BT-Drucksache 16/680

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid)

Vom 15. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/680
16. Wahlperiode 15. 02. 2006

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Hans-Christian Ströbele, Irmingard
Schewe-Gerigk, Claudia Roth (Augsburg), Josef Philip Winkler, Britta Haßelmann
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung von
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid)

A. Problem

Die im Grundgesetz festgelegte parlamentarisch-repräsentative Demokratie hat
sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Doch auch der Wunsch nach
stärkerer Beteiligung wächst in der Bevölkerung. In den letzten Jahren wurden
die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger auf Ebene der Bundesländer
deutlich ausgebaut. Die Erfahrungen damit waren positiv. Laut Artikel 20
Abs. 2 des Grundgesetzes wird die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Ab-
stimmungen ausgeübt. Durch neue direkte Beteiligungsrechte der Bürgerinnen
und Bürger soll das parlamentarisch-repräsentative System unserer sozialen und
rechtsstaatlichen Demokratie nun ergänzt, jedoch nicht ersetzt werden. Zusätz-
liche Beteiligungsrechte bringen auch mehr Verantwortung für die Bürgerinnen
und Bürger bei der Entscheidung wichtiger Sachfragen. Interesse und Engage-
ment für eine verantwortliche Willensbildung werden verstärkt. Dies belebt die
Demokratie insgesamt und macht sie für die Menschen auch attraktiver. Neue
Beteiligungsrechte müssen sich ebenso wie parlamentarische Initiativen und
Entscheidungen an den Grundrechten, den unveränderlichen Grundentscheidun-
gen der Verfassung und den übrigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen aus-
richten und der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen.

B. Lösung

Das Grundgesetz wird ergänzt bzw. geändert durch die Einführung der unmittel-
baren Bürgerbeteiligung durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksent-
scheid auch auf Bundesebene.

C. Alternativen

Beibehaltung der bisherigen Verfassungslage.
D. Kosten

Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide führen zu Durchführungs-
kosten beim Bund, vor allem aber bei den Ländern und Gemeinden, die der
Bund zu erstatten hat. Hierzu gehören u. a. Kosten der Prüfung der Stimmbe-
rechtigung, von öffentlichen Bekanntmachungen, Druckkosten, Kosten für die

Drucksache 16/680 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Versendung von Abstimmungsbenachrichtigungen, Kosten der Feststellung von
Abstimmungsergebnissen. Die Höhe der entstehenden Kosten ist vor allem da-
von abhängig, in welchem Umfang die Bevölkerung die neuen Beteiligungs-
rechte nutzen wird.

Die bisherigen in- und ausländischen Erfahrungen bei Volksentscheiden zeigen,
dass sich die daraus entstehenden „Demokratiekosten“ in einem überschaubaren
Rahmen halten.

Berlin, den 15. Februar 2006
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grund-
gesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in
der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1,
veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch
Gesetz vom … (BGBl. I S. …), wird wie folgt geändert:

1. Artikel 76 Abs. 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestag durch
die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages,
durch den Bundesrat oder durch Volksinitiative einge-
bracht.“

2. Artikel 77 Abs. 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Die vom Bundestag beschlossenen Bundesgesetze
sind nach ihrer Annahme durch den Präsidenten des Bun-
destages unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten.“

3. Nach Artikel 78 werden folgende Artikel eingefügt:

„Artikel 78a

(1) Durch Volksinitiative können 400 000 Wahlbe-
rechtigte beim Bundestag eine mit Gründen versehene
Gesetzesvorlage einbringen. Die Vertrauensleute der
Volksinitiative haben das Recht auf Anhörung.

(2) Finanzwirksame Volksinitiativen sind zulässig.
Ausgeschlossen sind Volksinitiativen über das Haus-
haltsgesetz, über Abgabengesetze sowie über eine Wie-
dereinführung der Todesstrafe.

Artikel 78b

(1) Die Vertrauensleute der Volksinitiative können ein
Volksbegehren auf Durchführung eines Volksentscheids
einleiten, wenn innerhalb von acht Monaten das bean-
tragte Gesetz nicht zustande kommt.

(2) Hält die Bundesregierung, eine Landesregierung
oder ein Drittel der Mitglieder des Bundestages das be-
antragte Gesetz für verfassungswidrig, ist die Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

(3) Das Volksbegehren ist zustande gekommen, wenn
ihm fünf vom Hundert der Wahlberechtigten innerhalb
von sechs Monaten zugestimmt haben.

Artikel 78c

(1) Ist das Volksbegehren erfolgreich, findet innerhalb
von sechs Monaten ein Volksentscheid statt, es sei denn,
das begehrte Gesetz ist zuvor zustande gekommen.

(2) Der Bundestag kann nach Maßgabe des Artikels 77
einen eigenen Gesetzentwurf mit zur Abstimmung stel-
len.

(3) Der Bundestag kann auf Antrag der Bundesregie-
rung, des Bundesrates oder aus der Mitte des Bundestages
beschließen, dass über ein Gesetz, für das eine verfas-
sungsändernde Mehrheit erforderlich ist, ein Volksent-
scheid stattfindet. Der Beschluss bedarf der Zustimmung
von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und
von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(4) Ein Gesetz ist beschlossen, wenn die Mehrheit der
Abstimmenden zugestimmt hat, sofern diese Mehrheit
mindestens fünfzehn vom Hundert der Wahlberechtigten
umfasst.

(5) Ein das Grundgesetz änderndes Gesetz ist be-
schlossen, wenn zwei Drittel der Abstimmenden zuge-
stimmt haben, sofern diese Mehrheit mindestens ein
Viertel der Wahlberechtigten umfasst. Dies gilt nicht in
den Fällen des Artikels 23 Abs. 1 Satz 3.

(6) Gesetze, die der Zustimmung des Bundesrates be-
dürfen, kommen zustande, wenn die Zahl der Bundes-
ratsstimmen jener Länder, in denen eine zustimmende
Mehrheit in der Abstimmung erreicht wurde, der im Bun-
desrat erforderlichen Mehrheit entspricht.

Artikel 78d

Das Nähere, auch die Information der Wahlberechtig-
ten über Inhalte und Gründe der Gesetzentwürfe, regelt
ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates
bedarf.“

4. Artikel 79 Abs. 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von
zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei
Dritteln der Stimmen des Bundesrates oder der Zustim-
mung durch Volksentscheid.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am … (einsetzen: erster Tag des auf die
Verkündung folgenden Kalendermonats) in Kraft.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/680

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung von
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid)
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

schieden werden können. Insofern stellt eine Ergänzung des hält in Absatz 1 bisher den Satz: „Die Bundesgesetze wer-

Grundgesetzes auch einen Schritt zu mehr europäischer
Gemeinsamkeit dar. In allen Ländern der Bundesrepublik
Deutschland gibt es die Möglichkeit des Volksentscheids.

den vom Bundestage beschlossen.“ Da Bundesgesetze nach
Artikel 78c (neu) auch durch Volksentscheid beschlossen
werden können, stellt die Neufassung des Artikels 77
Drucksache 16/680 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Die parlamentarisch-repräsentative Demokratie des Grund-
gesetzes hat sich bewährt.

Sie soll jedoch um direkte Beteiligungsrechte der Bürgerin-
nen und Bürger ergänzt werden. Demokratie ist auf aktive,
interessierte und verantwortungsbewusste Bürgerinnen und
Bürger angewiesen. Die Einführung der Möglichkeit von
unmittelbarer Bürgerbeteiligung und -entscheidung ist ge-
eignet, neues Engagement und Bereitschaft zu Mitverant-
wortung zu wecken. Das demokratische Bewusstsein wird
dadurch gefestigt und belebt. Das Volk als Träger der Staats-
gewalt gewinnt in dem gesetzten Rahmen einen unmittelba-
ren Einfluss auf deren Ausübung.

Volksinitiative, Volksbegehren sowie Volksentscheid wer-
den in das Grundgesetz eingefügt, um den Bürgerinnen und
Bürgern über die Teilnahme an Wahlen hinaus Möglichkei-
ten unmittelbarer Einflussnahme auf die politische Willens-
bildung und staatliche Entscheidungen einzuräumen. Viele
Bürgerbewegungen und -initiativen auf kommunaler wie auf
Landes- und Bundesebene zeigen den Willen der Bevölke-
rung, sich aktiv für das Gemeinwesen einzusetzen und an
seiner Ausgestaltung mitzuwirken. Dieser Bereitschaft zur
Mitwirkung an der Politikgestaltung sollen erweiterte Hand-
lungsmöglichkeiten eröffnet werden.

Handlungsformen hierfür sind insbesondere die Volksinitia-
tive, das Volksbegehren und der Volksentscheid. Diese For-
men direkter Bürgerbeteiligung stellen das parlamentarisch-
repräsentative System des Grundgesetzes nicht in Frage,
sondern ergänzen es sinnvoll. Das Parlament bleibt für den
Regelfall der Ort der politischen Auseinandersetzung, der
Entscheidung und des Kompromisses. Das Volk als Träger
der Staatsgewalt gewinnt aber einen effektiveren Einfluss
auf deren Ausübung, indem es das Parlament dazu veranlas-
sen kann, sich mit bestimmten Themen zu befassen, oder in-
dem es selbst unmittelbare Sachentscheidungen trifft.

Ein Mehr an direkter Bürgerbeteiligung führt auch zur Festi-
gung und Belebung der parlamentarischen Demokratie. Eine
Schwächung ist nicht zu erwarten. Die Sorge um die „demo-
kratische Reife“ des Volkes, die bei der Verabschiedung des
Grundgesetzes als Grund für die Versagung direkter Demo-
kratie ins Feld geführt worden war, widerstreitet jedenfalls
heute nicht mehr direkter Demokratie. Die Bundesrepublik
Deutschland kann sich auf ein in mehr als 50 Jahren ge-
wachsenes demokratisches Bewusstsein der Bevölkerung
stützen.

Die Erfahrungen in Staaten des – vor allem europäischen –
Auslandes, deren Verfassungen Formen direkter Bürgerbe-
teiligung enthalten, lassen erkennen, dass auch schwierige
und komplexe Sachverhalte sachgerecht beurteilt und ent-

Das vorgesehene Verfahren der Volksgesetzgebung ist drei-
stufig ausgestaltet:

Mit der Volksinitiative erhalten die Bürgerinnen und Bürger
die Möglichkeit, den Deutschen Bundestag mit einem
bestimmten und mit Gründen versehenen Gesetzentwurf zu
befassen.

Stimmt der Gesetzgeber innerhalb von acht Monaten einem
solchen Gesetzentwurf nicht zu, findet auf Antrag der Vertre-
terinnen und Vertreter der Initiative ein Volksbegehren statt.

Kommt das Volksbegehren zustande, so ist ein Volksent-
scheid über den Gesetzentwurf durchzuführen. Bei Zustim-
mung einer – gegebenenfalls qualifizierten – Mehrheit der
Abstimmenden ist der Gesetzentwurf angenommen.

Das vorgesehene Verfahren sichert, dass die Verfassung
und insbesondere die Grundrechte nicht verletzt werden.
Die vorgezogene Normenkontrolle durch das Bundesver-
fassungsgericht beugt der Gefahr verfassungswidriger
Volksentscheide vor. Zudem ermöglicht die Dauer des Ver-
fahrens von ca. zwei Jahren vom Start der Volksinitiative
bis zum Volksentscheid einen gründlichen Diskussionspro-
zess. Das Instrument der Konkurrenzvorlage ermöglicht
dem Deutschen Bundestag darüber hinaus, eine eigene Re-
gelung mit zur Abstimmung zu stellen, wenn er die vorge-
schlagene Regelung mehrheitlich für nicht angemessen
hält.

Darüber hinaus wird dem Deutschen Bundestag selbst die
Möglichkeit eröffnet, einen Volksentscheid zu solchen
Gesetzen einzuleiten, für die eine verfassungsändernde
Mehrheit erforderlich ist. Der Volksentscheid kommt in
einem solchen Fall zustande, wenn eine Zweidrittelmehrheit
im Deutschen Bundestag das entsprechende Gesetz für so
bedeutend hält, dass das Volk selbst über dessen Zustande-
kommen entscheiden soll. Der Vorlagebeschluss bedarf der
Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

B. Die Regelungen im Einzelnen

Zu Artikel 1 (Grundgesetz)

Zu Nummer 1 (Artikel 76 Abs. 1)

Es wird als Folgeänderung zu Artikel 78a (neu) klargestellt,
dass die durch eine Volksinitiative an den Deutschen Bun-
destag herangetragenen Gesetzentwürfe als Gesetzesvorla-
gen zu behandeln sind.

Zu Nummer 2 (Artikel 77 Abs. 1)

Artikel 77 regelt das Zusammenwirken von Bundestag und
Bundesrat im Verfahren der Bundesgesetzgebung und ent-
Das auf Länderebene grundsätzlich bewährte Verfahren
sollte auch auf Bundesebene seinen Platz haben.

Abs. 1 klar, dass dort ausschließlich das parlamentarische
Gesetzgebungsverfahren geregelt ist.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/680

Zu Nummer 3 (Einfügung der Artikel 78a bis 78d)

Zu Artikel 78a

Zu Absatz 1

Bürgerinnen und Bürger, die das Parlament mit einer Geset-
zesvorlage befassen wollen, müssen zunächst 400 000
Stimmberechtigte davon überzeugen, die Einbringung der
Gesetzesvorlage zu unterstützen. Die Sammlung dieser Un-
terschriften ist nicht fristgebunden.

Nur ein vollständiger und begründeter Gesetzentwurf kann
Gegenstand einer Volksinitiative sein. Bloße Handlungsauf-
träge oder Zielvorgaben an das Parlament sind ausgeschlos-
sen. Sobald die Volksinitiative eine Gesetzesvorlage in den
Deutschen Bundestag eingebracht hat, ist dieser verpflichtet,
sich mit ihr zu befassen.

Die Vertrauensleute haben als Vertreter der Volksinitiative
das Recht auf Anhörung.

Zu Absatz 2

Grundsätzlich kann sich die Volksgesetzgebung auf alle
Regelungsgegenstände beziehen, für die eine Bundeskomp-
etenz besteht. Zunächst wird klargestellt, dass finanzwirk-
same Gesetzentwürfe zulässig sind. Damit können auch
Gesetze, die staatliche Einnahmen oder Ausgaben auslösen,
durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid
zustande kommen. Die Volksgesetzgebung wird nicht unter
einen allgemeinen Finanzvorbehalt gestellt, da andernfalls
weite Regelungsbereiche ausgeschlossen wären.

Die finanziellen Auswirkungen der Volksgesetzgebung ber-
gen keine höhere Gefahr für das Gleichgewicht des Haus-
halts als die parlamentarische Gesetzgebung. Zudem werden
die Rechte des Parlaments durch die Abstimmung über ein
finanzwirksames Gesetz nicht entscheidend vermindert: Der
Deutsche Bundestag kann während des Verfahrens alterna-
tive Regelungen verabschieden oder zur Abstimmung stel-
len. Dem Parlament bleibt es auch im Grundsatz unbenom-
men, ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz wieder
zu ändern oder aufzuheben.

Das Budgetrecht des Parlaments wird durch das Recht
finanzwirksamer Volksgesetzgebung berührt. Artikel 79
Abs. 3 und Artikel 20 stehen dieser Modifizierung des Bud-
getrechts durch den verfassungsändernden Gesetzgeber aber
nicht entgegen. Das Budgetrecht ist Ausdruck des Gewalten-
teilungs- und damit des Rechtsstaatsprinzips und auch Aus-
prägung des Demokratieprinzips. Historisch ist es als parla-
mentarische Kontrolle der (monarchischen) Exekutive
entstanden. Auch verfassungsdogmatisch betrifft es das Ver-
hältnis zwischen (bislang rein parlamentarischer) Legisla-
tive und Exekutive. Die Einschränkung des parlamenta-
rischen Budgetrechts zugunsten der Volksgesetzgebung
belässt das Budgetrecht aber innerhalb der legislativen
Staatsfunktion und ist deshalb dem verfassungsändernden
Gesetzgeber nicht verwehrt.

Ausgenommen von der Volksgesetzgebung ist aber das
Haushaltsgesetz selbst. Dieses ist für die Volksgesetzgebung
ungeeignet, da es in einem festen zeitlichen Rahmen verab-
schiedet werden muss. Auch eignet sich die auf ein konkre-
tes Vorhaben zugeschnittene Volksgesetzgebung nicht zum

Auch Abgabengesetze bleiben wie schon in Artikel 73 Abs. 4
der Weimarer Reichsverfassung von der Volksgesetzgebung
ausgenommen, da sie gerade dem Zweck der staatlichen Mit-
telbeschaffung dienen und ihre Änderung deshalb dem Parla-
ment vorbehalten bleiben soll. Gemeint sind hier Abgaben
i. S. d. Finanzverfassungsartikel, d. h. Steuern, Zölle und
Finanzmonopole.

Ausgeschlossen von der Volksgesetzgebung ist auch die
Aufhebung oder Änderung des Artikels 102. Es ist umstrit-
ten, ob eine Wiedereinführung der Todesstrafe überhaupt
verfassungsrechtlich möglich ist. Nach überwiegender Auf-
fassung wäre eine Wiedereinführung der Todesstrafe mit den
tragenden Verfassungsprinzipien nach Artikel 79 Abs. 3
unvereinbar und damit verfassungswidrig. Mit dem Aus-
schluss von der Volksgesetzgebung soll dieser Streit nicht
entschieden werden, schon gar nicht im Sinne einer verfas-
sungsrechtlichen Zulässigkeit der Wiedereinführung. Im
Hinblick auf die erst im Stadium des Volksbegehrens vorge-
sehene verfassungsgerichtliche Überprüfungsmöglichkeit
eines volksinitiierten Gesetzentwurfs stellt die Regelung
aber klar, dass schon eine entsprechende Volksinitiative
nicht statthaft ist.

Zu Artikel 78b

Zu Absatz 1

Eine durch Volksinitiative ausgelöste Debatte kann zu einem
vom Parlament beschlossenen Gesetz führen, welches das
Anliegen der Initiative aufgreift. Wenn das von der Initiative
beantragte Gesetz nicht innerhalb von acht Monaten zustande
kommt, wobei der Bundesrat gemäß den Artikeln 77, 78 zu
beteiligen ist, so können die Vertrauensleute der Volksinitia-
tive die Durchführung eines Volksbegehrens einleiten.

Zu Absatz 2

Nach Einleitung des Volksbegehrens kann der Gesetzent-
wurf der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterzogen
werden. Antragsberechtigt sind die Bundesregierung, eine
Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Bundes-
tages. Diese vorgezogene Normenkontrolle ermöglicht, dass
grundgesetzwidrige Entwürfe schon vor Abschluss des auf-
wändigen Volksbegehrens bzw. vor Durchführung des
Volksentscheids gestoppt werden können. Dies gilt sowohl
für die Voraussetzung der Bundeszuständigkeit als auch für
sämtliche materiellen verfassungsrechtlichen Grenzen. So
kann ein Gesetzentwurf, der gegen Grundrechte verstößt, be-
reits in diesem Stadium scheitern.

Zweck der antizipierten Normenkontrolle ist es auch, den
weiteren Verfahrensgang von verfassungsrechtlichen Strei-
tigkeiten zu entlasten und der Enttäuschung vorzubeugen,
die bei der Verwerfung eines volksbegehrten oder -beschlos-
senen Gesetzes zu einem späteren Zeitpunkt entstünde.

Zu Absatz 3

Der eigentliche Test für die Relevanz des Gesetzentwurfs
und seine Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern ist das
Erreichen der für das Volksbegehren erforderlichen Unter-
stützung. Fünf Prozent der Stimmberechtigten, d. h. rund
drei Millionen Bürgerinnen und Bürger müssen das Anlie-
Instrument der globalen Steuerung durch das Haushaltsge-
setz, welches dem Parlament vorbehalten bleibt.

gen der Initiatoren für so wichtig halten, dass sie innerhalb
von sechs Monaten eine Volksabstimmung begehren.

Drucksache 16/680 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Zu Artikel 78c

Zu Absatz 1

Nach Zustandekommen des Volksbegehrens kann das Parla-
ment das begehrte Gesetz innerhalb von sechs Monaten ver-
abschieden und damit das Verfahren beenden.

Der Zeitraum von sechs Monaten reicht, um Abstimmungen
während ungünstiger Zeiten zu vermeiden und ggf. mehrere
Abstimmungen zusammenzufassen oder mit einem Wahlter-
min zu verbinden. Zudem ist diese Zeit eine weitere Infor-
mations- und Werbephase für Befürworter wie Gegner des
Gesetzentwurfs.

Wenn das Parlament den Gesetzentwurf nicht verabschiedet,
findet – ohne weiteren Antrag – ein Volksentscheid statt.

Zu Absatz 2

Die Verzahnung von parlamentarischer und direktdemokra-
tischer Gesetzgebung wird in der Phase des Volksentscheids
dadurch erreicht, dass der Deutsche Bundestag einen eige-
nen Gesetzentwurf zum gleichen Gegenstand zur gleichzei-
tigen Abstimmung stellen kann. An diesem wirkt der Bun-
desrat entsprechend Artikel 77 mit. Dieses Verfahren ist
geeignet, die Diskussion um die beste Lösung und die Kom-
promissfindung zu fördern.

Zu Absatz 3

Bei Gesetzen, für die eine verfassungsändernde Mehrheit er-
forderlich ist, kann der Deutsche Bundestag beschließen,
dass ein Volksentscheid stattfindet. Zu diesen Gesetzen ge-
hören solche, die den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrück-
lich ändern oder ergänzen. Aber auch Zustimmungsgesetze
zu völkerrechtlichen Verträgen, durch die im Zusammenhang
mit der Europäischen Union Hoheitsrechte übertragen werden
oder das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder
ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen
ermöglicht werden, fallen unter die Gesetze, für die eine
verfassungsändernde Mehrheit erforderlich ist. Der Vorlage-
beschluss bedarf einer qualifizierten Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder des Bundestages und der Zustim-
mung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Das
Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit stellt sicher, dass
nur bei Gesetzen, die nach breiter parlamentarischer Über-
zeugung eine wichtige politische Weichenstellung darstellen
und außerdem die direkte Zustimmung und Unterstützung
der Bevölkerung haben sollten, ein Volksentscheid möglich
ist.

Zu Absatz 4

Ein einfaches Gesetz kommt durch Volksentscheid zustande,
wenn sich die Mehrheit der Abstimmenden dafür ausspricht.
Das zusätzliche Erfordernis, dass diese Mehrheit mindestens
fünfzehn Prozent der Wahlberechtigten umfassen muss, ver-
hindert, dass sich partikulare Sonderinteressen einer kleinen
Minderheit durchsetzen können. Gewährleistet wird zu-
gleich, dass das Abstimmungsergebnis nicht durch Hinweis
auf eine zu geringe Abstimmungsbeteiligung in Frage ge-
stellt werden kann. Anliegen von bundesweiter Bedeutung

satz zu einem alternativ denkbaren Beteiligungsquorum
gewährleistet ein Zustimmungsquorum, dass jede Stimme
im Ergebnis nur die gleichartigen Stimmen verstärkt. Bei
einem Beteiligungsquorum können die in der Minderheit
gebliebenen Stimmen der Mehrheit zugute kommen, indem
sie der Abstimmung über die Mindestbeteiligungshürde
helfen. Die Minderheit hätte daher in einem solchen Falle
ihrem Anliegen mehr gedient, wenn sie den Urnengang ver-
weigert hätte. Das wäre keine Einladung zur Demokratie.

Zu Absatz 5

Für Verfassungsänderungen gelten höhere Quoren. Diese
Regelung entspricht der erschwerten Abänderbarkeit der
Verfassung im parlamentarischen Verfahren. Die Verfassung
als Grundlage der Rechtsordnung und des politischen Pro-
zesses soll nur dann durch Volksentscheid geändert werden
können, wenn ein breiter gesellschaftlicher Konsens besteht.
Deshalb benötigt eine Verfassungsänderung eine Mehrheit
von zwei Dritteln der Abstimmenden, die mindestens ein
Viertel der Wahlberechtigten umfasst. Durch diese Voraus-
setzungen ist die Verfassung vor nicht hinreichend durch-
dachten Änderungen geschützt.

Nach Satz 2 gelten diese erhöhten Anforderungen nicht für
Volksentscheide im Zusammenhang mit der Änderung von
vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union und für
vergleichbare Regelungen, durch die das Grundgesetz sei-
nem Inhalt nach geändert wird oder ergänzt wird oder solche
Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden. Für
diese Volksentscheide, die nur auf Vorlagebeschluss des
Deutschen Bundestages mit Zustimmung des Bundesrates
und jeweils erforderlicher Zweidrittelmehrheit durchgeführt
werden können, gelten die Regelungen des Absatzes 4. Für
den Gesetzesbeschluss ist die Mehrheit der Abstimmenden
erforderlich, sofern diese Mehrheit mindestens fünfzehn
Prozent der Wahlberechtigten umfasst.

Zu Absatz 6

Diese Regelung trägt dem bundesstaatlichen Aufbau der
Bundesrepublik Deutschland Rechnung. Vorbild für die
Länderbeteiligung beim Volksentscheid ist das bewährte
Modell des schweizerischen „Volks- und Ständemehr“
(Artikel 142 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweize-
rischen Eidgenossenschaft). Bei Verfassungsänderungen
und bei Gesetzen, die im parlamentarischen Verfahren der
Zustimmung des Bundesrates bedürften (zustimmungs-
pflichtige Gesetze) werden die Stimmen doppelt gezählt:
Das Ergebnis in einem Land gilt als die Abgabe seiner Bun-
desratsstimmen. Demnach muss bei zustimmungspflichtigen
Gesetzen die Mehrheit der Abstimmenden in so vielen Län-
dern dem Gesetzentwurf zustimmen, dass deren Stimmen
einer Mehrheit im Bundesrat entsprechen. Bei Verfassungs-
änderungen ist die Mehrheit in so vielen Ländern erforder-
lich, dass deren Stimmen einer Zweidrittelmehrheit im
Bundesrat entsprechen.

Diese Regelung fügt den Volksentscheid in das föderale Sys-
tem der Bundesrepublik Deutschland ein. Die Gewichtung
der Bundesländer im Bundesrat bei der parlamentarischen
und allgemeinem politischem Interesse haben jedoch gute
Chancen, das Zustimmungsquorum zu erreichen. Im Gegen-

Gesetzgebung setzt sich im Abstimmungsverfahren des
Volksentscheids fort.

Deutscher Bundestag – 16. Drucksache 16/680
Wahlperiode – 7 –

Die erforderliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzge-
bung (Artikel 79 Abs. 3) ist hierdurch sichergestellt. Denn
Artikel 79 Abs. 3 erklärt nur die grundsätzliche Mitwirkung
für unantastbar und garantiert weder den bisherigen Umfang
noch das bestehende Verfahren der ausschließlichen Mitwir-
kung durch den Bundesrat.

Da beim Volksentscheid die Bürgerinnen und Bürger unmit-
telbar und nicht vermittelt durch Repräsentativorgane ent-
scheiden, kann die Mitwirkung der Länder ebenfalls nur
unmittelbar erfolgen. Die Berücksichtigung der Abstim-
mungsergebnisse in den einzelnen Bundesländern realisiert
somit deren erforderliche Mitwirkung.

Zu Artikel 78d

Die Einzelheiten des Verfahrens der Volksgesetzgebung sind
in einem besonderen Bundesgesetz zu regeln, das wegen der
Möglichkeit von Volksentscheiden auch in der Zustimmung
des Bundesrates obliegenden Bereichen selbst dessen Zu-
stimmung bedarf. Neben Verfahrensfragen und Einzelheiten
der Rechtsstellung der Initiativen und ihrer Vertrauensleute
werden in diesem Gesetz auch Regelungen zur Information
der Abstimmenden über Inhalte und Gründe der Gesetzent-
würfe sowie Regelungen zur Kostenerstattung getroffen
werden müssen.

Zu Nummer 4 (Artikel 79 Abs. 2)

Es wird klargestellt, dass die Verfassung auch durch Volks-
entscheid geändert werden kann.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt gemäß Artikel 82 Abs. 2 Satz 1 des
Grundgesetzes das Inkrafttreten des Gesetzes.

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