BT-Drucksache 16/6793

Freie Schulen zum Gegenstand deutscher Bildungsforschung machen

Vom 24. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6793
16. Wahlperiode 24. 10. 2007

Antrag
der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Uwe Barth, Cornelia Pieper, Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Volker
Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der
Fraktion der FDP

Freie Schulen zum Gegenstand deutscher Bildungsforschung machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Artikel 7 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) legt fest: „Das Recht zur Errichtung
von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffent-
liche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Lan-
desgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in
ihren Lernzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbil-
dung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und
eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht ge-
fördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und
rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.“

Schulen in freier Trägerschaft erfreuen sich einer immer größeren Beliebtheit in
Deutschland. Rund 892 000 Schülerinnen und Schüler besuchten im Schuljahr
2006/2007 eine deutsche Privatschule. Damit waren 7,3 Prozent der Schulbesu-
cher an einer freien Schule angemeldet.

Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die eine allgemeinbildende Privat-
schule besuchen, lag im Schuljahr 2006/2007 bundesweit bei 7 Prozent. An
beruflichen Schulen konnte dagegen eine Quote von 8,5 Prozent verzeichnet

werden.

Nach Aussage der Bundesregierung fällt der Schüleranteil an Privatschulen
länderspezifisch höchst unterschiedlich aus. Während nur 3,6 Prozent der
Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein eine freie Schule besuchen
sind es in Bayern 10,3 Prozent. Im Bereich der beruflichen Schulen liegt die
Quote in Schleswig-Holstein am unteren Ende bei 2,2 Prozent, während in

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Sachsen 25,6 Prozent der Schülerinnen und Schüler an freien beruflichen Schu-
len unterrichtet werden (vgl. Kleine Anfrage der Fraktion der FDP „Entwick-
lung der Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland“, Bundestagsdrucksache
16/6480).

Auch in Hinblick auf die Verteilung der Schüler auf Primarbereich, Sekundar-
bereich I und Sekundarbereich II können große Unterschiede festgestellt
werden. Sind in Deutschland in den ersten Schuljahren nur 3,1 Prozent der
Schülerinnen und Schüler an einer freien Schule gemeldet, so lag der durch-
schnittliche Wert für den Sekundarbereich I bei 7,6 Prozent und im Sekundar-
bereich II bei 8,3 Prozent.

Ebenso differenziert stellt sich die Situation in Bezug auf den Besuch der
Schularten dar. Die Anteile der Schüler an privaten Realschulen (8,6 Prozent),
Gymnasien (10,7 Prozent) und Förderschulen (16,6 Prozent) waren im deut-
schen Bildungsraum vergleichsweise hoch. Doch auch hier finden sich, je nach
Bundesland, starke Unterschiede. So ist der Anteil der Schülerinnen und Schü-
ler an Hamburger Grundschulen bei knapp 10 Prozent, zumindest im Vergleich
zu 0,7 Prozent in Nordrhein-Westfalen, sehr hoch. Andererseits gehören in
Nordrhein-Westfalen 16,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Gymnasien
einer freien Schule an – in Schleswig-Holstein sind es nur 2 Prozent. In Bayern
besuchen 43,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler von Förderschulen eine
freie Schule, während es in Sachsen-Anhalt nur 2,2 Prozent und 4,7 Prozent in
Sachsen sind (vgl. Bundestagsdrucksache 16/6480).

Insgesamt ist die Schulentwicklung mit Blick auf freie Schulen erfreulich.
Waren im Schuljahr 1997/1998 bundsweit nur 5,3 Prozent der vergebenen
Platzkapazitäten an Schulen in freier Trägerschaft verortet, so sind dies mittler-
weile schon 7,3 Prozent.

Allerdings finden sich bei näherem Hinschauen unterschiedliche Trends. Während
in Schleswig-Holstein die Zahl an Privatschülern abgenommen hat (von 3,8 Pro-
zent in 1997 auf 3,6 Prozent in 2006) können die Bundesländer Mecklenburg-
Vorpommern (von 0,8 Prozent in 1997 auf 5,5 Prozent in 2006), Sachsen (von
1 Prozent auf 5,2 Prozent), Brandenburg (von 1 Prozent auf 4,7 Prozent), Sachsen-
Anhalt (von 1,2 Prozent auf 4,6 Prozent) und Thüringen (von 1,5 Prozent auf
5 Prozent) eine sehr positive Entwicklung verzeichnen (vgl. Bundestagsdruck-
sache 16/6480).

Dennoch liegt Deutschland im Vergleich mit dem EU-19-Durchschnitt in
Hinblick auf die Versorgung mit freien Schulen deutlich unter dem Mittelwert.
Insbesondere im Primarbereich (3,1 Prozent in Deutschland zu 9,6 Prozent
EU- 19) und im Sekundarbereich II (8,3 Prozent in Deutschland zu 18,3 Prozent
EU-19) liegt Deutschland weit abgeschlagen zurück (vgl. Bundestagsdruck-
sache 16/6480).

Dass die hohen pädagogische Standards und die erbrachte Bildungsleistung der
freien Schulen Früchte tragen, verdeutlicht die Studie „Privatschulen in
Deutschland, Regulierung – Finanzierung – Wettbewerb“ (IW-Analysen Nr. 25,
Köln 2007) des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Die Studie belegt ein-
drucksvoll, dass freie Schulen einen im Durchschnitt deutlich höheren Bil-
dungserfolg bei Kindern und Jugendlichen verzeichnen können – und zugleich
die staatlichen Ressourcen schonen. Auch in der „PISA 2003“-Studie finden
sich Hinweise dahingehend, dass freie Schulen häufig Kinder und Jugendliche
besser zu fördern in der Lage sind (PISA 2003, Der zweite Vergleich der Län-
der in Deutschland – Was wissen und können Jugendliche?, Münster 2005).

Im Rahmen der PISA-Vergleichsstudie 2000 konnte ebenso festgestellt werden,
dass z. B. das Leistungsniveau der englischen Privatschüler weit über dem

Niveau Finnlands, des besten Landes in der Gesamtwertung, lag (vgl. „Privat-
schulen“, WirtschaftsWoche 32/2007 v. 6. August 2007). Dabei verzeichnet das

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Vereinigte Königreich im Sekundar-II-Segment einen extrem hohen Anteil
(75,03 Prozent) an Schülerinnen und Schülern an freien Schulen. Angesichts
des Umstandes, dass mit rund drei Viertel der Schülerschaft ein überwiegender
Anteil eine freie Schule besucht, entbehrt das Argument von Exklusivität und
Exklusion einer gewissen Grundlage.

Auch bei der Durchführung der Prüfungen zum mittleren Schulabschluss
konnte im Land Berlin festgestellt werden, dass die freien Schulen besonders
leistungsfähig sind. Laut Bericht der Senatsbildungsverwaltung hätten die
freien Schulen besser abgeschnitten als die vergleichbaren öffentlichen Schu-
len. Die Unterschiede seien zwar nicht immer groß, jedoch bei allen Schularten
und allen Fächern zu dokumentieren gewesen (vgl. „Mittlerer Abschluss: Pri-
vatschulen schneiden besser ab“, Berliner Zeitung, 4. Oktober 2007).

Um dem Gebot des freien Zugangs entsprechen zu können und Kinder aus ein-
kommensschwächeren Familien nicht von vornherein ausschließen zu müssen,
sind die Träger freier Schulen auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Da
die Bildungsleistung der Schulen in freier Trägerschaft im Vergleich zum staat-
lich getragenen Schulwesen nicht minderwertig ausfallen darf, muss davon aus-
gegangen werden, dass sich die Kosten für eine Ersatzschule im vergleichbaren
Rahmen zu einer entsprechenden staatlichen Schule halten. Die anfallende Dif-
ferenz muss im Wesentlichen über die von den Eltern zu bezahlenden Schul-
beiträge aufgefangen werden. Je geringer die Unterstützung des Landes für das
Ersatzschulwesen ausfällt, desto höher ist demzufolge die Belastung der Eltern.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wann die kritische Beitragshöhe
erreicht ist und, aufgrund der Höhe des Schulgeldes, Zugangsbarrieren nach
Artikel 7 GG entstehen.

Dabei erhalten die Privatschulen, mit Ausnahme der Förderschulen, durch-
schnittlich einen staatlichen Zuschuss von rund 3 800 Euro pro Schüler. Für
öffentliche Schulen wurden dagegen laut amtlichen Berechnungen Pro-Kopf-
Ausgaben von 4 900 Euro getätigt. Insgesamt würde der Fiskus aufgrund der
Ungleichbehandlung 870 Mio. Euro einsparen, so das Institut der deutschen
Wirtschaft Köln (IW-Analysen Nr. 25, Köln 2007).

Der Umgang mit freien Schulen variiert von Bundesland zu Bundesland sehr
stark. Einige Bundesländer haben in den Vergangenheit die Rahmenbedingun-
gen für die Ersatzschulen deutlich verbessert, z. B. indem sie die staatlichen
Zuschüsse erhöht haben oder die gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der
Genehmigungsverfahren gelockert haben. Andere Länder haben dagegen die
Bemessungsgrundlage für die Bezuschussung zu Lasten der Schulen in freier
Trägerschaft verändert oder abgesenkt.

Insgesamt ist es aufgrund der sehr heterogenen Ausgangslage problematisch,
einen übergreifenden Einblick in die derzeitige Versorgungslage mit freien
Schulen und die Rahmenbedingungen, unter denen diese arbeiten, zu gewin-
nen. Eine Gegenüberstellung der Situation, der Handhabungen und der Grund-
lagen der Förderung von freien Schulen in den jeweiligen Ländern ist daher
dringend geboten.

Die Bundesregierung hat im Rahmen der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP
„Entwicklung der Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland“ (Bundestags-
drucksache 16/6480) festgestellt, dass die deutsche Schulforschung den Privat-
schulen bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat. Es würde an aussage-
kräftigen Schulleistungsvergleichen zwischen staatlichen und privaten Schulen
fehlen. Die deutsche Bildungsforschung habe einen „deutlichen Nachholbe-
darf“, so die Bundesregierung. Dies ist, angesichts des Umstandes, dass fast
jede 10. Schülerin bzw. fast jeder 10. Schüler eine freie Schule besucht, nicht
hinnehmbar.

Drucksache 16/6793 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag stellt des Weiteren fest:

Die Schulentwicklung in Bezug auf die Neugründung von freien Schulen und
die Ausweitung bestehender Platzkapazitäten an Bildungseinrichtungen in
freier Trägerschaft ist positiv zu werten und wird vom Deutschen Bundestag
begrüßt. Allerdings liegt der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die eine freie
Schule besuchen, trotz einer wachsenden Nachfrage, immer noch deutlich unter
dem EU-19-Durchschnitt. Hier existiert Handlungsbedarf seitens der Länder.

In Deutschland mangelt es zurzeit an exakten empirischen Daten in Bezug auf
die Leistungsfähigkeit des Systems freier Schulen. Die deutsche Schulfor-
schung ist auf diesem Gebiet noch unterentwickelt und muss sich, insbesondere
angesichts des wachsenden Segments freier Schulen, künftig verstärkt dem
Vergleich freier Schulen mit öffentlichen Schulen widmen sowie sich mit Rah-
menbedingungen für eine effektive Entwicklung und den Betrieb freier Schulen
auseinandersetzen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● im Rahmen der vom Bund verantworteten Bildungsforschung zukünftig das
System der freien Schulen bei Forschungsvorhaben zu berücksichtigen;

● die Leistungsfähigkeit von staatlichen und freien Schulen im Rahmen syste-
matischer empirischer Untersuchungen zu evaluieren und eine Vergleichbar-
keit der Systeme herzustellen;

● Schülerinnen und Schüler freier Schulen im Rahmen des künftigen Bil-
dungspanels des Rahmenprogramms Bildungsforschung einzubeziehen, um
so Schul-, Ausbildungs- und Berufsverläufe beobachten zu können und
gleichzeitig die Kompetenzentwicklung und den Einfluss von Kontextva-
riablen zu untersuchen;

● untersuchen zu lassen, welche rechtlichen Bedingungen dazu führen, dass
die Gründung und der erfolgreiche Betrieb von freien Schulen begünstigt
werden;

● untersuchen zu lassen, welche finanziellen Rahmenbedingungen für den er-
folgreichen Betrieb vonnöten sind;

● untersuchen zu lassen, in welchem Maße Eltern durch die Erhebung von
Beiträgen an der Finanzierung der freien Schulen beteiligt werden können,
ohne dass eine Gefahr der Sonderung nach Artikel 7 GG besteht;

● an die Länder zu appellieren, die Leistungsfähigkeit der freien Schulen im
Rahmen von Vergleichsarbeiten und zentralen Prüfungen zu untersuchen
und die Daten der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Berlin, den 24. Oktober 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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