BT-Drucksache 16/6796

Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert

Vom 24. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6796
16. Wahlperiode 24. 10. 2007

Antrag
der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster),
Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Fragen der Sicherheit der Energieversorgung und der Ausstattung der deutschen
Wirtschaft mit energetischen Rohstoffen zu wettbewerbsfähigen Preisen sind
von zentraler Bedeutung für den Industriestandort Deutschland. Bis 1998 wur-
den wichtige Weichenstellungen in der deutschen Energie- und Außenpolitik
auch im Hinblick auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit diesen
Gütern vorgenommen. Es bedurfte und bedarf deshalb insbesondere einer engen
Abstimmung zwischen Energie-, Umwelt-, Außen-, Entwicklungs- und Sicher-
heitspolitik, um eine konsistente Energieaußenpolitik zu formulieren. Dies gilt
umso mehr angesichts völlig neuer Herausforderungen durch den Klimawandel
und die Globalisierung. Leider ist eine solche strategische Weichenstellung
durch die Bundesregierung in Deutschland gegenwärtig nicht zu erkennen.

Gerade die aktuellen Debatten über Fragen der Klimapolitik und die Vorlage des
jüngsten Berichtes des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)
haben zwar richtigerweise dazu geführt, dass die Vereinbarkeit von Klimaschutz
und wirtschaftlicher Energieversorgung im Rahmen der so genannten Energie-

gipfel der Bundesregierung medial breiten Raum eingenommen hat. Die nicht
minder wichtigen Fragen der Sicherheit unserer Energieversorgung sind dem-
gegenüber aber leider in den Hintergrund getreten. Wie schon die Vorgänger-
regierung hat auch die Koalition der CDU, CSU und SPD nach nunmehr zwei
Jahren im Amt noch immer keine zusammenhängende Strategie für die natio-
nale und europäische Energiepolitik vorgelegt. Dies ist umso erstaunlicher, als
auch die Sicherheit unserer Energieversorgung in jüngster Zeit durch verschie-

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dene Entwicklungen in Frage gestellt wurde. So sollte neben dem beträchtlichen
Nachfragesog nach energetischen Rohstoffen durch die sich rasant entwickeln-
den Volkswirtschaften in Asien (insbesondere China und Indien) vor allem auch
die Zunahme zwischenstaatlicher Konflikte über Fragen der Energieversorgung,
wie zu Beginn der Jahre 2006 und 2007 zwischen Russland und der Ukraine
bzw. Russland und Weißrussland, deutlich gemacht haben, dass Energiepolitik
nicht isoliert aus nationaler Perspektive betrachtet werden kann. Vielmehr müs-
sen nationale Richtungsentscheidungen, die, wie das sogenannte Integrierte
Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung, großen Einfluss auf Ener-
giemix und Energiekosten haben, im Einklang gesehen werden mit außen- und
sicherheitspolitischen Gesichtspunkten.

Selbst wenn es gelänge, die dort aufgestellten ehrgeizigen deutschen Klimaziele
in Sachen CO2-Reduzierung, Energieeffizienz und Ausbau der erneuerbaren
Energien tatsächlich zu erreichen, was zum jetzigen Zeitpunkt keineswegs
gewiss ist, wird die deutsche Volkswirtschaft noch weit bis in die Mitte des
21. Jahrhunderts von der Verfügbarkeit energetischer Rohstoffe wie Erdöl,
Kohle und Erdgas abhängig bleiben. Der Atomausstieg und die Kostenbelastung
der CO2-Emissionen als Lenkungsinstrument des Emissionshandels können die
Abhängigkeit von einzelnen Energieträgern wie z. B. Erdgas noch empfindlich
erhöhen. So schätzt beispielsweise die Internationale Energieagentur (IEA),
dass die gesamte EU im Jahre 2030 bei Erdgas zu 70 Prozent von Energieimpor-
ten abhängig sein wird. Deutschland bezog schon im Jahre 2006 34 Prozent
seiner Rohölimporte und 35 Prozent seiner Erdgasimporte allein aus Russland.
Angesichts der gegenwärtigen Rahmenbedingungen werden sich diese Zahlen
für Deutschland weiter erhöhen.

Gleichzeitig wird diese Situation einer starken Importabhängigkeit bei energeti-
schen Rohstoffen zusätzlich dadurch verschärft, dass den europäischen Energie-
unternehmen, die sich auf mehr oder weniger liberalisierten Märkten bewegen,
auf der Angebotsseite meist staatliche oder semistaatliche Akteure gegenüber-
stehen. So befinden sich 80 bis 85 Prozent der globalen Erdöl- und 60 Prozent
der globalen Erdgasreserven in der Hand derartiger Staatsunternehmen. Allein
40 Prozent der globalen Gasreserven werden von nur drei Unternehmen (Gaz-
prom, National Iranian Oil Company (NIOC) und Qatar Petroleum) kontrolliert.
Auch in Ostasien werden rund 60 bis 70 Prozent aller Ölimporte über staatliche
oder semistaatliche Ölkonzerne abgewickelt. Gazprom kontrolliert als die welt-
weit größte Fördergesellschaft über 60 Prozent der nachgewiesenen Erdgasvor-
kommen in der Russischen Föderation. Zugleich betreibt das Unternehmen alle
russischen Pipelines und verfügt über ein Exportmonopol, aus dem rund ein
Viertel der russischen Steuereinnahmen resultieren. Im Ergebnis führt dies zu
asymmetrischen Handelsbeziehungen zwischen privaten Unternehmen auf libe-
ralisierten europäischen Märkten einerseits und staatlich kontrollierten Konzer-
nen andererseits, bei denen rationale betriebswirtschaftliche Interessen unter
Umständen durch politische Zielsetzungen ergänzt werden. Dieses Problem
lässt sich im Übrigen auch hinsichtlich der Energieinfrastrukturen beobachten.
So verlaufen ca. 80 Prozent der europäischen Erdgasimporte durch die Ukraine.
Selbst nach Fertigstellung der Ostseepipeline „Nordstream“ werden es immer
noch 66 Prozent sein. Gleichzeitig steigen auch die Gefahren, die sich aus der
Verwundbarkeit maritimer Energietransporte im Zuge der absehbaren Auswei-
tung des Flüssigerdgasvolumens (Schätzungen gehen von einer Verdoppelung
des Produktionsvolumens bis zum Jahre 2010 auf dann 375 Mrd. m3 aus) erge-
ben. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf strategische Nadelöhre wie den
Bosporus, die Straße von Hormus oder die Malakka-Straße.

Vor diesem Hintergrund bergen Fragen der Energiesicherheit und Energieaußen-
politik großes internationales Konfliktpotential, aber eben auch Chancen für alle

Nationen. Für Deutschland und Europa wird von entscheidender Bedeutung
sein, ob und wie die entstandenen Zielkonflikte zwischen verschiedenen Politik-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6796

feldern aufgelöst werden können. Es sind dies z. B. die Konflikte, die sich er-
geben aus einer an Markt und Wettbewerb orientierten Energiepolitik im euro-
päischen Binnenmarkt einerseits und einer nationalen Ressourcenstrategie mit
nichtökonomischen Zielen im Hintergrund andererseits. Denkbar sind auch
Konflikte, die resultieren aus Widersprüchen zwischen entwicklungs- oder um-
weltpolitischen Zielsetzungen zum einen und Erfordernissen der Energieversor-
gungssicherheit zum anderen. Um diese Zielkonflikte, wenn nicht aufzulösen,
so doch zu mildern, bedarf es endlich einer stimmigen Gesamtstrategie in der
Energieaußenpolitik. Diese sollte sich an den folgenden Grundgedanken orien-
tieren:

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein konsistentes deutsches Energieprogramm vorzulegen, dessen Ziel es auch
sein muss, die nationale Abhängigkeit vom Import energetischer Rohstoffe
nach Risikogesichtspunkten zu diversifizieren und zu reduzieren. Hierzu be-
darf es keines planwirtschaftlichen Programms mit technologieselektiven
Fördermaßnahmen für einzelne Energieträger, sondern vielmehr eines markt-
konformen und technologieoffenen Ansatzes, der gleichzeitig der Klimapro-
blematik Rechnung trägt. Modelle, wie die Entwicklung eines globalen Koh-
lenstoffmarktes aus dem bereits bestehenden Emissionshandelssystem unter
Einbeziehung weiterer Sektoren, wie insbesondere des Wärme- und Ver-
kehrsmarktes, sind am besten geeignet, dem Ziel einer verbesserten Versor-
gungssicherheit durch sukzessiven Umstieg auf erneuerbare Energien und
einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen zugleich gerecht zu werden.
Es geht also auch darum, das Ziel einer sicheren Energieversorgung systema-
tisch und verbindlich mit dem Ziel des Klimaschutzes zu verknüpfen. Vor
allem aber können hier die Innovationspotentiale der Marktwirtschaft weit
besser genutzt werden als bei gleichzeitiger Verfolgung einer Vielzahl von
häufig widerstreitenden ordnungsrechtlichen Einzeleingriffen und Subventi-
onsgesetzen. Letztlich aber ruhen auf der Nachfrageseite die größten Poten-
tiale, um einseitige Abhängigkeiten und internationale Konflikte zu vermei-
den;

2. die Versorgung Deutschlands durch einen breiten Energiemix ohne Diskrimi-
nierung bestimmter Technologien für die Zukunft sicherzustellen. Daher ist
der Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie zu revidieren. Die Über-
gangstechnologie Kernenergie ist so lange unverzichtbar, wie erneuerbare
Energien im Grundlastbereich oder Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung
(CCS-Technologien) noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung ste-
hen. Die Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke sollten sich am Kriterium
der Sicherheit sowie an betriebswirtschaftlichen Erwägungen orientieren.
Ein Verzicht auf die fast CO2-freie Stromerzeugung aus Kernenergie wird
zwangsläufig zu höheren Kosten und einer wesentlich erhöhten Abhängig-
keit von Erdgasimporten aus wenigen Lieferländern führen. Angesichts die-
ser Unsicherheiten zum jetzigen Zeitpunkt auf Kernenergie zu verzichten, ist
weder klima- und wirtschaftspolitisch noch sicherheitspolitisch zu verant-
worten. Außerhalb des Strombereichs – also beim Heizen und im Verkehr –
sind dagegen erneuerbare Energien, Energieeffizienz und technologische In-
novationen die einzigen Wege zur Erhöhung der Versorgungssicherheit;

3. Ziele der Energieaußenpolitik stärker in der deutschen Außenwirtschafts-
politik zu berücksichtigen. Dazu bedarf es einer gezielten Begleitung deut-
scher Unternehmen, die in vielen Bereichen energierelevanter Technologien
weltweit führend sind, durch die Politik, insbesondere wenn es um die Er-
schließung neuer Märkte und die Gewährleistung sicherer Investitionsbedin-
gungen geht. Das gilt insbesondere für die Nutzung erneuerbarer Energien in

den Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Exportförderung im Bereich

Drucksache 16/6796 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

der erneuerbaren Energien muss deshalb verstärkt und die Nutzung erneuer-
barer Energien, insbesondere auch deutscher Solar-Hightech, explizit und
nachdrücklicher als bisher in die Entwicklungszusammenarbeit und die Au-
ßenhandelsförderung Deutschlands eingebunden werden;

4. einem Klimaschutzregime, das effektiv, wettbewerbskonform und kostenef-
fizient ist, hohe Priorität in der deutschen Außenpolitik einzuräumen. Der
Kyoto-Prozess muss um eine globale Technologiezusammenarbeit ergänzt
werden, denn dies ist eine Voraussetzung dafür, die großen Schwellenländer
wie China und Indien für ein Post-Kyoto-Abkommen zu gewinnen. Im Rah-
men der internationalen Klimapolitik sind zur Senkung der volkswirtschaft-
lichen Kosten auch in Deutschland die Nutzung der projektorientierten Me-
chanismen des Kyoto-Protokolls (CDM und JI) sowie die Anrechnung von
CO2-Senken von hoher Bedeutung. Es gilt, darauf hinzuwirken, dass die
flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls verstärkt mit Projekten zur
Nutzung erneuerbarer Energien in den Schwellen- und Entwicklungsländern
genutzt werden (siehe Anträge der Fraktion der FDP auf Bundestagsdruck-
sache 16/1565 („Exportaktivitäten deutscher Unternehmen im Technologie-
bereich erneuerbarer Energien sachgerecht unterstützen“) und auf Bundes-
tagsdrucksache 16/4610 („Internationale und europäische Klimaschutzoffen-
sive 2007“));

5. auf nationaler wie europäischer Ebene Rahmenbedingungen herzustellen, die
einen Ausbau der grenzüberschreitenden Netzkapazitäten für Strom und Erd-
gas in großem Umfang ermöglichen. Hierzu sind neben planungsrechtlichen
Voraussetzungen insbesondere auch die entsprechenden europäischen Rege-
lungen zur Engpassbewirtschaftung der Grenzkuppelstellen dringend zu
überarbeiten gemäß den Vorschlägen der Fraktion der FDP auf Bundestags-
drucksache 16/3346 („Engpässe beim grenzüberschreitenden Stromhandel
abbauen – Wettbewerb auf dem Elektrizitätsmarkt intensivieren“). Es kann
nicht länger hingenommen werden, dass die deutschen Netzbetreiber z. B. im
Jahre 2005 etwa 334 Mio. Euro aus dem Engpassmanagement einnahmen,
aber gleichzeitig zwischen 2002 und 2005 insgesamt nur rund 25 Mio. Euro
in den Ausbau grenzüberschreitender Verbindungsleitungen investiert wur-
den. Eine Diversifizierung der Bezugsquellen und Transitwege für energe-
tische Rohstoffe hat aber auch Rückwirkungen auf die Transitinfrastruktur
innerhalb des Binnenmarktes und erfordert entsprechende Maßnahmen. So
ist z. B. an eine engere Zusammenarbeit der europäischen Übertragungsnetz-
betreiber, die verstärkte Heranziehung von EU-Struktur- und Kohäsions-
fonds im Rahmen des TEN-Programms (TEN: Trans-European Networks)
und gemeinsame europäische Sicherheits- und Zuverlässigkeitsstandards zu
denken. Darüber hinaus ist dies eine wesentliche Voraussetzung, um im Kri-
senfalle europäische Solidaritätsmechanismen in Gang zu setzen bzw. um
Infrastrukturverwundbarkeiten zu reduzieren;

6. ein integriertes Konzept zur Sicherung kritischer Energieinfrastrukturen vor-
zulegen. Nur bei Betrachtung der gesamten Lieferkette energetischer Roh-
stoffe von der Exploration bis zum Vertrieb von Strom und Gas können die
neuralgischen Punkte innerhalb der Kette, aber auch die kritischen Infra-
strukturen an sich identifiziert werden. Im Zeitalter global agierender Terror-
organisationen müssen diese kritischen Infrastrukturen und Transitwege
sorgsam identifiziert werden und Konzepte für ihren Schutz bzw. die Ab-
federung von Lieferunterbrechungen entworfen werden. Neben nationalen
Maßnahmen, wie die zunehmende Dezentralisierung der Energieversorgung,
die Vorhaltung von militärischen wie zivilen Fähigkeiten, um im Krisenfall
auf die Beeinträchtigung dieser Infrastrukturen reagieren zu können, ist ins-
besondere die Abstimmung mit den europäischen und transatlantischen Part-

nern in diesen Fragen von großer Bedeutung. Energieinfrastruktursicherheit
sollte deshalb nicht nur auf nationaler Ebene Gegenstand eingehender

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/6796

Analysen und Krisenreaktionskonzepten sein, sondern im Rahmen von EU
und NATO eingehend erörtert werden;

7. die Durchsetzung eines freien Wettbewerbsbinnenmarktes für Energie auf
europäischer Ebene entschieden voranzutreiben. Nur wenn die europäischen
Märkte für Energie und Energiedienstleistungen weiter entschlossen libera-
lisiert werden und in einem Binnenmarkt aufgehen, werden auch europäische
Unternehmen entstehen können, die über die entsprechenden Ressourcen
verfügen, um auf globaler Ebene mit den großen Energieexporteuren auf
Augenhöhe zu verhandeln. Es bedarf deshalb keiner staatlichen Regie zur
Bildung so genannter nationaler oder europäischer Champions, vielmehr
werden global wettbewerbsfähige Unternehmen gerade durch die ordnungs-
politische Herbeiführung eines liberalisierten Wettbewerbsmarktes für Ener-
gie in Europa entstehen. Hierfür ist insbesondere auch eine Stärkung der eu-
ropäischen Wettbewerbsaufsicht erforderlich, um protektionistische Tenden-
zen zum Schutze nationaler Unternehmen in den Mitgliedstaaten, wie sie zu-
letzt zu beobachten waren, zu verhindern. Hierzu sind die Einführung eines
europäischen Kartellamtes und weltweiter Wettbewerbsregeln im Rahmen
der Welthandelsorganisation (WTO) unabdingbar. Asymmetrische Wirt-
schaftsbeziehungen mit wettbewerbsausgesetzten privaten Unternehmen im
europäischen Binnenmarkt auf der einen Seite und vorwiegend staatlichen
bzw. semistaatlichen Anbietern in den Angebotsländern für energetische
Rohstoffe auf der anderen Seite müssen nicht zwangsläufig zu Konflikten
führen. Entscheidend sind vielmehr die zugrunde liegenden Handelsregeln.
Die europäischen Staaten dürfen sich von der Renationalisierung von Export-
industrien in einigen Ländern nicht dazu verleiten lassen, in Protektionismus,
Staatswirtschaft und nationale Ressourcenpolitik zurückzufallen. Vielmehr
ist die erfolgreiche Durchsetzung eines Energiebinnenmarktes der 27 EU-
Mitgliedstaaten gerade die Voraussetzung, um den Bemühungen Europas um
internationale Standards auf den Weltenergiemärkten Gewicht zu verleihen
und dort mit einer Stimme zu sprechen. Eine integrierte europäische Energie-
gemeinschaft ist darüber hinaus viel eher in der Lage, transparente Marktbe-
dingungen mit harmonisierten Umwelt-, Handels- und Transitregeln über die
Gemeinschaft hinaus in die Anrainerregionen zu exportieren und auch so ihre
Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Hier kann ein riesiges europäisches
Marktgebiet positive Sogwirkungen entfalten, die wettbewerblichen Stan-
dards förderlich sind. Die Nachbarschaftsinstrumente und Partnerschaftspro-
gramme der EU sollten hierfür zielgerichtet eingesetzt werden;

8. ein umfassendes Konzept zur Herstellung von Rahmenbedingungen vorzu-
legen, die eine Diversifizierung der Bezugsquellen und Transitwege für ener-
getische Rohstoffe durch europäische Unternehmen erleichtern. Dazu gehört
neben der Erleichterung von großen Infrastrukturplanungsvorhaben wie Öl-
bzw. Gaspipelines auf deutscher und europäischer Ebene auch die Unterstüt-
zung von Unternehmen bei der Erschließung von Ressourcen durch die
Instrumente der Außenwirtschaftsförderung. Nur wenn es gelingt, durch die
Erschließung neuer Ressourcen und die Schaffung entsprechender Infra-
strukturen den Wettbewerb auf der Angebotsseite zu intensivieren, können
die Gefahren zu hoher Preissetzungen durch einzelne Anbieter gebannt wer-
den. So kommt dem massiven Ausbau der Flüssigerdgaskapazitäten auf
Angebots- und Nachfrageseite ebenso große Bedeutung zu wie der Erschlie-
ßung neuer Transitwege für energetische Rohstoffe aus Zentralasien oder
dem Nahen Osten sowie Netzkapazitäten zum Import regenerativ erzeugten
Stroms aus dem Mittelmeerraum und Nordafrika. Diese Projekte können
überdies durch eine Anbindung an die europäischen Nachfrager auch vertrau-
ensbildend wirken und Spannungen auf anderen sicherheitspolitischen Fel-

dern entschärfen helfen;

Drucksache 16/6796 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

9. sich für eine verstärkte Zusammenarbeit der EU-Länder in Energiefragen
einzusetzen. Ziel einer europäischen Energiegemeinschaft sollte nicht nur
das gemeinsame Bemühen um internationale Standards, sondern auch die
koordinierte Reaktion auf Versorgungsunterbrechungen sein. So ist es not-
wendig, die Bevorratung von Erdöl- und vor allem Erdgasreserven europa-
weiten Standards zu unterwerfen, um im Krisenfalle einen Solidaritäts-
mechanismus in Gang setzen zu können, der alle Mitgliedstaaten vor den
Konsequenzen von Lieferunterbrechungen in einzelnen Regionen schützt.
Von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Instrumente für eine
Krisenvorsorge dürfen jedoch nicht zu neuer unangemessener Bürokratie
führen. Energiesicherheit und Klimaschutz müssen im Sinne des von der
Europäischen Kommission am 10. Januar 2007 vorgelegten Maßnahmen-
pakets „Energy for a Changing World“ und der Vorschläge der Europäi-
schen Kommission zu einer Energiepolitik für Europa integriert werden;

10. die Europäische Kommission in ihren Bemühungen um die Herstellung von
fairen Wettbewerbsregeln auf den internationalen Energiemärkten nachhal-
tig zu unterstützen. Es liegt im elementaren deutschen Interesse, die Ver-
handlungen über eine Energiecharta zügig abzuschließen. Es liegt auf der
Hand, dass derartige Abkommen nur auf Basis von Gegenseitigkeit zu-
stande kommen können, d. h. gegenseitiger Marktzugang und die Gewähr-
leistung von Investitionssicherheit müssen die Eckpfeiler derartiger Ab-
kommen bilden, die, wo immer dies möglich ist, anknüpfen können an
entsprechende WTO-Regeln und deren Streitbeilegungsmechanismen. Die
besonderen Schwierigkeiten, denen der Energiecharta-Prozess bisher be-
gegnet ist, sollten Bundesregierung und Europäische Kommission stärker
als bisher veranlassen, zunächst in Verhandlungen mit den großen Energie-
nachfragern wie den USA, China, Indien, Japan und Europa einzutreten, um
sich auf gemeinsame Interessen zu verständigen, die dann in einem institu-
tionalisierten und ständigen Dialog mit den Produzentenländern, z. B. im
Rahmen des internationalen Energieforums (IEF), gemeinsam vertreten
werden können. Entscheidend wird sein, dass das aus Abkommen zur
gegenseitigen Investitionssicherheit resultierende Vertrauen nicht dadurch
enttäuscht wird, dass Investitionen europäischer wie außereuropäischer
Unternehmen in einzelnen Mitgliedstaaten durch protektionistische Regel-
werke unterbunden werden. Ein Upstream-Engagement europäischer Un-
ternehmen in den Angebotsländern wird dort nur dann auf Verständnis
stoßen, wenn ein Downstream-Engagement ihrer Unternehmen in Europa
gleichfalls möglich ist;

11. die gemeinsame europäische wie die deutsche Energieforschung weiter aus-
zubauen, wobei Forschungsschwerpunkte insbesondere dort zu bilden sind,
wo neue technologische Verfahren zur Verbesserung der Versorgungssicher-
heit und des Klimaschutzes beitragen. Dies ist neben der Energieeffizienz-
und Fusionsforschung insbesondere auch im Bereich der erneuerbaren
Energien und der Speicherung der von ihnen erzeugten Energie der Fall. Die
nationale Umsetzung einer Energieforschungsoffensive sollte sich insbe-
sondere an den Vorschlägen der Fraktion der FDP auf Bundestagsdruck-
sache 16/5729 („Deutschland, Energieland der Zukunft – Energieforschung
und Wettbewerb stärken“) orientieren.

Berlin, den 24. Oktober 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/6796

Begründung

Für eine hochindustrialisierte Gesellschaft wie die deutsche ist die sichere und
preisgünstige Versorgung mit Energie eine elementare Lebensquelle. Vor dem
Hintergrund der Gefahr einer globalen Erwärmung muss jedoch der Energieträ-
germix zur Erzeugung von Strom und Wärme sukzessive abgekoppelt werden
von fossilen energetischen Rohstoffen. Dies gelingt am Besten durch einen
Marktrahmen, der die energieerzeugenden Unternehmen zwingt, externe Kosten
wie die Emission von Treibhausgasen in ihre Kalkulation mit aufzunehmen.

Gleichzeitig darf aber nicht übersehen werden, dass die diesbezüglichen Pro-
zesse Jahrzehnte in Anspruch nehmen werden, bevor von einer weitgehend
treibhausgasneutralen Energieerzeugung gesprochen werden kann. Zumindest
mittelfristig werden die deutschen und europäischen Volkswirtschaften deshalb
auf fossile Energierohstoffimporte angewiesen bleiben. Um die Sicherheit die-
ser Importe zu gewährleisten, bedarf es einer politikfeldübergreifenden Analyse
und einer ressortabgestimmten Strategie. Nationale Politik allein kann hier nur
wenig ausrichten. Gleichwohl muss auch Deutschland seine Hausaufgaben
machen. So ist es unabdingbar, sich aus einer ideologisch fixierten Politikstrate-
gie zu befreien, die zu klimapolitisch schlechten Ergebnissen bei extrem hohen
Kosten und gleichzeitig zu einer immer größeren Importabhängigkeit von ener-
getischen Rohstoffen aus bestimmten Lieferländern führt. Als Grundlage aller
energiepolitischen Weichenstellungen muss endlich ein abgestimmtes und kon-
sistentes energiepolitisches Grundsatzprogramm vorliegen, das auch den Fragen
der Versorgungssicherheit und der Einbettung Deutschlands in globale Abhän-
gigkeitsmuster Rechnung trägt. Es müssen in diesem Zusammenhang Hand-
lungsoptionen erarbeitet werden, die für den Fall von krisenhaften Unterbre-
chungen von Lieferbeziehungen zur Verfügung stehen. Voraussetzung dafür ist
aber zunächst einmal, dass überhaupt kritische Infrastrukturen und Handelsbe-
ziehungen als solche identifiziert werden. Im Anschluss daran müssen Kompe-
tenzen und Fähigkeiten entwickelt werden, die diesen potentiellen Verwundbar-
keiten ausreichend Rechnung tragen.

Dazu gehören insbesondere Strategien der Diversifizierung von Bezugsquellen
wie Transitwegen für energetische Rohstoffe. Diese Strategien zu entwickeln, ist
in liberalisierten Märkten in erster Linie die Aufgabe von privaten Unterneh-
men, die ihre Risiken entsprechend kalkulieren müssen. Öffentliches Handeln
ist gerade dort gefordert, wo es national wie international gilt, einen Rechtsrah-
men für diese Strategien zur Verfügung zu stellen. So müssen Diversifizierungs-
bemühungen im Hinblick auf die Erschließung neuer Ressourcenmärkte unter-
füttert werden durch die Herstellung möglichst umfassender Rechtsrahmen
durch internationale Abkommen. Klar ist, dass die Zeiten des Energiebilateralis-
mus sich dem Ende zuneigen und die Länder Europas entsprechende Vereinba-
rungen mit anderen Wirtschaftsräumen oder Ländern nur bewerkstelligen kön-
nen, wenn sie gemeinsam agieren. Aber gerade hier stehen auch die Chancen
nicht schlecht, dass entschlossenes Handeln der Europäer in diesem Bereich
auch positive Rückwirkungen auf andere Politikfelder haben könnte. Schließ-
lich sind Beziehungen zwischen großen Energienachfragern und -anbietern stets
Beziehungen auf Gegenseitigkeit. Nicht nur wird Europa Prognosen zufolge
auch noch im Jahre 2030 mit dann bis zu 500 Mrd. m3 der weltgrößte Erdgas-
importeur bleiben, es wird damit auch der größte Markt für Erdgas sein. Daraus
ergibt sich eben nicht nur ein Interesse Europas an sicheren Lieferverträgen, son-
dern auch ein Interesse zahlreicher Anbieter, Zugang zu diesem Markt zu erhal-
ten. Dieses Interesse der Exportländer wird zusätzlich verstärkt durch ihre An-
gewiesenheit auf Direktinvestitionen und Know-how, um ihre Bodenschätze
überhaupt erschließen zu können. Hierin liegt ein gemeinsames Interesse, das
durch die Schaffung von ökonomischen Interdependenzen außen-, sicherheits-,

entwicklungs- und energiepolitische Ziele verbinden kann.

Drucksache 16/6796 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Letztlich entscheidend wird sein, dass Europa und Deutschland sich ihrer
Stärken und Schwächen klar bewusst werden. Abhängigkeiten und Potentiale,
Chancen und Risiken von Energieaußenbeziehungen müssen klar abgewogen
werden. Im Resultat muss dies in eine Strategie münden, die politikfeldübergrei-
fend die Chancen zu nutzen weiß, ohne die Risiken zu übersehen. Einseitige Ab-
hängigkeiten, die zur politischen Erpressbarkeit führen können, müssen vermie-
den werden und Diversifikation im Erzeugungsmix wie bei den Bezugsquellen
und Transitwegen ist auf europäischer Ebene anzustreben. Gleichzeitig müssen
Krisenpräventions- und -reaktionsmechanismen entwickelt werden, die auf
allen Ebenen der Energieaußenbeziehungen ansetzen.

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