochschulen die Lehrqualität in die Personalentwicklung und das Qua-
litätsmanagement ihrer Einrichtung integrieren;

● soweit nicht bereits geschehen, eigene Landeslehrpreise und ähnliche Aus-
zeichnungen für exzellente Lehrleistungen – auch von einzelnen Hochschul-
lehrerinnen und -lehrern – ausschreiben.

Berlin, den 20. Februar 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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