BT-Drucksache 16/656

Mindestarbeitsbedingungen mit regional und branchenspezifisch differenzierten Mindestlohnregelungen sichern

Vom 14. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/656
16. Wahlperiode 14. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth,
Dr. Thea Dückert, Rainder Steenblock, Dr. Gerhard Schick und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mindestarbeitsbedingungen mit regional und branchenspezifisch
differenzierten Mindestlohnregelungen sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Lohndumping und Unterbietungskonkurrenz zu Lasten von Löhnen und Arbeits-
bedingungen von Beschäftigten stellen ein zunehmendes Problem in Deutsch-
land dar. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen reichen nicht mehr aus, um
die rasche Verbreitung von sehr niedrigen Löhnen zu verhindern. Oftmals sind
die Hürden für den einzelnen Beschäftigten zu hoch, um gerichtlich gegen Lohn-
wucher vorzugehen. Tarifverträge und die Regelungskraft der Sozialpartner kön-
nen keinen hinreichenden Schutz gegen Fehlentwicklungen mehr bieten. Tarif-
lich organisierte Niedriglohnbranchen nehmen genauso zu wie tariflich nicht
organisierte Bereiche mit Niedriglöhnen. Deutschland muss deshalb schnell zu
verbindlichen Regelungen für Mindestarbeitsbedingungen kommen.

Durch die Erweiterung der EU um neue Mitglieder im Jahre 2004 hat die Mo-
bilität der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten weiter zugenommen.
Diese Entwicklung ist ausdrücklich zu begrüßen. Sie befördert das Zusammen-
wachsen von Europa und unterstützt das europäische Wirtschafts- und Sozial-
modell. Missstände und illegale Praktiken bei der Beschäftigung von Arbeitneh-
mern aus den neuen Mitgliedsländern werden durch eine Abschottung des deut-
schen Arbeitsmarktes weiter befördert statt verringert. Die von der Bundesregie-
rung geplante Verlängerung der Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit
für die Bürger der neuen Mitgliedstaaten um weitere drei Jahre ist deshalb der
falsche Weg. Nur durch umfassende Regelungen für Mindestarbeitsbedingun-
gen, die für inländische wie ausländische Arbeitnehmer gleichermaßen gelten,
können gerechte Arbeitsbedingungen und ein fairer Wettbewerb gesichert wer-
den. Dies gilt umso mehr für den Fall, dass die Dienstleistungsrichtlinie in
absehbarer Zeit in Kraft tritt und zu einer weiteren Öffnung der nationalen
Märkte führt.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

zügig einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Lohndumping verhindert und gesell-
schaftlich akzeptierte Mindestarbeitsbedingungen für inländische und ausländi-
sche Arbeitnehmer in Deutschland festlegt. Dabei müssen die Tarifautonomie
gewahrt und sowohl tariflich organisierte wie tariflich nicht organisierte Wirt-
schaftsbereiche erfasst werden. Dies gelingt durch folgende drei Maßnahmen:

Drucksache 16/656 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

1. Der Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes muss auf alle
Branchen ausgeweitet werden, um Lohndumping durch die Beschäftigung
ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland zu verhindern.

2. Die Allgemeinverbindlicherklärung im Tarifvertragsgesetz muss reformiert
werden, um branchenbezogene Mindestlöhne zu ermöglichen, die durch die
Tarifvertragsparteien der Branche vereinbart und in der Folge auf nicht orga-
nisierte Betriebe dieser Branche übertragen werden.

3. Das Gesetz über Mindestarbeitsbedingungen von 1952 muss reformiert und
in seiner Anwendung vereinfacht werden, um rechtlich verbindliche Min-
destlöhne und Mindestarbeitsbedingungen unter Beteiligung von Sozialpart-
nern und Wissenschaft in jenen Branchen zu ermöglichen, in denen eigene
Tarifstrukturen nicht vorhanden sind.

Berlin, den 14. Februar 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

In Deutschland gibt es starke regionale und branchenspezifische Unterschiede in
der Höhe der Entgelte, die die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten und die
unterschiedlichen Branchenstrukturen reflektieren. Diese Unterschiede müssen
in Regelungen zu Mindestlöhnen abgebildet werden. Es besteht sonst die Ge-
fahr, dass zu hohe Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten oder zu geringe Min-
destlöhne einen Sog nach unten auf das gesamte Lohngefüge ausüben.

Ein allgemeiner, einheitlicher, gesetzlicher Mindestlohn wäre faktisch eine Ein-
schränkung der Tarifautonomie. Die Tarifpartner müssen deshalb in die Ausge-
staltung und regelmäßige Anpassung der Mindestlöhne miteinbezogen werden.
Die drei genannten Maßnahmen stellen sowohl eine nach Branchen und regional
differenzierte Ausgestaltung der Mindestlöhne als auch die umfassende Einbin-
dung der Sozialpartner sicher.

Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
ermöglicht die Nutzung des bisher nur für die Baubranche zur Verfügung stehen-
den Instrumentariums für alle Branchen der Wirtschaft. Bei Vorliegen eines bun-
desweit geltenden Tarifvertrages können darin festgelegte Mindestlöhne und
Urlaubsbestimmungen sowohl auf Arbeitnehmer von nicht tarifgebundenen in-
ländischen Betrieben als auch auf Arbeitnehmer von ausländischen Betrieben
übertragen werden.

Mit einer Vereinfachung der Allgemeinverbindlicherklärung im Tarifvertrags-
gesetz (TVG) und der Reduzierung der darin festgeschriebenen Vetomöglich-
keiten für die Spitzenverbände der Tarifparteien, insbesondere der Arbeitgeber,
werden zunehmend unüberwindbare Hürden für die tarifliche Festsetzung von
Mindestarbeitsbedingungen wieder abgesenkt. Durch die Reduzierung der Veto-
möglichkeiten werden die Tarifpartner der jeweiligen Branchen gestärkt und
erhalten die Möglichkeit, umfassend Verantwortung für die Arbeitsbedingungen
in ihren Branchen zu übernehmen. Vereinbaren sie Allgemeinverbindlichkeit,
gelten die tariflichen Arbeitsbedingungen sowohl für die Arbeitnehmer von
organisierten wie nicht organisierten Betrieben der Branche.

Mit dem Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen von 1952

existiert grundsätzlich bereits ein Instrumentarium zur gesetzlichen Festlegung
von Mindestarbeitsbedingungen für jene Branchen, die tariflich überhaupt nicht

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/656

organisiert sind und damit weder durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz noch
durch eine Allgemeinverbindlicherklärung erfasst werden können. Aufgrund
der hohen Verfahrenshürden wurde es bisher aber nicht angewandt. Durch eine
Verkürzung der im Gesetz bisher vorgesehenen Verfahren und eine Reduzierung
der Gremien auf nur einen Ausschuss mit Vertretern der Sozialpartner und der
Wissenschaft muss das Gesetz modernisiert und mit dem Ziel einer unbürokra-
tischen Anwendung überarbeitet werden.

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