BT-Drucksache 16/675

Lärmschutz im Schienenverkehr verbessern - Marktwirtschaftliche Anreize nutzen, Schienenbonus überprüfen

Vom 15. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/675
16. Wahlperiode 15. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Friedrich (Bayreuth), Patrick Döring,
Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Mechthild Dyckmans, Jörg
van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut
Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link
(Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Hermann
Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Martin Zeil,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Lärmschutz im Schienenverkehr verbessern – Marktwirtschaftliche Anreize
nutzen, Schienenbonus überprüfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Verkehrslärm ist ein zentrales Umweltproblem. Dauerhafter Lärm gefährdet die
Gesundheit. Auch beim Güter- und Personenverkehr auf der Schiene besteht noch
Nachholbedarf, wenn es darum geht, den Lärm und seine Auswirkungen zu
reduzieren. Etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung fühlen sich durch Schie-
nenverkehrslärm belästigt, etwa ein Viertel davon schwer. Schienenlärm wird
weniger durch einen geschlossenen Geräuschpegel als durch laute Einzelereig-
nisse bestimmt. Insbesondere in der Nacht beeinträchtigen Aufweckreaktionen,
beispielsweise verursacht durch nächtliche Gütertransporte, die Regenerations-
phase des Körpers – mit erheblichen Gefahren für die Gesundheit.

An bestehenden Schienenwegen besteht ein besonders hoher Bedarf an Lärm-
sanierung. Das geltende Immissionsschutzrecht verlangt allerdings nur beim
Neubau und der wesentlichen Änderung von Schienenstrecken, dass durch diese
keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorge-
rufen werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Eine entspre-

chende Regelung fehlt für bestehende Strecken. Damit werden die Anwohner an
Altstrecken deutlich höheren Belastungen ausgesetzt. Doch trotz entsprechender
immissionsschutzrechtlicher Regelung wird auch beim Neubau und der wesent-
lichen Änderung von Schienenstrecken im Vergleich zu anderen Lärmquellen
mit zweierlei Maß gemessen. Der Grund liegt in dem sog. Schienenbonus. Nach
der Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutz-
gesetzes (16. BImschV) werden 5 dB (A) vom gemessenen Schallpegel abgezo-

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gen. Sogar nachts wird der Schienenbonus entsprechend angewendet. Diese Re-
gelung folgt der Annahme des Gesetzgebers, dass Anlieger an Schienenwegen
durch Lärm weniger belastet werden als Anlieger an Straßen. Die Festlegung
des Schienenbonus beruht auf sozialwissenschaftlichen Studien, die Ende der
70er Jahre/Anfang der 80er Jahre erstellt wurden. Aufgrund der Entwicklung im
Schienenverkehr und neuer Betriebsformen wie dem Hochgeschwindigkeits-
verkehr oder dichteren Zugfolgen stellt sich die Frage, ob diese Wertung nach
heutigen Erkenntnissen noch zeitgemäß ist. Tatsächlich ist die Belastung der
Anwohner an hoch frequentierten Bahnlinien sehr hoch, weil es kaum noch zu
längeren Ruhepausen kommt. Dagegen hält die Bundesregierung weiterhin am
sog. Schienenbonus fest (Antwort auf Frage 1 in der Antwort der Bundesregie-
rung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP, Bundestagsdrucksache
15/5927).

Bereits heute könnte durch den Einsatz moderner Technik ein erheblicher Bei-
trag zur Lärmminderung geleistet werden. Verbundbremsen aus Kunststoff (sog.
K-Sohlen) können eine Reduzierung von bis zu 15 dB (A) erreichen. Vor allem
ältere Güterzüge sind aber zumeist noch mit den deutlich lauteren Grauguss-
klotzbremsen ausgestattet. Weitere Maßnahmen an den Güterwagen wie Rad-
schallabsorber oder dämpfende Federungen könnten helfen, Lärm zu mindern.
Darüber hinaus sollten leisere Loks und Drehgestelle auch in Deutschland zum
Einsatz kommen. In anderen Ländern wie beispielsweise Österreich oder der
Schweiz werden bereits lärmärmere Lokomotiven eingesetzt.

Die Haushaltsmittel zur Lärmsanierung von Altsrecken sind begrenzt. Es wird
deutlich, dass angesichts knapper Kassen der öffentlichen Hand andere zusätz-
liche Wege zur Förderung der Lärmsanierung gefunden werden müssen. Das
freiwillige Lärmsanierungsprogramm des Bundes stellt zwar jährlich 51 Mio.
Euro für Schallschutzwände, Schallschutzfenster und die Gleispflege zur Verfü-
gung. Die Mittel reichen aber bei weitem nicht aus, um den bestehenden Lärm-
sanierungsbedarf zu decken. Ein besonderes Augenmerk gilt einem stärkeren
Lärmschutz an der Quelle. Diese Maßnahmen sind besser geeignet und effizien-
ter als allein der Bau von Schallschutzwänden oder -fenstern. Tatsächlich beste-
hen aber derzeit für die Bahnunternehmen außer Imagegründen keine Anreize
für einen verstärkten Lärmschutz an der Quelle. Hinzu kommt, dass etwa nur die
Hälfte der auf dem deutschen Schienennetz fahrenden Güterwagen der Railion
Deutschland AG, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG, gehören.
Die zweite Hälfte befindet sich im Besitz anderer in- oder ausländischer
Waggonvermietungsgesellschaften oder Bahnunternehmen. In unseren Nach-
barländern werden marktwirtschaftliche Konzepte genutzt oder befinden sich in
Planung, um einen Anreiz für Lärmminderungsmaßnahmen zu geben. So wurde
zum Beispiel in der Schweiz ein unbürokratisches System einer lärmabhängigen
Trassenpreisdifferenzierung eingeführt und etabliert. Auch in Deutschland
könnte der Einsatz leiserer Fahrzeuge der Höhe der Trassenpreise nach den
Bestimmungen der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV)
berücksichtigt werden. Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 EIBV kann das Wegeentgelt
einen Entgeltbestandteil umfassen, der den Kosten umweltbezogener Auswir-
kungen des Zugbetriebs Rechnung trägt. Danach wäre ein emissionsabhängiges
Trassenpreissystem mit dem Kriterium Lärm gesetzlich möglich. Die Zustän-
digkeit liegt bei dem Betreiber der Eisenbahninfrastruktur. Die DB Netz AG
nutzt diese gesetzliche Möglichkeit jedoch nicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– ihre Fördermaßnahmen zur Lärmbekämpfung an der Quelle zu verstärken, da
die Lärmreduzierung an der Lärmquelle insbesondere in Kombination mit
Maßnahmen wie dem Bau von Schallschutzwänden und dem Einbau von

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Schallschutzfenstern die effektivste und kostengünstigste Methode zur Lärm-
minderung darstellt;

– das Schienenlärmsanierungsprogramm für die Finanzierung der Umrüstung
von Schienenfahrzeugen zu öffnen. Umfasst sein sollte davon die Nachrüs-
tung mit Verbundbremsen aus Kunststoff (sog. K-Sohlen), Scheibenbremsen,
Radschallabsorbern oder anderen technischen Mitteln zur Lärmreduzierung
an der Quelle;

– in einer Studie zu prüfen, ob die Anwendung des sog. Schienenbonus gemäß
Anlage 2 zu § 3 der 16. BImschV noch gerechtfertigt ist. In dieser Studie
sollen neben sozialwissenschaftlichen auch die ökologischen und gesund-
heitlichen Aspekte zugrunde gelegt werden sowie die unterschiedliche
Frequentierung von Bahnlinien und die verschiedenen Betriebsformen (wie
z. B. Hochgeschwindigkeitsverkehr oder dichtere Zugfolgen) Berücksich-
tigung finden;

– die Einhaltung der europäischen Vorgaben der technischen Spezifikation für
die Interoperabilität (TSI) in Deutschland zu gewährleisten;

– Übereinkünfte gemäß Artikel 3 der Entscheidung der Kommission 2006/66/
EG, welche Anforderungen in Bezug auf Lärmemissionsgrenzen enthalten,
rechtzeitig an die Kommission zu melden und dem Deutschen Bundestag
hierüber Bericht zu erstatten;

– die Regelung des § 38 Abs. 1 Satz 2 des Bundesimmissionsschutzgesetzes
konsequent anzuwenden, wonach Schienenfahrzeuge so betrieben werden
müssen, dass vermeidbare Emissionen verhindert und unvermeidbare Emis-
sionen auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben;

– die Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung dahin gehend zu ändern,
die Regelung des § 21 Abs. 2 EIBV zur Bemessung der Wegeentgelte von
einer Kann-Vorschrift in eine Muss-Vorschrift umzuwandeln, wobei den
Unternehmen eine angemessene Übergangszeit zu gewähren ist.

Berlin, den 14. Februar 2006

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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