BT-Drucksache 16/6683

Klagegewerbe im Aktienrecht

Vom 10. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6683
16. Wahlperiode 10. 10. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Dr. Hermann Otto Solms, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul
K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Elke
Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link
(Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig
Thiele, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Klagegewerbe im Aktienrecht

Am 23. September 2005 trat das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Mo-
dernisierung des Aufsichtsrechts (UMAG) in Kraft. Der Gesetzentwurf diente
der weiteren Umsetzung des Zehn-Punkte-Kataloges der damaligen Bundes-
regierung vom 25. Februar 2003 zur Stärkung der Unternehmensintegrität und
des Anlegerschutzes. Ein Schwerpunkt des Gesetzes war das gesellschaftsrecht-
lich besonders wichtige Anfechtungsrecht in der Hauptversammlung, das als
Schutzinstrument der Minderheitenaktionäre bewahrt werden sollte. Um die
missbräuchliche Ausnutzung des Anfechtungsrechts zu unterbinden und somit
Schaden von den betreffenden Gesellschaften abzuwenden, wurden das Frage-
und Rederecht in der Hauptversammlung neu geregelt und es wurde für beson-
dere Beschlussgegenstände das gerichtliche Freigabeverfahren aus dem Um-
wandlungsgesetz eingeführt.

Trotz dieser Maßnahmen des Gesetzgebers ist die Zahl der Mitteilungen über
Klageerhebungen weiter gestiegen. Dies belegt insbesondere eine Studie des
„Institute for Law and Finance“ der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Frankfurt am Main vom Juli 2007. Danach ist im Zeitraum von 2003 bis 2006
die Zahl der Mitteilungen über Klageerhebungen um mehr als 70 Prozent gestie-
gen. Mehr als die Hälfte der 619 untersuchten Klagen wurden von nur elf Klä-

gern bzw. den von ihnen gehaltenen oder geleiteten Gesellschaften erhoben, so
dass insoweit schon von einem „Klagegewerbe der Berufskläger“ gesprochen
wird. Die Anzahl der Kläger, die als sog. Berufskläger bezeichnet werden, hat
sich in den letzten sieben Jahren von 8 auf mehr als 40 erhöht. Dabei richten sich
fast alle dieser Klagen gegen eintragungspflichtige Beschlüsse der Aktiengesell-
schaften, wodurch diese Beschlüsse im Rahmen einer Registersperre jahrelang

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gesperrt werden können. Im Durchschnitt sehr viel häufiger als bei anderen Zi-
vilprozessen werden diese Klagen durch einen Vergleich beendet. Die Ver-
gleichsquote bei Beschlussmängelprozessen erreicht den zweifachen Wert im
Vergleich zu anderen Zivilprozessen vor dem Landgericht. Bei diesen Verglei-
chen fallen auf Grund der hohen Streitwerte außerordentlich hohe Anwaltsge-
bühren an. So lag der Vergleichswert in 57 Prozent der Fälle über dem in An-
fechtungsprozessen nach dem Aktiengesetz (AktG) grundsätzlich zulässigen
Wert von 500 000 Euro. In Einzelfällen wurde gar ein Vergleichswert von über
30 Mio. Euro erreicht. Wenn die Klage ganz oder teilweise abgewiesen wird, hat
die Aktiengesellschaft nach § 148 Abs. 6 Satz 5 AktG den Klägern die von die-
sen zu tragenden Kosten zu erstatten, sofern nicht die Kläger die Zulassung
durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Vortrag erwirkt haben.

Eine nicht geringe Anzahl von Aktionären hat sich darüber hinaus den Anfech-
tungs- und Nichtigkeitsklagen anderer Aktionäre angeschlossen, also keine
eigene Klage erhoben, sondern den Weg der Unterstützung des Klägers im Sinne
eines Streithelfers gewählt. Die Handlung des Streithelfers kann sich insoweit
auf einen den Beitritt erklärenden Schriftsatz beschränken. Die Kosten des
Streithelfers, die sich nach dem Streitwert der Klage richten, mussten nach der
Rechtsprechung bisher durch die Aktiengesellschaft übernommen werden,
wenn die klagende Partei obsiegte. Auf diese Weise war es mit relativ wenig
Aufwand möglich, sich an die Klage eines Aktionärs einfach nur „anzuhängen“.
Mit Beschluss vom 18. Juni 2007 hat der Bundesgerichtshof (BGH) (BGH II
ZB 23/06) nun jedoch entschieden, dass über die Kosten einer solchen streitge-
nössischen Nebenintervention eigenständig und unabhängig von der gegenüber
der unterstützen Hauptpartei zu treffenden Kostenentscheidung zu befinden sei.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung der Anfechtungs- und
Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse von Aktiengesell-
schaften in den letzten 5 Jahren?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand der Konzentration auf
wenige Kläger bei Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptver-
sammlungsbeschlüsse von Aktiengesellschaften?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl der gehal-
tenen Aktien und des somit vertretenen Kapitals bei den Klägern von Anfech-
tungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse von
Aktiengesellschaften in den letzten 5 Jahren, aufgeschlüsselt nach den einzel-
nen Klägern und den einzelnen Klagen?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die wirtschaftlichen Folgen für die
Aktiengesellschaften durch Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen
Hauptversammlungsbeschlüsse von Aktiengesellschaften, vor allem mit
Blick auf das Prozesskostenrisiko, die Störung der Unternehmens- bzw.
Konzernentwicklungsplanung, sowie die administrative Belastung?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die wirtschaftlichen Folgen für die Aktio-
närsgemeinschaften, die durch Blockierung der notwendigen Weiterentwick-
lung der Gesellschaft durch Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen
Hauptversammlungsbeschlüsse von Aktiengesellschaften eintreten?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Ziels der Ein-
dämmung von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversamm-
lungsbeschlüsse von Aktiengesellschaften die Ausdehnung der Freigabever-
fahren im Rahmen des UMAG (Gesetz zur Unternehmensintegrität und
Modernisierung des Anfechtungsrechts) auf Kapitalmaßnahmen und den Ab-

schluss von Unternehmensverträgen durch § 246a AktG?

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7. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Nutzung des
§ 131 Abs. 2 Satz 2 AktG in der Praxis vor, wonach durch Satzung oder
Geschäftsordnung die Hauptversammlung den Versammlungsleiter er-
mächtigen kann, das Frage- und Rederecht der Aktionäre zu begrenzen?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung den effektiven Nutzen dieser Regelung?

9. Plant die Bundesregierung Maßnahmen im Bereich der Anfechtungs- und
Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse von Aktienge-
sellschaften, und wenn ja, welche, und in welchem Zeitraum?

10. Welches sind nach Ansicht der Bundesregierung die Hauptgründe für Ver-
fahrensverzögerungen bei Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen
Hauptversammlungsbeschlüsse von Aktiengesellschaften und wie gedenkt
die Bundesregierung dagegen vorzugehen?

11. Wie steht die Bundesregierung dazu, die Anforderungen an die Klagebefug-
nis bei Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungs-
beschlüsse von Aktiengesellschaften zu erhöhen, indem ein Mindestanteils-
besitz eingeführt wird, und wie begründet sie ihre Ansicht?

12. Wenn dies befürwortet wird, in welcher Höhe wird ein solches Quorum für
sinnvoll erachtet?

13. Wie steht die Bundesregierung dazu, die Anforderungen an die Klagebefug-
nis bei Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungs-
beschlüsse von Aktiengesellschaften zu erhöhen, indem ein Quorum von
einer bestimmten Anzahl beteiligter Aktionäre eingeführt wird, und wie be-
gründet sie ihre Ansicht?

14. Wenn dies befürwortet wird, in welcher Höhe wird ein solches Quorum für
sinnvoll erachtet?

15. Wie steht die Bundesregierung dazu, dem einzelnen Aktionär, statt der
Möglichkeit der Anfechtungsklage, einen nachträglichen individuellen
Schadensersatz gegen die Gesellschaft einzuräumen, und wie begründet sie
ihre Ansicht?

16. Wie steht die Bundesregierung dazu, das Spruchverfahren weiter auszudeh-
nen, und wie begründet sie ihre Ansicht?

17. Wie steht die Bundesregierung dazu, den Einsatz eigener Aktien für Ent-
schädigungszahlungen zu ermöglichen, und wie begründet sie ihre Ansicht?

18. Welche Auswirkungen hat nach Ansicht der Bundesregierung der Beschluss
des Bundesgerichtshofes zum Kostenerstattungsanspruch bei einer Neben-
intervention (BGH II ZB 23/06) auf die Häufigkeit von Nebeninterven-
tionen zu Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversamm-
lungsbeschlüsse von Aktiengesellschaften?

19. Sieht die Bundesregierung in der Bekanntmachung der Klageerhebung gem.
§ 246 Abs. 4 Satz 1 AktG einen Anreiz für klägerischer Nebenintervenien-
ten sich an der Klage zu beteiligen?

Wenn nein, warum nicht?

20. Welche Auswirkungen hat nach der Ansicht der Bundesregierung die
Verteilung des Kostenrisikos zu Gunsten der Aktionäre gem. § 148 Abs. 6
Satz 5 AktG auf die Klagebereitschaft der Aktionäre?

Berlin, den 10. Oktober 2007
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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