BT-Drucksache 16/6465

Mindestlohnvereinbarung in der Postbranche

Vom 19. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6465
16. Wahlperiode 19. 09. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Christian
Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Angelika Brunkhorst, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Mindestlohnvereinbarung in der Postbranche

Der Arbeitgeberverband Postdienste (AGV), der von der Deutschen Post AG
dominiert wird und dem keiner der Konkurrenten, wie TNT Post und PIN
Group, angehört, hat sich mit der Gewerkschaft Ver.di auf Lohnuntergrenzen für
die Postbranche geeinigt. Postdienstleister in den alten Bundesländern sollen
demnach mindestens 8,40 Euro pro Stunde, in den neuen Bundesländern acht
Euro zahlen müssen. Briefzusteller erhalten dann im Westen mindestens
9,80 Euro und im Osten mindestens neun Euro. Die Unterschiede sollen im Jahr
2010 in beiden Teilen der Bundesrepublik Deutschland wegfallen.

Die beiden Parteien des abgeschlossenen Tarifvertrages haben diesen bereits
dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegt, um ihn für allge-
meinverbindlich erklären zu lassen. Mit der Allgemeinverbindlicherklärung
wird der Geltungsbereich eines Tarifvertrages dann nicht nur auf alle Firmen
und Betriebe eines Wirtschaftszweiges sowie die bei ihnen beschäftigten Arbeit-
nehmer erweitert, sondern auch auf die, die nicht Tarifvertragspartei oder in
Arbeitgeberverbänden bzw. Gewerkschaften organisiert sind. Das Bundesminis-
terium für Arbeit und Soziales kann per Rechtsverordnung die Allgemeinver-
bindlichkeit auf Basis des entsprechend geänderten Arbeitnehmer-Entsende-
gesetzes herstellen – notfalls gegen ein Votum des Tarifausschusses, dem
Vertreter der Sozialpartner angehören.
Die Deutsche Post AG hat seit 1998 die Anzahl ihrer Filialen um 18 Prozent re-
duziert bzw. 2 000 Filialen geschlossen und in Deutschland nahezu 35 000 Voll-
und Teilzeitarbeitsplätze abgebaut. Im Gegenzug haben viele kleine und mittel-
ständische Wettbewerber ein bundesweites Filialnetz mit mehr als 16 500 Sta-
tionen aufgebaut und über 46 000 neue Arbeitplätze geschaffen. Insbesondere
diese kleinen und mittleren Unternehmen agieren am Markt auf der Basis eines

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ihrem Produktivitätsgrad entsprechenden, wettbewerbsfähigen Lohnniveaus.
Darüber hinausgehende Entgeltzahlungen schwächen diese Unternehmen ge-
genüber dem Monopolunternehmen Deutsche Post AG, welches über Größen-
degressionseffekte verfügt und das das bisherige Lohnniveau aus den Monopol-
gewinnen finanziert. Dieses Lohnniveau, das sich auf einem Markt mit
Monopolstrukturen herausgebildet hat, an einem ab dem 1. Januar 2008 voll-
ständig liberalisierten Markt vorzuschreiben, käme einer faktischen Verlänge-
rung des Monopols gleich. Der Mindestlohn würde dann dazu missbraucht wer-
den, die marktbeherrschenden Monopolstrukturen der Deutschen Post AG zu
zementieren, da bestehende Wettbewerber tendenziell vom Markt verdrängt und
neue von einem Markteintritt abgehalten werden. Die Allgemeinverbindlich-
erklärung entfaltet somit wettbewerbsreduzierende Effekte. Das eigentliche Ziel
des Postgesetzes, ein chancengleicher und funktionsfähiger Wettbewerb, wurde
damit im zehnten Jahr nach Inkrafttreten des Postgesetzes, nicht erreicht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung das Vorgehen im Postsektor, in dem fak-
tisch ein Haustarifvertrag der Deutschen Post AG, der andere Unternehmen
nicht mit einbezieht, allgemeinverbindlich erklärt werden soll?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung dieses Vorgehen aus wettbewerbspoliti-
scher Sicht?

3. Hat die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt rechtliche Bedenken ge-
gen dieses Vorgehen?

4. Liegt nach Ansicht der Bundesregierung ein öffentliches Interesse im Sinne
des Tarifvertragsgesetzes an der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarif-
vertrages vor, und wenn ja, worin besteht dieses?

5. Sind nach Ansicht der Bundesregierung die übrigen gesetzlichen Vorausset-
zungen für eine Allgemeinverbindlicherklärung gegeben?

6. Wie bewertet es die Bundesregierung aus dem Blickwinkel des Wettbe-
werbs, dass vor allem kleinere und mittlere Unternehmen, die sich das hohe
Lohnniveau des Tarifvertrages nicht leisten können, im Falle einer Allge-
meinverbindlicherklärung aus dem Markt gedrängt werden bzw. überhaupt
vom Markt ferngehalten werden?

7. Trifft es nach Ansicht der Bundesregierung zu, dass die Bundesnetzagentur
denjenigen Wettbewerbern der Deutschen Post AG, welche die für allge-
meinverbindlich erklärten Mindestlöhne nicht zahlen bzw. nicht zahlen kön-
nen, die Lizenz verweigern bzw. entziehen müsste?

8. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, dass durch eine Allgemeinver-
bindlicherklärung marktbeherrschende Strukturen auf dem Markt der Post-
dienstleistungen zementiert würden, und wenn nein, warum nicht?

9. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die Einführung eines Mindestlohns
im Postsektor überhaupt sinnvoll, und wenn ja, warum?

10. Wie wird sich nach Ansicht der Bundesregierung die Einführung eines Min-
destlohns im Postsektor auf die Preise für die Dienstleistungen auswirken?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung generell die Anwendung des Instrumen-
tes der Allgemeinverbindlicherklärung in Branchen, in denen ein Monopol-
oder De-facto-Monopolunternehmen per se allein über 50 Prozent der Be-
schäftigten repräsentiert?

12. Wie beurteilt sie diese Struktur im Hinblick auf wettbewerbspolitische Ziele?
13. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Postbranche in das Arbeitnehmer-
Entsendegesetz aufzunehmen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6465

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die durchschnittlichen Stundenlöhne für
Postdienstleister und Briefzusteller von mit der Deutschen Post AG in Kon-
kurrenz stehenden Unternehmen, wie hoch sind diese jeweils in den alten
und neuen Bundesländern?

15. Wie wird sich nach Ansicht der Bundesregierung die Einführung eines Min-
destlohns im Postsektor auf die Sicherheit bestehender Arbeitsplätze bei
Konkurrenzunternehmen der Deutschen Post AG auswirken?

16. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Mehrwertsteuerbefrei-
ung der Deutschen Post AG maßgeblich dazu beigetragen hat, dass bei den
Wettbewerbern des Monopolunternehmens geringere Löhne gezahlt werden
und, falls nein, warum nicht?

17. Beabsichtigt die Bundesregierung mit dem Ende der Exklusivlizenz der
Deutschen Post AG zur Beförderung von Briefen bis 50 g auch die Mehr-
wertsteuerbefreiung des Unternehmens zu beenden – und wenn nicht, wel-
che Gründe gibt es dafür?

18. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass der Wegfall der Mehr-
wertsteuerbefreiung der Deutschen Post AG einen positiven Beitrag für die
Sicherheit bestehender Arbeitsplätze bei Konkurrenzunternehmen der
Deutschen Post AG entfalten wird bzw. zur Entstehung neuer Arbeitsplätze
bei diesen Unternehmen beitragen kann?

Berlin, den 19. September 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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