BT-Drucksache 16/651

Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt über das iranische Atomprogramm - Demokratische Entwicklung unterstützen

Vom 14. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/651
16. Wahlperiode 14. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Thilo Hoppe, Ute Koczy,
Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt über das iranische Atomprogramm –
Demokratische Entwicklung unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Seit der Wahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Juni 2005 ver-
schärft sich der Konflikt um das Atomprogramm des Iran. Diese Zuspitzung
gibt Anlass zu großer Sorge. Eine Lösung dieses Konflikts kann nur mit zivi-
len Mitteln gelingen. Die Androhung oder gar die Anwendung jeder Form
von militärischer Gewalt gegen das Atomprogramm des Iran beinhaltet ein
unabsehbares Eskalationsrisiko. Militärschläge würden die gesamte Region
destabilisieren und damit auch Israel gefährden. Die Bundesregierung ist des-
halb aufgefordert, sich gemeinsam mit den Partnern in der EU nachdrücklich
für eine zivile Beilegung des Konflikts einzusetzen und dieses auch öffentlich
unzweifelhaft zu vertreten. Uneinigkeit in der Bundesregierung schwächt die
internationale Verhandlungsposition gegenüber dem Iran. Das russische An-
gebot zur Urananreicherung außerhalb des Iran bleibt ein wichtiger Beitrag
zur politischen Lösung des Konflikts. Verhandlungen und – sofern diese er-
folglos bleiben – nichtmilitärische Sanktionsmaßnahmen sind der einzig ver-
tretbare Weg, um den Konflikt über das Atomprogramm des Iran dauerhaft
beizulegen. Nachdrücklich bekräftigt der Deutsche Bundestag in diesem Zu-
sammenhang die interfraktionell geteilte deutsche Verpflichtung zur Unter-
stützung des Existenzrechts Israels.

2. Iran ist ein regional und international wichtiger Akteur, an dessen stabiler und
demokratischer Entwicklung Deutschland und die EU ein genuines Interesse
haben. Deshalb sind die eindeutigen Anzeichen für eine Verschärfung des
innen- wie außenpolitischen Kurses der iranischen Führung so besorgnis-
erregend. Die internationale Gemeinschaft muss den politischen Druck auf
die iranische Regierung deutlich erhöhen und gleichzeitig die demokratische
Entwicklung des Iran fördern. Iran verfügt über eine vergleichsweise gut ent-
wickelte zivilgesellschaftliche Basis. Die Bundesregierung hat die Entwick-
lung der iranischen Zivilgesellschaft – die weiter auf die volle Unterstützung
der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages zählen kann – stets mit
großer Aufmerksamkeit und großem Interesse begleitet. Zudem ist Deutsch-
land über eine Vielzahl von Kontakten auf politischer, wirtschaftlicher und
kultureller Ebene eng mit Iran verbunden. Diese Kontakte müssen weiter ge-
nutzt werden, um die iranische Demokratiebewegung aktiv zu unterstützen.
Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass ein offener Dialog nicht nur auf der
Ebene von Regierungsvertretern, sondern auch zwischen den Zivilgesell-

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schaften stattfindet. Ziel eines solchen Dialogs ist die Herstellung von Offen-
heit, Transparenz und Vertrauen als Voraussetzung für konstruktive politi-
sche, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen. Nicht zuletzt die Verpflich-
tung jeder deutschen Regierung zum Eintritt für das Existenzrechts Israels
erfordert dies angesichts der öffentlichen und wiederholten Vernichtungsdro-
hungen des iranischen Präsidenten und anderer Mitglieder der iranischen
Führung mehr denn je.

3. Die Entwicklung des Iran während der Amtszeit des Präsidenten Mohammed
Khatami von 1997 bis 2005 war widersprüchlich: Einerseits gelang es den re-
formorientierten Kräften in der iranischen Zivilgesellschaft, sich sukzessive
größere politische, gesellschaftliche und kulturelle Freiräume zu erobern.
Andererseits blieb die fundamentale Machtstruktur des Staates unangetastet.
Massive Menschenrechtsverletzungen waren weiterhin an der Tagesordnung,
politische und bürgerliche Freiheitsrechte wurden weitgehend missachtet.
Dennoch bot die damalige Entwicklung Aussicht auf eine graduelle Trans-
formation des Regimes zu mehr Demokratie, Partizipation und Transparenz.
Daran anknüpfend entwickelte die von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebildete frühere Bundesregierung gemein-
sam mit den Partnern in der EU einen vielfältigen politischen, wirtschaft-
lichen und kulturellen Dialog. Die Voraussetzungen für die Fortführung die-
ses Dialoges schwinden unter dem neuen Präsidenten Ahmadinedschad zu-
sehends. Der seitens des Iran nicht fortgesetzte Menschenrechtsdialog zwi-
schen der EU und Iran steht stellvertretend dafür.

Innenpolitisch ist die Entwicklung im Iran seit der Wahl von Präsident
Mahmud Ahmadinedschad durch die Verschärfung der Verfolgung von
Minderheiten, die Einschränkung gesellschaftlicher Freiräume und die wie-
der zunehmende Unterdrückung der Opposition gekennzeichnet. Beispiel-
haft für die andauernde Unterdrückung der Opposition steht der Fall Akbar
Gandji. Seit April 2000 befindet sich der kritische Journalist Akbar Gandji in
Haft. Akbar Gandji ist im Gefängnis schwer misshandelt worden und hat
mehrfach u. a. mit Hungerstreiks gegen die katastrophalen Haftbedingungen
protestiert. Er ist eine wichtige Symbolfigur der demokratischen Opposition
des Iran. Das herrschende Regime statuiert an Akbar Gandji ein Exempel. Es
ist deshalb umso wichtiger, dass die internationale Gemeinschaft ihre Solida-
rität mit Akbar Gandji klar ausdrückt.

Auch andere grundlegende politische Rechte werden im Iran regelmäßig
missachtet. Jüngstes Beispiel ist die gewaltsame Verhinderung eines Streiks
bei den Teheraner Verkehrsbetrieben. In diesem Zusammenhang wurden
mehrere hundert Busfahrer, teilweise mit ihren Angehörigen, unrechtmäßig
inhaftiert. Die Situation der ethnischen und religiösen Minderheiten im Iran
verschärft sich ebenfalls. Im Frühjahr 2005 unterdrückten iranische Sicher-
heitskräfte gewaltsam Demonstrationen in den arabisch besiedelten Regio-
nen im Südwestiran. Dabei gab es nach Angaben von Human Rights Watch
mehr als 50 Tote. Im Juli und August 2005 wurden Unruhen in den kurdisch
besiedelten Regionen des Iran ebenfalls blutig niedergeschlagen. Ungeachtet
der inneriranischen Kritik am unverhältnismäßigen Einsatz der Sicherheits-
kräfte muss festgehalten werden, dass es keine Anzeichen für eine grund-
legende Änderung der repressiven Haltung des iranischen Regimes gegen-
über den ethnischen und religiösen Minderheiten gibt.

Die iranische Opposition ist nach jahrzehntelanger brutaler Verfolgung durch
das iranische Regime traumatisiert, schwach und gespalten. Auch in
Deutschland wurden bereits iranische Oppositionelle auf Veranlassung irani-
scher Regierungsstellen ermordet, wie ein Berliner Gericht 1997 feststellte.
Angesichts der jüngsten Zuspitzung wird die internationale Unterstützung
einer handlungsfähigen demokratischen Opposition zum iranischen Regime
immer wichtiger. In Deutschland gibt es eine Vielzahl iranischer Exil-

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gruppen. Nicht alle erfüllen demokratische Kriterien, zu denen vor allem das
glaubwürdige Bekenntnis zur Gewaltfreiheit, demokratische Strukturen und
Transparenz nach innen wie nach außen zählen. Exilgruppen, die demo-
kratischen Kriterien genügen, können aber einen Beitrag zur demokratischen
Entwicklung des Iran leisten. Dafür brauchen sie Schutz und Unterstützung.
Das unbeirrbare Eintreten für die Achtung der Menschenrechte, die Garantie
bürgerlicher Freiheiten, die Durchsetzung der verfassungsmäßig verankerten
Grundrechte sowie der Frauen- und Minderheitenrechte, Freiheit für politi-
sche Gefangene und die Stärkung demokratisch legitimierter Institutionen im
Verfassungssystem Irans sind wichtige Signale an die demokratische Oppo-
sition des Iran.

Es gibt Anzeichen dafür, dass die demokratische iranische Opposition bereit
ist, intensiver zusammenzuarbeiten. Diese Bemühungen bedürfen internatio-
naler Unterstützung, damit eine attraktive demokratische Alternative zu
repressiven und terroristischen Oppositionsgruppen entstehen kann. Die
Bundesregierung ist aufgefordert, die Herausbildung einer demokratischen
iranischen Opposition politisch und – soweit gewünscht und erforderlich –
finanziell zu unterstützen, um eine handlungsfähige Alternative zum irani-
schen Regime zu fördern.

4. Außenpolitisch führt Präsident Mahmud Ahmadinedschad Iran immer weiter
in die internationale Isolation. Seine unerträglichen Drohungen gegenüber
Israel bis hin zur wiederholten Ankündigung der Vernichtung des jüdischen
Staates sowie die mehrfache Leugnung des Holocausts sind für die inter-
nationale Gemeinschaft nicht hinnehmbar. Die Wiederaufnahme der Uran-
konversion in Isfahan entgegen der Pariser Vereinbarung zwischen Iran und
den EU-3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) vom November 2004,
die Fortführung von atomwaffenrelevanter Forschung und die hartnäckige
Weigerung, eine Vereinbarung mit der internationalen Gemeinschaft aus-
zuhandeln, die sicherstellt, dass Iran nicht über Atomwaffen verfügen kann,
schüren schwerste regionale und internationale Befürchtungen. Es ist deshalb
notwendig, dass sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Kon-
flikt über das iranische Atomprogramm befasst. Dem Sicherheitsrat steht, mit
der Autorität der internationalen Staatengemeinschaft versehen, eine Viel-
zahl von nichtmilitärischen Handlungsmöglichkeiten zur dauerhaften Kon-
fliktregelung zur Verfügung.

Es ist alles daran zu setzen, dass das Angebot Russlands, die Urananreiche-
rung des Iran gemeinsam in Russland – zu dem ausschließlichen Zweck,
Strom zu erzeugen – zu betreiben, als ein ernsthafter Ausweg aus dem Kon-
flikt breite internationale Unterstützung findet. Vor diesem Hintergrund ist
gerade jetzt eine grundsätzliche Neubewertung des deutsch-iranischen Atom-
abkommens von 1978 notwendig.

5. Der aktuelle Konflikt um das Atomprogramm des Iran verdeutlicht die Her-
ausforderung, vor der die internationale Gemeinschaft steht. Dieser Konflikt
kann dauerhaft nur mit zivilen Mitteln und mit Hilfe der iranischen Zivilge-
sellschaft gelöst werden. Dabei ist die Unterstützung der demokratischen
Entwicklung des Iran ein wichtiges Element. Für die Entwicklung einer de-
mokratischen Gesellschaft sind Presse- und Meinungsfreiheit von entschei-
dender Bedeutung. Im heutigen Iran ist beides nicht gegeben. Vielmehr be-
steht eine rigide Pressezensur, die dazu führt, dass eine unabhängige Bericht-
erstattung nicht möglich ist. Unter diesen repressiven Bedingungen hat sich
daher in der iranischen Zivilgesellschaft bislang auch kein kritischer Diskurs
über die Risiken der Atomenergie entwickeln können. Die demokratische
Opposition muss dabei unterstützt werden, eine Debatte über diese Risiken
und über Alternativen zur Atomenergie auf gesellschaftlicher und politischer
Ebene zu führen.

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Das niederländische Parlament hat im Dezember 2004 15 Mio. Euro bereit-
gestellt, um den Aufbau von unabhängigen Medienprojekten wie z. B. einem
satellitengestützten Informationskanal zu ermöglichen, die den Iran erreichen
können. Ungeachtet ihrer bislang unbefriedigenden Umsetzung ist diese
Initiative ein wichtiges Vorbild für ein mit den Partnern in der EU abge-
stimmtes Vorgehen zur Unterstützung der Presse- und Meinungsfreiheit im
Iran. Die Bundesregierung ist aufgerufen, sich für dieses und ähnliche Pro-
jekte einzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. mit den Partnern in der EU und in Zusammenarbeit mit den USA, Russland
und China dafür einzutreten, dass der Konflikt über das iranische Atom-
programm ausschließlich mit zivilen Mitteln gelöst wird und dieses auch
nach außen deutlich zu machen. Dazu zählt auch, international dafür ein-
zutreten, dass die Androhung oder gar die Anwendung militärischer Gewalt
gegen das Atomprogramm des Iran unterbleibt und dass dem Iran in diesem
Zusammenhang erneut eine Gewaltverzichtserklärung angeboten wird, wie
sie bereits im Vorschlag der EU-3 über ein langfristiges Abkommen mit dem
Iran vom August 2005 enthalten ist;

2. sich nicht an der Vorbereitung militärischer Maßnahmen gegen das Atom-
programm des Iran zu beteiligen und sich, auch gegenüber anderen Regierun-
gen, ausdrücklich gegen den Einsatz militärischer Gewalt auszusprechen und
gegenüber anderen Staaten darauf zu drängen, keine Vorbereitungen für mi-
litärische Maßnahmen gegen den Iran in diesem Zusammenhang zu treffen;

3. das russische Angebot zur Urananreicherung für den Iran zu unterstützen;

4. gemeinsam mit den Partnern in der EU und den internationalen Partnern
einen abgestuften Katalog realistischer nichtmilitärischer Sanktionsmaßnah-
men zu entwickeln;

5. sich nachdrücklich für die demokratische Entwicklung des Iran durch die
politische und – soweit gewünscht und erforderlich – finanzielle Unter-
stützung der demokratischen Kräfte des Iran einzusetzen;

6. sich für die Freilassung von demokratischen und gewaltfreien politischen Ge-
fangenen wie Akbar Gandji einzusetzen. Dazu zählen Journalisten, Intellek-
tuelle, Schriftsteller und Menschenrechtsverteidiger, die für die demokrati-
sche Entwicklung des Iran eintreten;

7. sich auf allen politischen Ebenen für das Recht auf freie Meinungsäußerung
und auf politische und gewerkschaftliche Versammlungs- und Vereinigungs-
freiheit einzusetzen und entsprechende Bemühungen der demokratischen
Opposition des Iran stärker zu unterstützen;

8. zusammen mit den Partnern in der EU darauf zu drängen, dass der von der
iranischen Regierung nicht fortgesetzte Menschenrechtsdialog zwischen EU
und Iran umgehend fortgesetzt wird;

9. zu prüfen, wie demokratischen Kräften Gelegenheit gegeben werden kann,
eine unabhängige Berichterstattung über die Entwicklungen im Iran, aber
auch über internationale Ereignisse im Iran zu verbreiten.

Berlin, den 14. Februar 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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