BT-Drucksache 16/7484

zur Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon am 13. Dezember und zum Europäischen Rat am 14. Dezember 2007

Vom 12. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7484
16. Wahlperiode 12. 12. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Dr. Hakki Keskin, Monika
Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger,
Michael Leutert, Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Dr. Kirsten Tackmann
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon am 13. Dezember
und zum Europäischen Rat am 14. Dezember 2007

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Zusammenarbeit in den Europäischen Gemeinschaften und in der Euro-
päischen Union stiftete zwischen Jahrhunderte lang verfeindeten Staaten in
Europa Frieden. Der Zuwachs an Wohlfahrt und Wohlstand durch den gemein-
samen Markt und der Wegfall von Kontrollen an Binnengrenzen bedeuteten Vor-
teile für die Bürgerinnen und Bürger. In Bereichen etwa des Verbraucherschut-
zes, des Umweltschutzes, des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, der Verbesse-
rung der Wasserqualität und des Schutzes vor Diskriminierung sowie – wenn
auch unzureichend – im Chemikalienrecht wurden Fortschritte erzielt. Die Struk-
turfonds schufen Ansätze zum Ausgleich des Wohlstandsgefälles zwischen den
Ländern und Regionen.

Mit der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte 1987, dem Vertrag
von Maastricht und der Lissabon-Strategie von 2000 wurde aber der Weg des
neoliberalen Markt-Rigorismus, der Herrschaft der Wirtschaft über die Politik
beschritten. Folge sind, über konjunkturelle Schwankungen hinweg, schrump-
fende Wachstumsraten, Massenarbeitslosigkeit und das Sinken des Anteils der
Einkommen aus abhängiger Arbeit im Verhältnis zu den Einkommen aus Unter-
nehmertätigkeit und Vermögen. Die Besteuerung hoher Gewinne und Einkom-
men, die Verfügbarkeit öffentlicher Güter, Sozialleistungen und die Umwelt-
standards werden in einem „Wettlauf nach unten“ abgesenkt, die Einführung
von sozialen, steuerlichen, ökologischen und juristischen Mindeststandards

durch die EU immer wieder be- und verhindert. Die Erweiterung der EU auf
27 Mitglieder wird, weil Mindeststandards fehlen oder nicht realisiert werden,
zu Lohn-, Steuer- und Sozialdumping missbraucht. Mit ihrer einseitigen Aus-
richtung beeinträchtigt die Europäische Zentralbank zusätzlich Wachstum und
Beschäftigung.

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Europäische Integration dient der Friedensstiftung in Europa. Sie bedurfte und
bedarf daher keiner Bewaffnung der europäischen Institutionen. Seit Maastricht
jedoch beschreitet die EU im Geleitzug mit den USA einen verhängnisvollen
Weg der Militarisierung der Außen- und Sicherheitspolitik und eine entspre-
chende institutionelle Ausrichtung.

In Brüssel verselbständigt sich eine undurchschaubare EU-Bürokratie. Der
dominierende Einfluss der Wirtschaftsverbände ist Wurzel des demokratischen
Defizits der Europäischen Union. Willensbildung und Entscheidungsfindung im
Europäischen Rat, im Ministerrat und in der Kommission sind intransparent und
anonym. Wegen der begrenzten Kompetenzen des Europäischen Parlaments
fehlt es weithin an demokratischer Kontrolle. Die EU ist von funktionierender
Demokratie noch weit entfernt.

Die Organe der Europäischen Union, eines Staatenverbunds souveräner Staaten,
üben Staatsgewalt aus, die von den Mitgliedstaaten auf sie übertragen wurde. Je
umfangreicher die Befugnisse der EU sind, desto größer wird das Bedürfnis, die
Ausübung hoheitlicher Gewalt durch die Unionsorgane an eine Verfassung, ein-
schließlich in ihr verbürgter Grundrechte, zu binden. Deshalb bleibt eine Verfas-
sung für die Europäische Union, getragen von der Zustimmung der Menschen in
den Mitgliedstaaten, unverzichtbar.

Der Verfassungsvertrag vom 29. Oktober 2004 beinhaltete eine Verfestigung
und Verstärkung der Fehlentwicklungen in der Europäischen Union: Er wollte
die Politik der EU stärker und breiter als je zuvor auf das neoliberale Dogma
„einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ verpflichten, EU-wei-
ten Sozialabbau und Steuersenkungswettlauf begünstigen und eine Sozialunion
verweigern. Militarisierung und Rüstung sollten für die ehemals friedensstif-
tende Europäische Union in Verfassungsrang gehoben werden, zur Pflicht für
die Organe der EU wie für die Mitgliedstaaten. Die für die Freiheit der Bürge-
rinnen und Bürger in einer Demokratie unverzichtbare und konstituierende
materielle und soziale Sicherung, die gewachsene Verfügbarkeit öffentlicher
Güter sollten weiter der Privatisierung, der Profitmaximierung der Märkte aus-
geliefert werden. Zugleich versuchte der Verfassungsvertrag, die institutionellen
Mängel der Union an Demokratie und Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung zu
verfestigen, statt ihnen abzuhelfen.

Im Bereich der Innen- und Justizpolitik sollten die EU-Regelungen und der
Inhalt des Schengen-Abkommens zusammengefasst werden, wobei es zu gra-
vierenden demokratischen Defiziten gekommen wäre. Die polizeiliche Zusam-
menarbeit sollte durch neue Institutionen und die Ausweitung exekutiver Kom-
petenzen auf europäischer Ebene ausgebaut werden. Die vorgesehene Errich-
tung eines „ständigen Ausschusses“ für Förderung und Stärkung der operativen
Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sollte
das Gebot der Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten aushebeln.
Die neu kreierte Europäische Staatsanwaltschaft institutionalisierte eine zentrale
europäische strafrechtliche Untersuchung und Verfolgung mit hoheitlichen
Befugnissen in den Mitgliedstaaten. Auch Europol und Eurojust hätten Opera-
tivbefugnisse erhalten. Das Ganze wäre ohne ausreichende parlamentarische
Kontrolle geblieben: Über die Arbeit des „ständigen Ausschusses“ sollte das
Europäischen Parlament lediglich „auf dem Laufenden gehalten“ werden; eine
parlamentarische Kontrolle über Europol und Eurojust und eine gerichtliche
Kontrolle über die Europäische Staatsanwaltschaft waren zwar vorgesehen, ihre
Konkretisierung sollte aber sekundären Rechtsakten überlassen werden. Die
Ausgestaltung des individuellen Rechtsschutzes blieb unklar. Dem Gerichtshof
der EU sollte keine vollständige Prüfkompetenz eingeräumt werden. Die vor-
gesehene „gemeinsame“ Asyl- und Einwanderungspolitik mit der Einführung

eines „integrierten Grenzschutzsystems“, der „wirksamen Überwachung des
Grenzübertritts an den Außengrenzen“ und der „wirksamen Steuerung der Mig-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7484

rationsströme“ hätte zu einer EU-einheitlichen restriktiven Flüchtlings- und Ein-
wanderungspolitik geführt.

In institutioneller Hinsicht war die Schaffung der Ämter eines „Präsidenten des
Europäischen Rats“ und eines „Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheits-
politik“ vorgesehen. Diese Ämter sollten nicht den Erfordernissen eines Staaten-
verbunds entsprechen. Sie hätten in ihrer konkreten Ausformung für Kompe-
tenzvermischung, Bürgerferne und Zentralisierung gestanden und zusätzliche
Unklarheiten hinsichtlich Zuständigkeiten und Verfahrensweisen begründet.
Die Überbetonung des demografischen Prinzips bei Abstimmungen im Rat ließ
eine Entwicklung in Richtung eines „Direktoriums“ der bevölkerungsreichen
Staaten befürchten.

Dieser Verfassungsvertrag ist mit den ablehnenden Volksabstimmungen in
Frankreich und den Niederlanden gescheitert.

Unter Führung der Bundesregierung als EU-Ratspräsidentschaft haben die
Regierungen der EU-Mitgliedstaaten nicht die Konsequenz gezogen, in einem
demokratischen Prozess unter aktiver Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger
eine andere Verfassung zu erarbeiten. Sie haben stattdessen unter Verzicht auf
den Anspruch, eine Verfassung zu schaffen, im Wesentlichen die abgelehnten
Inhalte des gescheiterten Verfassungsvertrags ohne breite demokratische Ausei-
nandersetzung in einen unübersichtlichen Änderungsvertrag übertragen. Dieser
liegt als Vertragsentwurf mit dem Namen „Vertrag von Lissabon“ vor und soll
am 13. Dezember 2007 unterzeichnet werden. Volksabstimmungen über den
Vertrag sollen vermieden werden.

Wie schon beim Verfassungsvertrag sind die teilweise Stärkung des Euro-
päischen Parlaments und der nationalen Parlamente sowie die Möglichkeit von
Bürgerbegehren als Verbesserungen gegenüber dem Nizza-Vertrag positiv fest-
zuhalten, wobei die Fristverlängerung für Stellungnahmen der nationalen Parla-
mente zur möglichen Verletzung des Grundsatzes der Subsidiarität in die rich-
tige Richtung, aber nicht weit genug geht. Dass die Grundrechtecharta für ver-
bindlich erklärt werden soll, ist bei allen Mängeln und Widersprüchlichkeiten
der Charta selbst und trotz der Einschränkung in der dem Verfassungsvertrag als
„Erklärung“ beigefügten Interpretation ein relativer Fortschritt. Positiv am
Reformvertrag sind auch das beigefügte Protokoll über die Dienste im allgemei-
nen Interesse und die klarere Positionierung in Richtung Umweltschutz und
Nachhaltigkeit. Gleichzeitig wird dieser Ansatz aber durch die marktradikale
Wettbewerbspolitik und die Forderung nach weltweiten Liberalisierungen wie-
der konterkariert.

Überwiegend ist der Reformvertrag nichts anderes als „alter Wein in neuen
Schläuchen.“

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Initiativen zu ergreifen, die die demokratische Erarbeitung und Inkraftsetzung
einer Verfassung für die Europäische Union zum Ziel haben und folgende Leit-
gedanken umsetzen:

1. Durch die Verfassung wird die Europäische Union als demokratischer, poli-
tischer, ökonomischer, sozialer und ökologischer Verbund von Staaten kon-
stituiert. Die auf die EU übertragene Staatsgewalt muss nach den Grundsät-
zen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie gleichrangig von Sozial-
staatlichkeit ausgeübt werden.

2. Die Zuständigkeiten der Europäischen Union sind nach den Grundsätzen der
Einzelermächtigung sowie der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit be-

stimmt und begrenzt, deren Einhaltung durch die nationalen Parlamente und
ein besonderes Zuständigkeitsgericht kontrolliert wird.

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3. Die Verfassung stärkt die Befugnisse des Europäischen Parlaments durch das
Recht auf Gesetzesinitiative und auf Mitentscheidung und Mitsprache in
allen Bereichen der Tätigkeit der Europäischen Union sowie auf Wahl und
Abwahl der Kommission.

4. Die EU ist den individuellen und kollektiven politischen und sozialen Men-
schenrechten gleichermaßen verpflichtet. Die Charta der Grundrechte muss
präzisiert und ergänzt werden, insbesondere durch die Ausgestaltung von
sozialen Grundrechten. Es ist eine kostenfreie Verfassungsbeschwerde einzu-
führen.

5. Die Verfassung verpflichtet die Organe der Gemeinschaft und die Mitglied-
staaten zur Förderung von Wohlfahrt und Wohlstand. Mit diesem Ziel sind
Wirtschafts-, Finanz-, Budget-, Steuer-, Währungs- und Außenwirtschafts-
politik so abzustimmen, dass sie bei stetigem und angemessenem qualitativen
Wirtschaftswachstum und bei Einhaltung strenger ökologischer Kriterien
gleichermaßen zu Vollbeschäftigung, Stabilität des Preisniveaus und außen-
wirtschaftlichem Gleichgewicht der Europäischen Union insgesamt wie zwi-
schen ihren Mitgliedstaaten beitragen. Die Verfassung muss wirtschaftspoli-
tisch neutral und gegenüber einer gemischt-wirtschaftlichen Ordnung mit
privaten, gemeinwirtschaftlichen und öffentlichen Unternehmen offen sein
und ein eigenes Kapitel über eine zu schaffende Sozialunion enthalten. Öf-
fentliche Daseinsvorsorge durch die Mitgliedstaaten ist zu gewährleisten.

6. Die Verfassung soll die EU als einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und
des Rechts gestalten, in dem Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat-
lichkeit in allen Mitgliedstaaten gewährleistet sind, und in dem volle Bewe-
gungsfreiheit ohne Grenzkontrollen und gleicher Rechtsschutz für alle EU-
Bürgerinnen und -Bürger gilt. Zugleich ist dieser Raum offen für Asylberech-
tigte, Menschen in Not und für Migrantinnen und Migranten. Zur Stärkung
der demokratischen Kultur in der Europäischen Union wird ein dreistufiges
Verfahren der Volksgesetzgebung mit Bürgerinitiative, Bürgerbegehren und
Volksentscheid entwickelt, das nicht durch schwer überwindbare Hürden
ausgehebelt werden darf.

7. In der Verfassung wird der zivile und nichtmilitärische Charakter der Ge-
meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union fest-
geschrieben. Die Europäische Union tritt für die Demokratisierung und Stär-
kung der Vereinten Nationen ein und achtet deren Charta. Sie verfolgt ihre
Ziele mit friedlichen zivilen Mitteln. Die EU fördert die Abrüstung auf allen
Gebieten. Die Europäische Verteidigungsagentur wird in eine Agentur für
Abrüstung, Rüstungskontrolle und Konversion umgewandelt.

8. Ein alternativer Verfassungsvertrag kann nur auf einem konsequent demokra-
tischen Weg und unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker
und der souveränen Gleichheit der Staaten zustande kommen. Der Text des
Verfassungsvertrages wird unter breiter Teilnahme der Öffentlichkeit ausge-
arbeitet. Alle Bürgerinnen und Bürger erhalten den vollständigen Text. Es
finden in allen Mitgliedstaaten Volksabstimmungen statt.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

im Rahmen der Sitzung des Europäischen Rats am 13./14. Dezember 2007
darauf hinzuwirken, dass sich die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten,
in den jeweiligen Ländern Volksentscheide über die Zustimmung zu dem den
Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag über die Gründung der
Europäischen Gemeinschaft ändernden Vertrag von Lissabon herbeizuführen
und dazu erforderlichenfalls die erforderlichen verfassungsrechtlichen Voraus-

setzungen zu schaffen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7484

IV. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den Entwurf des Reformvertrags nur zu unterzeichnen, wenn es gelingt, gegen-
über der derzeitigen Fassung folgende Veränderungen durchzusetzen:

1. Das Sozialstaatsprinzip wird gleichrangig neben den Prinzipien von Demo-
kratie und Rechtsstaatlichkeit verankert, die Schaffung einer Sozialunion
als Aufgabe formuliert.

2. Die schon im geltenden EG-Vertrag enthaltene dogmatische Festlegung auf
„den Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ ist zu
Gunsten von Offenheit auch für eine gemeinwirtschaftliche Orientierung
aufzuheben.

3. Die Öffentliche Daseinsvorsorge und die Errichtung gemeinnütziger Unter-
nehmen obliegen den Mitgliedstaaten.

4. Alle Organe der EU, auch die Europäische Zentralbank, müssen auf die
wirtschaftpolitischen Ziele der Union, einschließlich der Vollbeschäftigung,
verpflichtet werden und demokratischer Kontrolle unterliegen.

5. Es wird eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten begründet, ihre Rüstungs-
ausgaben schrittweise zu reduzieren. Zur Durchsetzung der Abrüstungsver-
pflichtungen werden eine Europäische Abrüstungsagentur und eine weitere
Europäische Agentur geschaffen, die das Verbot von Rüstungsexporten
kontrolliert.

6. Die EU muss frei von Atom-, biologischen und chemischen Waffen werden
und sich auf die Entmilitarisierung des Weltraums verpflichten.

7. Eine Einbindung der EU in die Sicherheitspolitik der NATO wird ebenso wie
die Beteiligungsverpflichtung an EU-Battle-Groups ersatzlos gestrichen.
Stattdessen werden Verpflichtungen auf die UN-Charta in ihrer Gesamtheit
und auf das Verbot von Angriffskriegen vertraglich verankert.

8. Die EU wird zu einem funktionierenden „Raum der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts“ ausgebaut, in dem anstatt der gegenseitigen Anerkennung
von gerichtlichen und außergerichtlichen Entscheidungen materiellrecht-
liche Harmonisierungen erfolgen.

9. Ein einklagbarer Grundrechtsschutz für den Einzelnen gegen rechtswidrige
Maßnahmen im Bereich der EU-Innen- und -Justizpolitik und die vollstän-
dige gerichtliche Kontrolle durch den EuGH und die mitgliedstaatlichen
Gerichte werden im Vertrag verankert.

10. Die demokratische Kontrolle von Europol und Eurojust ist im Vertrag klar
und detailliert zu regeln, eine Europäische Staatsanwaltschaft nicht einzu-
setzen.

11. Der Ständige Ausschuss für operative Zusammenarbeit muss aus der insti-
tutionellen Architektur des Vertrags herausgenommen, das Trennungsgebot
zwischen Polizei und Geheimdiensten festgeschrieben werden. Eine Zentra-
lisierung der Politik der inneren Sicherheit auf europäischer Ebene darf es
nicht geben.

12. Grundlage der gemeinsamen EU-Asyl- und -Einwanderungspolitik müssen
einheitliche Rechtsschutzstandards auf möglichst hohem Niveau sein, die
einen effektiven Flüchtlingsschutz, auch durch eine rechtsverbindliche See-
notrettung, gewährleisten. Die Zusammenarbeit von Grenzschutz- und Zoll-
behörden haben parlamentarischer Kontrolle auf mitgliedstaatlicher und
europäischer Ebene zu unterliegen.

13. In legislativen Entscheidungsprozessen ist die Möglichkeit einer direkten

Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger durch das Instrument einer europa-

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weiten Volksinitiative und die Möglichkeit von Volksabstimmungen zu
schaffen.

14. Das Europäische Parlament muss in allen Rechtsetzungsbereichen der EU
ein uneingeschränktes Initiativ- und Mitentscheidungsrecht haben.

15. Wahl und Abwahl der Kommission, auch einzelner Kommissare, durch das
Europäische Parlament müssen vertraglich verankert werden.

16. Bei der Festlegung der Stimmengewichtung für Abstimmungen im Rat ist
deutlicher auf die Repräsentanz der kleinen und mittleren Staaten zu achten.
Die Herausbildung eines Direktoriums der bevölkerungsstarken Länder
darf es nicht geben.

17. Die Institution des Ratspräsidenten wird nicht eingeführt. Es bleibt bei der
im Turnus wechselnden Ratspräsidentschaft unter den Mitgliedstaaten. Die
Koordinierung von Außenpolitik und Verteidigungspolitik soll personell
getrennt bleiben. Eine gleichzeitige Zugehörigkeit zum Rat und zur Kom-
mission darf es nicht geben.

V. Der Deutsche Bundestag beschließt,

seinen Beschluss vom 12. Mai 2005 über den Entwurf eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Europa als erledigt auf-
zuheben, und bittet den Präsidenten des Deutschen Bundestages, diesen Be-
schluss unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten, damit dieser die entsprechen-
den verfassungsrechtlich gebotenen Folgerungen ziehen kann.

Berlin, den 11. Dezember 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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