BT-Drucksache 16/6691

Situation der belegärztlichen Versorgung in Deutschland nach Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes

Vom 10. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6691
16. Wahlperiode 10. 10. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily,
Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Paul K. Friedhoff,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn),
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen,
Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Situation der belegärztlichen Versorgung in Deutschland nach Inkrafttreten
des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes

Die belegärztliche Versorgung deckt mit über 27 000 Krankenhausbetten zur-
zeit über 5 Prozent der gesamten Krankenhausversorgung in Deutschland ab.
Gerade in ländlichen Bereichen sind Belegabteilungen und Belegkliniken die
tragende Säule für die Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung der Bevöl-
kerung. Das kooperative Belegarztwesen verbindet idealtypisch die ambulante
und stationäre Versorgung im Sinne einer integrierten Versorgung. 6 075 Fach-
ärzte sind bundesweit als Belegärzte tätig.

Mit der Einführung des EBM 2000plus im ersten Halbjahr 2005 wurde die Ver-
gütung belegärztlicher Leistungen so stark abgewertet, dass für Vertragsärzte
kaum ein finanzieller Anreiz mehr für eine belegärztliche Tätigkeit im Kran-
kenhaus besteht. Vor diesem Hintergrund hat die Regierungskoalition in ihrem
Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 bereits gefordert, dass die Ver-
gütung belegärztlicher Leistungen im DRG-System geregelt werden soll. Ob-
wohl der Bundesrat eine entsprechende Regelung im GKV-Wettbewerbsstär-
kungsgesetz (GKV-WSG) beantragt hat, ist eine Systemumstellung nicht
erfolgt. Stattdessen wurde mit Inkrafttreten des GKV-WSG zum 1. April 2007

der § 121 SGB V um einen neuen Absatz 4 ergänzt. Hierin wurde der Bewer-
tungsausschuss dazu verpflichtet, in einem Beschluss nach § 87 mit Wirkung
zum 1. April 2007 im einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistun-
gen Regelungen zur angemessenen Bewertung der belegärztlichen Leistungen
unter Berücksichtigung der Vorgaben nach Absatz 3 Satz 2 und 3 zu treffen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die GKV-Spitzenverbände
haben daraufhin zum 1. April 2007 die Vergütung der belegärztlichen Leistun-

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gen in einem neuen Kapitel 36 im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM)
geregelt. Darüber hinaus haben sie in einer Bundesempfehlung vereinbart, dass
die Finanzierung belegärztlicher Leistungen außerhalb der budgetierten Ge-
samtvergütung auf der Grundlage fester Punktwerte erfolgen soll. Für die
Umsetzung einer angemessenen Vergütung belegärztlicher Leistungen gehen
die Vertragspartner auf Bundesebene von einem Mehrbedarf in Höhe von rund
74 Mio. Euro im Jahr aus. Damit diese Empfehlung wirksam wird und sich die
Vergütungssituation für die Belegärzte verbessert, muss die Bundesempfehlung
auf regionaler Ebene in Honorarverteilungsverträgen zwischen den Kassenärzt-
lichen Vereinigungen und den Krankenkassenverbänden vereinbart werden.

Neben der Ergänzung des § 121 SGB V im GKV-WSG ist mit dem Inkrafttre-
ten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) zum 1. Januar 2007 eine
weitere Neuregelung wirksam geworden, die sich entscheidend auf die Struktur
der belegärztlichen Versorgung auswirkt: Das VÄndG hat zu einer Änderung in
§ 20 Abs. 2 der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) geführt, die es
nunmehr Krankenhäusern ermöglicht, Vertragsärzte als Honorarärzte zu be-
schäftigen. Zwar erfährt das Belegarztwesen an sich durch diese Regelung
keine Änderungen und der Status des Belegarztes bleibt erhalten. Aber die
Änderungen im ärztlichen Zulassungsrecht schaffen konkurrierende Strukturen.
Nunmehr haben auch Hauptabteilungen die Option, mit Vertragsärzten auf
Honorarbasis und unabhängig von einer Zulassung zur belegärztlichen Tätig-
keit stationäre Leistungen zu erbringen. Anders als Belegabteilungen und Be-
legkliniken erhalten die Hauptabteilungen eine Vergütung für die gesamte
Krankenhausleistung inklusive Arztkosten, aus der sie den Honorararzt vergü-
ten. Im Rahmen der belegärztlichen Versorgung erhält das Krankenhaus nur
eine Belegabteilungs-DRG, die nur die Kosten des Krankenhauses ohne Arzt-
kosten beinhaltet. Bei einem großen Teil der kalkulierten Belegabteilungs-
DRGs ist der Abschlag im Vergleich zur vergleichbaren Hauptabteilungs-DRG
wesentlich höher als es dem reinen Arztkostenanteil entsprechen würde. Die
Vergütung der Belegärzte erfolgt über das KV-Budget. Es besteht somit für das
Belegkrankenhaus kein Finanzierungsspielraum für die Bezahlung von Hono-
rarärzten aus der DRG-Vergütung.

Da die Vergütung einer stationären Leistung davon abhängt, in welchen Struk-
turen sie erbracht wird (Belegabteilung = Belegabteilungs-DRG für das Kran-
kenhaus + KV-Vergütung für den Belegarzt bzw. Hauptabteilung = komplette
Vergütung Krankenhaus- und Arztleistung über Hauptabteilungs-DRG), führt
dies für die Kostenträger zu folgenden Auswirkungen: Sie zahlen im Ergebnis
für dieselbe stationäre Leistung eine in der Gesamthöhe unterschiedliche Ver-
gütung je nach dem, ob die Behandlung in einer Belegabteilung oder in einer
Hauptabteilung erfolgt ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist die gesetzliche Vorgabe des § 121 Abs. 4 SGB V im GKV-WSG zwi-
schenzeitlich wirksam umgesetzt, d. h., sind in den KV-Bezirken flächen-
deckend Vereinbarungen getroffen worden, die eine angemessene Vergütung
belegärztlicher Leistungen vorsehen?

2. Wie werden die ab 1. April 2007 gültigen Neuregelungen des Bewertungs-
ausschusses im EBM zur angemessenen Vergütung belegärztlicher Leistun-
gen einerseits und deren Umsetzung auf der Landesebene andererseits beur-
teilt?

Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, wie die Be-
legärzte, z. B. der Bundesverband der Belegärzte das beurteilen?

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3. Sieht die Bundesregierung in dem Tätigwerden von Vertragsärzten in
Krankenhäusern aufgrund des VÄndG eine Konkurrenz für die belegärzt-
liche Versorgung?

4. Sieht die Bundesregierung in dem Tätigwerden von Vertragsärzten in
Krankenhäusern aufgrund des VÄndG eine Gefährdung der Existenz be-
legärztlicher Versorgungsstrukturen?

5. Wie viele Krankenhäuser, die eine oder mehrere Belegabteilungen in
Hauptabteilungen umgewandelt haben, konnten dafür eine entsprechende
Erhöhung ihrer Gesamtbeträge durchsetzen?

6. Wie viele Belegabteilungen wurden seit dem Jahr 2006 aufgegeben bzw.
haben einen Statuswechsel in eine Hauptabteilung vorgenommen oder be-
antragt?

Welche Ursachen haben zu dieser Umstrukturierung geführt?

Wie viele Belegabteilungen wurden seit dem Jahr 2004 eröffnet, bzw. ent-
standen seit diesem Jahr durch Umwandlung aus einer Hauptabteilung?

7. Bestehen für Belegabteilungen uneingeschränkt Möglichkeiten zur Um-
wandlung in Hauptabteilungen?

Wenn nein, welche Voraussetzungen (ggf. auch länderspezifisch) müssen
erfüllt werden?

8. Wie werden die Möglichkeiten zur Umwandlung in ein nicht belegärzt-
liches Kooperationsmodell gemäß VÄndG im Vergleich mit dem beleg-
ärztlichen Versorgungsmodell unter den Bedingungen der ab 1. April 2007
gültigen Neuregelungen im EBM beurteilt?

Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, wie die Be-
legärzte z. B. der Bundesverband der Belegärzte und Belegkrankenhäuser
und der Bundesverband der privaten Krankenanstalten dies beurteilen?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die finanziellen Auswirkungen der Um-
wandlung von Beleg- in Hauptabteilungen auf die Leistungsausgaben der
Krankenkassen, auf die vertragsärztliche Gesamtvergütung und auf die
Landeskrankenhausbudgets?

10. Beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der Gesetzgebung zum ord-
nungspolitischen Rahmen für die Krankenhausfinanzierung ab 2009 eine
Neuregelung der belegärztlichen Vergütung im DRG-System?

Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die separate
Kalkulation von Belegabteilungs-DRG im Fallpauschalenkatalog?

Gibt es aus der Sicht der Bundesregierung Gründe, die für eine einheitliche
Kalkulation aller DRG unabhängig von der organisatorischen Ausgestal-
tung der Leistungserbringung (Hauptabteilung mit angestellten bzw. Hono-
rarärzten oder Belegabteilungen mit Belegärzten) sprechen?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung bzw. das Institut für das Entgeltsystem
im Krankenhaus die Kritik von Belegkrankenhäusern, dass die Belegabtei-
lungs-DRGs systematisch zu niedrig bzw. nicht sachgerecht bewertet
seien?

Berlin, den 10. Oktober 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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