BT-Drucksache 16/7001

Das Instrument der Wahlbeobachtungen durch die OSZE darf nicht geschwächt werden - ODIHR muss handlungsfähig und unabhängig bleiben

Vom 7. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7001
16. Wahlperiode 07. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Michael Link (Heilbronn), Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van
Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-
Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning, Horst
Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg
Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion
der FDP

Das Instrument der Wahlbeobachtungen durch die OSZE darf nicht geschwächt
werden – ODIHR muss handlungsfähig und unabhängig bleiben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die OSZE ist die erfolgreichste zwischenstaatliche Einrichtung für Sicher-
heit und Zusammenarbeit auf gesamteuropäischem Boden. In einer Phase, in
der es zwar nicht mehr um die Überwindung des Ost-West-Konfliktes geht,
wohl aber darum, das erreichte Maß an Vertrauen und Kooperation in die
Zukunft zu tragen und auszubauen, kommt der OSZE auch heute noch große
Bedeutung zu. Mit Sorge sieht der Deutsche Bundestag Bestrebungen, Ele-
mente, die bereits vor mehr als 30 Jahren etabliert und anschließend vertieft
und weiterentwickelt wurden, zu schwächen.

Zentrales Element des dritten Korbes der KSZE-/OSZE-Vereinbarungen ist
die „menschliche Dimension“, die auch Wahlbeobachtungen einschließt.
Das „Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte“ der OSZE
(ODIHR) verdankt seine politische Wirksamkeit und seine große Akzeptanz

der Rolle, die ihr im Gefüge der OSZE von Anfang an zugesprochen wurde.
Denn ODIHR erhält zwar seine politische Legitimation direkt von der
OSZE und ihren Mitgliedstaaten. Gleichzeitig ist ODIHR aber institutionell
und vertraglich unabhängig von politischen Einflüssen, die von Organen
und Gremien der OSZE (Ministerrat, Parlamentarische Versammlung der
OSZE – OSZE-PV) ausgehen können. Es ist diese Konstruktion, die ODIHR
so erfolgreich gemacht hat. Nach bisheriger Übung organisiert ODIHR die

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Wahlbeobachtungsmissionen der OSZE. Die von der OSZE-PV durchge-
führten Kurzzeit-Wahlbeobachtungen durch Parlamentarier finden im Rah-
men dieser ODIHR-Langzeit-Missionen statt und sind organisatorisch und
in der Methodologie der Wahlbeobachtung auf ein starkes und unabhängi-
ges ODIHR angewiesen.

Die Objektivierung von Wahlbeobachtungen war und ist zentrales Element
der Vertrauensbildung zwischen den ehemals verfeindeten Staaten des Kalten
Krieges. Dieser Prozess muss fortgesetzt werden. ODIHR muss seine Unab-
hängigkeit bewahren können und darf nicht zum Spielball politischer Inte-
ressen werden. Der Deutsche Bundestag vertritt deshalb die Meinung, dass
ODIHR auch zukünftig die von ihm durchgeführten Wahlbeobachtungen
eigenständig und unabhängig von politischer Einflussnahme bewerten kön-
nen muss. Hierzu gehört ebenfalls, dass die von ODIHR und der OSZE-PV
entsandten Mitarbeiter, Experten, Langzeit- und Kurzzeitwahlbeobachter für
den Zeitraum der Wahlbeobachtungsmissionen über diplomatischen Status
verfügen müssen. Der genannte Personenkreis bleibt derzeit, soweit es sich
nicht um nationale Parlamentarier handelt, weitgehend ohne diplomatischen
Status, was den Schutz der Beobachter gerade im Rahmen schwieriger Mis-
sionen unverhältnismäßig begrenzt. Im Rahmen dieser Klarstellung ist es
erforderlich, dass auch die von einigen OSZE-Mitgliedern streitig gestellte
Frage der Rechtsnatur der OSZE-PV als OSZE-Organ im Sinne einer Fest-
stellung geklärt wird, dass die OSZE-PV ein offizielles OSZE-Gremium ist.

Jeder Versuch, ODIHR und die OSZE-PV in ihrer Arbeit zu behindern, ihre
Möglichkeiten der Wahlbeobachtungen einzuschränken oder sie dem Einfluss
anderer Organe und Gremien der OSZE auszusetzen, ist ein Angriff auf ein
Kernelement der Vereinbarungen, die der KSZE/OSZE zugrunde liegen. Der
Deutsche Bundestag bekennt sich zu der im Jahre 1990 in der Schlussakte von
Paris festgeschriebenen Rolle von ODIHR als „Hauptinstitution der mensch-
lichen Dimension“ des KSZE-/OSZE-Prozesses.

2. Wer sich mit dem Begriff einer Demokratie schmückt, von dem kann man
auch erwarten, sich wie eine solche zu verhalten. Dazu gehört auch Trans-
parenz, d. h. Überprüfbarkeit, von Wahlen, die von unabhängigen Wahl-
beobachtern begleitet werden. In diesem Zusammenhang sieht der Deutsche
Bundestag mit großer Sorge, dass Russland die Zahl der eingeladenen Wahl-
beobachter im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen drastisch redu-
zieren will. Bei voraussichtlich 95 000 Wahllokalen ist die Zahl von 300
bis 400 Wahlbeobachtern völlig unzureichend. Zudem muss sichergestellt
werden, dass nicht nur Kurzzeitbeobachtung, sondern auch längerfristige Vor-
feldbeobachtungen möglich sind und nur solche „Wahlbeobachter“ eingela-
den werden, die sich zumindest den Grundsätzen der OSZE und ODIHR für
freie, faire, geheime, gleiche, allgemeine und zudem transparente Wahlen be-
kennen. Wahlbeobachtungen dienen nicht dem Zweck, beobachtete Staaten
„an den Pranger“ zu stellen, sondern sind bei allen denkbaren Defiziten zual-
lererst ein Element der Vertrauensbildung. Wahlbeobachtungen einzuschrän-
ken heißt, Misstrauen zu schüren, und widerspricht dem Geist, der der OSZE
zugrunde liegt.

Allein für die vor kurzem stattgefundenen Wahlen in Kasachstan wurden von
der OSZE über ODIHR 22 Langzeitbeobachter, 38 Experten und 440 Wahl-
beobachter eingesetzt, darunter auch Parlamentarier der OSZE-PV. Gemessen
an der Bevölkerungszahl wäre für Russland ein zehnfacher Ansatz notwen-
dig. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Kolleginnen und Kollegen
in der russischen Staatsduma auf, sich dafür einzusetzen, dass die Zahl inter-
nationaler Wahlbeobachter im Vergleich zu der Ankündigung der zentralen

russischen Wahlkommission deutlich nach oben korrigiert wird und unver-

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züglich eine entsprechende Einladung an ODIHR und die OSZE-PV zur Ent-
sendung entsprechender Langzeit- und Kurzzeitwahlbeobachter ergeht.

3. Kasachstan bewirbt sich um den OSZE-Vorsitz im Jahre 2009. Gleichzeitig
gibt die innerstaatliche Entwicklung in Kasachstan, bei aller Wertschätzung
für erreichte Fortschritte, immer noch Anlass zu großer Sorge. So gehört
Kasachstan zu einer Gruppe von Staaten, die das Instrument der Wahlbeob-
achtung durch die OSZE schwächen wollen, indem z. B. die Zahl der zu ent-
sendenden Wahlbeobachter auf maximal 50 Personen begrenzt werden soll.
Angesichts längerfristiger und aktueller Entwicklungen scheint die Zeit des-
halb noch nicht reif, Kasachstan den Vorsitz der OSZE anzuvertrauen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für die Stärkung von ODIHR als zentrales Instrument der Wahlbeobach-
tung der OSZE einzusetzen einschließlich der Kompetenz für ODIHR, die
Wertung der beobachteten Wahlen eigenständig und unabhängig durchführen
zu können,

2. den Vorschlag Russlands, Armeniens, Kasachstans, Kirgistans, Tadschikis-
tans, Usbekistans und Weißrusslands zur Reform der OSZE-Wahlbeobach-
tungen vom 18. September 2007 als den Versuch einer substantiellen Schwä-
chung des Instruments der OSZE-Wahlbeobachtungen abzulehnen,

3. die unter Nummer 2 genannten Staaten aufzufordern, die 1992 in der
Schlussakte der vierten KSZE-Folgekonferenz von Helsinki festgelegte
Rolle von ODIHR als „Hauptinstitution der menschlichen Dimension“ des
KSZE-Prozesses auch weiterhin anzuerkennen,

4. sich dafür einzusetzen, dass allen von der OSZE-PV und ODIHR eingesetz-
ten Personen für die Dauer einer laufenden Wahlbeobachtung der gleiche
diplomatische Schutz gewährt wird wie den als Wahlbeobachter eingesetzten
Mitgliedern der OSZE-PV selbst,

5. im Rahmen der OSZE auf eine Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten hin-
zuwirken, dass nur Vertreter solcher Staaten und Organisationen als offizielle
„Wahlbeobachter“ eingestuft werden, die die von ODIHR entwickelten Kri-
terien für freie, faire, geheime, allgemeine, gleiche und transparente Wahlen
sowie die Überprüfung der Ahndung von Verstößen gegen diese Grundsätze
teilen,

6. Russland aufzufordern, zu den kommenden Parlaments- und Präsident-
schaftswahlen mindestens so viele Wahlbeobachter zuzulassen, wie dies in
der Vergangenheit der Fall war,

7. eine Kandidatur Kasachstans für den Vorsitz der OSZE bis auf weiteres nicht
zu unterstützen und sich aktiv für eine solche Position bei den europäischen
Partnern einzusetzen,

8. angesichts einer unklaren Rechtslage das Verständnis des Deutschen Bundes-
tages, der die Parlamentarische Versammlung der OSZE als Organ der OSZE
betrachtet, zu übernehmen und auf eine entsprechende Klarstellung in der
OSZE hinzuwirken.

Berlin, den 6. November 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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