BT-Drucksache 16/8079

Strukturelle Wettbewerbsdefizite auf den Energiemärkten bekämpfen

Vom 13. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8079
16. Wahlperiode 13. 02. 2008

Antrag
der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff,
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle
Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Hermann
Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Strukturelle Wettbewerbsdefizite auf den Energiemärkten bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Gegen die nicht endende Preisspirale auf den Energiemärkten helfen keine
kosmetischen Maßnahmen. Nach einem Bericht der „FINANCIAL TIMES
DEUTSCHLAND“ vom 14. Januar 2008 muss sich im Jahr 2008 rund ein Vier-
tel der Stromkunden in Deutschland auf Preiserhöhungen von durchschnittlich
7,2 Prozent einstellen. 437 Grundversorger heben danach ihre Preise bis zum
1. Februar 2008 an. Der in § 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) formu-
lierte Anspruch von Verbrauchern und Wirtschaft auf preisgünstige Energie
wird von der Bundesregierung dauerhaft missachtet. Auch zehn Jahre nach der
Marktöffnung befindet sich der wettbewerbliche Teil der Energiemärkte in der
Hand weniger Energieversorgungsunternehmen.

Das aktuelle gemäß § 62 Abs. 1 EnWG erstellte Sondergutachten der Monopol-
kommission zum Wettbewerb im Strom- und Gassektor mit dem Titel „Wettbe-
werbsdefizite und zögerliche Regulierung“ bestätigt die seit langem bekannten
strukturellen Ursachen für fehlenden Wettbewerb auf den deutschen Energie-
märkten, die ein Absinken der Energiepreise nicht zulassen. Konkret werden im
Gutachten der mögliche Einfluss großer integrierter Energieversorger auf den
Börsenpreis sowie eine Marktsituation kritisiert, die beste Voraussetzungen für
die Ausübung von Marktmacht bietet. Von Stromimporten aus europäischen
Nachbarländern geht ebenfalls keine disziplinierende Wirkung aus; vielmehr ist
eine Abschottungsstrategie gegenüber Ländern mit niedrigerem Strompreis als
in Deutschland erkennbar.

Drucksache 16/8079 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Es müssen daher dringend strukturelle Maßnahmen ergriffen werden, um die
hohen Energiepreise an ihrer Wurzel zu bekämpfen. Die Monopolkommission
fordert zu Recht ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um die vorhandenen Wett-
bewerbsdefizite zu beseitigen. Als Folge der großen Marktmacht weniger Ver-
bundunternehmen auf praktisch allen Marktstufen – von der Ebene der Strom-
erzeugung bzw. des Gasimports bis zur Lieferung an Endkunden – muss ein
effektives Konzept Maßnahmen für jede Marktstufe umfassen.

1. Strukturelle Maßnahmen statt Verhaltensregulierung

Die verkrustete und vermachtete Marktstruktur der hochgradig integrierten
deutschen Energiewirtschaft lässt sich durch Maßnahmen reiner Verhaltens-
regulierung nicht in den Wettbewerb führen. Die Länderwirtschaftsminister
wollen – wie es die Fraktion der FDP in ihrem Antrag vom 17. Januar 2006
(Bundestagsdrucksache 16/4065) gefordert hat – die Erweiterung des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen um ein Instrument der wettbewerbsfördern-
den Struktureingriffe prüfen. Die Bundesregierung sollte sich dieser Erkenntnis
auch in ihrer Haltung gegenüber den aktuellen Vorschlägen der EU-Kommis-
sion, Energienetze und Energievertrieb bzw. -produktion strukturell zu ent-
flechten, nicht länger verschließen.

Die legislativen Vorschläge des Dritten Binnenmarktpakets sehen zwei unter-
schiedlich weitgehende Eingriffe in die Struktur eines integrierten Energieun-
ternehmens vor. Die von der Kommission favorisierte Aufspaltung von Netz
und Vertrieb auf verschiedene Eigentümer, das so genannte ownership unbund-
ling, wirft erhebliche Folgeprobleme auf. Mit einem ownership unbundling
sind verfassungsrechtliche Risiken und die Gefahr von Entschädigungsforde-
rungen verbunden, die langjährige Rechtsstreitigkeiten mit ungewissem Aus-
gang nach sich ziehen würden. Als Folge wären die dringend erforderlichen
Netzinvestitionen blockiert. Die schnelle Verkäuflichkeit eines unter regulatori-
scher Kontrolle der Bundesnetzagentur (BNetzA) stehenden Netzmonopols
wäre zudem unsicher und führt, wie die Staatsfondsdiskussion gezeigt hat, zu
der Frage, ob und wie das gesamtstaatliche Interesse an einem zuverlässigen
Funktionieren der Energieinfrastruktur bei einem Eigentümerwechsel sicherge-
stellt werden kann.

Die Bundesregierung sollte sich in den Verhandlungen stattdessen konstruktiv
für das alternative Konzept eines unabhängigen deutschlandweiten Netzbetrei-
bers (Independent System Operator, ISO) einsetzen, allerdings ohne die von der
EU-Kommission formulierten bürokratischen und planwirtschaftlichen Anfor-
derungen an einen ISO zu übernehmen. Diesem ISO wären als deutsche „Netz
AG“ das Eigentum und die Verantwortung für den Betrieb, die Instandhaltung
der Netze und den Netzausbau für das gesamte deutsche Übertragungsnetz zu
übertragen. An dieser „Netz AG“ könnten die gegenwärtigen Übertragungs-
netzbetreiber entsprechend dem Wert ihrer eingebrachten Netze anteilsmäßig
beteiligt bleiben. Das Verhältnis der „Netz AG“ zu den vier Eignern ist perso-
nell so auszugestalten, dass Interessenkonflikte ausgeschlossen sind und die un-
ternehmerische Selbstständigkeit der „Netz AG“ gewährleistet ist. Der unab-
hängigen „Netz AG“ ist die volle Verantwortung für Investitionen in das Netz
zu übertragen. Die dafür erforderlichen Mittel sind von den Anteilseignern zur
Verfügung zu stellen. Ausschließlich der „Netz AG“ stehen die Einnahmen aus
der Netznutzung einschließlich der Verwaltung von Engpasserlösen zu. Durch
die Einführung einer solchen bundesweiten Netzgesellschaft wird das Diskri-
minierungspotenzial gegenüber neuen Anbietern im Erzeugungsbereich beacht-
lich reduziert. Die Umsetzung einer effektiven Entflechtung wird erleichtert.
Die Durchführung des innerdeutschen Netzausbaus oder Netzinvestitionen an
Grenzkuppelstellen können in Gestalt einer deutschlandweiten Netzentwick-
lungsplanung des ISO erfolgen. Darüber hinaus können die von den vier Über-
tragungsnetzbetreibern bisher getrennt geführten Regelzonen zu einem

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8079

deutschlandweiten Regelenergiemarkt zusammengefasst werden. Dies würde
die Kosten für Regelenergiebeschaffung, die die Netzentgelte verteuern, deut-
lich senken. Diese Kosten belaufen sich zurzeit auf etwa 1 Mrd. Euro jährlich.
Alle für den Netzzugang und für den Wettbewerb wichtigen technischen Rand-
bedingungen, z. B. Standards für die Datenkommunikation, das Bilanzkreis-
management, die Eingliederung neuer oder die Einrichtung virtueller Kraft-
werke, können ohne Behinderung durch die Interessen einzelner Energieunter-
nehmen rascher und effektiver beschlossen und umgesetzt werden.

Der von Deutschland und anderen Mitgliedstaaten alternativ zum ownership
unbundling vorgeschlagene so genannte dritte Weg überzeugt weder hinsicht-
lich der Unabhängigkeit der Netzgesellschaft noch weist er ähnliche Synergie-
effekte wie eine deutsche „Netz AG“ auf.

Um Gefahren für den Wettbewerb durch die gegenwärtig hohe Marktkonzent-
ration im Bereich der Stromerzeugung bzw. des Gasimports zu begegnen, kann
für den unregulierten Bereich auf die zusätzliche Einführung einer Entflech-
tungssanktion als Ultima-Ratio-Maßnahme nicht verzichtet werden. Dem Bun-
deskartellamt sollte die Befugnis eingeräumt werden, auf Marktmachtmiss-
brauch notfalls durch Anordnung von Entflechtungsmaßnahmen reagieren zu
können. Gegenstand einer gesetzlichen Entflechtungsmöglichkeit, wie sie im
o. g. Antrag der Fraktion der FDP befürwortet wird, kann auch die vom Präsi-
denten des Bundeskartellamtes befürwortete Verringerung der Beteiligungen
großer Energieversorger an Stadtwerken und Regionalversorgern sein.

2. Erweiterung des Stromangebots durch unabhängige Erzeuger und mehr
Stromimporte

Um eine Verbesserung der gegenwärtigen Wettbewerbsstruktur zu erreichen,
kommt einer Ausweitung des Energieangebots durch neue Kraftwerke sowie
der Anbindung des deutschen Energienetzes an das europäische Netz hohe Pri-
orität zu. Eine Erhöhung der Wettbewerbsintensität ist insbesondere dann zu er-
warten, wenn das verfügbare Stromangebot durch den Bau neuer Kraftwerke
die nachgefragte Strommenge deutlich übersteigt und insgesamt die Zahl unab-
hängiger Erzeuger sowie die Menge wettbewerbswirksamer Strommengen spür-
bar ansteigt.

Kleinere Erzeuger verfügen nicht über das umfängliche Portfolio von Kraft-
werken und die Finanzkraft der etablierten Kraftwerksbetreiber. Sie werden
von regulatorischen Unsicherheiten wie z. B. der künftigen Entwicklung des
Emissionshandels, aber auch von sonstigen Marktzutrittshindernissen beson-
ders stark betroffen.

So musste wegen Kapazitätsengpässen auf Seiten der Kraftwerksausrüster bzw.
erheblicher Preisaufschläge bereits eine Reihe von Kraftwerksvorhaben unab-
hängiger Anbieter insbesondere von kommunaler Seite aufgegeben werden,
während Kraftwerksprojekte etablierter Verbundunternehmen über Rahmenver-
träge mit den Kraftwerksausrüstern abgesichert sind. Nach einer Studie wurden
2007 Planungen im Umfang einer Kraftwerkskapazität von 6 500 MW wieder
aufgegeben. Zu gleicher Zeit werden von dem Erzeugerduopol E.ON und RWE
Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energien angekündigt.

Es bedarf somit zusätzlicher und zielgerichteter Verbesserungen der Rahmen-
bedingungen, um von den großen vier Erzeugern unabhängigen Investoren den
Marktzutritt zum Erzeugungsmarkt zu erleichtern.

Die Monopolkommission schlägt vor, den marktbeherrschenden Energieunter-
nehmen ein zeitlich befristetes Investitionsmoratorium aufzuerlegen, um Kon-
kurrenten die Möglichkeit zu eröffnen, eigene Kraftwerkskapazitäten aufzu-
bauen. Die Energieunternehmen sollen es in der Hand haben, das Moratorium
durch einen Ausbau der Grenzkuppelkapazitäten selbst zu beenden. Dieses

Drucksache 16/8079 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

marktinterventionistische Konzept ist jedoch aus Gründen der Versorgungs-
sicherheit abzulehnen. Es ist nicht in der Lage sicherzustellen, dass die durch
den Atomausstieg absehbare Deckungslücke durch den Zubau von Kraftwer-
ken unabhängiger Betreiber geschlossen wird. Nach den Ergebnissen einer
Umfrage unter potenziellen Investoren wird Deutschland möglicherweise be-
reits in sieben Jahren auf Stromimporte angewiesen sein. Die Rahmenbedin-
gungen müssen mit dem Ziel verändert werden, sowohl unabhängige Anbieter
zu fördern, als auch die drohende Versorgungslücke mit Strom abzuwenden.

Dazu sollte die von der Bundesregierung verabschiedete neue Kraftwerks-
Netzanschlussverordnung (KraftNAV) so nachgebessert werden, dass die darin
vorgesehene Privilegierung neuer Kraftwerke gegenüber Bestandskraftwerken
nur Erzeugern eingeräumt wird, die vom bestehenden Erzeugeroligopol unab-
hängig sind. Bisher sieht die Verordnung vor, dass auch neue Kraftwerke
marktbeherrschender Unternehmen im Falle künftiger Netzengpässe bevorzugt
in das Netz einspeisen dürfen. Im Gegensatz zu einem Moratorium gefährdet
eine solche „Diskriminierung“ nicht die Versorgungssicherheit, sondern fördert
sie. Der Kraftwerksbau bereits marktbeherrschender Erzeuger wird in Bereiche
des Netzes gelenkt, in denen keine Engpässe und damit keine Einschränkungen
für den Kraftwerksbetrieb zu erwarten sind. Die Verordnung in ihrer jetzigen
Gestalt übt nur eine schwache Lenkungswirkung aus. Dies kann dazu führen,
dass insbesondere neue Kohlekraftwerke nach rein logistischen Kriterien und
nicht in räumlicher Nähe zu Verbrauchsschwerpunkten errichtet werden. In
Norddeutschland droht nach einer Studie u. a. des Bremer Energieinstituts bis
2020 eine Verdoppelung der Erzeugungskapazitäten gegenüber 2005 bei sin-
kender Nachfrage. Wenn Einspeisegarantien für neue Kraftwerke zu Engpässen
beitragen und damit in der Praxis zur Abschaltung von Bestandskraftwerken
führen, wird das Ziel eines höheren Stromangebots sogar verfehlt. Bei einer
Privilegierung neuer Anbieter könnten nach KraftNAV die restriktiven Be-
dingungen, unter denen neue Kraftwerke eine Einspeisegarantie erhalten,
gelockert werden.

Eine erhebliche Hürde für den Ausbau der Erzeugungskapazitäten sind die
überlangen, bis zu zehn Jahre dauernden Planungs- und Genehmigungszeiten für
Kraftwerke sowie die begrenzte Zahl der für Kraftwerke geeigneten Standorte.
Insbesondere Kohlekraftwerksprojekte stoßen zudem auf mangelnde Akzep-
tanz bei der Bevölkerung. Lokale Abwehrbündnisse nach dem Sankt-Florians-
prinzip dürfen nicht über die sichere Versorgung Deutschlands mit Strom
entscheiden. Die planerische Festsetzung von Kraftwerksstandorten im Geset-
zesweg, wie sie für Infrastrukturvorhaben bereits möglich ist, sollte daher als
Bestandteil einer Beschleunigungsstrategie für den Kraftwerksneubau geprüft
und rasch gesetzlich umgesetzt werden.

3. Das deutsche Stromnetz muss für den Wettbewerb und für neue dezentrale
Erzeugungsstrukturen ertüchtigt werden

Engpässe im grenzüberschreitenden Stromhandel sind an der Tagesordnung.
Die Beseitigung von Kapazitätsengpässen in der Anbindung des deutschen Ver-
bundnetzes an das europäische Stromnetz muss daher dringend vorangetrieben
werden. Der Verweis der Energiewirtschaft auf den aktuellen Verbindungsgrad
von 16 Prozent mit Nachbarländern Deutschlands überzeugt nicht, da Stromim-
porte nach Feststellungen der Monopolkommission bisher nicht wettbewerbs-
wirksam geworden sind. Preisdifferenzen zwischen EU-Staaten werden von
den Netzbetreibern in Form von Engpasserlösen vereinnahmt. Die gegenwär-
tige Rechtslage bei der Netzregulierung erlaubt es, Erlöse aus der Bewirtschaf-
tung von Engpässen an Grenzkuppelstellen alternativ zur Engpassbeseitigung
oder zur Senkung der allgemeinen Netzentgelte zu verwenden. Integrierte Strom-
konzerne investieren daher als Eigner der Kuppelstellen nicht in den Ausbau
von Verbindungsleitungen, insbesondere nicht zu Ländern mit geringeren

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8079

Stromerzeugungskosten. Nach Feststellung der Bundesnetzagentur (Bericht
gemäß § 63 Abs. 4a EnWG) verstoßen die Übertragungsnetzbetreiber gegen
geltendes Recht, da sie zu einem bedarfsgerechten Ausbau auch an den Grenz-
kuppelstellen verpflichtet sind. Die Bundesregierung sollte daher die EU-Kom-
mission bei ihrem Vorschlag unterstützen, in der EU-Verordnung 1228/2003 eine
Zweckbindung der aus der Verwaltung von grenzüberschreitenden Netzengpäs-
sen erzielten Erlöse für Investitionen zur Engpassbeseitigung vorzusehen. Diese
Zweckbindung könnte mit der Berechtigung der Regulierungsbehörde verbun-
den werden, eine Ausschreibung des Netzausbaus an Grenzkuppelstellen für
den Fall anzuordnen, dass Netzbetreiber den Ausbau nicht selbst vornehmen
wollen. Auf planwirtschaftliche Zehnjahrespläne, wie sie in diesem Zusam-
menhang seitens der EU-Kommission gefordert werden, sollte verzichtet wer-
den. Als Sofort- und Übergangsmaßnahme sollte die Vergabe grenzüberschrei-
tender Transportrechte effektiver organisiert werden. Die derzeitige Praxis der
Auktionierung am Jahresende liegt z. B. nach dem Zeitpunkt, an dem die Han-
delsverträge für das folgende Jahr geschlossen werden.

Innerhalb von Deutschland drohen nach Aussagen der Bundesnetzagentur in
Zukunft Netzengpässe. Die Dena-Studie identifizierte allein für erneuerbare
Energien einen Ausbaubedarf von 850 km neuen 380-kv-Doppelleitungen und
rund 400 Trassenverstärkungen. Nicht nur der weitere Ausbau der Windenergie
– insbesondere im Offshorebereich – und die vermehrte Anbindung neuer
Kraftwerkskapazitäten, sondern auch die Anpassung an die Bedürfnisse der
vermehrten Handelsströme in einem einheitlichen europäischen Elektrizitäts-
binnenmarkt machen einen massiven Ausbau des Übertragungsnetzes erforder-
lich. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie angekün-
digte gesetzliche Instrumentarium zur Beschleunigung des Netzausbaus muss
daher unverzüglich vorgelegt werden. Bereits gegenwärtig wird der Kraft-
werksneubau speziell in Küstennähe behindert. Projektierte Kohlekraftwerke
wie das geplante hocheffiziente 800-MW-KWK-Kraftwerk im Emsland sind in
ihrer Realisierung bedroht. Der Einspeisevorrang der stetig wachsenden Über-
schüsse an Windenergie verursacht unkalkulierbare Abschaltungen der Kraft-
werke. Die Ertüchtigung der Energienetze ist bei einem Durchschnittsalter der
220-KV-Strommasten von 50 Jahren ebenfalls vordringlich.

4. Mehr Transparenz und schärfere Kontrollen auf Großhandelsmärkten

Die großen Verbundunternehmen stehen im Verdacht, den Börsenhandel an der
Strombörse EEX durch ihre Marktmachtausübung zu beeinflussen (Sondergut-
achten Monopolkommission, S. 83). Dies kann nicht länger hingenommen wer-
den, da Wettbewerbsverzerrungen im Großhandel auch auf die nachfolgenden
Handelsstufen und den Wettbewerb im Endkundengeschäft negativ durchschla-
gen.

Die Monopolkommission hat in ihrem Sondergutachten vorgeschlagen, Preis-
manipulationen im Großhandel durch die Einrichtung einer unabhängigen
Marktbeobachtungsstelle vorzubeugen. Dieser Vorschlag liegt auch im wohl-
verstandenen Eigeninteresse der vier Energiekonzerne, da diese sich so von
ungerechtfertigten Vorwürfen der Preismanipulation entlasten könnten. Ein
market monitoring analysiert in Echtzeit – also noch während des laufenden
Handelsgeschehens an der Börse – die Bieterstrategien der Börsenteilnehmer
im Hinblick auf Manipulationsversuche. Dazu benötigt es Daten, die ihm von
Marktteilnehmern und den Netzbetreibern mindestens zeitgleich zur Verfügung
gestellt werden müssen und die erheblich über bisher freiwillig bereitgestellte
Daten hinausgehen.

Nach internationalen Erfahrungen z. B. in den USA, in Skandinavien oder den
Niederlanden überwiegen die positiven Effekte des Instruments bei weitem die
infolge der Informationspflichten verursachten Bürokratiekosten. Denn eine

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zeitnahe Marktbeobachtung wirkt präventiv gegen überhöhte Preise, vermittelt
eine solide Basis für Sanktionen aufgrund festgestellter Missbräuche und liefert
Erkenntnisse für die Weiterentwicklung von Wettbewerbsregeln in Energie-
märkten.

Zusätzlich sind die Rechtsgrundlagen für eine wirksame Sanktionierung von
Insiderhandel an der EEX zu schaffen. Termingeschäfte an Strombörsen stellen
Finanzinstrumente im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes dar. Während für
solche Geschäfte das Verbot von Marktmanipulationen (§ 20a des Gesetzes
über den Wertpapierhandel – WpHG) gilt, fehlt ein vergleichbares Verbot für
den Spotmarkt. Diese Lücke sollte unverzüglich beseitigt werden. Parallel dazu
sollte Deutschland eine entsprechende Revision der EU-Marktmissbrauchs-
richtlinie initiieren.

Um der für die Handelsüberwachung zuständigen Stelle das Aufdecken von
verbotenem Insiderhandel zu erleichtern, ist der Behörde für börsliche Ge-
schäfte und für außerbörsliche Geschäfte, die über das Clearing System der
EEX abgewickelt werden, der wirtschaftlich Berechtigte für das jeweilige
Geschäft mitzuteilen. Weiterhin müssen auch Erzeuger und Marktteilnehmer
verpflichtet werden, nicht öffentliche aber kursrelevante Informationen an die
Handelsüberwachungs- oder Marktbeobachtungsstelle zu übermitteln.

In diesem Zusammenhang sollte die Bundesregierung den Kommissionsvor-
schlag unterstützen, der die Stromlieferanten verpflichten soll, geschäftliche
Daten ihrer Großhandelsgeschäfte zum Zwecke eventueller nachträglicher
Überprüfungen aufzubewahren.

5. Wettbewerb mit neuen Produkten erfordert die rasche Öffnung des Marktes
für intelligente Zähler

Deutschland braucht in Zukunft intelligente Stromnetze. Der stetige Ausbau er-
neuerbarer Energien und die Zunahme von kleinen KWK-Erzeugungseinheiten
werden zu einer erheblich stärker dezentralisierten Energieerzeugung führen.
Nach Schätzungen der Branche wurden allein im Jahr 2006 ca. 4 000 Motoren
für Blockheizkraftwerke mit einer Leistung von rund 500 MW deutschlandweit
installiert. Energienetze können nur als flexible „smart grids“ den Anforderun-
gen wechselnder Lastflüsse, fluktuierender Einspeisungen und den als Folge
des Wettbewerbs wachsenden Energiehandelsvolumina genügen. Dies erfordert
Rahmenbedingungen, die den erforderlichen massiven Ausbau von Kommuni-
kationstechnologie in den Verteilnetzen fördern bzw. beschleunigen und nicht
wie bisher durch langwierige Genehmigungsverfahren im Netzbereich behin-
dern. Dazu ist die rasche Marktdurchdringung mit intelligenten fernsteuerbaren
Zählern voranzutreiben, um neue dezentrale Erzeugungseinheiten ohne Ein-
schränkungen für die Versorgungssicherheit in das Netz integrieren zu können
(siehe Antrag der Fraktion der FDP “Öffnung des Messwesens bei Strom und
Gas für Wettbewerb beschleunigen“ auf Bundestagsdrucksache 16/7872).

Aktuell ist die Marktöffnung des Messwesens insgesamt durch die fehlende
Liberalisierung des „Messens“, also der Ablesung der Zähler, und die Aufberei-
tung und Weitergabe zum Zwecke der Abrechnung blockiert. Technologische
Innovationen wie z. B. die Einführung intelligenter Zähler finden bisher so gut
wie nicht statt. Das Preisniveau für das Betreiben von Zählern sowie das Able-
sen dürfte daher deutlich überhöht sein. Der vorgelegte Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Marktöffnung des Messwesens könnte durch die Öffnung
der Messdienstleistungen zu Fortschritten führen. Die für die praktische Um-
setzung des Gesetzes genannte Zeitspanne von sechs Jahren ist jedoch unver-
tretbar lang und steht nicht im Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben
aus der EU-Richtlinie über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen
(EDL-Richtlinie). Ohne eine sofortige Vorlage der notwendigen Durchfüh-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/8079

rungsverordnungen ist ein Wirksamwerden der formalen Marktöffnung nicht
zu erwarten.

6. Wettbewerb im Gassektor durch Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt
aktiv anstoßen

Auch im Gasbereich sind die strategischen und strukturellen Markteintrittsbar-
rieren nach Analyse der Monopolkommission für Wettbewerber ohne eigenes
Netz immer noch hoch. Nach ihren Feststellungen wird der Wettbewerb durch
die Vielzahl von Marktgebieten und Defiziten bei der Entflechtung, dem Eng-
passmanagement, dem Regelenergiemarkt und dem Speicherzugang behindert.
Ein flächendeckender Wettbewerb um Haushalts- und Kleinverbrauchskunden
(HuK-Kunden) besteht nicht. Dazu bedarf es eines gasspezifischen Wettbe-
werbspakets, das an den strukturellen Ursachen ansetzt. Bundesnetzagentur
und Kartellbehörden sollten die von der Monopolkommission in ihrem Sonder-
gutachten bezeichneten Maßnahmen für mehr Wettbewerb durchführen.

Die Vielzahl von Marktgebieten für Gas in Deutschland stellt eine gravierende
Behinderung für Händler und einen wettbewerblichen Gasmarkt insgesamt dar.
Die bereits im Energiewirtschaftsgesetz bestehende Kooperationspflicht der
Netzbetreiber ist dahin zu konkretisieren, dass sie alle überregionalen Netz-
betreiber zur Einrichtung eines deutschlandweiten Marktgebietes für H-Gas
(High Caloric) und für L-Gas (Low Caloric) verpflichtet. Die Reduzierung der
Marktgebiete würde wesentlich dazu beitragen, das Wettbewerbspotenzial auf
dem Gasmarkt voll zu entfalten, dessen Liquidität zu fördern und einen börsen-
fähigen Großhandel für Deutschland zu etablieren. Wie im Bereich des Strom-
handels sollte durch die Einführung eines Market Monitoring die Aufsicht über
den börslichen Gashandel intensiviert werden. So könnte Manipulationen durch
marktmächtige Energieunternehmen präventiv begegnet werden. Zusätzlich
sollte die Anregung der Monopolkommission aufgegriffen werden, in der Start-
phase einer deutschen Gasbörse von einem stündlichen auf einen tagesbasier-
ten Bilanzausgleich überzugehen und § 30 der Gasnetzzugangsverordnung
(GasNZV) entsprechend zu ändern. Nach der gegenwärtigen Rechtslage sind
neue Händler erheblichen finanziellen Risiken durch hohe Differenzmengen-
preise ausgesetzt, wenn Einspeise- und Ausspeisemengen voneinander abwei-
chen.

Als Sofortmaßnahme ist eine Vereinheitlichung der von Marktgebiet zu Mark-
gebiet unterschiedlichen Praxis der Netzbetreiber bei der Abwicklung von Gas-
transporten vordringlich. Daher sollten über die Leitlinien der Branche hinaus
die Abwicklungsmodalitäten nach dem neuen Zweivertragsmodell durch regu-
latorische Maßnahmen der Bundesnetzagentur festgelegt werden. Der gegen-
wärtige Zustand, insbesondere die fehlende Standardisierung bei der Daten-
kommunikation, verursacht hohe Kosten auf Seiten des Handels und behindert
deutschlandweite Wettbewerbskonzepte.

Für die Stimulierung eines liquiden Gasmarktes hält die Monopolkommission
zu Recht die befristete Auktionierung von Gasmengen und Speicherkapazitäten
überregionaler Ferngasunternehmen für unabdingbar. Dadurch wird dem Groß-
handel zeitlich befristet mehr vertraglich ungebundenes Gas zugeführt und
werden Anreize für den Marktzutritt neuer Händler gesetzt. Die Bundesregie-
rung sollte die in die gleiche Richtung zielenden Vorschläge der EU-Kommis-
sion im dritten Binnenmarktpaket daher unterstützen.

Drucksache 16/8079 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. auf europäischer Ebene auf eine Modifizierung der EU-Kommissionsvor-
schläge zum unbundling mit dem Ziel hinzuwirken, die Übertragungsnetz-
betreiber alternativ zur eigentumsrechtlichen Entflechtung (ownership
unbundling) zu verpflichten, ihre Netze in einer Gesellschaft zusammen-
zufassen und als „Joint Venture“ einem unabhängigen Systembetreiber zu
übertragen. Dieser unabhängige Systembetreiber darf weder selbst noch
über nachgeordnete verbundene Gesellschaften im Erzeugungs- oder Han-
delsbereich tätig sein. An der so geschaffenen „Netz AG“ können die
gegenwärtigen Übertragungsnetzbetreiber Anteile halten, die dem Wert der
von ihnen eingebrachten Netze entsprechen. Es ist dafür Vorsorge zu
schaffen, dass der unabhängige Systembetreiber die volle Verantwortung
für Investitionsentscheidungen trägt und Zugriff auf die dafür notwendigen
Ressourcen hat;

2. entweder im Zuge der Schaffung eines vorgenannten deutschlandweiten
unabhängigen Netzbetreibers für die Übertragungsnetze oder durch sepa-
rate Regulierung im Energiewirtschaftsgesetz die vier Betreiber der Regel-
zonen zu verpflichten, einen einheitlichen deutschen Regelenergiemarkt
zu organisieren, der sich ausschließlich an technischen Kriterien und nicht
an den Eigentumsgrenzen orientiert;

3. § 7 der Verordnung zur Regelung des Netzanschlusses von Anlagen zur
Erzeugung von elektrischer Energie (KraftNAV) dahingehend zu ändern,
dass zumindest vorübergehend ein Anspruch auf bevorzugten Netzzugang
im Falle von Engpässen im deutschen Übertragungsnetz nur solchen Unter-
nehmen gewährt wird, die neu auf den deutschen Markt treten bzw. deren
Marktanteil gegenwärtig gering ist;

4. den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der EU-
Verordnung 1228/2003 den grenzüberschreitenden Stromhandel betreffend
zu unterstützen und somit die Einnahmen aus dem Engpassmanagement
zweckmäßig an den Ausbau von Engpassstellen zu binden. Eine Weiter-
gabe dieser Einnahmen an die Netznutzer ist künftig auszuschließen;

5. unverzüglich gesetzliche Instrumente zur Beschleunigung von Planungs-
und Genehmigungsverfahren und zum vereinfachten Anschluss dezentra-
ler Energiequellen an das vorhandene Netz vorzulegen. Bei dem dringend
notwendigen Ausbau des Übertragungsnetzes sind solche Ausbauprojekte
zu begünstigen, die das Netz an die Erfordernisse der stetig steigenden
Handelsströme in einem europäischen Binnenmarkt anpassen sollen und
mit den europäischen TEN-Projekten in Einklang stehen;

6. darüber hinaus zu prüfen, ob bei weiterhin zögerlichem Ausbau von grenz-
überschreitenden Kuppelkapazitäten eine Ausbauverpflichtung der Über-
tragungsnetzbetreiber – ggf. im Wege einer öffentlichen Ausschreibung
durch die Regulierungsbehörde – Abhilfe schaffen könnte. Auch die
weitere Zusammenfassung nationaler Übertragungsnetzgesellschaften auf
europäischer Ebene darf als Ultima Ratio in diesem Zusammenhang nicht
ausgeschlossen werden;

7. eine unabhängige Marktbeobachtungsstelle z. B. bei der BNetzA zu schaf-
fen, die in der Lage ist, Preismanipulationen im Strom- und Gashandel
durch eine Echtzeitanalyse der Handelsvorgänge aufzudecken. Die dazu
erforderlichen Informationspflichten der Netzbetreiber und Marktteilneh-
mer sind im Energiewirtschaftsgesetz zu regeln;

8. das Verbot von Marktmanipulationen in § 20a WpHG auf den Spotmarkt-
handel an der Strombörse auszuweiten und eine entsprechende Revision
der EU-Marktmissbrauchsrichtlinie zu initiieren;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/8079

9. Erzeuger und Marktteilnehmer zu verpflichten, nicht öffentliche Informa-
tionen mit Kursrelevanz für den Stromhandel an die Handelsüberwa-
chungs- oder Marktbeobachtungsstelle zu übermitteln;

10. die Marktdurchdringung mit neuer intelligenter Zählertechnologie durch
eine beschleunigte Umsetzung der eingeleiteten Öffnung des Messwesens
voranzubringen, um unverzüglich die für Investitionen der Netzbetreiber,
neuer Wettbewerber und Verbraucher erforderliche Rechtssicherheit zu
schaffen sowie die EDL-Richtlinie fristgerecht umzusetzen;

11. den Wettbewerb im Gassektor durch eine Reduzierung der Marktgebiete
und den dadurch ermöglichten deutschlandweiten Börsenhandel voranzu-
treiben, befristete Auktionen von Gas und Speicherkapazitäten durchzu-
führen bzw. die darauf gerichteten Vorschläge der EU-Kommission im
Dritten Binnenmarktpaket zu unterstützen.

Berlin, den 13. Februar 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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