BT-Drucksache 16/695

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD -163/430, 16/628- Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes

Vom 15. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/695
16. Wahlperiode 15. 02. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van
Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Elke Hoff,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Jan Mücke, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg
Rohde, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer
Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/430, 16/628 –

Entwurf eines dritten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Potenziale der Grünen Gentechnik sind vielfältig und sie werden weltweit
seit zehn Jahren auf inzwischen mehr als 90 Millionen Hektar genutzt. Die
Grüne Gentechnik vergrößert die Auswahl an Genen, die für die Züchtung von
Kulturpflanzen zur Verfügung stehen. Dadurch können Kulturpflanzen für ver-
schiedene Verwendungen optimiert werden und es ergeben sich für verschie-
dene Lebensbereiche Vorteile: z. B. für Verbraucherinnen und Verbraucher
durch Verbesserungen der Nahrungsmittel durch Minderung der Belastung mit
Pilzgiften, durch Anreicherung lebensnotwendiger Stoffe und durch geringere
Kosten bei der Nahrungsmittelproduktion, für die Umwelt durch Minderung
von Umweltbelastungen durch Anbau krankheits- und schädlingsresistenter
Sorten, für die Stärkung der Nachhaltigkeit durch Optimierung nachwachsen-
der Rohstoffe für die industrielle Produktion. Die Grundlagenforschung an

deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen und die anwendungs-
bezogene Forschung in Unternehmen hat bedeutende Beiträge zur Weiter-
entwicklung gentechnischer Methoden und zur Entwicklung wichtiger, bei der
Züchtung verwendeter Konstrukte erbracht. Die gesetzlichen Rahmenbedin-
gungen müssen so gestaltet werden, dass die Vorteile gentechnischer Züchtung
in Deutschland angewendet und das vorhandene Wissen von Unternehmen und
Forschungseinrichtungen genutzt und weiterentwickelt werden können.

Drucksache 16/695 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Rahmenbedingungen für die Grüne Gentechnik müssen die Interessen der
Verbraucherinnen und Verbraucher berücksichtigen, den Produzenten in der
Land- und Ernährungswirtschaft Planungssicherheit gewährleisten und Inno-
vationen in Deutschland ermöglichen. Dies ist mit dem zurzeit geltenden Gen-
technikgesetz (GenTG) nur eingeschränkt möglich. Die grundlegende Novel-
lierung des Gentechnikgesetzes ist notwendig, um Rechtssicherheit für Land-
wirte herzustellen, die gentechnisch veränderte Sorten anbauen sowie für die
Landwirte, die auf den Anbau gentechnisch veränderter Sorten verzichten und
ihre Produkte nicht kennzeichnen wollen. Rechtsunsicherheit herrscht ebenfalls
für Forschungseinrichtungen, die Freisetzungsversuche durchführen wollen.
Die EU-Verordnung über die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Nah-
rungs- und Futtermittel legt einen Schwellenwert von 0,9 Prozent fest, ab dem
die Produkte gekennzeichnet werden müssen. Gleichzeitig versucht das jetzt
geltende Gentechnikgesetz über die Haftungsregelung einen niedrigeren
Schwellenwert durchzusetzen. Dadurch ist juristischer Streit vorprogrammiert.
Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages urteilt in einer Aus-
arbeitung vom 12. Oktober 2004 zur Freisetzungsrichtlinie: ,Im Rahmen der
gerichtlichen Auslegung des § 36a GenTG dürfte schließlich die Beachtung der
Ziele der Freisetzungsrichtlinie entscheidend sein. Dabei ist eine Vorgabe, dass
die Umsetzung der Richtlinie nicht zu einem hohen und nicht vorhersehbaren
Risiko für so genannte GVO-Landwirte führen darf. Würde man sämtliche Ver-
stöße gegen privatrechtliche Grenzwertvereinbarungen als „wesentliche Beein-
trächtigung“ einordnen können, würde so im Ergebnis die Haftung der „GVO-
Landwirte“ von der vertraglichen Gestaltung der Liefer- oder Produktionsver-
einbarungen eines Dritten abhängen. Bei einer derart weiten Auslegung des
§ 36a GenTG dürfte dann die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben nur
schwer zu begründen sein.‘ Dieses ist nicht hinnehmbar und macht eine zügige
Novellierung des Gentechnikgesetzes erforderlich.

Die umfangreichen Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Kultur-
pflanzen sichern die Unbedenklichkeit der aus ihnen hergestellten Nahrungs-
und Futtermittel. Der Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen bedeutet
keine durch das Züchtungsverfahren bedingte Belastung der Umwelt, sondern
im Gegenteil nach der bayrischen Studie „Monitoring der Umweltwirkungen
des Bt-Gens“ einen deutlichen Gewinn für die Umwelt.

Über die Einführung neuer technischer Methoden und daraus entwickelter Pro-
dukte entscheidet der Markt. Das gilt auch für Produkte der Grünen Gentech-
nik. Daher sind die Umfragen zur Akzeptanz der Grünen Gentechnik keine
Leitlinie für die Politik, sondern für Produzenten, d. h. für die Land- und Ernäh-
rungswirtschaft. In Umfragen werden Vorbehalte gegen die Grüne Gentechnik
zum Ausdruck gebracht. Doch es weiß niemand, wie sich die Menschen tat-
sächlich verhalten werden, wenn echte Wahlfreiheit gegeben ist.

Verbraucherinnen und Verbraucher haben Anspruch auf eine möglichst voll-
ständige Information über die Inhaltsstoffe der von ihnen gekauften Nahrungs-
mittel. Dazu gehören die Angaben über Gehalte von Bestandteilen von gen-
technisch veränderten Pflanzen, die den Schwellenwert von 0,9 Prozent über-
schreiten. Die Kennzeichnungspflicht und die Vorschriften über die Rückver-
folgbarkeit dienen der Verbraucherinformation und sind Voraussetzung, um die
Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu verwirklichen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

Das Gentechnikgesetz grundlegend zu novellieren, um die Innovationspoten-
ziale der Grünen Gentechnik im Interesse der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher sowie von Wirtschaft und Forschung in Deutschland nutzen zu können.

Dazu sind folgende Änderungen im geltenden Gentechnikgesetz erforderlich:

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/695

1. Die in § 36a des GenTG angeordnete gesamtschuldnerische Haftung zu
Lasten der Nutzer von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) ist zu
korrigieren. Sie bewirkt, dass alle in der Nähe eines Feldes mit „gentechnik-
freiem“ Anbau befindlichen Landwirte, die gentechnisch veränderte Pflan-
zen verwenden, ohne weiteres gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen
werden können. Das gilt selbst für den Fall, dass der geltend gemachte Ein-
trag von GVO nicht durch das Nachbarfeld verursacht wurde, sondern durch
andere Faktoren, wie z. B. durch Vermischungen im Saatgut, das der An-
spruchsteller verwendet hat. Damit müssen Landwirte, die gentechnisch ver-
änderte Pflanzen anbauen, für Fehler haften, die sie nicht zu verantworten
haben und obwohl sie die Regeln der guten fachlichen Praxis eingehalten
haben.

2. Die Regelungen für das Inverkehrbringen, anknüpfend an den Begriff des
Inverkehrbringens in § 3 Nr. 6 GenTG, sind neu zu definieren, um Sicher-
heit für die Forschung und Produktentwicklung zu gewährleisten. Auskreu-
zungen aus Freisetzungen zu Forschungszwecken dürfen nicht als Inver-
kehrbringen im Sinne des Gesetzes behandelt werden. Die Abgabe von Pro-
dukten, die unbeabsichtigt Einträge aus Freisetzungen enthalten, stellt kein
Inverkehrbringen dar, da es an einer zielgerichteten Handlungsweise fehlt.
Für die Zulassung transgener Sorten ist die Durchführung von Freisetzungs-
versuchen eine wichtige Voraussetzung. Daher muss das Gentechnikgesetz
die Durchführung solcher Versuche – unter Beachtung der Anforderungen
der guten fachlichen Praxis – ermöglichen und die unbeabsichtigte und nicht
vermeidbare Auskreuzung aus solchen Versuchen tolerieren.

3. Die mit der Einführung des § 34a des Bundesnaturschutzgesetzes durch
Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2004 (BGBl. 2005 I S. 186) für
die zuständigen Naturschutzbehörden bestehende Möglichkeit, Anbau und
Freisetzung von GVO in besonders geschützten Gebieten unter bestimmten
Bedingungen zu untersagen, ist aufzuheben. Es gibt kein sachliches Erfor-
dernis für diese Regelung, da alle umweltbezogenen Fragen bereits Gegen-
stand der Zulassungsprüfung sind und eine zugelassene transgene Sorte da-
her kein besonderes Risiko darstellen kann. Diese Regelung ist ein zusätz-
liches Hindernis für die Nutzung der Gentechnik in der landwirtschaftlichen
Praxis. Zu den genannten Gebieten zählt ein wesentlicher Teil der landwirt-
schaftlich genutzten Fläche.

4. Eine Änderung im öffentlichen Teil des Standortregisters ist vorzunehmen,
damit Angaben der Landwirte zur genauen Lage der Anbaufläche und deren
Größe im öffentlichen Teil des Standortregisters nicht für jedermann ohne
weiteres zugängig sind. Die EG-Freisetzungsrichtlinie fordert nicht die Auf-
nahme dieser Angaben in den öffentlichen Teil. Da die Erfahrungen der Ver-
gangenheit zeigen, dass diese Angaben regelmäßig von so genannten Gen-
technikgegnern missbraucht werden, um Landwirte öffentlich anzuprangern
oder Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen zu zerstören, muss auf
eine entsprechende Angabe im öffentlichen Teil des Standortregisters ver-
zichtet werden. Die Einrichtung von Standortregistern in den Ländern führt
zu zusätzlicher Bürokratie. Ein zentrales Bundesregister ist ausreichend.

5. Zur Regelung der Koexistenz sind fallbezogene, dynamische Maßnahmen-
systeme sinnvoll. Der erfolgreich durchgeführte Erprobungsanbau unter-
streicht, dass Koexistenz mit einfachen pflanzenbaulichen Maßnahmen er-
reicht werden kann. Daher ist die gute fachliche Praxis durch Grundsätze zu
beschreiben und festzulegen. Damit werden Handlungsempfehlungen für
die jeweiligen gentechnisch veränderten Kulturarten in Form von Merkblät-
tern der zuständigen Landesbehörden als technisches Regelwerk vorgege-

ben. Diese Grundsätze müssen gemeinsam mit den am landwirtschaftlichen
Anbau Beteiligten entwickelt und von ihnen getragen werden.

Drucksache 16/695 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
6. Die Fraktion der FDP hat in der vergangenen Legislaturperiode entsprechende
Änderungsanträge zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Frak-
tionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksachen 15/4834,
15/5133 „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnik-
rechts am 16. März 2005 in den Deutschen Bundestag eingebracht. Auf diese
vier Änderungsanträge der Fraktion der FDP mit den Drucksachennummern
15/5136, 15/5137, 15/5138 und 15/5139, die in diesem Antrag durch die Num-
mern 1 bis 4 der Begründung angeführt werden, ist bei der geforderten grund-
legenden Novellierung des Gentechnikrechts zurückzugreifen.

7. Die bisherige „Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit“ (ZKBS)
ist beizubehalten, da sie sich in der Vergangenheit bewährt und gute Arbeit ge-
leistet hat. Die Unterteilung des bisherigen Aufgabenbereiches der ZKBS in
zwei Ausschüsse bedeutet einen erhöhten Kosten- und Verwaltungsaufwand
und ist sachlich nicht begründet. Außerdem führt die Aufteilung der Auf-
gabenbereiche zu Verfahrensverzögerungen im „Laborbereich“ (S2 und S3).
Die Aufteilung der Kommission für die Biologische Sicherheit in zwei Aus-
schüsse ist aufzuheben. Es ist vorzuziehen, das einheitliche Gremium wieder-
herzustellen und den Kreis der Sachverständigen um die Bereiche Ernährungs-
physiologie im Human- und Tierbereich sowie der Tier- und Pflanzenzucht zu
erweitern (insgesamt elf Sachverständige).

8. Auf europäischer Ebene ist die Verabschiedung praxistauglicher Saatgut-
schwellenwerte durchzusetzen. Das schafft Rechtssicherheit für Unternehmen
und Landwirte sowie Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Berlin, den 6. Februar 2006

Dr. Christel Happach-Kasan
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp

Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Michael Link (Heilbronn)
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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