BT-Drucksache 16/7181

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/5847, 16/7156- Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels

Vom 14. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7181
16. Wahlperiode 14. 11. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Martin Zeil, Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff,
Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich
(Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst
Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/5847, 16/7156 –

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch
im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

● Der konjunkturelle Aufschwung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in
Deutschland die Energiepreise die Schmerzgrenze für Wirtschaft und Ver-
braucher längst überschritten haben. So sind nach Angaben der Bundesregie-
rung seit 2001 die Kosten für Strom um 24 Prozent, für Gas um 30 Prozent
und für Öl um 53 Prozent gestiegen. Von der Energiewirtschaft werden be-
reits weitere Preiserhöhungen für 2008 angekündigt. In den neuen Bundes-
ländern übersteigen die Betriebskosten teilweise bereits die Kaltmieten. Der
Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Ener-
gieversorgung und des Lebensmittelhandels ist das Eingeständnis der Bun-

desregierung, dass auch zehn Jahre nach Liberalisierung ein funktionierender
und selbsttragender Wettbewerb auf den Energiemärkten nicht in Gang ge-
kommen ist.

● Mit der Einführung eines Sonderrechts für einzelne Branchen wird an
Symptomen kuriert, während gleichzeitig von den strukturellen Ursachen der
vom Gesetzentwurf bekämpften Preisstrategien abgelenkt wird. Nahezu alle
Sachverständigen waren sich in der Anhörung des Ausschusses für Wirt-

Drucksache 16/7181 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

schaft und Technologie darin einig, dass der Gesetzentwurf kein brauchbares
Instrument für mehr Wettbewerb ist und darüber hinaus neue Anbieter vom
Markt fernhält. Vorrang vor einer stärkeren Verhaltenskontrolle im Energie-
sektor sollte einer entschlossenen Verbesserung der Rahmenbedingungen für
mehr Wettbewerb zukommen. Die Monopolkommission hat mit dem Titel
ihres aktuellen Sondergutachtens „Strom und Gas 2007: Wettbewerbsdefizite
und zögerliche Regulierung“ den Finger auf die Wunde gelegt. Wie die Ver-
schiebung der Anreizregulierung auf 2009 exemplarisch zeigt, kommen
wichtige Maßnahmen zu spät oder es werden die für das missbrauchsfreie
Funktionieren des Großhandels an der Leipziger Strombörse wichtigen han-
delsrechtlichen Kontrollmechanismen nicht installiert. Zur Beseitigung
strukturell bedingter Störungen des Wettbewerbs, die aus der hohen Markt-
konzentration auf dem deutschen Energiemarkt und der mangelhaften Anbin-
dung an das europäische Stromnetz folgen, fehlt der Bundesregierung ein
schlüssiges Konzept.

● Der geplante § 29 GWB-E (GWB – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun-
gen) bildet einen Fremdkörper in der bis auf die Wasserversorgung branchen-
neutralen Systematik der Missbrauchsaufsicht über wettbewerbsschädliche
Strategien marktbeherrschender Unternehmen. Eine schärfere Kontrolle der
kontinuierlichen Energiepreiserhöhungen lässt sich auch ohne die Schaffung
von Sonderwettbewerbsrecht realisieren. Die geplante Weiterentwicklung
des Vergleichmarktkonzepts weist bei genauerer Analyse ohnehin keine Sub-
stanz mehr auf, die die Einführung einer wettbewerblichen Sondernorm
rechtfertigen könnte. Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie vom November 2006 enthielt ursprünglich eine
Regelung, wonach auch Preise des marktbeherrschenden Unternehmens
missbräuchlich sein können, die nicht deutlich oberhalb des durch die Kar-
tellbehörde festgestellten Wettbewerbspreises liegen. Damit sollte die entge-
genstehende höchstrichterliche Rechtsprechung korrigiert werden, die für
das Unwerturteil eines überhöhten Preises einen erheblichen Abstand der
Preise des Marktbeherrschers zum Vergleichsunternehmen fordert. Als Folge
dieser Rechtsprechung wird den Kartellbehörden insbesondere in Märkten,
in denen der begründete Verdacht auf ein generell überhöhtes Preisniveau
besteht – wozu die Energiemärkte unstreitig gehören – ein Eingreifen er-
schwert. Sie können praktisch nur Fälle aufgreifen, in denen die Preise des
marktbeherrschenden Unternehmens auch nach Vornahme von Sicherheits-
abschlägen, mit denen strukturelle Unterschiede mit Vergleichsunternehmen
ausgeglichen werden, noch einen Abstand von 10 Prozent und mehr zum er-
mittelten Wettbewerbspreis aufweisen. Im Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung fehlt bemerkenswerterweise diese Regelung des Referentenentwurfs.
Eine wesentliche Erleichterung für das Einschreiten der Kartellbehörden ist
somit weggefallen.

● Nach der Gesetzesbegründung ist eine Beweislastumkehr zu Lasten des
marktbeherrschenden Unternehmens intendiert. Tatsachen, die gegen eine
Vergleichbarkeit des unter Missbrauchsverdacht stehenden Unternehmens
mit den preisgünstigeren Vergleichsunternehmen sprechen, soll das marktbe-
herrschende Unternehmen beweisen. Die Arbeit der Kartellbehörden kann
damit nach Ansicht auch des Bundeskartellamts erleichtert werden. Da die
Amtsermittlungspflicht uneingeschränkt weiterhin gilt, bleibt letztlich offen,
in welchem Umfang die Erleichterung in der praktischen Arbeit der Behörde
wirksam wird. Die Monopolkommission folgert daraus in ihrem Sondergut-
achten „Preiskontrollen in Energiewirtschaft und Handel? Zur Novellierung
des GWB“, die Kartellbehörden müssten entgegen der Begründung des Ge-
setzentwurfs die strukturelle Vergleichbarkeit der in Bezug zu nehmenden

Versorgungsunternehmen weiterhin ermitteln, um darauf den Missbrauch
stützen zu können. Zudem könnte ein hoher Anreiz für Privatklagen entste-
hen, da der Kläger zur Begründung der Missbräuchlichkeit lediglich den

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höheren Preis des marktbeherrschenden Unternehmens gegenüber beliebigen
anderen Versorgern behaupten und beweisen müsste, ohne dessen Vergleich-
barkeit darzutun. Das beklagte Unternehmen hat keine Möglichkeit, sich
detaillierte Kenntnisse über die Strukturdaten eines Vergleichsunternehmens
zu verschaffen, die es zu seiner sachlichen Rechtfertigung jedoch benötigt.
Eine solche Verschlechterung der Beweislastverteilung in Zivilverfahren ist
ungerechtfertigt und unnötig, um die Kartellbehörden zu stärken. Zielführen-
der wäre eine Beschränkung der Beweislastumkehr auf das Verwaltungs-
verfahren.

● Das Gewinnbegrenzungskonzept der unverhältnismäßigen Kosten-Preis-
Relation in § 29 Satz 1 Nr. 2 GWB-E birgt in der Praxis eine Vielzahl von
Anwendungsproblemen. In der Kartellrechtspraxis der EU-Kommission hat
dieses Konzept daher nur eine marginale Rolle gespielt. Der undefinierte
Kostenbegriff, Schwierigkeiten, die betrieblichen Ineffizienzen beim Markt-
beherrscher bezüglich derjenigen Kosten nachzuweisen, die im Wettbewerb
nicht entstanden wären, sowie die Frage, wie eine zulässige Gewinnschwelle
zu bestimmen ist, werden die Kartellbehörden vor kaum überwindbare Hin-
dernisse stellen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der zeitlichen
Befristung der Norm, die für eine gerichtliche Klärung der zu erwartenden
Streitfragen keine ausreichende Zeit lässt. Auf dieses Konzept sollte daher
verzichtet werden.

● Die zeitliche Beschränkung des § 29 GWB-E auf 2012 schwächt die Kartell-
behörden und setzt Anreize zur Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkei-
ten, um Verfügungen der Kartellbehörden erst nach Außerkrafttreten der
Norm rechtskräftig werden zu lassen. Die Frist beruht auf der fragwürdigen
Annahme, dass sich das Energieangebot durch Kraftwerksbau bis 2012 deut-
lich erweitert. Bereits heute zeichnen sich jedoch Verzögerungen bei der Ge-
nehmigung neuer Kohlekraftwerke ab, die die planmäßige Realisierung der
Kraftwerksbauten verhindern könnten. Als Folge des verfehlten Atomaus-
stiegs kann es daher zu einer weiteren Verknappung der Energieerzeugung
kommen. Durch den Charakter als „sun-set“-Klausel wird die Gefahr herauf-
beschworen, dass den Kartellbehörden das neue Instrumentarium zu einem
Zeitpunkt entzogen wird, an dem es ihnen zur Erfüllung des Gesetzeszwecks
am dringendsten zur Verfügung stehen müsste.

● Angesichts der strukturell bedingten Wettbewerbsdefizite auf den Energie-
märkten muss es das vorrangige Ziel sein, das Bundeskartellamt in die Lage
zu versetzen, Eingriffe zur Verbesserung der Wettbewerbsstruktur vorzuneh-
men, wenn mit herkömmlichen Mitteln der Fusionskontrolle und der Miss-
brauchsaufsicht Wettbewerbsbeschränkungen auf Märkten anders nicht
nachhaltig beseitigt werden können. Dazu ist das GWB um eine Entflech-
tungsnorm entsprechend dem Antrag der Fraktion der FDP auf Bundestags-
drucksache 16/4065 vom 17. Januar 2007 zu erweitern. Der Tatbestand der
Entflechtungsnorm sollte als zukunftsgerichtete Ultima-Ratio-Maßnahme
ausgestaltet sein, die erst dann eingreift, wenn die Ursache für ein miss-
bräuchliches Verhalten strukturell bedingt ist. Analog zum Instrument der
Ministererlaubnis sollte auch bei Entflechtungsmaßnahmen durch den Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie genau geprüft werden, ob nicht
gesamtwirtschaftliche Vorteile oder ein überragendes Interesse der Allge-
meinheit der Entflechtung entgegenstehen. Ein solches wettbewerbliches
Instrument hätte im Vergleich zu dem auf europäischer Ebene diskutierten
Ansatz einer zwangsweisen Entflechtung der Energienetze deutliche Vor-
teile. Es würde bereits durch seine Präventionswirkung vergleichbare
Wirkung entfalten, eine Entflechtung könnte den besonderen Einzelfallum-
ständen angepasst werden und für die Anordnung müsste ein konkreter

Verhaltensmissbrauch nachgewiesen werden. Die Problematik einer Dritt-

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staatenklausel würde sich in verminderter Form stellen, da der Entflechtungs-
vorgang ohnehin unter staatlicher Kontrolle stattfindet.

● Eine Stärkung des Bundeskartellamts im Bereich der Missbrauchsaufsicht
sollte entgegen dem Gesetzentwurf nicht sektorspezifisch, sondern innerhalb
der gegenwärtigen Systematik des Gesetzes erfolgen. Der Bundestag spricht
sich daher dafür aus, Erfahrungen mit der Missbrauchsaufsicht zu nutzen,
um erkannte Defizite dieses Instruments dauerhaft und branchenübergreifend
zu beseitigen. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Einführung der sofortigen
Vollziehbarkeit kartellbehördlicher Verfügungen als Regelfall kann dafür
als Vorbild dienen. Praktische Hürden im Vollzug des Vergleichsmarktprin-
zips – wie das Erfordernis eines erheblichen Preisabstandes oder der
Nachweis der Vergleichbarkeit – sind ebenfalls kein Spezifikum der Energie-
märkte. Mit dem traditionell von allen Fraktionen getragenen Votum für
starke Kartellbehörden ist es unvereinbar, wenn für die praktische Arbeit der
Kartellbehörden notwendige Fortentwicklungen der Missbrauchsaufsicht
zeitlich begrenzt werden. Wegen der erheblichen praktischen Probleme und
möglicher ökonomischer Fehlanreize, die mit einer Kodifizierung des
Gewinnbegrenzungskonzepts verbunden sind, sollte dieser Ansatz in das
Preismissbrauchsrecht des § 19 GWB nicht übernommen werden. Ein Aus-
bau des Kartellrechts in der beschriebenen systemkonformen Weise würde
gleichzeitig die Effizienz der Kontrolle der Energiepreise auf Missbräuch-
lichkeit verbessern.

● Künftig soll § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB dahingehend verschärft werden, dass
auch ein gelegentlicher Verkauf von Lebensmitteln unter Einstandspreis ver-
boten wird. Nach der Gesetzesbegründung sollen damit insbesondere zwei
Ziele erreicht werden: der Schutz kleiner und mittlerer Händler vor Preis-
dumping durch große Einzelhändler sowie eine höhere Produktqualität. Die
Verschärfung wird keines dieser Ziele erreichen. Der Lebensmittelhandel in
Deutschland ist hoch konzentriert und wettbewerbsintensiv. Dem kleinen
Tante-Emma-Laden um die Ecke nutzt der Aktionismus der Novelle nichts,
denn entscheidend sind die Einkaufspreise, und hier kann „Tante Emma“ mit
den großen Einzelhandelsfilialisten nicht konkurrieren. Den funktionieren-
den Wettbewerb der großen Einzelhändler zu behindern, ist selbst nach Auf-
fassung des Bundeskartellamts, schädlich und wird – so der letzte Tätigkeits-
bericht des Bundeskartellamts, S. 8 – „ den fairen Leistungswettbewerb unter
Umständen sogar zu Lasten der Verbraucher einschränken oder wäre ange-
sichts der zu erwartenden Vielzahl von Beschwerdefällen im Hinblick auf die
knappen Ressourcen kaum umzusetzen.“ Ebenso wenig sieht das Bundes-
kartellamt in der Neuregelung eine Verbesserung im Schutz kleinerer und
mittlerer Betriebe.

● Um höhere Preise für die Lebensmittelerzeuger zu erreichen, ist das Gesetz
überflüssig. Das zeigen die erheblichen Preissteigerungen für Milchprodukte
in den letzten Monaten. Durch schärferes Wettbewerbsrecht entsteht auch
nicht mehr Lebensmittelqualität. Im Gegenteil: Liegt das Preisniveau gene-
rell höher, steigen lediglich die Gewinnspanne für das kriminelle Geschäft
und der Anreiz, verdorbenes Fleisch wieder in den Verkehr zu bringen.

● Auch im Bereich des Behinderungsverbots sollte die Bundesregierung daher
nicht sektorspezifisches Brachenwettbewerbsrecht schaffen. Vielmehr soll-
ten kleine und mittelständische Unternehmen branchenübergreifend dort
wirksamer gegen Kampfpreis- und Verdrängungsstrategien geschützt wer-
den, wo dieser Schutz wirklich gebraucht wird. Dazu könnte insbesondere
eine Klarstellung im Gesetz dienen, wonach Kosten-Preis-Scheren Bestand-
teil des Behinderungsverbots sind. In Branchen, in denen integrierte Unter-

nehmen über marktbeherrschende Positionen auf Produzentenebene als auch
über überlegene Marktmacht im nachgelagerten Markt (z. B. im Handel mit

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Endkunden) verfügen, besteht für das integrierte Unternehmen ein immanen-
ter Anreiz, von ihm abhängige Wettbewerber zu einem höheren Preis zu be-
liefern, als der konzerneigene Handel im Endkundengeschäft anbietet. Auch
effizienteste Wettbewerber können aufgrund der fehlenden Handelsmarge im
Wettbewerb nicht mehr bestehen und werden vom Markt verdrängt. Bran-
chen mit einem Gefährdungspotential für kleine und mittlere Unternehmen
stellen zurzeit insbesondere der Mineralölhandel aber auch der Energiesektor
dar.

● Die Bundesregierung weckt mit dem Gesetzentwurf bei Wirtschaft und Ver-
brauchern hohe Erwartungen in eine gesteigerte Schlagkraft der Kartell-
behörden. Gleichzeitig unterlassen es die Koalitionsfraktionen der CDU/
CSU und SPD jedoch, die personelle Ausstattung des Bundeskartellamts an
seine neuen Aufgaben adäquat anzupassen. Statt eines solchen in sich wider-
sprüchlichen Vorgehens wäre eine deutlichere Aufstockung des Personal-
bestandes des Bundeskartellamts der effektivste Weg, Kartelle und den Miss-
brauch von Marktmacht entschlossen zu bekämpfen.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den Gesetzentwurf nach Maßgabe folgender Gesichtspunkte zu überarbeiten
und dabei,

1. Maßnahmen zur Bekämpfung der strukturell bedingten Wettbewerbsdefizite
auf den deutschen Energiemärkten Vorrang einzuräumen sowie das GWB um
eine Regelung zu erweitern, die es unter besonderen Voraussetzungen dem
Bundeskartellamt gestattet, als Ultima Ratio ein marktbeherrschendes Unter-
nehmen zu entflechten;

2. auf die Einführung eines Sonderrechts für die Energiewirtschaft (§ 29 GWB-E)
sowie auf die Verschärfung des Verbots von Verkäufen unter dem Einstands-
preis für den Lebensmittelhandel zu verzichten;

3. stattdessen die Erfahrungen aus der Praxis der Missbrauchsaufsicht zu nut-
zen, um die Kartellbehörden bei der Durchführung der allgemeinen Preis-
missbrauchsaufsicht zu stärken; dazu ist eine verbesserte und effektivere
Handhabung des Vergleichsmarktkonzepts für alle Branchen und ohne zeit-
liche Begrenzung innerhalb der bestehenden Systematik des § 19 GWB vor-
zunehmen;

4. dazu unter anderem dem marktbeherrschenden Unternehmen die Beweislast
auch für solche Tatsachen aufzuerlegen, mit denen es seine höheren Preise
wegen angeblicher Nichtvergleichbarkeit der Unternehmensstrukturen mit
preisgünstigeren Vergleichsunternehmen rechtfertigt; diese Beweislastum-
kehr ist jedoch auf Verwaltungsverfahren zu begrenzen;

5. die Aufnahme einer klarstellenden Formulierung in § 19 GWB zu prüfen,
nach der auch bei einem Preisunterschied von weniger als 10 Prozent zum
fiktiven Wettbewerbspreis der Missbrauchsvorwurf begründet sein kann,
wenn auf den in Betracht kommenden Vergleichsmärkten ebenfalls kein
funktionierender Wettbewerb gegeben ist und daher das allgemeine Preis-
niveau als überhöht erscheint;

6. auf eine Kodifizierung des Gewinnbegrenzungskonzepts zu verzichten;

7. die sofortige Vollziehbarkeit von Missbrauchsverfügungen vorzusehen;

8. in § 20 Abs. 4 GWB eine gesetzliche Klarstellung dahingehend aufzuneh-
men, dass Kosten-Preis-Scheren Bestandteil des Behinderungsverbots ge-
genüber kleinen und mittleren Unternehmen sind;

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9. das Bundeskartellamt durch ein Aufstocken des Personals um 20 Stellen
nachhaltig zu stärken und es in die Lage zu versetzen, seine neuen Befugnisse
noch effektiver als bisher mittels Kartellverfahrens und Missbrauchsaufsicht
auszuüben.

Berlin, den 14. November 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Begründung

Durch eine zeitlich bis 2012 befristete Sondernorm (§ 29) zum allgemeinen Ver-
bot für marktbeherrschende Unternehmen, ihre Stellung missbräuchlich auszu-
nutzen, soll den Kartellbehörden die Verfolgung von Preismissbräuchen durch
marktbeherrschende Energieversorger erleichtert werden. Im Rahmen der Fest-
stellung des überhöhten Preises durch einen Vergleich der Preise des Markt-
beherrschers mit Preisen anderer Anbieter (sog. Vergleichsmarktkonzept) soll
ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs die Kartellbehörde künftig
nicht mehr die strukturelle Vergleichbarkeit der Unternehmen des Marktbeherr-
schers mit dem Preisführer detailliert ermitteln müssen, um den Missbrauchs-
vorwurf zu belegen. Es soll nunmehr am marktbeherrschenden Unternehmen
liegen, seinen höheren Preis durch Hinweis auf die Nichtvergleichbarkeit der
Unternehmen zu rechtfertigen und notfalls auch zu beweisen (Beweislastum-
kehr). Ferner wird zum ersten Mal die bereits im geltenden Recht angelegte
Methode der Kartellbehörden, die Missbräuchlichkeit überhöhter Preise durch
eine Prüfung der Kosten auf ihre Angemessenheit im Verhältnis zum Preis zu
stützen (sog. Gewinnbegrenzungskonzept), kodifiziert. Speziell für den Bereich
des Lebensmitteleinzelhandels wird das geltende Verbot des Verkaufs unter Ein-
standspreis verschärft. Positive Wirkungen für den Wettbewerb werden von der
Novellierung des GWB außer vom Bundeskartellamt von praktisch allen Wett-
bewerbsexperten nicht erwartet. Insbesondere von der geplanten Regelung einer
unverhältnismäßigen Kosten-Preis-Relation drohen nach Auffassung der Mono-
polkommission aber auch den neuen Wettbewerbern und des wissenschaftlichen
Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie erhebliche
ökonomische Fehlanreize.

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