BT-Drucksache 16/7375

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

Vom 29. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7375
16. Wahlperiode 29. 11. 2007

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert,
Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Dr. Kirsten Tackmann, Alexander Ulrich
und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

A. Problem

Nach dem gegenwärtig herrschenden Verfassungsverständnis sind Volksab-
stimmungen, außer zur Neugliederung des Bundesgebiets nach Artikel 29 des
Grundgesetzes (GG), ausgeschlossen, obwohl Artikel 20 Abs. 2 GG besagt, dass
das Volk seine Staatsgewalt nicht nur durch Wahlen und besondere Organe der
Gesetzgebung, sondern auch durch Abstimmungen ausübt.

Eine Ergänzung des Grundgesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volks-
begehren und Volksentscheid ist bisher noch nicht zustande gekommen. Dem
Deutschen Bundestag liegen drei entsprechende Anträge der Fraktionen FDP,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. vor. Die Fraktion der SPD hat
zusammen mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der 14. Wahl-
periode einen entsprechenden Antrag gestellt. Die Fraktion der FDP hat in der
15. Wahlperiode Gesetzesinitiativen zur Einführung eines Volksentscheids über
eine europäische Verfassung ergriffen. Die Ergänzung der parlamentarischen
Demokratie durch Elemente der direkten Demokratie ist also eine unter den im
Bundestag vertretenen Parteien verbreitete Option.

Gegenwärtig besteht dringender Handlungsbedarf, einen Volksentscheid über
den Vertrag zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Ver-
trags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft verfassungsrechtlich zu er-
möglichen. Der Reformvertrag beinhaltet grundlegende politische Entscheidun-
gen über Ziele, Institutionen, Politiken und Arbeitsweisen der Europäischen
Union. Solche grundlegenden Entscheidungen über die Europäische Union soll-
ten nicht von Bundestag und Bundesrat allein getroffen, sondern auch den Bür-
gerinnen und Bürgern zur direkten Mitentscheidung vorgelegt werden. Viele
Bürgerinnen und Bürger sowie Verbände und Bewegungen der Zivilgesellschaft
fordern ein solches Mitentscheidungsrecht. Nur so kann die demokratische

Legitimität der Europäischen Union gewährleistet werden.

B. Lösung

Ergänzung des (Europa-)Artikels 23 GG durch die Einführung von Volksent-
scheiden über die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union.

Drucksache 16/7375 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Die Kosten eines Volksentscheids sind mit den Kosten einer Bundestagswahl
vergleichbar.

Berlin, den 27. November

Dr. Gregor Gysi, Oskar L
2007

afontaine und Fraktion

der Wahlberechtigten an dem Volksentscheid beteiligen.
Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustim-
mung des Bundesrates bedarf. Über die Modalitäten der
Durchführung eines Volksentscheids beschließt der Bun-
destag.“

2. Die Absätze 2 bis 7 werden die Absätze 3 bis 8.

§ 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7375

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen. Artikel 79 Abs. 2 des Grund-
gesetzes bleibt unberührt.

§ 1
Änderung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S. 1), zu-
letzt geändert durch …, wird wie folgt geändert:

Artikel 23 wird wie folgt geändert:

1. Nach Absatz 1 wird folgender neue Absatz 2 eingefügt:

„(2) Die Zustimmung der Bundesrepublik Deutsch-
land zur Neufassung oder Änderung der vertraglichen
Grundlagen der Europäischen Union, durch die dieses
Grundgesetz geändert oder ergänzt wird, bedarf der Zu-
stimmung durch einen Volksentscheid. Das Ergebnis des
Volksentscheids ist für die Organe des Bundes verbind-
lich. Die Zustimmung ist mit der Mehrheit der abgegebe-
nen Stimmen der zum Europäischen Parlament Wahl-
berechtigten erreicht, wenn sich mindestens ein Viertel

den. Nur dadurch lässt sich eine demokratische Legitimation
der EU herstellen. Die notwendige Ratifikation durch den
Bundestag, den Bundesrat und den Bundespräsidenten ge-
nügt dazu nicht.

Artikel 20 GG bestimmt, dass die Staatsgewalt „vom Volke
in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt“ wird. Das
Grundgesetz sieht also neben der repräsentativen Demokra-
tie auch die Möglichkeit von Elementen der partizipativen
Demokratie in Gestalt von Volksabstimmungen vor. Es
regelt in Artikel 29 GG den Volksentscheid zur Neugliede-
rung des Bundesgebietes. Die Verankerung des Volksent-
scheids zu grundlegenden Angelegenheiten der EU im
Grundgesetz regelt einen zweiten Fall auf verfassungsrecht-
licher Ebene, der bedeutsam ist.

B. Die Regelungen im Einzelnen

Zu § 1

Der neue Absatz 2 des Artikels 23 GG führt das zwingende
verfassungsrechtliche Erfordernis ein, über die Neufassung
oder Veränderung der vertraglichen Grundlagen der Europä-
ischen Union, durch die das Grundgesetz geändert oder er-
gänzt wird, einen Volksentscheid durchzuführen. Der Volks-
entscheid ist kein Ersatz für die erforderliche parlamentari-

ments teilnehmen kann, soll auch an einem Volksentscheid
über europäische Angelegenheiten teilnehmen können.
Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die ihren Wohnsitz in
der Bundesrepublik Deutschland haben, sind folglich ab-
stimmungsberechtigt. Das zur Durchführung von Volksent-
scheiden erforderliche Bundesgesetz kann auf die Regelun-
gen der geltenden Fassungen des Europawahlgesetzes vom
16. Juni 1978 und des Gesetzes über das Verfahren bei
Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach
Artikel 29 Abs. 6 GG vom 30. Juli 1979 zurückgreifen.

Geregelt werden sollte in dem Ausführungsgesetz auch die
Möglichkeit, die Volksabstimmung in der Bundesrepublik
Deutschland mit Referenden in anderen Mitgliedstaaten zeit-
lich zu koordinieren. Zudem erscheint es sinnvoll, Regelun-
gen zu treffen, die eine mehrfache Beteiligung an Volksab-
stimmungen in verschiedenen Mitgliedstaaten verhindern.

Der letzte Satz von § 1 stellt klar, dass der Bundestag nicht
über das Ob, sondern über das Wie einer Volksabstimmung
beschließt. Der Bundestag stellt das Ergebnis des Volksent-
scheids fest.

Zu § 2

Es wird das Inkrafttreten geregelt.
Drucksache 16/7375 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union und
deren Änderungen greifen in die Verfassungsgrundsätze der
Bundesrepublik Deutschland ein. Sie berühren den Grund-
rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger, die Stellung der
Bundesrepublik Deutschland als demokratischer föderaler
Rechts- und Sozialstaat und die Volkssouveränität. Das gilt
in besonderem Maße für den Reformvertrag, dem in seinen
Konsequenzen verfassungsähnliche Bedeutung zukommt.
Er ist ein Ersatz für den gescheiterten Vertrag über eine Ver-
fassung für Europa. An solchen Entscheidungen müssen die
Bürgerinnen und Bürger durch Volksentscheid beteiligt wer-

sche Entscheidung durch ein Zustimmungsgesetz, sondern
ein zusätzliches Votum der abstimmungsberechtigten Bürge-
rinnen und Bürger. Der Volksentscheid soll jedoch nicht nur
empfehlende, konsultative, sondern rechtlich verbindliche
Wirkung für den Deutschen Bundestag, den Bundesrat und
den Bundespräsidenten haben.

Das Quorum der Beteiligung eines Viertels der Wahlberech-
tigten am Volksentscheid scheint geboten und ausreichend.
Es entspricht verbreiteten demokratischen Gepflogenheiten
und dem in Artikel 29 GG festgelegten Quorum für Volks-
entscheide zur Neugliederung des Bundesgebietes.

Wer in Deutschland an der Wahl des Europäischen Parla-

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