BT-Drucksache 16/6646

Stärkung der parlamentarischen Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz)

Vom 10. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6646
16. Wahlperiode 10. 10. 2007

Antrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Inge Höger, Monika Knoche,
Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel,
Dr. Hakki Keskin, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dr. Norman Paech, Alexander
Ulrich, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Stärkung der parlamentarischen Beteiligung bei der Entscheidung über den
Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz trat am 18. März 2005 in Kraft, nachdem
nahezu elf Jahre zuvor das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil
(BVerfGE 90, 286 ff.) vom 12. Juli 1994 festgestellt hatte, jeder Einsatz be-
waffneter deutscher Streitkräfte bedürfe der – grundsätzlich vorherigen –
konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages (Parlamentsvorbe-
halt).

2. Das Parlamentsbeteilungsgesetz verkörpert normativ den politischen An-
spruch der so genannten Parlamentsarmee.

3. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz dient dem Zweck, die Streitkräfte der
Bundesrepublik Deutschland unter parlamentarische Kontrolle zu stellen,
um auf diese Weise eine Alleinverfügung dieses wirkungsmächtigen Instru-
mentariums der Exekutive auszuschließen.

4. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz dient der größtmöglichen demokratischen
Legitimation im Rahmen der repräsentativen parlamentarischen Demokratie
im Hinblick auf eine Entsendung deutscher Streitkräfte.

5. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz dient der größtmöglichen Rückversiche-
rung und politischen Unterstützung der Soldaten im Rahmen der repräsenta-
tiven parlamentarischen Demokratie, die zu einem Auslandseinsatz durch
das Parlament entsendet werden.

6. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz legt „Form und Ausmaß“ (§ 1 Grundsatz)
der parlamentarischen Beteiligung fest. Konkret werden in § 3 Abs. 2 sieben
Informationskriterien als Mindestanforderung formuliert: „Einsatzauftrag“,
„Einsatzgebiet“, „rechtliche Grundlagen des Einsatzes“, „Höchstzahl der

einzusetzenden Soldaten“, „Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte“,
„geplante Dauer des Einsatzes“ sowie „voraussichtliche Kosten und die
Finanzierung“.

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7. § 6 Abs. 1 beschreibt die „Unterrichtungspflicht“ der Bundesregierung ge-
genüber dem Bundestag. Danach besteht eine regelmäßige Unterrichtungs-
verpflichtung „über den Verlauf der Einsätze und über die Entwicklung im
Einsatzgebiet“. Diese obligatorischen regelmäßigen Unterrichtungen die-
nen u. a. der kontinuierlichen parlamentarischen Überprüfung des Einsat-
zes im Hinblick auf die Umsetzung sowie der Respektierung der in § 3
Abs. 2 gemachten Angaben in dem jeweiligen Antrag der Bundesregierung
zur Zustimmung des Einsatzes der Streitkräfte. Eine der obligatorischen
Unterrichtungsangaben umfasst die „Fähigkeiten der einzusetzenden Streit-
kräfte“.

8. Auf der Grundlage der durch die regelmäßige Unterrichtung gewonnenen
Informationen finden die parlamentarische Diskussion und Entscheidung
über Fortsetzung oder Einstellung jener Einsätze bewaffneter Streitkräfte
im Ausland statt, die nicht den Bedingungen des „Vereinfachten Zustim-
mungsverfahrens“ (§ 4) unterliegen.

9. Die Spezialkräfte der Bundeswehr, das Kommando Spezialkräfte (KSK)
sowie die Spezialisierten Einsatzkräfte Marine (SEK) sind feste Kompo-
nenten der Bundeswehr. Somit dürfen die Spezialkräfte vor dem Hinter-
grund der normativen Festlegung und des politischen Anspruchs, demnach
die Bundeswehr eine Parlamentsarmee sei, nicht als eine Art Ausnahme-
waffe der alleinigen Verfügung der Exekutive und somit außerhalb des
Kontrollradius des Parlaments stehend betrachtet werden.

10. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz legt gemäß § 6 Abs. 1 die Unterrichtung
des Bundestages „über den Verlauf der Einsätze und über die Entwicklung
im Einsatzgebiet fest“. Eine selektive Unterrichtung ist weder im Hinblick
auf den „Verlauf der Einsätze“ noch auf „die Entwicklung im Einsatz-
gebiet“ in Verbindung mit den Fähigkeiten der eingesetzten Streitkräfte
vorgesehen. Somit existieren keine rechtlichen Grundlagen für gesonderte
Informationspflichten und Informationsrechte hinsichtlich der Spezial-
kräfte (KSK/SEK). Angesichts dieser spezifischen Nichtregelung für das
KSK/SEK sind eine gesonderte Informationsqualität und ein gesonderter
Kreis der Informationsberechtigten innerhalb der parlamentarischen Struk-
turen nicht ableitbar. Dies um so mehr, als dass das Parlamentsbeteiligungs-
gesetz am 18. März 2005 in Kraft trat und somit zu einem Zeitpunkt, als
das KSK/SEK mit seiner Aufgabenbestimmung bereits seit geraumer Zeit
existierte und spätestens seit 2001 im Kampfeinsatz gewesen ist – mithin
also das Faktum einer noch ausstehenden Novellierung an neue Realitäten
nicht gegeben ist.

11. Das von der Bundesregierung im November 2006 vorgeschlagene und
nicht rechtlich fixierte „besondere Unterrichtungsverfahren“ hinsichtlich
des KSK/SEK gegenüber dem Deutschen Bundestag ist für eine effektive
parlamentarische Kontrolle unzureichend. Die Bundesregierung ist den-
noch nicht bereit, eine offene Informationspolitik gegenüber dem Deut-
schen Bundestag gemäß dem Parlamentsbeteiligungsgesetz zu praktizie-
ren. Daher ist der Deutsche Bundestag aufgefordert, einen Beschluss über
die Unterrichtungsinhalte der Spezialkräfte herbeizuführen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in dem Antrag zur Zustimmung zum Einsatz der Streitkräfte (§ 3 Abs. 1
und 2) darüber zu informieren, ob auch der Einsatz von Spezialkräften
(„Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte“) vorgesehen ist;

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2. für den Fall, dass – bei einer bislang ohne Spezialkräfte-Beteiligung laufen-
den Operation – die Spezialkräfte nachträglich eingesetzt werden sollen,
einen Antrag gemäß den Regularien des Parlamentsbeteiligungsgesetzes zur
Befassung im Deutschen Bundestag vorzulegen;

3. im Rahmen der Unterrichtungsverpflichtung (§ 6) den konkreten Einsatz
von Spezialkräften anzukündigen, über den „Verlauf des Einsatzes“ der Spe-
zialkräfte und über die „Entwicklung im Einsatzgebiet“ regelmäßig zu
berichten sowie einen Abschlussbericht zu erstellen, der im Plenum des
Deutschen Bundestages diskutiert wird, ungeachtet, ob es sich um einen
alleinigen Spezialkräfteeinsatz oder einen kombinierten Einsatz von Spe-
zialkräften und übrigen Streitkräfteeinheiten handelt.

Berlin, den 9. Oktober 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

1. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz bestimmt den Parlamentsvorbehalt sowie
die Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag
hinsichtlich des „Einsatzes bewaffneter Streitkräfte im Ausland“.

§ 3 Abs. 2 definiert eine Reihe von Informationen, die die Bundesregierung
dem Bundestag zur Verfügung zu stellen hat, auf Grundlage dessen das Par-
lament eine Entscheidung zur Entsendung bzw. Nichtentsendung fällen
kann.

Darunter fällt auch die Information, über welche Fähigkeiten die zu entsen-
denden Streitkräfte verfügen müssen/sollen, um den Einsatzauftrag adäquat
zu erfüllen. Die Spezialkräfte KSK und SEK sind Kräfte der Bundeswehr,
die über spezifische Fähigkeiten verfügen. Um dem Parlament eine fun-
dierte und sachadäquate Entscheidung zu ermöglichen, muss diesem – oder
zumindest den relevanten Ausschüssen (hier Verteidigungsausschuss und
Auswärtiger Ausschuss) – gemäß dem Parlamentsbeteiligungsgesetz die In-
formation zur Kenntnis gegeben werden, ob und warum diese spezifischen
Fähigkeiten (Spezialkräfte) im Einsatz erforderlich sind.

2. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz legt gemäß § 6 Abs. 1 die Unterrichtung
des Bundestages „über den Verlauf der Einsätze und über die Entwicklung
im Einsatzgebiet fest“. Werden ausschließlich Spezialkräfte eingesetzt, so
bestimmen sie ausschließlich den Verlauf des Einsatzes.

Werden Spezialkräfte ergänzend eingesetzt, so bestimmen sie den Verlauf
eines Einsatzes in unterschiedlichem Maße, je nach Einsatzintensität der
Spezialkräfte, mit. In beiden Fällen lässt sich aus dem Parlamentsbeteili-
gungsgesetz keine gesonderte Informationspolitik ableiten.

3. Zulässige Ausnahmen zur Informationspflicht der Bundesregierung respek-
tive des Informationsrechts des Parlaments stellen, so die Ausarbeitung des
Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zu „Informations-
pflichten nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz“ von Juni 2007, zum einen
der „Schutz des Rechts auf Leib und Leben“ sowie die „Gewährleistung der
äußeren Sicherheit“ dar. Mit Blick auf die erste Ausnahmemöglichkeit
(„Schutz des Rechts auf Leib und Leben“) ist zu konstatieren, dass dieses

Recht uneingeschränkt allen Teilen der Streitkräfte bzw. allen Soldaten zu-
zugestehen ist und auch seitens der relevanten Ausschüsse nicht angezwei-

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felt wird. Die Informationspolitik der Bundesregierung gegenüber dem Bun-
destag respektive gegenüber den relevanten Ausschüssen mit Blick auf die
Streitkräfte im Auslandseinsatz, die nicht zu den Spezialkräften gehören,
kennzeichnet sich deshalb auch nicht durch die Vermittlung solcher Infor-
mationen, die den „Schutz des Rechts auf Leib und Leben“ gefährden könn-
ten, etwa durch Namensnennung der Soldaten etc. Diese Informationspolitik
der Bundesregierung wird seitens des Bundestages respektive der relevanten
Ausschüsse auch nicht in Frage gestellt.

Die zweite genannte Ausnahmemöglichkeit („Gewährleistung der äußeren
Sicherheit“) ist eine zu unkonkret formulierte Ausnahme, als dass sie das In-
formationsrecht des Parlaments per se aushebeln darf. Diese abstrakte Aus-
nahmeformulierung würde der Exekutive einen mit dem Geiste und den
Buchstaben des Parlamentsbeteiligungsgesetzes unzulässigen Handlungs-
spielraum einräumen. Dass eine Einzelfallkonkretisierung dieser abstrakt
formulierten Ausnahme essentiell ist, wird auch seitens des Wissenschaft-
lichen Dienstes beschrieben: „(…) allerdings nur dann, wenn es unabding-
bar ist“.

Die konkrete Feststellung einer „unabdingbaren“ Ausnahmenotwendigkeit
für den Einzelfall müsste vom Bundestag respektive den relevanten Aus-
schüssen auf der Grundlage eines von der Exekutive einzubringenden
Antrages entschieden werden. Erstens muss dem Anspruch der parlamen-
tarischen Prägorative (Parlamentsarmee) – normiert im Parlamentsbeteili-
gungsgesetz – Genüge getan werden. Zweitens lässt sich nur auf diese Weise
verhindern, dass die Exekutive frei und ohne parlamentarischen Einfluss
jeglichen Einzelfall als für die „Gewährleistung der äußeren Sicherheit“ aus-
nahmenotwendig deklariert.

4. Sollte ein besonderer Geheimschutz bis hin zu „Streng geheim“ bei Fragen
der Spezialkräfte erforderlich sein, so ist diese Möglichkeit durch entspre-
chende Einstufung durch den verantwortlichen Ausschuss im Rahmen der
Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages (§ 7 Abs. 1 bis 7) ge-
geben. Ein entsprechendes Verfahren wird bereits durch den Verteidigungs-
ausschuss als 1. Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 45 Abs. 2 des
Grundgesetzes in der 16. Wahlperiode, der u. a. das KSK zum Unter-
suchungsgegenstand hat, praktiziert.

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