BT-Drucksache 16/7864

Freiheit und Demokratie im Südkaukasus - Für freie und faire Wahlen 2008

Vom 23. Januar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7864
16. Wahlperiode 23. 01. 2008

Antrag
der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link (Heilbronn), Florian Toncar,
Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Otto
Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke
Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Horst Meierhofer, Patrick
Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Freiheit und Demokratie im Südkaukasus – Für freie und faire Wahlen 2008

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Jahr 2008 ist ein Schlüsseljahr für alle drei Republiken des Südkaukasus.
In Georgien haben am 5. Januar vorgezogene Präsidentschaftswahlen sowie
Referenden über das konkrete Datum der noch für dieses Jahr geplanten Parla-
mentswahlen und den Beitritt zur NATO stattgefunden. Weitere Präsident-
schaftswahlen sind für Februar in Armenien und für den Herbst in Aserbaid-
schan vorgesehen. Diese Ereignisse werfen in allen drei Staaten bereits ihre
Schatten voraus: Gewalt gegen Demonstranten, die Zunahme von Repressio-
nen gegenüber Oppositionspolitikern, Einschüchterungsversuche gegenüber
Journalisten und Vertretern aus Nichtregierungsorganisationen sowie die zu-
nehmende Diffamierung des politischen Gegners mit allen Mitteln bestimmen
den politischen Alltag in der Region.

Armenien, Aserbaidschan und Georgien sind junge Staaten, denen es trotz der
enormen wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen in der Folge des Zusam-
menbruchs der Sowjetunion sowie der blutigen Konflikte um Berg-Karabach,
Abchasien und Südossetien gelungen ist, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und
ein gewisses Maß an politischer Stabilität zu erreichen. Neben der wirtschaft-
lichen Bedeutung für Europa als Energielieferant wie auch als Korridor für

potenzielle Energielieferungen aus Zentralasien hat der Südkaukasus auch eine
wichtige geopolitische und kulturelle Funktion.

Die demokratische Entwicklung und wirtschaftliche Prosperität des Südkauka-
sus liegt deshalb im ureigensten Interesse der Europäischen Union sowie ihrer
Mitgliedstaaten. Sie sind die zentralen Voraussetzungen für die friedliche
Lösung der schwelenden Konflikte. Diese sind nicht nur eine Bedrohung für die

Drucksache 16/7864 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Staaten selbst, sondern auch für die Sicherheit und Stabilität in der östlichen
Nachbarregion der EU insgesamt.

Die friedliche Beilegung der Konflikte ist trotz intensiver internationaler Ver-
mittlungen bis heute nicht vorangekommen. Hauptursache dafür ist die Tat-
sache, dass die Konflikte in allen drei Ländern für machtpolitische Auseinander-
setzungen instrumentalisiert worden sind. Die Völker der drei Länder hatten bis-
her nicht die Möglichkeit, mittels demokratischer Entscheidungen die Voraus-
setzungen für eine friedliche Zukunft ihrer Länder zu schaffen.

Alle Länder der Region sind Mitglieder im Europarat. Die Aufnahme des Süd-
kaukasus in die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) im Jahr 2004 war ein
wichtiger Schritt der Region auf dem Wege nach Europa. Mit der Unterzeich-
nung der ENP-Aktionspläne im Jahr 2006 haben sich alle drei Staaten im Ge-
genzug zu wirtschaftlicher Hilfe zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und zur
Einhaltung der Menschenrechte sowie zu nachhaltigen politischen und wirt-
schaftlichen Reformen verpflichtet.

Die Wahlen 2008 sind ein wichtiger Prüfstein für eben diese Zusagen. Von be-
sonderer Bedeutung sind hierbei nicht nur die korrekte Auszählung der Stimmen
am Wahltag, sondern auch die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung und
der freie Zugang zu Medien im Vorfeld der Wahlen. In allen drei Ländern gab es
in der Vergangenheit Wahlfälschungen und Repressalien.

Aserbaidschan gehört zu den wichtigsten Partnern der Europäischen Union im
Südkaukasus. In den letzten Jahren durchlief die Wirtschaft des Landes eine
dynamische Entwicklung. Das Wirtschaftswachstum von 35 Prozent im Jahr
2006 basiert aber fast ausschließlich auf Erdgas- und Erdölverkäufen des
Landes. Allein aus diesem Wirtschaftszweig rechnet das Land in den nächsten
20 bis 30 Jahren mit Einnahmen von rund 200 Mrd. US-Dollar. Auch Deutsch-
land unterhält wichtige wirtschaftliche Beziehungen zu Aserbaidschan. Im Jahr
2006 überstieg das Handelsvolumen erstmals die Grenze von 1 Mrd. Euro.

Die positive Entwicklung bei der Förderung von Erdöl und Erdgas darf jedoch
nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Land weiterhin große Probleme in den
Bereichen des rechtsstaatlichen Handelns, der Eigentumsrechte, der Investi-
tionssicherheit sowie der Korruption gibt. Derzeit rangiert das Land bei dem
weltweiten Korruptionsindex von Transparency International auf Platz 150 von
179 gelisteten Ländern. Die gestiegenen Einnahmen der letzten Jahre kommen
nur in geringem Maße der Bevölkerung zugute. Zugleich stehen diese Probleme
einer weiteren Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen mit der EU im Weg.
Nutznießer der gegenwärtigen Situation sind hauptsächlich die autokratischen
Eliten im Lande.

Im Rahmen der Kaukasusinitiative des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung erhält das Land etwa 15 Mio. Euro, verbun-
den mit der europäischen Nachbarschaftspolitik bis 2010 etwa 92 Mio. Euro
Entwicklungshilfe mit dem Ziel der Stärkung der verantwortlichen Regierungs-
führung. Die Verwendung der Gelder ist durch einen intransparenten Staatshaus-
halt jedoch nicht kontrollierbar. Oftmals werden extern finanzierte Projekte im
Lande als Prestigeobjekte der Regierung dargestellt. Somit verfehlen die Maß-
nahmen der EU und auch bilaterale Projekte einen Teil ihrer beabsichtigten Wir-
kung.

Trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung Aserbaidschans haben sich
insbesondere die politische Situation und die Lage der Menschenrechte ver-
schlechtert. Präsident Ilham Alijew nutzt die wachsende wirtschaftliche Leis-
tungsfähigkeit des Landes nicht dazu, das bestehende System von Korruption
und politischer Repression zu überwinden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7864

Die Ereignisse bei den Parlamentswahlen 2005 sind noch gut in Erinnerung.
Medienvertreter sind verprügelt und mit Anklagen überhäuft worden. Versamm-
lungen wurden verboten oder gewaltsam unterdrückt. Oppositionsführer und
Menschenrechtsaktivisten wurden mit Gewalt und anderen Repressalien be-
droht und in ihrer Reisefreiheit eingeschränkt. Im Jahresbericht 2007 der NGO
„Reporter ohne Grenzen“ rangiert das Land bei der Medienfreiheit mittlerweile
auf Platz 139 von 169 und hat sich somit weiter gegenüber 2005 verschlechtert.

Im Herbst 2008 finden Präsidentschaftswahlen in Aserbaidschan statt. Der Bun-
destag drückt seine Sorge darüber aus, dass sich die Ereignisse des Jahres 2005
wiederholen. Deshalb fordert er die Regierung Aserbaidschans eindringlich auf,
die Menschen- und Bürgerrechte zu garantieren und sich für die Durchführung
freier und fairer Wahlen einzusetzen.

In Armenien wird der Mangel an Reformen und Fortschritt vor allem in Bezug
auf die Unabhängigkeit der Gerichte sowie das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit
deutlich. Ein weiteres Problem bildet der Monopolisierungsgrad der Wirtschaft,
der freien und fairen Wettbewerb behindert.

Auch ist weiterhin zu befürchten, dass die armenische Regierung unter Präsident
Robert Kotscharian ihre staatliche Gewalt zur Beeinflussung oder Einschüchte-
rung unabhängiger Medien missbraucht. So geben Berichte, dass private Fern-
sehsender durch subtile Einflussnahme in ihrer freien Berichterstattung einge-
schränkt werden, Anlass zu Sorge. Diese repressive Politik der „unsichtbaren
Hand“ wie sie in einem Aufruf der führenden zivilgesellschaftlichen Organisa-
tionen im Bereich Pressefreiheit und Menschenrechte gerügt wird, ist ein deut-
licher Ausdruck für die Gefahr der Selbstzensur von Journalisten und Medien.

Bei den Parlamentswahlen in Armenien im Mai 2007 gab es erneut erhebliche
Mängel in Bezug auf die Implementierung von Verordnungen zur Transparenz
der Finanzierung von Kampagnen sowie hinsichtlich der Unterbindung von
Stimmenkäufen. Zudem kritisierte der Bericht der OSZE eine äußerst passive
Untersuchung von Unregelmäßigkeiten seitens der zuständigen Behörden. Die
Dominanz der Regierungsvertreter in den Wahlkommissionen widersprach der
OSZE zufolge dem Prinzip der Ausgewogenheit wie es im Wahlgesetz vorgese-
hen ist.

Der Deutsche Bundestag begrüßt den friedlichen Verlauf der jüngsten Kundge-
bungen oppositioneller Parteien in Eriwan. In Anbetracht der Präsidentschafts-
wahlen im Februar dieses Jahres fordert er deshalb die armenische Regierung
auf, auch weiterhin vom Einsatz staatlicher Gewalt abzusehen. Zudem mahnt er
das Recht auf Presse- und Medienfreiheit sowie ein deutliches Engagement der
armenischen Regierung in Bezug auf die Durchführung fairer und freier Wahlen
an.

Die Bevölkerung Georgiens hat 2003 mit ihrem mutigen Schritt zu mehr Demo-
kratie, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit ganz Europa fasziniert. Die Rosen-
revolution gilt als ein Symbol für die Mündigkeit der Bürger und ihrem Willen,
ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.

Die jüngsten Entwicklungen in Georgien geben jedoch Anlass zur Sorge. Die
gewaltsame Auflösung der Demonstration vom 7. November 2007 unter Einsatz
staatlicher Gewalt und die anschließende Ausrufung des Ausnahmezustandes
sind nicht akzeptabel. Das massive Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen fried-
liche Proteste mit Wasserwerfern, Tränengas, Hartgummigeschossen, Schall-
kanonen und Schlagstöcken sowie die physische Misshandlung führender
Oppositioneller und deren Verhaftung sind nicht hinnehmbar. Ebenfalls kritik-
würdig ist, dass zwei oppositionelle Fernsehstationen geschlossen und auslän-
dische Sender wie CNN, BBC und Euronews vorübergehend in den Kabelnetzen

abgeschaltet wurden.

Drucksache 16/7864 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Auch die Präsidentschaftswahlen am 5. Januar 2008 waren kein nachhaltiger
Beitrag zur Entwicklung der Demokratie im Lande. Im Gegenteil haben Be-
schränkungen der Medienfreiheit während des Wahlkampfes und Mängel bei
der Auszählung der Wahlergebnisse zu einer Verschärfung der Konfrontation
zwischen Regierung und Opposition geführt.

Der Deutsche Bundestag bedauert diesen Rückschlag in der demokratischen
Entwicklung Georgiens. Er fordert die georgische Regierung auf, in Zukunft die
Bedingungen für freie und faire Wahlen zu schaffen und insbesondere im Vor-
feld der Parlamentswahlen 2008 auf den Einsatz staatlicher Gewalt sowie die
Einschränkung der Versammlungs- und Medienfreiheit zu verzichten.

In Kenntnis der spürbaren Verschlechterung der Situation der Presse- und
Medienfreiheit in allen drei Ländern des Südkaukasus und in Sorge um die Lage
der Menschen- und Bürgerrechte in Aserbaidschan wie auch in Armenien und
Georgien spricht der Deutsche Bundestag seinen ausdrücklichen Willen aus, die
Region bei ihren Anstrengungen um mehr Demokratie und Pluralismus zu
unterstützen. Die Wahrnehmung und Beobachtung der Lage vor Ort seitens der
internationalen Gemeinschaft sind wichtige Instrumente hierbei. Politische Auf-
merksamkeit und der Einsatz neuer Medien in einer weiter vernetzten, globalen
Welt verhindern, dass autokratische Systeme länger im Geheimen operieren
können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

sich aktiv auf der Ebene der Europäischen Union, im Europarat und in der OSZE
dafür einzusetzen, dass

1. internationale Organisationen ihr Engagement im Vorfeld der Wahlen 2008
weiter intensivieren und eine aktivere Rolle im Südkaukasus übernehmen;

2. die Regierungen im Südkaukasus aufgefordert werden, ihren internationa-
len Verpflichtungen nachzukommen und freie und faire Wahlen durchzu-
führen;

3. internationalen Wahlbeobachtern (insbes. ODIHR) rechtzeitig Einreisevisa
ausgestellt werden und sie volle Unterstützung bei ihrer Beobachtungstätig-
keit erhalten;

4. die Regierungen im Südkaukasus aufgefordert werden, sich von jeglicher
Form repressiver Gewaltanwendung zu distanzieren und vorbehaltlos die
Ausübung der Meinungs-, Medien- und Pressefreiheit zu garantieren;

5. die Monopolisierung des Zugangs zu Medien – insbesondere zu den elek-
tronischen Medien – in Armenien und Aserbaidschan umgehend aufgeho-
ben wird;

6. die zunehmend aggressive Sprache und Kriegsrhetorik in den politischen
Erklärungen der drei Regierungen verurteilt wird. Hierunter fallen sowohl
Diffamierungen der politischen Gegner in Armenien als Vaterlandsverräter
wie auch Äußerungen von Regierungsvertretern in Aserbaidschan und
Georgien, die zur Lösung von territorialen Konflikten Gewalt einsetzen
wollen;

7. die Unabhängigkeit der Justiz als ein elementarer Bestandteil der Gewalten-
teilung etabliert wird;

8. politische Verurteilungen und Prozesse gegen Journalisten, Menschen-
rechtsaktivisten und Oppositionspolitiker umgehend eingestellt werden;

9. die Reisefreiheit von Oppositionellen und deren Familienangehörigen um-

gehend wiederhergestellt wird;

10. politische Willkür international bekannt gemacht und geächtet wird;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7864

11. eine verantwortungsvolle Regierungsführung zur Voraussetzung für ver-
tiefte politische Beziehungen erklärt wird;

12. auf alle Konfliktparteien eingewirkt wird, sich für die ausschließlich fried-
liche Lösung der regionalen Konflikte einzusetzen;

13. die Höhe deutscher und europäischer Entwicklungshilfe ständig an die ver-
änderten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeiten der Länder angepasst wer-
den und das Instrumentarium der Budgethilfe ausgeschlossen wird;

14. dem Aufbau eines effizienten Zivilrechtsschutzes zur Förderung der Ent-
wicklung von Privateigentum in den Händen einfacher Bürger und zum
Schutz ausländischer Investitionen ein höherer Stellenwert beigemessen
wird.

Berlin, den 22. Januar 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.