BT-Drucksache 16/6490

Missbilligung der Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Joseph Jung zum Abschuss von in Terrorabsicht entführten Flugzeugen

Vom 21. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6490
16. Wahlperiode 21. 09. 2007

Antrag
der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Birgit
Homburger, Gisela Piltz, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster),
Uwe Barth, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Michael Kauch, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-
Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Missbilligung der Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz
Josef Jung zum Abschuss von in Terrorabsicht entführten Flugzeugen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Bundesminister der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung hat in einem Inter-
view im Magazin „FOCUS“ am 17. September 2007 zum Abschuss von Flug-
zeugen mit unbeteiligten Passagieren gesagt: „Deshalb müsste ich im Notfall
vom Recht des übergesetzlichen Notstands Gebrauch machen: Wenn es kein
anderes Mittel gibt, würde ich den Abschussbefehl geben, um unsere Bürger zu
schützen.“

In der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages am 19. September 2007 hat
der Bundesminister seine Aussagen weder korrigiert noch zurückgenommen.

Der Bundesminister missachtet damit die Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts und das geltende Verfassungsrecht. In dem Urteil zum Luftsicher-
heitsgesetz (1 BvR 375/05) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass
§ 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes mit der Menschenwürdegarantie des
Artikels 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und mit dem Grundrecht auf Leben
gemäß Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in Einklang steht, soweit er es den Streit-
kräften gestattet, Luftfahrzeuge abzuschießen, in denen sich Menschen als Op-
fer eines Angriffs auf die Sicherheit des Luftverkehrs befinden. Das Gericht hat

in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz klar darauf hingewiesen, dass
es dem Staat im Hinblick auf das Verhältnis von Lebensrecht und Menschen-
würde untersagt ist, durch eigene Maßnahmen unter Verstoß gegen das Verbot
der Missachtung der menschlichen Würde in das Grundrecht auf Leben einzu-
greifen. Unter der Geltung des Artikels 1 Abs. 1 GG sei es schlechterdings un-
vorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige
Menschen, die sich in einer derart hilflosen Lage befinden, vorsätzlich zu töten.

Drucksache 16/6490 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Bei der Wahl der Mittel zur Sicherung der staatlichen Schutzpflicht zugunsten
derjenigen, gegen deren Leben das als Tatwaffe missbrauchte Luftfahrzeug ein-
gesetzt werden soll, kommen immer nur solche Mittel in Betracht, deren Einsatz
mit der Verfassung in Einklang steht, so das Bundesverfassungsgericht.

Die klaren und unmissverständlichen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts
zur Bedeutung der Menschenwürdegarantie zeigen, dass der Abschuss eines
Passagierflugzeugs niemals legalisiert werden kann. Der Gesetzgeber kann
nicht durch Schaffung einer gesetzlichen Eingriffsbefugnis zu Maßnahmen wie
dem Abschuss eines von Terroristen entführten Passagierflugzeuges ermächti-
gen, solche Maßnahmen nicht auf diese Weise als rechtmäßig qualifizieren und
damit erlauben. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist daher als deutliche
Mahnung an den Gesetzgeber zu verstehen, Abstand zu nehmen von allen
Plänen, Menschen als Mittel zum Zweck zu verwenden und ihnen damit die
Menschenwürde zu nehmen. Die Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries
erklärte dazu: „Wir haben eine Verfassungsgerichtsentscheidung, die uns
solcher Diskussionen völlig enthebt.“ Daher sei dazu nichts zu sagen, „außer auf
die geltende Verfassungslage hinzuweisen, die seine Aussage nicht deckt“ (ddp
vom 17. September 2007).

Eine Abwägung zwischen verschiedenen Rechtsgütern ist bei Betroffenheit
der Menschenwürde grundsätzlich ausgeschlossen. Dem Institut des übergesetz-
lichen Notstands kann keine Rechtslegitimation für die Anordnung des Ab-
schusses entnommen werden. Es ist nicht möglich, sich bereits im Vorfeld auf
den übergesetzlichen Notstand zu berufen und damit eine Rechtsgrundlage für
den Abschuss eines Passagierflugzeuges zu schaffen. Da es sich bei den Fällen
des übergesetzlichen Notstands ausnahmslos um seltene Grenzsituationen han-
delt, die immer nur im Einzelfall zu bewerten sind, entziehen sie sich einer abs-
trakten Normierung.

II. Der Deutsche Bundestag missbilligt danach die Äußerungen des Bundes-
ministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung zum Abschuss von in Terror-
absicht entführten Flugzeugen.

Berlin, den 21. September 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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